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elende und schlüpfrige Schriften aller Art weite Verbreitung. Gestützt auf solche Thatsachen, schrieb Perthes dem Buchhandel überhaupt und jedem Buchhändler insbesondere einen wesent lichen Einfluß auf die Richtung zu, in welcher Leser und Käufer bei der Auswahl ihrer geistigen Nahrung zu Werke gingen, und da ihm der in ungeheuerem Wachsthum begriffene Einfluß der Literatur auf Gesinnung und Leben vor Augen lag, so betrachtete er damals und sein ganzes Leben hindurch den Buchhandel und die Art seines Betriebes als eine tief in den Gang der Geschichte eingreifende Macht. Er wußte wohl, daß der Buchhandel völlig handwerksmäßig betrieben werden könne, aber auch an Pfarrern und Professoren, an Ministern und Generalen fehlte es nicht, welche Frohndienste leiste ten um das tägliche Brot. Ein Grauen freilich kam ihn an, wenn er Buchhändler sah, welche, wie er sich später ausdrücktc, gemeine Wirtschaft trieben mit Schreibgesindel, das für Stallung und Fütterung den Geist vermiethete. „Wo wäre", schrieb er 1794, „ein Stand, dessen Mitglieder die ihnen nvthwendigen Kenntnisse weniger besäßen, als der des Buchhandels? Deutschland ist mit elenden und scheußlichen Büchern überschwemmt, und würde frei von dieserPlage sein, wenn dem Buchhändler die Ehre lieber wäre, als das Geld." So entschieden Perthes den Beruf, dem er mit Liebe und Wärme sich ergeben hatte, gehoben wissen wollte, so erschien ihm doch der Vor schlag seines Freundes Campe, den Druck verderblicher Werke durch Errichtung eines Buchhändlertribunals unmöglich zu machen, nicht nur unausführbar, sondern auch gefährlich, weil er eine neue Art von Censur zum Ziele habe. Nur in der Verstärkung einer ehrenhaften Gesinnung des ganzenStandes und jedes seiner Glieder sah erHilfe. Im Jahre 1799, als die Revolutionskriege begannen und die großen Umwälzungen in den Geld- und Handelsvcrhältnissen Ham burgs eintratcn, erweiterte Perthes die seiner Handlung gestellten Aufgaben. In Hamburg, Holstein, Mecklenburg und Hannover sollte sie die Grundlage ihres Geschäftsbetriebes finden, aber von dieser Grundlage aus eine Stellung gewinnen, durch welche sie zur Vermittlerin des literärischen Verkehrs aller europäischen Völker unter einander Würde, indem sie die Literatur eines jeden Volkes allen andern Völkern zugänglich machte. Um diesen umfassenden Plan ins Leben zu führen, verband er sich mit Joh. Heinr. Besser, der seine literarische Bildung in Göttingcn durch Arbeiten auf der dortigen Bibliothek und durch Theilnahme an literarhistorischen Vorlesungen befestigt und erweitert hatte. „Nicht ein einziger Buchhändler möchte sich finden", äußerte Perthes später, „welcher in dem Umfange wie Besser Kenntniß von dem Dasein, von der Bestimmung und Brauchbarkeit der verschiedensten Werke aus der Literatur aller Völker besitzt, und Niemand weiß in dem Umfange, wie er, wo sie zu finden und wie sie anzuschaffen sind." Dieser Plan wurde in folge der großen Störungen und Verluste, welche das Jahr 1806 brachte, zum größten Theile aufgegebeu, aber bis dahin wurde er festgehalten und im deutschen Buchhandel nahmen Perthes und Besser eine bedeutende und wohlbegründete Stellung ein. Das persönliche Vertrauen, welches Perthes in wejten Kreisen genoß, und das Interesse, welches seine frische und kräftige Lebendig keit so vielen bedeutenden Männern einflößte, wurde eine wesent liche Grundlage des Geschäfts. Von Jahr zu Jahr vergrößerte sich im nordwestlichen Deutschland die Zahl der Familien, welche sich durch Perthes die älteren und neueren Werke bestimmen ließen, die ihrer besondern Sinnesart, ihren Neigungen und Verhältnissen die angemessensten waren. Der gesunde Blick und die Gewissenhaftig keit, mit welcher Perthes hierbei verfuhr, läßt sich aus den erhal tenen Verzeichnissen erkennen, in denen er kurz, aber treffend die literarischen Neigungen und Bedürfnisse der ihm bekannten Familien sich bemerkte, die er bis in eine Entfernung von dreißig und vierzig Meilen, ja bis nach Dänemark, Schweden, Petersburg und Eng land in länger» oder kürzer» Zwischenräumen zur Durchsicht und Auswahl versendete. Unter den zahlreichen in dem ersten Decennium dieses Jahrhunderts von Hamburg aus angeknüpften Verbindungen mit bedeutenden Männern sei hier zuerst das Freundschafts- verhältniß zu Niebuhr erwähnt. Während Perthes sich unauf löslich an den edlen Sinn und an das reiche Gemüth des großen Mannes gebunden fühlte, war Niebuhr von tiefer Achtung erfüllt vor der herrlichen Kraft, wie er sich ausdrückte, und vor der männ lichen Lebenstüchtigkeit des ungelehrten Freundes. Dem Geschäfts manne, welchem wissenschaftliche Bildung fehlte, legte Niebuhr den ersten Band seiner römischen Geschichte mit den Worten vor: „Gerne möchte ich ohne Rückhalt gesagt wissen, wie Sie mit meinem Buche zufrieden sind." Auf Perthes' einige Monate spater erfolgte Ant wort entgegnete Niebuhr: „Ihr Unheil über den ersten Band mei nes Werkes hat mir unbeschreiblich wohlgcthan. Nehmen Sie es nicht als ein zuviel sagendes Kompliment, wenn ich sage, daß neben Goethe's Lob Ihr Gefühl mir genügte, wenn auch öffentlich sehr feindliche Stimmen sich hören lassen sollten." Auch mit Johannes von Müller stand Perthes in jener Zeit und namentlich in den Jahren 1805 und 1806 in lebendigem Verkehr. Die Briefe an ihn athmen den tiefen Schmerz um den Fall des Va terlandes und den bittern Unwillen über die Muthlosigkeit und Gleichgültigkeit der Männer, die den Stolz unseres Volkes aus machten — aber durch Schmerz und Unwillen leuchtet der Mannes- muth hindurch, der die im felsenfesten Gottvertrauen ruhende Hoffnung nicht sinken läßt, sondern dem hereingebrochenen Elend selbst eine Lichtseite abzugewinnen weiß. „Vieles ist auch schon weg geräumt", schreibt Perthes 1805 an Müller, „daß ich nur anführe: die Endschaft der papiernen Zeit; noch zwanzig Jahre solcher Buh lerei mit der Literatur, solcher Verhätschelung geistiger Bildung, solcher Krämerei mit belletristischem Luxus — und wir hätten ein oitzols littsrairs erlebt, abgeschmackter als das unserer Nachbarn." l^s ist selbstverständlich, daß das Jahr 1806 auch Perthes in seinem Geschäfte schwer schädigen mußte. Aber der innere Friede, der ihm aus seinem aufblühenden Familienglück erwuchs, und die Gemeinschaft, in der er sich mit den besten Männern jener Zeit wußte, ließen ihn jenen materiellen Verlust weniger empfin den. Wo Andere sich vorsichtig von Geschäften zurückzogen, dehnte er den Betrieb seiner Handlung in einer Weise aus, daß er imJahre 1807 schreiben konnte: „Niemand in Hamburg hat jetzt Geschäfte, die »reinigen aber sind größer wie je und werden bald eine noch grö ßere Ausdehnung gewinnen." Seine Handlung galt als eine der bedeutendsten im Norden Deutschlands und Niebuhr nannte ihn scherzend den Buchhändlersouverän von der Ems bis an die Ostsee. Vom höchsten Interesse ist es, zu sehen, wie Perthes in den Jahren 1809 und 1810 sich um die Erhaltung deutscher Gesinnung bemühte und dabei zunächst an die literärischen Kreise und den ihnen dienenden Buchhandel seine Hoffnungen und Pläne anknüpfte. „Deutschland ist recht eigentlich", schrieb er, „Element und Vater land des Standes der Männer der Wissenschaft; deutsche Gelehrten republik besteht noch und kann auch ferner bestehen, obgleich unsere Fürsten besiegt sind und das deutsche Reich zertrümmert ist." In dem Buchhandel sah er die Freistätte, welche die Freunde der Wahr heit aufnehmen und sie, wenn auch nur vor der äußersten Lebens- noth schützen sollte. „Der deutsche Buchhandel", schrieb er nach dem Wiener Frieden von 1809 an Jacobi in München, „ist das ein zige noch vorhandene Band, welches die ganze Nation umfaßt; ein Nationalinstitut ist er, frei aus sich selbst entsprossen und jetzt bei nahe allein unsere nationalen Eigenthümlichkeiten echt charakteri- sirend. Daß er nicht alles leistete, was er leisten konnte, ist wahr, aber für die Zukunft kann er noch vieles leisten, nur er allein kann 194*