Volltext Seite (XML)
138, 17. Juni 1S08. Nichtamtlicher Teil. Börsenblatt s. d. Dtschn. Buchhandel. 6685 Ungarn, wo die Slawen die Deutschen ausrotten möchten, können sie doch nicht leben ohne das Deutsche. Trotz alles so vielfach von oben unterstützten Sträuben« der Tschechen, Polen, Slowenen, Italiener und Ungarn ist und bleibt die deutsche Sprache in allen österreichisch-ungarischen Gebieten die Trägerin und Bringerin aller Kultur, die allgemeine Vermittelungs- und Handelssprache. In Ungarn ist freilich Deutsch nur die zweite Verkehrssprache neben dem Magyarischen; dieses aber hat nur im örtlichen Verkehr den Vorrang; über die Grenzen des ungarischen Globus hinaus dringt der Laut des Magyarischen nicht; wer es zu etwas bringen will, muß Deutsch können, denn das Deutsche ist für ein Dutzend von Nationalitäten, die es bekämpfen, dennoch, wie Graubündner Rhätoromanen es nennen, die »livAua äi paus-, die Brotsprache. Weit über Ungarn hinaus noch ist Deutsch die Sprache mindestens des Durchgangsverkehrs, des Großhandels, der im lebendigen Leben stehenden Gebildeten. Interessant ist dabei die Rolle, die im ganzen Osten bis nach Kaukasien und Sibirien die Juden als Träger der deutschen Sprache spielen. Sie haben diese, wie Or. Winterstein in seinem Büchlein erzählt, im Mittelalter in der da maligen Gestalt aus Deutschland mitgebracht und inzwischen teil weise umgebildet, d. h. verunstaltet und mit allerhand fremden, namentlich hebräischen Bestandteilen vermischt. Dieses »Jiddisch- Daitsch- ist die Sprache der russisch-polnischen, galizischen, unga rischen und rumänischen Juden. Um seinetwillen begegnet man im europäischen Osten so oft der grotesken Verwechslung oder Gleichstellung von Deutschen und Juden. Jedenfalls ist Deutsch in ganz Nordost- und Osteuropa das wichtigste Verständigungs mittel, unentbehrlich namentlich auch den slawischen Brüdern, wenn sie aus Süd und Nord Zusammenkommen, um gegen den gehaßten Deutschen Kriegsrat zu pflegen. Auch inmitten des Sprachcnwirrwarrs der Balkanhalbinsel geht es mit dem Deutschen vorwärts. In Serbien, namentlich in Belgrad wird viel Deutsch verstanden; es ist dort auf fast allen Schulen Pflichtgegenstand. Die gebildeten Rumänen haben zwar eine Vorliebe für das Fran zösische, doch setzt sich daneben das Deutsche mehr und mehr durch; namentlich wird in der Geschäftswelt schon um der vielen an sässigen Deutschen und auch Juden willen viel Deutsch gesprochen. In Bulgarien und Ostrumelien ist Deutsch trotz der nahen Be ziehungen zu Rußland und der slawischen Brüderschaft sogar die zweite amtliche Sprache der Vcrkehrsanstalten neben dem Bul garischen. In der Türkei übcrwiegen ja besonders nach dem äußeren Eindruck Französisch und Griechisch, im Westen auch Italienisch das Deutsche noch erheblich, aber auf das Vorwärts schreiten des Deutschen gerade auf diesem Gebiet ist ja in neuester Zeit oft aufmerksam gemacht worden. Namentlich in der Haupt stadt Konstantinopel und auf den Eisenbahnen kann man diese erfreuliche Entwicklung beobachten. Auf türkischen Kriegs- und Hochschulen ist Deutsch neben dem Französischen Pflichtfach. In Rußland, um dies hier anzuschließen, muß jeder Kaufmann, jeder Gebildete eine westeuropäische Sprache beherrschen. Immer mehr, namentlich im Erwerbsleben, läuft dabei das Deutsche dem Französischen den Rang ab. Seit 1902 mußte der Staat in seinen Schulen den französischen Unterricht fast ganz zugunsten des Deutschen aufgeben. An der Moskauer Börse ist Deutsch offiziell. In den Ostseeprovinzen ist es von alters her zu vier Fünfteln die Geschäfts- und Verkehrssprache. Nicht so mächtig wie nach Osten hin erstreckt sich der Herrschbereich des Deutschen nach Westen, namentlich wenn man von dem nach Sprache und Volkstum rein niederländischen Holland und von der deutschen, trotz allem kerndeutschen Schweiz absieht. In Holland pflegt man übrigens nach der niederdeutschen Schriftsprache mehr und mehr auch das Hochdeutsche. In der Schweiz, so betonen die »Mitteilungen des Allgemeinen Deutschen Schul oereins», ist ein schlimmerer Feind des Hochdeutschen als alles Französische die jeweilige deutschschweizerischc Mundart, die sich freilich ihrerseits auch vom Französischen nichts anfechten läßt. Auch hier aber erheben sich mehr und mehr Stimmen für den Kampf des Hochdeutschen gegen das Französische. Nach Frank reich hinüber reicht das Deutsche nur im äußersten Nordwesten mit einem kleinen vlämischen Zipfel. Sehr wesentlich dagegen ist für das Gesamtdeutsche die starke Stellung des niederdeutschen Vlämentums in Belgien. Das dem Holländischen fast ganz gleiche Vlämisch hat in den letzten Jahren gegenüber dem wallonischen Französisch in seinem Kampf um Gleichberechtigung Erfolg auf Erfolg errungen. Noch bleibt ein Blick nach nördlicheren und südlicheren Ländern zu tun. In England spielt Deutsch keine Rolle, wohl aber in Dänemark und Schweden. Und im ganzen Norden ist Deutsch die herrschende Sprache der Wissenschaft. Im romanischen Süden kommt Italien für die Beobachtung eines erfreulichen Fortschreitens der deutschen Sprache in Betracht. Namentlich in der Kaufmannswelt macht dort das Deutsche Eroberungen. Der deutsche wirtschaftliche Einfluß in Italien entwickelt sich demgemäß auch immer weiter, von der deutschen Sprache gefördert und selber sie fördernd. Ein Schulbeispiel für die Wahrheit, daß der Handel der Sprache folgt, nicht der Flagge. Auwällk und Zivilprozetzreforu». — Ein Vertretertag des deutschen Anwaltvcreins fand am 13. Juni in Leipzig statt. Dazu waren die Vertrauensmänner aus allen Teilen Deutschlands erschienen. Man beschäftigte sich hauptsächlich mit der Zivilprozeßnovelle und erklärte sie einmütig auch in der vom Bundesrate abgeänderten Fassung für unannehmbar, einmal weil bei Prozeßgesetzen jede Teilreform ein systemwidriges Flickwerk liefern muß, dann auch weil die einzelnen Bestimmungen der Novelle die Rechtspflege durch Verteuerung und Verlangsamung, sowie durch Förderung des Winkelschreiberunwesens verschlechtern. Ei« Lchillrr» Goethe«Denkmal in Amerika. — In Gegenwart einer großen Festversammlung wurde in Milwaukee im Washingtonpark ein Goethe-Schiller-Denkmal enthüllt. Der Bürgermeister Rose nahm das Denkmal als Geschenk des Deutschtums namens der Stadt entgegen. Pretsausschreibeu für schwedische Bolksschauspiel« in Finnland. — Die schwedische Literatur in Finnland ist auf dem Gebiete des Dramas recht arm; insbesondere macht sich an den Theatern der Mangel an wirklich wertvollen Volksschauspielen bemerkbar. Um womöglich tüchtige Werke auf diesem Gebiete zu schaffen, hat der Verein Brage den Hauptteil der Einnahme aus seinem Frühlingsfest zu einem Preiswettbewerb für diesen Zweck bestimmt. Die Preise betragen 1000, 600 und 400 Lau. mark. (Nach »Lvsvstza Da^bl.») Anfichtspostkarten. — Nach Handelsbrauch im Ansichtspost kartengeschäft hat der Lieferer, der die Herstellung von Ansichts postkarten nach eigenen photographischen Aufnahmen übernommen hat, vor Anfertigung der Postkarten Abzüge der photographischen Aufnahme dem Besteller zur Genehmigung oder Auswahl vor zulegen. (Gutachten der Berliner Handelskammer.) Die Wiedererösfauug des Lauchstädter Theaters. (Vergl. Börsenbl. Nr. 117.) — Am 13. Juni erfolgte in feierlicher Weise die Wiedereröffnung des Lauchstädter Klassikertheaters. Nach einem Prolog Wildenbruchs, der von Eduard Weiser-Weimar in der Maske eines trauernden Barden gesprochen wurde, solgte eine Ausführung von Goethes »Iphigenie», die bei der geladenen Zuhörerschaft, unter der man zahlreiche Vertreter studentischer Korporationen in Wichs bemerkte, außerordentlichen Beifall fand. Deutschtum im Auslaud. — Der Allgemeine Deutsche Schulverein zur Erhaltung des Deutschtums im Auslande ist am 11. Juni in Konstanz zu seiner Hauptversammlung zu sammengetreten. Aus dem vom Minister z. D. Heutig erstatteten Jahresbericht teilen wir folgendes mit: Die Mttgliederzahl des Vereins betrug am Ende des Berichts jahres 36 562 (i. V. 35 360), die Zahl der Ortsgruppen 295 (im Vorjahre 294). So weit sich feststellen ließ, beliefen sich die Ge samteinnahmen des Vereins in allen seinen Gliedern auf 265559 (im Vorjahre 181 247 ^6). Die Summe der verteilten Unter stützungen war 118 684 Die Ergebnisse der Lehrervermittlungs stelle sind 1907 weniger günstig als im Vorjahre gewesen. Es sind eingegangen 578 Gesuche, vermittelt wurden 35 Stellen. Für Büchereien sind im Berichtsjahre zahlreiche Gesuche aus dem europäischen und überseeischen Auslande eingegangen, denen in den meisten Fällen überall entsprochen werden konnte, wo es sich um Erhaltung des deutschen Volkstums im bedrohten Sprachgebiet Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel. 76. Jahrgang. 870