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48, 28. Februar. Nichtamtlicher Theil. 73S gleich häufig liest, so daß der ermüdende Einfluß des Ungewohnten nicht nach der einen oder anderen ^Seite bestimmend wirkt, wird keinen Zweifel empfinden, welche der beiden Gattungen seine Seh nerven am wenigsten angreift. Neben diesem Vorzüge der Klar heit, der bei freier Wahl schon allein durchschlagend sein müßte, hat das lateinische Alphabet einen andern Grund von sehr praktischer Bedeutung für sich anzuführen. Es ist bescheidener in seinen Raum ansprüchen; technisch ausgcdrückt: lateinische Typen gestatten wegen ihrer größeren Einfachheit einen kleineren Kegel als deutsche, ohne an Deutlichkeit die mindeste Einbuße zu erleiden. Ein Buch, eine Zeitung vermag bei lateinischem Druck mehr Stoff aufzunehmen als bei deutschem und wird doch denselben Ansprüchen ans Leser lichkeit gerecht; oder umgekehrt, für den gleichen Stoff, der zu be wältigen ist, bedarf man weniger Papier bei lateinischen als bei deutschen Lettern. Die Schrift unserer westlichen Nachbarn hat demnach vor der unsrigen Vorzüge ökonomischer und optischer Natur, die in dem jetzigen vieldruckenden und vicllesenden Zeitalter hoch anzuschlagen sind. Wir verhehlen uns indessen nicht, daß der Vorschlag, unser landläufiges Schnörkelalphabet gegen das anerkannt bessere um zutauschen, auf vielen Widerspruch stoßen wird. Da erhebt sich zu vörderst der Einwurs, der unter der stolzen Flagge des Patriotis mus segelt. Der Urdeutsche verketzert den frechen Neuerer, der cs wagt, die geheiligte vaterländische Eigcnthüinlichkcit anzutasten. Ja, wenn unser Alphabet nur einen wirklichen Anspruch daraus hätte, als eine Schöpfung unseres nationalen Geistes zu gelten. „Leider nennt man die verdorbene und geschmacklose Schrift sogar eine deutsche, als ob alle unter uns in Schwang gehenden Mißbräuche zu ursprünglich deutschen gestempelt, dadurch empfohlen werden dürf ten." Solches Urtheil fällt Jakob Grimm, gewiß ein Deutschester unter den Deutschen, und läßt die Erwägungsgründe natürlich nicht fehlen. Durch das ganze Europa, so führt er aus, gab es im Mittel- alter nur eine Schrift, die lateinische, für alle Sprachen. Seit dem dreizehnten, vierzehnten Jahrhundert begannen die Schreiber die runden Züge der Buchstaben an den Ecken auszuspitzen und den meist nur in Rubriken und zu Eingang neuer Abschnitte vorkom menden größeren Anfangsbuchstaben Schnörkel anzufügen. Als der Buchdruck erfunden war, lag es nahe, daß die Typen nach dem Vor bilde, das die Handschriften der Zeit darboten, geschnitten oder ge gossen wurden, und so behielten die ersten Drucke des fünfzehnten Jahrhunderts dieselben eckigen, knorrigen oder scharfen Buchstaben, gleichviel ob für lateinische oder deutsche und französische Bücher, bei. Mit ihnen wurden dann auch alle dänischen, schwedischen, böhmi schen, polnischen Bücher gedruckt. Dennoch führte in Italien, wo die Schreiber der runden Schrift treuer geblieben waren und schöne alte Handschriften der Classiker vor Augen lagen, schon im 15. Jahr hundert ein reinerer Geschmack die unentstelltcn Buchstaben zurück, und nun war es an den anderen Völkern, diesem Beispiele zu fol gen. Beim Latein gab es keinen anderen Ausweg, und im 16. Jahr hundert drang auch für die aus französischen und deutschen Pressen hervorgehenden Classiker die edle Schrift durch; die Gelehrten hiel ten darauf. Dagegen bestand die schlechte für das Volk, das sich an sie gewöhnt hatte, fort, in Frankreich eine Zeit lang nur, in Deutsch land entschieden und durchaus; hiermit war ein schädlicher Unter schied zwischen lateinischen und Vulgärbuchstaben festgesetzt, der nicht nur in den Druckereien galt, sondern auch in den Schulen angenommen wurde. Deutsch aber kann diese Vulgärschrist immer nicht genannt werden, da sie außer Deutschland auch in England, in den Niederlanden, in Skandinavien und bei den Slawen lateinischer Kirche herrschte. Engländer und Niederländer entsagten ihr allmäh- lichsganz, nur Gebetbücher findet manin Holland noch mit deutschen Let tern gedruckt; die Schweden, diePolen und Czechen haben sich gleich falls von ihr losgerissen, und bloß einige dänische Zeitungen erscheinen noch in dem sogenannten deutschen Alphabete. Seitdem Grimm sein Verdammungsurtheil offen ausgesprochen und mit kühnem Vorgänge die Bahn des Besseren beschritten, hat die lateinische Schrift große Eroberungen aus deutschem Gebiete gemacht. Die Wissenschaft hüllt sich schon ziemlich allgemein in das zugleich zweckmäßigere und schönere Gewand; und unserer Gelehrtenwclt darf man schlechter dings nicht den Vorwurf machen, daß es ihr an vaterländischem Sinne gebreche. Jedoch auch tief in das Alltagsleben sind die deut lichen und ansprechenden Lettern hinabgcsticgen. Nicht allein der französischer Mode huldigende Llarebanä 'I'allteur, der Inhaber einer 8sUv paar la oonxv ckos oboveu!, der „Fabrikant in Hüten", sondern auch der urwüchsig deutsche Schuster, Klempner, Bäcker, Bierwirth, Gcwürzkrämer kündigt Namen und Geschäft in lateinischer Schrift an, und keinen von ihnen befällt die Furcht, daß einer sie der Sünde gegen den nationalen Geist bezichtigen, oder daß auch nur der schlichteste Bauer, der Sonntags zurStadt kommt, seine Einkäufe zu machen, oder der halberwachsene Schulknabe, de» die Eltern mit einer Bestellung aussenden, eine Schwierigkeit in der Entzifferung der „undeutschen" Schrift haben könnte. Ist bei uns die lateinische Schrift ein Berrath am Vaterlande, so gibt es kein schlimmer verra- thenes Land als unser armes Deutsches Reich, liebt es ja selbst Berrath an sich auf allen scinenMünzcn, von der vornehmen „Krone" — um schon mit Bamberger zu reden — „bis herab zum bescheide nen Pfennig "! Unsere Eisenbahnen, ausgenommen einige süddeutsche, Helsen dabei mit ihren Fahrplänen und Fahrkarten, unsere städtischen Behörden mit den Straßenschildern; und der einzelne Reichsbürger, auch derjenige, welcher am eifrigsten auf die lateinischen Ketzer schilt, unterstützt die Neuerer mit dem Besten, was er besitzt — seinem guten Namen. So konime denn Niemand mehr mit der nicht patriotischen, sondern abderitischen Ein- und Ausrede, daß wir in unserem Alpha bete eine besondere urteutonische Eigenthümlichkeit heilig zu halten hätten. Eher verdient Beachtung ein anderer Einwurs, derjenige, welcher sich auf die Bequemlichkeit des Philisters begründet. Die Gewohnheit ist ein böser Feind vieles Guten; aber ihr selbst ist ihr Gegengift zu entnehmen, wie uns Shakespeare lehrt: Bezwingt euch einmal nur: die llebung Verändert fast den Stempel der Natur, Sie zwingt den Teufel selbst und treibt ihn aus Mit wunderbarer Kraft. An dem Können fehlt es nicht, denn die Kenntniß der latei nischen Schrift ist, wie wir oben gesehen, ebenso allgemein wie die der deutschen; möge denn auch das Wollen hinzutreten! Die Köl nische Zeitung druckt seit Jahren ihre Handelsnachrichten mit lateinischen Lettern, und keine Beschwerde ist laut geworden. Doch man könnte sagen, dieser Theil des Blattes hat seinen ganz beson deren Leserkreis, von dem sich keine allgemeinen Schlüsse machen lassen. So verweisen wir denn auf eine andere Gattung von Mit theilungen, unter deren eifrigsten Lesern und — Leserinnen sich am ersten ein zäher Widerstand gegen typographische Neuerung vcr- muthen ließe, und gestatten uns die Frage, ob denn doch irgend Je mand unseren amtlichen Civilstandsnachrichtcn ihr lateinisches Kleid verübelt? Man folgere aus diesen Bemerkungen nun nicht, daß wir gesonnen seien, unsere Leser morgen oder übermorgen mit lateinischer Druckschrift in unserer ganzen Zeitung zu überraschen; aber wir halten doch für die Zukunft das Ziel im Auge und möchten auch schon durch diesen Hinweis die Bahn zu demselben ebnen. Wie die hin und wieder bemerkbare Abneigung des lesenden Publicums, so wird auch Wohl der Widerstand einer Anzahl von Verlegern gegen die vorgeschlagene Reform schließlich zu besiegen sein, lieber die allgemeinen Gründe solchen Widerstandes haben wir schon früher unser Urtheil gefällt; hier tritt noch ein ganz ab- 98»