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Redaktioneller Teil. M 186, 29. August 1919. »Die Tarquinier« hat Hebbel sich brieflich ausgesprochen. Der Briefwechsel Hebbels und Pichlers wurde von Bamberg im zweiten Bande von »Hebbels Briefwechsel« zuerst veröffentlicht, aber lückenhaft. Pichler gab dann im Jahre 1909 Ergänzungen, die er mir, der ich mit ihm in gelegentlichem Briefwechsel stand, im Korrekturbogen mit allerlei Bleistiftnotizen znsandte. Es ist immerhin eine merkwürdige Tatsache, das; dieser Tiroler Dich ter zu zwei Dithmarschern Beziehungen gehabt hat. Sein Jugendleben hat Pichler selber in »Zu meiner Zeit, Schattenbilder aus der Vergangenheit« (Leipzig 1892) beschrie ben. Er wurde am 4. Sept. 1819 zu Erl bei Kufstein als Sohn eines Zollbeamten geboren und verlebte seine Kindheit in einer Reihe Tiroler Grcnzorle, in die der Vater nach und nach versetzt wurde, ziemlich ungebunden. Die Schule besuchte er zuerst in Rentte und Vils, dann das Gymnasinm in Innsbruck, wo der Vater nach seiner Pensionierung seinen Wohnsitz nahm. Nach dem er hier auch das damals in Österreich vorgeschriebene philo sophische Studium erledigt, wandte er sich trotz seiner Neigung zu Medizin und Naturwissenschaften der Juristerei zu, weil die Universität Innsbruck damals noch keine medizinische Fakultät hatte, und trieb nebenher fleißig andere Studien, u. a. die der Hegelschen Philosophie und die der griechischen und römischen Klassiker, für die er sein Leben lang grosse Zuneigung behalten hat. Allmählich fand er doch Mittel und Wege, gnm medizini schen Studium llberzugchen, »ud verlieh nun im September 1842 mit seinem Freunde Purischer Innsbruck auf einem Fracht schiffe, um den Inn und die Donau hinab nach Wien zu fahren. »Selbst an die Helden der Ilias erinnernd«, schreibt Kuh, »durch ihre kräftigen, hohen Leiber und durch ihre Hantierung auf dem Schiffe, lasen sie, am Herdfeucr gelagert, während der Fahrt stundenlang den Homer«. In Wien blieb Pichler bis 1848, in welchem Jahre er Doktor der Medizin wurde — sein Leben dort spiegeln vor allem die Briese an Cornelia Schüler, die dem Bande »Zu meiner Zeit« angefügt sind. Schon lange mit den meisten Tiroler Dichtern, wie Alois Flir (der sein Lehrer gewesen war), Sebastian Ruf und Johannes Schüler, be kannt, gab er 1846 die Anthologie »Frtthliedcr aus Tirol« heraus, die auch Gedichte von Hermann von Gilm, dem neben Johann Senn damals bekanntesten Tiroler Dichter, brachte. »Es regten sich damals in Tirol überall unter der Eisdecke frische Keime«, sagt der Dichter bei dieser Gelegenheit in »Zu meiner Zeit«, »es schien, als wolle ein neuer Frühling anbrcchcn, De nunzianten verschiedener Art verhinderten ihn vorläufig«. Tann aber brach die Bewegung des Jahres 1848 los, an der Pichler als Mitglied der Akademischen Legion tetlnahm. Er hat seine Erinnerungen an die Märztage in »Das Sturmjahr«, das, ans Zeitungsaufsätzon erweitert, aus dem Nachlaß herauskam, zu- sammcngestellt. Glücklicherweise ward er dem Wiener Treiben bald entzogen, da die Italiener seine Tiroler Heimat bedrohten. Er wurde zum Hauptmann einer Schar Tiroler erwählt und begab sich mit dieser durch Steiermark und Kärnten nach Süd- tirol; wo die Kämpfe bald entsetzten. Pichler nahm an den Ge- fechten bei Ponte Tedesco und Caffaro teil und erhielt dafür später vom Kaiser den Orden der Eisernen Krone und das Prädikat Ritter von Rantcnkar verliehet;. Im Oktober war er wieder in Wien, und er hat auch die damaligen Ereignisse im »Sturmjahr« beschrieben. Als die Stadt von Windischgrätz genommen war, ging Pichler wieder nach Tirol zurück und wurde 1849 Lehrer der Naturwissenschaften am Innsbrucker Gymnasium. Noch einmal jedoch zog ihn die nationale Politik in ihre Kreise : Er wollte den Schleswig-Holsteinern Hilfe aus Tirol zufllhren und reiste zu dem Zweck nach Rendsburg und Kiel. Die Schlacht bei Jdstedt ließ es nicht zu der Hilfsaktion kommen. — Pichler gab sich daun ganz wissenschaftlicher Arbeit hin, betrieb vor allem die geognostischc Untersuchung seines .Heimatlandes und wurde- endlich, nachdem er schon seit 1859 zwei Jahre an der Universität Innsbruck Naturwissenschaften gelehrt, 1867 ordentlicher Professor an ihr. Im Jahre 1855 hatte er auf einer Reise nach Berlin Alexander von Hum boldt kennen gelernt, später machte er noch wiederholt Reisen nach Italien. Die Hauptfächer, die er lehrte, waren Minera logie und Geologie. Mit siebzig Jahren, 1889, trat er daun in den Ruhestand. Sein 80. Geburtstag wurde von den Tirolern j 746 sehr herzlich gefeiert, u. a. ernannte ihn die Stadt Innsbruck zum Ehrenbürger. Am 15. November 1900 ist er darauf gestorben. Sein späteres Leben findet man in seinen »Tagebüchern«, die von 1849—1899 reichen. Das letzte Wort in ihnen, vom Weih- nachtstagc 1899,Mautet: »Als Dichter gehöre ich meinem Volke und schaffte für die Menschen, meine Schriften sind allen ge widmet, die sich daran erfreuen und erheben wollen. Jetzt habe ich meine Aufgabe erfüllt und lege ruhig die Feder nieder«. Pichler hat während seines Lebens keine» allgemeindeut schen Dichterruf besessen oder doch erst ganz zuletzt. Zum Teil lag das an ihm selber: er brachte seine Sachen sehr zerstreut und vielfach in kleinen Heften heraus. Allerdings spielte aber auch die Abgeschlossenheit Tirols vom deutschen und selbst vom österreichischen (Wiener) Literaturlcben mit. Die »Lieder der Liebe« (1850) wurden bereits erwähnt; Hebbel nannte sic warm, tief, markvoll. 1853 erschienen »Gedichte« von Pichler, 1855 seine »Hymnen«, die Hebbel »innig »ud warm ansprachen«, obgleich er der antiken Form keine Zukunft in Deutschland zutraute. Auch über Pichlers erstes Drama »Die Tarquinier« sprach sich Hebbel verhältnismäßig günstig aus: »Mir hat cs wohlgetan, daß die Tuba durch das Ganze hindurch- dröhnt«. Pichler gab dann noch ein zweites Trauerspiel »Rvdrigo« (1862), das in Innsbruck aufgeführt wurde. 1861 erschien sein erstes Wanderbuch: »Ans den Tiroler Bergen«, und 1867 begann er mit »Allerlei Geschichten aus Tirol« seine erzählerische Tätigkeit. »Epigramme« (1865), »In Liebe und Haß« (Elegien und Epigramme, 1869), »Deutsche Tage« (Zeit- gcdichte, 1870), »Der Hexenmeister« (Gedicht, 1872), »Mark steine« (erzählende Dichtungen, 1874), »Jahr und Tag« (Gedicht, 1873), »Zn Literatur und Kunst« (Epigramme, 1879), »Fra Serafico« (Dichtung, 1879), »Vorwinter« (Gedichte, 1885), »Der Zaggler Franz« (Gedicht, 1889), »Reue Marksteine« (mit dem »Fra Serafico, 1890) sind die gewissermaßen »zerstreuten« Ver öffentlichungen Pichlers — die letzten immerhin schon bei einer bekannten Firma, A. G. Ltebcskind in Leipzig, erschienen, bei der daun auch »Zu meiner Zeit« 1892 zuerst herauskam. Darauf trat Pichler in ein näheres Verhältnis zu dem Verlag Georg Heinrich Meyer in Leipzig und Berlin, der eben damals für die Hcimatkunst zu kämpfen begann: die Gedichte »Spätfrüchic« (1895), die Streifzüge »Kreuz und quer« (1896) und die Er zählung »Der Einsiedler« (1896) sind zuerst bei G. H. Meyer herausgekommcn, dann von Einzclwerken noch der Faschings- schwank »Der Ander! und's Reset«. Das Hauptverdienst um Pichler aber erwarb sich G. H. Meyer dadurch, daß er 1897/98 seine »Gesammelten Erzählungen« in 6 Bänden brachte: I und II »Allerlei Geschichten ans Tirol«, m und IV »Joch rauten«, neue Geschichten aus Tirol, v und vi »Letzte Alpen rosen«. Eine neue Ausgabe in 3 Bänden, um »Aus den Tiroler Bergen« vermehrt, ist »Tiroler Geschichten und Wanderungen« betitelt (ermäßigter Preis jetzt 15, gcb. 22 ./(). Auch eine Sammlung seiner »Gesammelten Werke« bereitete Pichler nun vor, starb aber darüber hinweg. Den G. H. Meyerschcn Verlag übernahm dann bekanntlich Georg Müller in München, und bei ihm sind auch die »Gesammelten Werke« in Angriff genommen und ungefähr fertiggestellt worden. Zunächst erschienen 3 Bände »Autobiographisches«: I »Zu meiner Zeit«, II »DasSturmjahr«, III »Aus Tagebüch«rn«^darauf 9 Bäude Prosawcrke: IV »Aller lei Geschichten aus Tilwl«, v »Jochrauten«, vi »Letzte Alpen rosen«, vil »Kreuz und Quer«, gesammelte Streifzüge, VIII »Aus den Tiroler Bergen«, IX »Wanderbilder« (aus dem Nach laß), x »Allerlei aus Italien« (aus dem Nachlaß), xi/xil »Lite- ratnrpolemisches«. Von den »Poetischen Werken« kamen 5 Bände: XIII »Marksteine«, XIV »Neue Marksteine«, XV »Spät flüchte«, XVI »Dramatische Dichtungen«, XVII »In Lieb und .haß« heraus. (Alle siebzehn Bände sind jetzt zum ermäßigten Preise von ./( 60.—, geb. 80.— zu haben.) Voll durchgeseyt haben die »Gesammelten Werke« Pichler, obgleich sich nament lich seine Landsleute S. Prem, der zu ihnen die biographische Einleitung geschrieben, und Alois Brandt für sie eingesetzt, auch noch nicht. Eine weise Auswahl in etwa 6 Bänden lväre weit gescheiter gewesen. Hoffentlich kommt sie noch einmal. Denn da täusche man sich nicht: Pichlers Zeit ist noch > keineswegs vorbei. Wenn Emil Kuh meinte, daß dem Tiroler