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die deutsche Gelehrtenrepublik retten, und das ist meine Aufgabe! für dieses Leben." Zunächst wollte er eine in kurzen Zeiträumen erscheinende Zeitschrift gründen, welche lebendige Verbindung aller deutsch gesinnten Männer erhält. „Meine Stellung ist günstig; ich kenne die Edelsten der Nation und kann mir deren Beihilfe ver sprechen; mein Buchladen reicht in der gedrückten Zeit Hilfsmittel für die Redaction dar, wie kein anderer es vermag." Aber er fürchtet, daß seine Freunde das Unternehmen für zu gewagt halten und die Frage aufwerfen werden: „Dürfen wir auch?" Darauf ant wortet der muthige Mann mit Jean Paul: „Mit keinem Zwange entschuldigt die Furcht ihr Schweigen." Auch unter Napoleon's Herrschaft könne man vieles sagen, wenn man nur die rechte Weise lerne, es zu sagen. „Vaterländisches Museum" soll die Zeitschrift heißen. „Sie soll nicht verboten werden, darum muß sie sehr vorsichtig auftreten; sie soll gelesen werden, darum muß ihre Absicht erkennbar für die Deutschen sein." Ende November 1809 versendete Perthes den Plan des Vaterländischen Museums nach allen Gegenden Deutschlands, an alle Männer, von deren deutschem und wissenschaftlichem Sinn er Kunde hatte. Er hoffte, daß dieser in einem Mittelpunkte geeinigte Bund deutscher Männer, Wenn die rechte Stunde käme, sich schnell aus einem wissenschaftlichen Vereine in einen Bund umsehcn könne, welcher zu kräftiger That Kraft und Zusammenhang besitze. Von allen Seiten liefen zustim mende Antwortschreiben ein, welche sich mit Wärme für das Unter nehmen und mit Dank gegen den Mann, welcher es versuchte, aus- sprachen. Im Frühjahr 1810 trat es ins Leben und brachte Bei träge von Jean Paul, Graf Friedr. Leop. Stolberg, Claudius, Fouque, Arndt, Friedrich Schlegel, Görres u. A. Die Aufnahme übertraf alle Erwartungen, aber auch die durch die Herausgabe geforderte Arbeit überstieg neben den großen politischen Aufregun gen und neben den fortlaufenden Anstrengungen für das aus gedehnte Geschäft fast das Maß menschlicher Kraft. Am Ende des Jahres 1810 waren die drei Hansestädte zugleich mit dem ganzen nordwestlichen Deutschland zu einem Bestaudtheil des französischen Reiches erklärt worden. Unter den auf diese eroberten Theile übertragenen französischen Einrichtungen war es die einer Generaldirection zur Beaufsichtigung des Buchhandels und der Buchdruckereien, welche Perthes mit großer Sorge erfüllte. Für jedes Buch, welches in Hamburg gedruckt oder aus den nicht occupirten Theilen Deutschlands in die deutschen Departements des Kaiserreichs gebracht werden sollte, mußte ein Erlaubnißschein aus Paris beigebracht werden. Napoleon, welcher die Dcnkfreiheit als die erste Eroberung des Jahrhunderts erklärte und in seinen Staa ten Preßfreiheit haben wollte, verlangte aber auch zu wissen, was für Gedanken und Ideen in den Köpfen umgingen. Der außer ordentlich künstliche Apparat, der zu diesem Zwecke construirt wurde, versagte seine Dienste. Bei der Unkenntniß der Franzosen in allem, was deutsche Literatur und Sprache hieß, wurde es Jedem leicht, bei vollständiger Beobachtung der vorgeschriebenen Formen, auch die dem Kaiser mißliebigsten Bücher einzuführen, worüber der jenige Theil der Biographie, welcher Perthes' Haltung als franzö sischer Unterthau behandelt, höchst ergötzliche Einzelheiten mittheilt. Beim ersten Bekanntwerden der beabsichtigten, gegen die deutsche Literatur gerichteten polizeilichen Maßregeln sah Perthes der Ge fahr, welche seinem Geschäfte zugleich mit dem ganzen deutschen Buchhandel den Untergang drohte, besonnen und muthig ins Auge, aber „durch alle Umstürze", so schrieb er um diese Zeit an Jacobi, „muß das, was ich als Geschäftsmann betreibe, noch größeren Auf schwung erhalten." Und dieses prophetische Wort hat sich erfüllt. Die namenlosen Leiden Hamburgs unter der Fremdherrschaft sind bekannt und ihre Schilderung in dem ersten Bande von Perthes' Leben ergreift noch heute den Leser aufs tiefste. Perthes, dessen Lichtgestalt in dieser dunkelsten Zeit wie ein Hoffnungsstern erscheint, zu dem Viele mitten im Schiffbruch vertrauend aufschauten, verließ Hamburg erst, als nicht die geringste Aussicht auf Rettung mehr vorhanden war. Was er bis dahin für diese Stadt gethan und gelitten, wie er kein Mittel unversucht gelassen, welches zu ihrer Befreiung dienen konnte, wie er selbst sein Leben wiederholt für sie in Gefahr brachte: in der Geschichte Hamburgs ist es verzeichnet und in diesen Tagen wird dort manches Herz des muthigen und kühnen Mannes dankbar gedenken. Perthes hatte alles, was er besaß, verloren. Aber er beschloß, in Gottes Namen wieder von neuem anzufangen. In einem Circular zeigte er im April 1814 dem deutschen Buchhandel die Wieder eröffnung seines Geschäftes an und versprach alles Schuldige zu bezahlen. Das Wie und Wann bat er ihm zu überlassen, doch solle innerhalb dreier Jahre alles bezahlt sein. Der treue und bewährte Besser, welcher bisher stiller Gesellschafter der Handlung gewesen war, trat jetzt als öffentlicher Theilhaber in die Firma und so schick ten sich beide Freunde zum Beginn des schweren Unternehmens an. Auf Hamburg und das übrige Deutschland rechneten sic bei ihren Plänen zunächst nicht, weil zu erwarten stand, daß die Folgen der langen Noth noch auf Jahre jede Lebendigkeit des literärischen Ver kehrs verhindern würden; sie wendeten ihre Aufmerksamkeit Eng land zu, wo infolge der Freiheitskriege die Theilnahme an Deutsch land größer wie seit Jahrhunderten geworden war, und eine geschickte Benutzung derselben der Verbreitung der deutschen Literatur in den dortigen reichen Sammlerkreisen sehr förderlich sein mußte. Besser, welcher die englischen Verhältnisse und namentlich auch die mangel hafte Einrichtung des englischen Buchhandels kannte, hoffte sogar, die Gesammtvermitlung zwischen England und der nicht englischen Literatur in die Hand des deutschen Buchhandels zu bringen. Während Besser nach England ging, begann Perthes im Vater land die unterbrochenen Verbindungen wieder anzuknüpfen und neue Wege zu bahnen. „Fest kannst Du Dich darauf verlassen," schrieb er bald nach Eröffnung des Geschäfts an Besser, „unsere Handlung wird sehr bald wieder in Blüthe stehen; man sehnt sich ordentlich nach uns." Die Masse der auf Perthes einstürmenden Arbeit machte die baldige Rückkehr Vesser's nöthig, dessen Aufenthalt in England ihm manche Enttäuschungen, aber doch auch zahlreiche und werthvolle Verbindungen eingebracht hatte. Die Jahre 1814 und 1815 vergingen Perthes unter steter und erfolg reicher Anstrengung innerhalb seines nächsten Berufs und im Dienste seiner Vaterstadt, deren Verwaltung und Verfassung in die neue Zeit hinüber geleitet werden sollten. Aber von den ihm am nächsten liegenden Aufgaben als Geschäftsmann und Bürger richtete er seinen Blick auch auf weitere Kreise, beobachtete mit eingehendem Interesse die Entwicklung der politischen Zustände Europas und faßte daneben besonders die durch die Neugestaltung Deutschlands bedingte Reform des deutschen Buchhandels ins Auge. Er befürchtete namentlich, daß unter dem Drucke der in Deutschland nach dem Kriege schärfer hervortretenden Gegensätze eine Scheidung in Süd und Rord, inKatholisch und Protestantisch, inOesterrcichisch und Preußisch, und zwar nicht nur politisch, sondern auch national sich vollziehen könne. In Beziehung auf die Literatur bestand diese Scheidung bereits bezüglich der irgendwie katholisch gefärbten Litera tur Süddeutschlands und Oesterreichs, welche in Norddeutschland vollständig unbekannt blieb, und welche doch Schätze enthalten konnte, bestimmt, ein allgemeines deutsches Gut zu sein. Diese unnatürliche Scheidung der deutschen Literatur zu überwinden, faßte Perthes als die Aufgabe des Buchhandels auf. In einer imJahre1816 von ihm verfaßten Schrift: „Der deut sche Buchhandel als Bedingung des Daseins einer deutschen Lite ratur", entwickelte er nun in kurzen Sätzen, daß, wenn der Buch handel den an ihn zu stellenden Ansprüchen genügen solle, derselbe