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der im Buch gestalteten Welt suchen oder sehen, noch die einem gemeinsamen Schicksal verpflichtete geistige Leistung wollen oder auch nur erkennen können. Um die geht cs aber den Lesern, die auch mit Leidenschaft lesen, mit einer echten Leidenschaft lesen, die sich aber nicht dem eige nen Genuß, sondern dem Schicksal ihres Volkes verpflichtet fühlen. Der Dienst dieser Leser am Buch, ob sie nun als Mitt ler in den Buchhandlungen stehen oder in den Schriftlcitungcn sitzen, ist eine Aufgabe am Leben ihres Volkes. Sie fühlen sich im Dienst, wenn sie ein Buch lesen, ob cs ihnen Freude macht, oder ob sie cs ablchnen oder einschränken müssen. Sie niesten es stets an der Aufgabe, die es im Schicksal unseres Volkes erfüllen kann. Jeder, der mit Bewußtsein in diesem Dienst steht, wird ohne zu ermüden an diese Aufgabe denken, wenn er zu Büchern greift. Der Bauer ermüdet ja auch nicht, wenn er Jahr für Jahr dieselben Felder pflügt. Wer mit beiden Füßen in seinem Leben und im Schicksal seines Volkes steht - wer nicht darin steht, ist kein Mann, sondern ein Schmarotzer und ein erbarmungswürdiger Tagedieb -, kann gar nicht er müden in seinem Dienst. Denn die Aufgaben sind immer wie der neu. Wer sic beherrschen will, niuß immer wieder arbei ten, und wer die Freude erleben will, daß er sie beherrscht, muß sich immer wieder in die Welt der neuen Bücher hincindicnen. Es ist nicht damit getan, daß man das Handwerk sicht, auch nicht damit, daß man die zeitliche Bedeutung erkennt, man muß den Charakter des Buches mit seinen Besonderheiten und mit seinen Grenzen erkennen, man muß um die einmalige Aufgabe oder einmalige Schönheit dieses Werkes wissen. Wer Bücher nur liest, uni sie zu kennen und um mitrcdcn zu können, wird, wenn die Sprache auf das Wesentliche kommt, nicht mitrcdcn können, denn er hat in seiner Hast und oberflächlichen Neugier oder Gcnußgicr oder Schwatzsucht gar nicht bemerkt, worauf cs eigentlich ankommt. Nur wer das Lesen als Dienst auffaßt, wird das erkennen. Wer aber mit Leidenschaft in diesem Dienst steht, dem werden die vielen Bücher, die er lesen muß, niemals zu einer Last wer den. Sic werden ihm zu guten Kameraden, die mit ihm das selbe wollen: das Schicksal ihres Volkes vollenden. Wo beginnt für eine Mutter die Last und wo die Freude? Sic hat manch mal ihre liebe Not mit ihren Kindern; aber was denen, die zu bequem geworden sind, ihr Schicksal zu erfüllen, die also im Grunde Deserteure sind, eine Last dünkt, das ist den echten Müttern eine Freude, mit aller Not und Sorge. So geht cs auch dem echten Leser. Er hat auch seine liebe Not mit diesem oder jenem Buch, das das Beste will, aber in seinem Wollen steckenblcibt. Die vielen oberflächlichen oder aufgeplustertcn Bücher machen ihm unendlich viel Last. Und doch wird er nie die Freude am Buch verlieren. Denn er ist ja am Werden und Wirken der Bücher in irgendeiner Form beteiligt. Es ist mir immer unbegreiflich gewesen, wie jemand Bücher über Bücher lesen kann, nur um darüber reden zu können. Wer nicht das Buch in sich wirken läßt, wer nicht für und durch daS Buch wirken und am Schicksal seines Volkes zu seinem be scheidenen Teil tcilnchmcn will, der kann zum Buch immer nur ein geschmäcklerischcs, durch und durch unfruchtbares Verhältnis haben. Er ist sozusagen ein Sonntagsjäger der Literatur. In dem Augenblick, in dem dem berufsmäßigen Leser das Buch zur Last wird, sollte er seinen Beruf aufgcben, denn nun hat er nicht mehr die schöpferische Bereitschaft für jedes Buch, die unerläßlich ist. Selbst die Büchcrflut vor Weihnach ten darf ihm nicht zur Last werden. Es muß ihm zumute sein wie dem Bauern in der Ernte. Der darf auch nicht stöhnen über den Reichtum, den er bergen muß. Wenn er stöhnt, ist er den Segen der Erde nicht wert. Dann ist er auch kein guter Bauer; dann geht es mit seinem Hof bergab. Dem echten Bauern ist die Erntezeit die schönste Zeit des Jahres, wenn er auch in ihr die meiste und die schwerste Arbeit hat. In dieselbe freudige Stimmung gerät auch der Berufslcscr in der Zeit vor Weih nachten. Welche Fülle von Schicksalen! Wieviel schöpferische Kraft doch in unserem Volke steckt! Das sind seine Gedanken. Und nun gibt er sich ans Sichten. Da ist eine junge Kraft aufgetaucht; da hat einer, von dem man es nicht mehr erwartete, noch ein gutes Buch geschaffen. Da trägt einer eine brennende Frage unseres VolksdascinS vor. Da gestaltet einer das stolze schwere Schicksal unseres Volkes in einer schweren Stunde. Es gibt immer Überraschungen. Nur für den Snobisicn ist immer alles schon dagewesen. Der Bcrufsleser aus echter Leidenschaft wird sich immer die Bereitschaft zum Staunen und Wundern erhalten, er mag sein Amt noch so lange schon auSübcn. Er wird sich ebenso seine Begeisterung für eine echte Dichtung aus dem Geist und Schicksal des Volkes erhalten wie den Zorn über ein elendes Machwerk. Ich lese nun seit vielen Jahren einen großen Teil der erzäh lenden Kriegsliteratur, echte Dichtung wie schlichte Erlebnis berichte. Ich greife nach jedem Kriegsbuch wieder mit dersel ben Leidenschaft. Welch ein Stoff! Welch eine Fülle von Schick salen! Welche Größe unseres Volkes in sieghafter Tat und hoffnungslosem Unterliegen! Welch ein Ringen um die Gestal tung dieses großen Schicksalcrlebens unseres Volkes! Ich werde nicht müde, allen Erzählern zu folgen, auch wenn sie keine Dichter sind. Da steht plötzlich zwischen ihren ungelenken Zeilen ein Schicksal oder ein für die Kraft unseres Volkes charakteristisches Ereignis ans, daß man den Atem anhält. So verwächst nian mit einem großen Stoffgebiet, ja mit einer 26