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8048 Nichtamtlicher Teil. vlk 223, 24. September 1204. welche Gegenstand, Material und Darstellungsmittel ihm setzen. War Michelangelo nicht gebunden, als er die Decke der Sixtina ausmalte, oder als er das Grabmal seines eigen willigen Gönners Julius II. schuf? Welcher Unterschied soll nun bestehen zwischen dem Kunstschaffen, dem eine Land schaft non Hans Thoma entspringt, und " demjenigen, das zur Konzeption einer Schale von Cellini, einer Münze von Pierre Roty, eines Schmuckes von Lalique, eines Stuhles von Van der Velde oder eines Eßbesteckes von Peter Behrends oder Olbrich fuhrt? Ist auch der Künstler, der ein Möbel oder eine Vase entwirft, durch den Gebrauchszweck gebunden, so bleibt ihm doch innerhalb der Grenzen, die das Material und der Gebrauchszweck ihm setzen, Raum für künstlerische Willkür; und das, was er innerhalb dieser Grenzen künstlerisch erzeugt, ist ein Kunstwerk, ein Werk der bildenden Künste, genau ebenso wie der Kunst gegenstand, der einen andern Gebrauch als den der ästhe tischen Anschauung nicht zuläßt.4) Ist aber die künstlerische Konzeption die gleiche, ob das Werk, in dem sie sich verkörpert, einer Gebrauchsbestimmung dient oder nicht, so ist auch die künstlerische Wirkung die gleiche. Sind die ästhetischen Eindrücke, die die Mona Lisa, die MelancholieDürers, eine Kindcrgruppe Ludwig Richters, die gewaltigen Gestalten der Bourgeois de Calais Rodins oder eine Tiergruppe Gauls in uns ausiösen, andre, als die, die eine Schale von Thesmar, ein Buchschmuck von Vogeler, ein Überfangglas von Gallö eine Porzellanvase der Kopenhagener Manufaktur oder ein Stück der Zeller Bauerntöpferei in uns wecken? Offenbart sich in letztem nicht ebenso wirksam eine künstlerische Individualität? Wer kann sagen, ob nicht die Nachwelt die künstlerische Größe eines Stuck individueller und reicher ausgeprägt in der Einrichtung seines Münchener Hauses als in seinen Ge mälden finden wird? Köhlers Ausführungen geben der Vorstellung Raum, als ob der Kunstschöpfung etwas abhanden komme, wenn sie die Form eines Gebrauchsgegenstandes annimmt. Was hat aber der Gebrauchszweck mit der Wirkung des Kunstwerks zu tun? Nehmen wir als Beispiel den primitivsten Gegenstand, einen Stuhl, so ist es doch ganz klar, daß es nicht das Gerät mit vier Beinen, einem Sitz und einer Lehne ist, das das Kunstwerk ausmacht, sondern die individuelle Ge staltung, die der Künstler dieser Gebrauchsform verleiht.') Es ist daher unrichtig, daß das Werk der bildenden Künste den Gebrauchszweck ausschtießc. Denn der Gebrauchszweck ist etwas akzessorisches, das dem Kunstwerk anhaften oder ') Köhler unterscheide! noch zwischen der wahren, objektiven Bestimmung des Werkes und der Schcinbestiininung, vgl. hierüber S. 200. °) Eine Beschreibung eines solchen Stuhles, mit Hervor hebung der individuellen Gestaltung findet sich bei Wilhelm Bode, Kunst und Kunstgcwcrbe am Ende des neunzehnten Jahr hunderts, Berlin, Bruno Cassirer. S. 98 u. s. »Kräftige Formen, dem Körper richtig angepaßt, die Natur farbe des Holzes nur durch seinen Lack klar hervorgehoben und in ihrer Haltbarkeit dadurch gesichert, die Schnitzerei der Lehnen aus dem vollen Holz im Charakter durchbrochener japanischer Holzbalustraden (wenn auch wohl unbeeinflußt davon), und wie die wenigen, am rechten Platz angebrachten Ornamente, einen einfach modernen Blumendekor zeigend, nur verstärkt an den Abschlüssen der Lehnen durch ein paar vergoldete Bronze beschläge in Blumenform, der Bezug von Hellem Grün, das mit der gelblichen Holzfarbe in feinem Kontrast steht: das gibt nicht nur einen eigenen, originellen und zweckmäßigen Stuhl, sondern zugleich das Motiv, nach dem das Möblement eines ganzen Zimmers oder eines Zimmerabfchnitts sich leicht zusammen stellen ließe, und wofür der phantasieoolle Künstler die weitere Dekoration des Zimmers in einheitlicher Weise unschwer finden würde.« ihm fehlen kann, das aber mit dem Kunstwerk als solchem nicht das geringste zu tun hat. Wenn Köhler ausführt, daß das Wesen des Kunst werks in der Zwecklosigkeit besteht, so übersieht er in seinen Schlußfolgerungen nur, daß diese Zwecklosigkeit auch der jenigen Kunstschöpfung anhaftct, deren Ausdrucksform einem Gebrauchszweck dient. Denn die Kunstschöpfung ist niemals identisch mit dem Gerät. Die Wirkung des Kunstwerks hat nichts zu tun mit seiner Gebrauchsfunktion. Wenn man den Gebrauchsgegenstand seiner Form und seinem Gebrauchs zwecke nach als das Gegebene nimmt, so stellt sich die in der individuellen Gestaltung der Gebrauchsform ausgedrückte Kunstschöpfung als etwas Selbständiges, Unabhängiges, als ein Plus dar, dem eben die künstlerische Zwecklosigkeit inne wohnt, die für Köhler das maßgebende ist. Jede Kunst ist in ihren Anfängen angewandte Kunst; die primitiven Striche oder Wellenlinien zur Verzierung eines Pfahlbautopfes, die Porträtstatnen aus den Mastabas des Alten Reichs, die alt-chinesischen Rollbilder, die Koreanischen Schalen, die Lackarbeiten eines Korin oder auch die byzan tinischen Madonnenbilder und die ersten primitiven Hciligen- statuen, die so gut Kirchengeräte waren wie die Ciborien, Abendmahlsbecher usw.") Die Unterscheidung zwischen Werken der reinen Kunst und Werken der angewandten Kunst stammt bei uns aus einer Zeit, in der das Kunstschaffen in Deutschland dar niederlag und durch Lehr- und Schulmeinnngcn ein geengt war. ?) Die Wiedergeburt der deutschen Kunst im Beginn des neunzehnten Jahrhunderts führte die Künstler zur An lehnung an die Antike, dann an das Mittelalter und schließ lich an die Renaissance. Die Kunstanschauungen, die die Künstler und die Kunstgelehrten beherrschten, wurzelten nicht in unserm Volksleben. Nach den Stürmen des dreißigjährigen Krieges und der folgenden Zerrüttung und nach der schweren Erschütterung der Freiheitskriege fehlte cs dem Volk an Mitteln und am Behagen, das Leben künstlerisch zu gestalten. Die Kunst war ein Luxus für die Gebildeten; sie wurde vor allem auch unter dem Einfluß der Hegelschen Philosophie als etwas Abstraktes, als etwas für sich Seiendes betrachtet. Bei dieser Abkehr der Kunst vom Leben des Volks galt es als eine Herabminderung der Kunst und des Künstlers, die Kunst in den Dienst des gemeinen täglichen Gebrauchs zu stellen. Einen bezeichnenden Ausdruck hat diese Anschauung bei Wächter gefunden, der von den fünfziger bis in die siebziger Jahre unser hervor ragendster Autor auf dem Gebiet des Urheberrechts war Er sagt in seinem Werk; Das Urheberrecht an Werken der bildenden Künste, Photographien und gewerblichen Mustern (Stuttgart 1877); -Es ist ja allerdings denkbar, daß ein plastischer Künstler die Laune hat, eine Bildsäule als Lampe oder dergleichen auszuführen. Damit aber stellt er eben seine Arbeit in den Dienst der Industrie, ganz ebenso wie der ') Die ältesten venezianischen Madonnenbilder stammten ans Muranvs Werkstätten für Küchengeräte. Deutliche Spuren ii,,,s -.1,...I N-I. i-ni.iind.n iich z B. noch in d,n Ikiiks.