Volltext Seite (XML)
^ 53, 6. März 1913. Redaktioneller Teil. Börsenblatt s. d. Dtschn. Buchbandel. 2523 (Forlsetzunq zu Seite 2482 j Uraack Uixdvvrrx gehört zu den Lieblingsschriftstellern der eng lischen Lesewelt, so daß man seinem neuesten Werke mit einiger Neugier enigegensieht. Auch von der berühmten Autorin des einstmals viclgelesenen Romans »Robert Elsmere« wird ein neuer Roman im Verlage von Smith, Elder L Co. erscheinen. Ob Mrs. Humphrey Ward durch »Tire Llatinx »k billig.« ihren Schriftstellerruhm vergrößern wird, scheint mir nach den im I-onäon Luckxet veröffentlichten Kapiteln zum mindesten frag lich zu sein. Die Erfindungsgabe der Verfasserin scheint sich immer mehr seichten Gesellfchaftsproblemen zuzuwenden. Wie der Roman, so appelliert auch das Drama mehr und mehr an das große Publikum, das amüsiert werden will. Der bekannte Schauspicldichter Henry Arthur Jones hat seine nicht gerade schmeichelhaften Ansichten über das neuere englische Drama in einem großen Werte: »Tiro Tounclations ok rr natio nal Drama« (Chapman Hall; 7/— net) niedergelegt, in dem er die Scheidung des modernen Dramas von der Literatur beklagt und behauptet, daß das Publikum weiter denn je von dem Schillerschen Ideal, das Theater als nationale Erziehungs anstalt zu betrachten, entfernt sei, und daß das englische Theater der Jetztzeit hübsche Dekorationen, leichte Musik, seichte Gesell- schastskonvcrsaiion, hübsche Toiletten und schön gewachsene Männer- und Frauenbeine seinen Besuchern darbicte. Es würde hier zu weit führen, zu untersuchen, inwieweit Herr Jones recht hat. Viele geben Ibsen an dem Niedergang der dramatischen Literatur die Schuld und suchen in langen Episteln an die Zei tungen ihre Meinung zu begründen. Sicher interessiert sich das Publikum im allgemeinen nicht sehr für Ibsen; man hält ihn für einen pessimistischen Pädagogen, der nur traurige, die her kömmliche Moral unterminierende Stücke mit langweiliger Ten denz geschrieben habe und alles in einen schwer verständlichen Symbolismus kleide. Um so mehr mußte der große Erfolg überraschen, den die Kronprätendenten bei ihrer Ausführung im Haymarkct-Theater hatten. Auch eine neue Übersetzung von »Peer Gynt« ist erschienen, deren Übersetzer R. Ellis Robert seiner Ausgabe im großen und ganzen gewachsen ist. Leider ist der Preis des Buches, 5/— (Secker L Co.), bei dem kleinen Um fang des Stückes gar zu hoch angcsetzt. Ein anderer Norweger, Björnson, scheint neuerdings auch mehr die Beachtung zu finden, die er verdient. So wurde die Aufführung seines Schauspiels »Der Handschuh« in englischer Übersetzung (Tds Oauntiet) in der Presse nicht ungünstig beurteilt. Vollmöllers »Turandot« wurde im St. James-Theater mit großem Erfolge gegeben, und zwar in so blendender Ausstattung, daß man unwillkürlich an die Behauptung Henry Arthur Jones, daß die Dekoration heut zutage die Hauptsache sei, denken mußte. Ich kann nicht finden, daß Vollmöller die Schillersche Version von Turandot llbertrosfen hat. Von englischen Neuigkeiten sind zwei zu nennen, die sich in Auffassung und Tendenz geradezu diametral gegenüberstehen: Mr. Stanley Houghton beglückte uns mit einem politischen Schauspiel, Wohl der unangenehmsten Art von Dramen, die es geben kann. Die Aufführung im Garrick-Thcater brachte denn auch nur einen Achtungserfolg. Mr. Hougthon hat in »Uimlie Zaires« und in der »Vounxer Oensration« Besseres geleistet als in seinem »Trust tke ?eople«. Das andere Drama, »dleli Kvz-nns« betitelt, behandelt die bekannte Liebschaft Karls II. Die Aufführung im Lyceum-Theater war ein großer Triumph, obwohl die Literatur mit der Zusammensetzung und dem Aufbau des Textes nicht viel zu tun hat. Ein amüsantes Stück ist die Komödie des Kanonikus Hanney »Oeneral ckolm Hexan«, die sich durch Humor und Witz auszeichnet. Seit I. M. der König und die Königin das Apollotheater mit ihrem Besuche beehrten, ist der Erfolg dieser irländischen Komödie verdientermaßen ge sichert. Bernard Shaws Komödie »ckodn Lull's Order Isianck« wird zum fünfzigsten Male im Kingsway Theater gegeben. Shaw wird immer mehr als der größte britische Lustspieldichter anerkannt, ja, ein französischer Kritiker, Monsieur A. Hamon, jst unpatriotisch genug, ihn den englischen Möllere zu nennen. Obgleich es eigentlich nicht in den Rahmen dieses Artikels ge hört, möchte ich doch des großartigen Erfolges erwähnen, den hier die Aufführung der Stcaußschen Oper »Der Rosenkavalier« gehabt hat. Den literarisch hochstehenden Text des Herrn Hof mannsthal hatte Kalisch in ein so vorzügliches, allen Anforde rungen entsprechendes Englisch übersetzt, daß selbst von den in dieser Hinsicht überaus anspruchsvollen Kritikern keinerlei Ausstellungen gemacht werden konnten. Eine Zeitlang herrschte die Befürchtung, daß der Zensor wegen der leichtfertigen Wiener Moral die Aufführung der Oper verbleien würde. Wie man sicht, ist der englische Zensor ein Mann von Takt, menschlicher Milde und entgegenkommendem Verständnis. Während die Kritiker über den Niedergang des englischen Dramas beinahe einer Meinung sind, scheint ihnen das Wiederaufleben der Dicht kunst ganz entgangen zu sein. Im Verlag des in diesen Spalten schon erwähnten Book- shop erschien eine Anthologie, betitelt »Oeorxisn Uoetrx, 1911 —1912« (3/6 net), die in kurzer Zeit ausverkauft war. Zu dieser Anthologie haben Dichter wie Masefield, Chesterton, Trevelyan, Sturze Moore Beiträge geliefert, während Colum, FreeMan, Middlcton, Mackenzie, sowie die weiblichen Poeten Miß Sweet- man, Anna Bunslon usw. durch Abwesenheit glänzten. Der moderne englische Parnaß ist heute von Dichtern bewohnt, die sich von der Zergliederung ihrer Seelenzustände und ihres Jchs sreigemacht haben und die Wichtigkeit der außer ihrem Gefühls leben stehenden Welt anerkennen. Die bedeutendsten dieser neueren Dichter sind Wohl, außer den schon genannten, Mr. Deals, Davies, De la Mare und Abercrombie. Es spricht für das poetische Gefühl und Verständnis des britischen Volkes, daß es wirklich Gedichtbücher kaust, was in Deutschland nur den Klassikern begegnen soll. Der allgemeine Aufschwung, der sich hier in der Geschäfts welt bemerkbar macht, kommt auch dem Buchhandel bis zu einem gewissen Grade zugute, obgleich ihm die Konkurrenz der großen Warenhäuser mit ihren Buchabteilungen das Leben sauer macht. Diese finanziell mächtigen Häuser sind in der Lage, leicht verkäufliche Werke von den Verlegern und Grosso-Buchhändlsrn, da sie gegen Kassa kaufen, zu günstigeren Bedingungen und in größeren Posten zu beziehen, als es der legitime Buchhändler mit seinen beschränkten Mitteln und Räumlichkeiten imstande ist. Neuerdings handeln die Warenhäuser auch mit ausländischer Literatur, die ihnen zum Teil von hier ansässigen ausländischen Häusern, zum Teil aber auch von den großen auswärtigen Bar sortimentern geliefert werden. So bleibt den hiesigen Buch händlern nur die Wahl, sich zu spezialisieren oder den Vertrieb anderer, nicht zu ihrem Bereich gehöriger Artikel auf- zunehmcn und so mit den Warenhäusern in direkten Wettbewerb zu treten. Daß der letztgenannte Ausweg dem Ansehen des Buch handels nicht besonders förderlich ist, bedarf keiner Erörterung. Hoffentlich haben die Verleger dieses Jahr ein Ein sehen und schränken im eigenen wie im Interesse des Gesamt buchhandels die literarische Produktion ein, damit sich eine Ge sundung der Verhältnisse im Buchhandel anbahnt. Die Sorti mentervereine aller Länder scheinen darin einig zu sein, daß sie die Schlenderei im Inlands und nach dem Auslande mit allen gesetzlichen Mitteln zu bekämpfen bereit sind und den Ladenpreis als den Minimalpreis für das Publikum anerkennen. Hier in England gewinnt das Ncttvbuch immer mehr an Boden, ob gleich der verkürzte Rabatt für manche Buchhändler eine bittere Pille ist. Frankreich ist gleichfalls auf dem Wege zum festen Ladenpreis, wie aus der kürzlich im »Lnlietin ckes Dibraires« veröffentlichten Enqudte hervorgeht. Zum Schluß will ich noch auf das Erscheinen des Stanckarck Lnvxelopasclla-Dietivnar)- im März aufmerksam machen. Die Verlagsfirma Messrs. Funk and Wagnalls Co. hat über 300 000 L an das Riesenwerk gewandt, und es ist Wohl nicht zuviel behauptet, wenn man sagt, daß bisher keine einzige Ver lagsbuchhandlung ohne jedwede Unterstützung seitens des Staa tes oder gelehrter Gesellschaften usw. eine solche Riesensumme für ein einzelnes Verlagswerk verausgabt hat. London, Ende Februar 1913. Wm. von Knoblauch.