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auf bestimmte, nichts weniger als gleichgültige Vorgänge geradezu herausfordern. Wie schwierig es war, auf diesem Wege zu einem einigermaßen sicheren Resultat zu kommen, sah ich bei dem Stu dium der sämtlichen vorausgegangenen Sonetterklärungcn*), von denen jede etwas anderes herausgelefen hatte. Auffallend war mir die Abhängigkeit des Lyrikers Shakspere von Petrarca, die mich veranlaßte, die früheren englischen und italienischen Sonet- tisten durchzustudieren — nicht alle, sondern nur die bedeutendsten, denn ihrer sind Legion, Im Sommer 1879 setzte ich diese Studien in London an dem reichen Material des Britischen Museums fort, alle Übereinstimmungen notierend, und fand, daß sie alle Petrarca uachgeahmt und in vielen Einzelheiten, die überall immerwäh rend wicderkehren, abgeschrieben haben. Die damaligen Dichter kannten eben den Begriff des geistigen Eigentums nicht, sie nah men jeder dem andern weg, was ihnen gefiel; eine Entdeckung, die sich auch mit Bezug auf das Verhältnis der Jugeuddramen Shaksperes zu denen seiner Zeitgenossen, wie ich aus Erfah rung weiß, fruchtbar verwerten läßt. Aus der Herde dieses lyri schen Kleinviehs erhoben sich mehrere größere und zwei mächtige Gestalten: der eine war Michelangelo, der niemals der gekün stelten pctrarkischcn Konvention zum Opfer gefallen ist, dazu war er von Anfang an zu tief erfüllter Platoniker; der andere, der es im Laufe seines jugendlichen Schaffens erst wurde und in einer bestimmten Phase desselben das wertlose petrarkischc Muster von sich schleuderte, war Shakspere, Das Britische Museum gewährte mir auch das schwer auf- zutreibende Material, mich mit der Hofgesellschaft der Elisabeth intim bekannt zu machen, um nach dem hochgestellten jungen Freunde Shaksperes zu forschen. Daraus ergab sich, daß der unbedeutende und häßliche Graf Southampton, in dem man ihn aus nichtigen Gründen sieht, es nur sein konnte, wenn wir Shakspere zum würdelosesten Schmeichler machen wollten; daß dem überschwenglichen Preise der Schönheit, der Herzens- und Geistesgaben des Jünglings sowie dem Preise, den auch andere Dichter ihm zollen (Shaksperes dichterische Nebenbuhler), um ca, 1599 nur Robert Essex entspricht. Eine weitere, auf eifriger Arbeit beruhende Entdeckung, während die Southampton-Theorie, die allein auf der Widmung der beiden Shakspereschen Epen fußt, sehr billig und gedankenlos ist. Aber die Sonett-G eschichte war noch immer nicht heraus gesunden. Dazu half die andere Beobachtung, daß viele Ge danken und Formalien der Liebes-Sonette sich in den Jugend dramen und -epen widerfandcn: wie die damaligen Dichter sich gegenseitig ausraubten, so wiederholten sie sich auch selbst. Und da nun in den Sonetten sich ebensogut verschiedene Stile heraus- erkcnnen ließen wie in den Dramen, so mutzte sich aus Grund solcher gedanklichen und formalen Übereinstimmungen eine chrono logische Reihenfolge aufstellen lassen. Da ich zurzeit die Sonette auswendig wußte, so nahm ich bei meinem schlechten Wortge dächtnis die Zeit wahr und las in drei Monaten sämtliche vierzig Dichtungen Shaksperes durch. Der Erfolg war beglückend. Von den ca, 400 Parallelismen (jetzt sind es etwa 500 geworden) fanden sich fast drei Viertel zu den petrarkischen Liebes- und der Hauptmasse der Freundschafts-Sonette in den jugendlichen Dich tungen (bis 1594), und gewisse Sonettreihen schlossen sich'ge- raöezu an gewisse Dramen an, so die sehnsüchtigen Trennungs- Sonette, die der Liebhaber während seiner italienischen Reise gedichtet haben mutz, an Romeo, die Sonette einer beglückten, aber doch nicht verdachtfreien Liebe an Verlorne Liebesmühe usw. Die zwölf Sonette, in denen der Dichter seinen Freund rührend um Verzeihung bittet wegen der grundlosen Eifersucht, die er gehegt, finden ihre meisten Wiederholungen in den Dramen von 1595/96, die ebenso wie die zwölf Sonette frei von pe trarkischen Einflüssen sind. Es bleiben dann noch ca, 20 Freund schafts-Sonette übrig, die sich an spätere Dramen bis etwa 1601 anschlicßen; diese, ebenfalls ganz original, gehören zu dem Höchsten, was die Lyrik aller Zeiten geschaffen hat. Da war, die dritte Entdeckung, die Geschichte der Liebe und Freundschaft Shaksperes, die ich im 19, Sh,-Jahrbuch (1884) Philologisch ch S, Sic Einleitung meine» Arbeit »Zu den Sonetten Shaksperes» in Serrigs Archiv für das Studium der neueren Sprachen (1878—7S), 426 im einzelnen begründete*), mit sämtlichen, 400 Stellenzilaten, da Wortzitate zuviel Raum eingenommen haben würden; die muhten in einer Sonett-Ausgabe folgen, da sonst meine Arbeit unfruchtbar blieb. Die vierte und wichtigste Entdeckung war aber die, daß Shakspere sich massenhaft wiederholte; und da es sich für jede seiner Dichtungen immer um Hunderte solcher Wiederholungen handelte, so ist ihre zeitliche Zusammengehörigkeit durch die Menge derselben unschwer herauszufinden, zumal wenn die me trische Entwicklung, die von dem schematischen Jambenvers der Jugend bis zu der einzig großartigen Rhythmik des Macbeth viele Stationen durchmacht, mitverwertet wird. Da so gut wie gar keine literarhistorischen Daten über Shaksperes Werke exi stieren und man die Abfassungszeiten durch — meist nur hineingelegte — Beziehungen aus Zeitereignisse oder zeitge nössische Veröffentlichungen zu bestimmen suchte, so ist die 125jäh< rige chronologische Shakspere-Forschung so erfolglos ge blieben, daß die Autoritäten derselben hinsichtlich der Ent stehung eines Dramas über einen Zeitraum von 5—20 Jahren vagieren**). Diesem unmöglichen Zustande kann nur ein Ende gemacht werben auf dem eine n Wege der stilistischen und me trischen Forschung, wie ich das im Laufe der Jahre an einem Dutzend von Spezialuntersuchungen nachgewiesen habe. Und noch eine fünfte persönlich wertvolle Entdeckung darf ich nicht übergehen. Wenn wir die Produttion von 26 Dich tungen bis Hamlet uns nicht in ganz unmöglicher Weise über stürzt vorstellen wollen, so mutz sie schon 1587 begonnen haben: in der Komödie der Irrungen und Teilen von Heinrich VI. treten die petrarkischen Einflüsse noch nicht hervor; dann aber werden sie in den Sonetten und den gleichzeitigen Dramen mächtig. Danach müssen wir den wahrscheinlichen Beginn der Freundschaft und Liebe Shaksperes ins Jahr 1598/99 verlegen. Es ist aber sittlich beruhigend, wenn wir annehmen müssen, daß der 24/25jährige Neuling im Weltstadtleben einer weniger klassisch schönen als sinnlich und geistig prickelnden »dunkeln Dame«, die er nach vielen auffallenden wörtlichen Übereinstim mungen in der Rosaline der Verlornen Liebesmüh nachgezeichnet hat, ins Garn gegangen ist. Die klobige und rein aus blauen Dunst gebaute Annahme einiger Engländer, daß Shakspere von 36 Jahren, wo er innerlich, als Verfasser des Hamlet, mindestens 50 alt war, sich blindlings, ohne Menschenkenntnis in die Auf regungen und Leiden dieser unreinen Liebschaft gestürzt habe, braucht nun sein Menschenbild nicht mehr zu besudeln. Die Krönung meiner siebenjährigen Arbeit sollte natürlich eine kritische Ausgabe der Sonette sein, zu der schwerlich ein anderer durch seine literarhistorischen und philologischen Studien besser vorbereitet war. Da kam nun die große Enttäuschung: keiner der Verleger, an die ich mich im Laufe der achtziger Jahre wandte, ging aus meinen Antrag ein. Der Verkauf des Buches, so hieß es immer wieder, würde die Herstellungskosten nicht einbringen. Aber ich kannte doch eine Reihe von Spezialstudien, deren Kosten ganz sicher nicht durch sie selbst, sondern durch andere, zugkräftigere Verlagsartikel aufgebracht worden waren. Und auf Honorar hatte ich kein Gewicht gelegt: hatte ich doch ein ganzes Buch über die Liebes-Sonette Honorarlos in Herrigs Archiv veröffentlicht und habe mein ganzes Leben Honorarlose oder so gut wie Honorarlose philologische Aufsätze geschrieben. Es werden Wohl noch verschiedene andere Gründe zur Ablehnung vorhanden gewesen sein. Ich war noch zu unbekannt; aber die Philologische Grundlage einer solchen Ausgabe lag doch gedruckt im 19, Sh,-Jahrbuch vor. Vielleicht hätte mir eine fachliche Autorität einen Verleger verschaffen können; aber die anglistischen Professoren waren in den Achtzigern noch spärlich an deutschen Universitäten, und dann entsprach es meiner Art nicht, mich um Unterstützung an Müller oder Schipper zu wenden, die mir da mals noch unbekannt waren. Der Hauptgrund wird Wohl ge« ch Eine populäre Darstellung veröffentlichte ich in den Preußi sche» Jahrbücher» (»Shaksperes Selbstbekenntnisse») und dann in einem Buche bei Metzler, »ch S. meine» Aussatz in den Preuß, Jahrb, »Kennen wir S,s Ent wicklungsgang?»