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Dresdner Nachrichten : 15.05.1927
- Erscheinungsdatum
- 1927-05-15
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id501434038-192705159
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id501434038-19270515
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-501434038-19270515
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Dresdner Nachrichten
-
Jahr
1927
-
Monat
1927-05
- Tag 1927-05-15
-
Monat
1927-05
-
Jahr
1927
- Titel
- Dresdner Nachrichten : 15.05.1927
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Oresänes Nachrichten Zonnlag. 15. Mai >927 „Demut hat mir Ehre geben Eine Erzählung non Karl Ferdinand Rudolph. Pfarrer Ehrhardt sieht aus der breiten Steintrcppe und steht auf das Stadtbild. — Bon den Berne» grüßt das erste Griln des Frühlings. — kommt die erfrischende Kühle des Morgenwindes. — Er spielt in de» Hellen Fluten deö breite» Stromes. Morgensonne übergtestt die Stadt. — Bänder von leuchtendem Gold winde» sich um die holten Türme und Kuppeln der Gotteshäuser, — der Werke der Baukunst un sterblicher Meister. — Weite, kunstvoll gepflegte Parkanlagen »eigen ihre Schönheit t» erster FrühltngSpracht. Der Pfarrer sieht den herrlichen Bau der Kirche ragen, an die man ihn als zweite» Prediger berufen will. Pfarrer Ehrhardt weist die ganze Große dieses Bertrauens zu wür digen. das die Ktrchenbehörde ihm damit erwiesen. Er hat also nicht umsonst sich jahrelang bemüht, seiner kleinen Dorf gemeinde tn Waldbach ein treuer Diener Gottes zu sei». Welch' neue Arbeitsfreude schasst solche Anerkennung! — Und doch hat er sich Bedenkzeit ausgebctcn. Wohl lockt ihn der große Wirkungskreis zur Entfaltung seines Könnens und Wissens. Die Erfüllung seines Lebenswnnschcö — Ehre nnd Anerkennung. Dann aber denk! er an seine kleine Gemeinde in dem weltcntlegenen Törtchen Diese kleine Gemeinde mit dem starken Glauben, gefestigt tn Not und Leid, diesem Glau ben. den er ln Ihre Herze» gepslanH. Und Pfarrer Ehrhardt ist demütig und bescheiden, trotz aller ihm erwiesenen hohen Ehren. Neber ihm in den alten Eichen und Linden jubeln die Bügel zum blauen Himmel empor. Aber nur ganz leise dringen ihre Stimmen durch den Lärm der Strastc bis zu ihm. Traurig sieht er zu den gefiederten Sänger» empor. Noch einmal umfasst fein Auge den blaue» Himmel, die Berge, den Strom. Dann geht er. Geht in tiefem Sinnen, aber mit offenen Augen — War cd recht von ihm noch Bedenkzeit zu erbitten, anstatt sofort freudig „ja" zu sagen? Wird die Bedenkzeit ihn zur volle» Klarheit führen? Gottcsdicner hier in der grasten Stadt, gleichsam im Mittelpunkt der Welt, oder Gotteödiener tn seiner kleinen, weltfernen Dorf- gemeinde?! Er geht durch die Strasten und schaut und hört. Wie ein breiter, nie rastender Strom zieht das Leben an ihm vorbei. Freud und Leid. Aber je lärmender die Unruhe, das Hasten und Jagen der Groststadt, desto gröster werden Ruhe und Klarheit tn ihm. Er steht vor der Kirche, an die er berufen werden soll. Hoch wölbt sich ihre Kuppel zum blauen Himmel empor. Ihr goldenes Kreuz leuchtet strah lend im Glanz der Morgensonne. Herrlich must cs sei», hier Gottes Wort predigen zu dürfen! — Jetzt beginnt es von den Türmen der Kirche erst leise zu summen, bis die mächtigen vollen Klänge der Ktrchenglocken den Lärm der Straste Uber tönen. Aber das Leben hier unten hat keine Zeit, ans den Nus auS der Höhe z» lauschen. Unaufhaltsam rollt cs. rast es vorbei. Mancher sieht erstaunt, säst vorwurfsvoll aus den lauschenden Pfarrer. Wie kann man nur am Vormittag so viel Zeit haben, hier mitsttg zu stehen! Die Augen deö Pfarrers hasten voll Ehrfurcht ans dein GotteShanS, — voll sinnenden Dankes. Wie liebkosend streicht jetzt der Wind über den schmalen GtmS bin, der sich um die Kuppel herumzicht. Der Pfarrer stutzt. — Wieder und wieder blickt er dort hin. — Schwer ist eS, in den Glast von Sonnenfäden zu blicken. Aber Gottfried Ehrhardts Augen sind klar geblieben. Noch heute findet sein Auge im blauen Aether die Lerche. So sieht er auch setzt dort oben, trotz Svnnenglast und blauem Himmel, trotz blendender Helle, daS, was Ihm als hchreö Wunder er- scheint. Er sieh« und sieht, — und kann sich nicht sattsehen. — Mit lauten, „Töss-töss" hält neben ihm ein Auto, das i» schneller Rundfahrt die Sehenswürdigkeiten zeigt. Der Fremdenführer plappert sein Sprüchlein herunter. Auslän dische Sprachen dringen zum Ohr des Pfarrers. Er blick! aus die Fremden. Aus ihre» bewundernden Blicken liest er achtungsvolles Interesse für den wundervolle» Bau. Aber — sieht denn auch nicht ein einziger, waö er sicht? Dort — hoch über allein, nichr als Prunk »nd Gold, mehr als alle Schönheit edelster Baukunst? Aber niemand sieht cö. Mit lautem „Töss-töss" setzt das Auto seine Rlindfahrt fort. lind Pfarrer Ehrhardt blickt forschend tn die Augen der Ltadtmenschen. „Hat denn nicht einer von euch Zeit, z» sehen, was ich dort oben sehe? Schaut dorthin, dort ist mehr als Menschenwerk!" — Nein, niemand hat Zeit. Noch einmal blickt der Pfarrer hinaus, lange — lange. — Ein glückliches Lächeln verklärt sein Gesicht. — Dann fährt er zurück in sein kleines Dorf. Und er geht In sein dürftiges Psarrgärtchen. und geht an sein Lteblingöplätzchen. mv Sand und Steine — — —, »nd zwei Birken stehen im grünen Frühlingsschmuck. — Und in tiefem Nachdenken versunken, schaut er auf die jungen Bäumchen. Klarheit kommt über ihn — — —. Dan» geht er »nd schreibt seine Antwort an die Behörde. Das Schreiben wirft er selbst in den Briefkasten. Er hört den Brief in den Kasten fallen. AIS ob eine Tür zusällt, so klingt eö. Dann geht er in sein Gärtchen zurück und setzt sich unter die Birken. Der funge Dorfschulkehrcr kommt. Seine Augen leuchten, als ihm der Pfarrer von dem Leben in der Hauptstadt er- zählt. Er fühlt sich im Dorf nicht mohl. Ihn zieht es hinaus in die große Welt. Verbittert ist er. das, er zu arm ist, um zu studieren. Mehr als nur Tvrsschullehrer möchte er sein. Und er saßt die Hand des Pfarrers. „Lieb habe ich Sic. Pfarrer Ehrhardt, und niemals werde ich Sic vergessen. Aber — beneiden must ich Sie, daß Sie hiiianSzichen können dorthin, wo das Leben braust, hinaus i» die Weit!" „Ich gehe nicht, — ich bleibe in Waldbach/' „Hier in dem Dorf, unter den Bauern? — Und wollen aus alles verzichte», was Ihnen das Leben dort draußen bieten kann?" Schweigend erhebt sich der Pfarrer —, und führt den Lehrer durch das Gärtchen. „Warum laste ich wohl hier nur wachsen, waS von selbst btcr wächst »nd blüht? GraS, bescheidene Feldblumen, und dort die zwei Birke». Dankbar bin ich für jedes Blümchen, jeden Grashalm, der sich auf steinigem, un- jruchtbarem Boden hier ansiedclt. Und hier aus diesem Platze unter ihnen fragte Ich mich, che ich in die Stadl fuhr, ob ich all dies hier ausgcbcn soll. Und als ob alles hier mir Ant wort geben wollte, ging hier die Sonne i» einer Schönheit aus, wie nie zuvor, sauge» die Vögel so wundervoll, wie ich eS nie gehört, funkelte» die Tantropsen ans Graö und Blu men in schimmernder Pracht. — Aber ich bin nur ei» Mensch „nd der Versuchung ansgesctzl. Und groß war die Ver suchung. die mich erwartete. Ich sah die Meisterwerke gröst- tcr Künstler, »nd sah die Wunder, die Menichengeist ersann, »nd sah die große Stadt in ihrem prächtigsten Gewände. Ich fragte mich, ob cs wohl noch Schöneres geben kann, noch Schöneres für Angen, für Herz und Verstand. Da führte mich mein Weg zu dein Gotteshaus, an das inan mich berufen. Da sah ich hoch oben ans dem Turm der Kirche im Morgen winde eine Birke — eine bescheidene Birke. Ihre srühlings- grünen Blätter l-nchteten aus HlmmelShöhen zu mir herab. I» dem Weiß ihres Stammes spiegelten sich die güldenen Strahlen der Sonne. Dort hoch oben stand der bescheidenste Baum neben dem goldenen Kreuz der Kirche in einem Mcex von Licht unter einem azurblauen Himmel. Und aus der Erbe, aus der Straße „nd tn der Lust brauste das Leben daran vorbei. Und tch sah noch die Mensche» lachend und fröhlich oder müde und abgehetzt an diesem Wunder achtlos vvrübereilen —. Da sagte ich mir: Mcnschengeist nnd Menschenhände haben dies Haus hier zu Ehren Gottes erbaut. Hoch in de» Himmel hinaus Hohen sie es geführt. Wer könnte dies Meisterwerk noch übertvcssen? Und da hat ei» Bögelchen oder der Hauch eines Windes ein winziges Samenkürnchen hinausgetragen. Keine Eiche in ihrer stolze» Pracht, keine Linde in ihrer süßen Lieblichkeit hätte dort zwischen Steinen und Mörtel Wurzel fasse» können. Nein, nur die bescheidene Birke war auserhcsen. Da ward mir Gottes Allmacht so klar! Jeder Zweistl in mir lüste sich. — Wo bleibe tch Gott am nächsten? Nicht dort in der großen Stadt, nein, in der Etnsamkei» seiner schönen Welt. Ist Menscliengeist imstande, auch nur tn/o Gänseblümchen hier zu schassen? Nein, nur seine Allmacht. Und wenn mich je mals die Neue übermannt, nicht dem lockenden Ruf der grosten Welt, nicht Ehren und höheren Würden gefolgt zu sei», will ich mich demütig dort aus den Sandl,ügel unter meine Birken setzen und an ihre Schwester denken dort ans der Kirche, fern i» der große» Stadt, hoch über aller Mensche» Werk. — Es wird der Tag kommen, an dem ihrer Wurzeln Kraft die Steine dort oben sprengen wird. Dann werden Menschenhände sie entfernen muffen, um Menschenmerk zu erhalte». Aber kein Menschengeist wird fähig sein, dort oben auS dem Stein ircues Leben zu schassen, und sei cs auch nur das der bescheidenen Birke. In den Augen des jungen Lehrers schimmerte eine Träne. Da faßte der Pfarrer seine Hand: „Demut hat mir Ehre geben, Ehre wollt nach Hochmut strebe». Hochmut rtß mich elend nieder, Elend gab mir Denvut wieder." Vom Himmel leuchten die Sterne. Uebcr den Wald kommt der Mond herauf. Mit silbernen Fäden umzieht er den niedrigen Turm der kleinen Torfkirche. Und in den Bäumen rauscht leise der Abendwtnd. Zers reulheil. Don Luigi Pirandeltlo. Deutsch v. T. Lücke. Schwarz — in eine flimmernde Staubwolke gehüllt — hielt ein Leichenwagen dritter Klasse tn der prallen August sonne vor einem Neubau in einer der vielen neuen Straßen Roms, im Stadtviertel von Prati di Castello. Es ging ans drei Uhr. Es mar. als sähen all jene größtenteils noch unbewohnten Neubauten erstaunt uiit ihren leeren Fensteröffnungen aus das düstere Gefährt. Soeben hatte man sie da erst hingestellt — als Wohnung für das Leben, und nun mußte» sie sehen, wie der Tod just hier ein Opfer holen kam. Bor dccm Leben — der Tod! Langsam, im Schritt, war jener Wagen angesahren ge kommen. Der Kutscher, der eingenickt war. den speckigen Zulinder ans der Nase und einen Fuß aus dem Schutzleder, halte bei der ersten Hausiür. die er zum Zeichen der Trauer angclchut fand, die Zügel und die Bremse angezogen und sich noch behaglicher aus seinem Bock zum Schlafen ausgcstrcckt. Nun schob ein Mann mit einem roten, schwitzenden Ge sicht. bloßer Brust und über die behaarten Arme hochgestrcts- ten Hcmdärmcln den schmutzigen, zerknitterten Nupscn- vorhang an der Tür des einzigen Ladens in der Straße bei seite und trat in die Sonne. „— Pst —" ries er dem Kutscher zu — »Hallo! Noch ein Strick weiter " Der Kutscher lehnt« Len Kopf zurück, um unter der Krempe seines auf die Nase gerutschten Zylinders nach dem Mann zu sehen. Er lieb die Zügel lucker und fuhr, ohne etwas zu erwidern, bis zu der Drogerie. Hier oder dort —. das war ihm gleich. Und vor der Tür des nächsten HauseS, die ebenfalls an- gelchnl war. hielt er wiadcr und fuhr fort zu schlafen. — „Dummkvpf!" — murmelte -er Drogist achselzuckend — „Er merkt gar nicht, daß um diese Zeit alle Türen an gelehnt sind. Er muß noch ueu sein " Und das mar auch der Fall. Und Scalabrino behagtc sein »euer Berus recht wenig. Zuerst war er Hausmeister ge wesen und hatte sich mit allen Mietern und dem Wirt hcriim- gezankt: dann war er Küster in San Rocco und hatte mit dem Pfarrer Streit' bekommen,' hieraus war er Lvhnkutschcr ge worden »nü hatte sich bis vor drei Tagen mit seinen Fuhr- herrn herumgezankt. Und nun mar er bei einer Leichen- bestattiingsgesellichast angcstellt, weil er in der toten Jahres zeit nichts besseres fand. Er mußte genau, daß er auch mit dieser Streit bekommen würde, weil er einem jeden offen seine Meinung ins Gesicht sagte. Ach sa — er war ein armer Teufel. Man brauchte ihn n>ur anzuschen. Mit seinen verwachsenen Schultern, seinen Schwcinsäuglein. seinem wachögelben Ge sicht und seiner rote» Nase. Und weshalb war sie so rot? Nur weil alle ihn für einen Trunkenbold hielten, wo er nicht ein mal wußte, wie Wein überhaupt schmeckt. — „Brrrrr " Er hatte dieses Hundeleben gründlich satt. Und wenn ihm die Zankerei schließlich zu bunt würde eines schönen Tages, würde er einfach an den Fluß gehen und dann: Gute Nacht! Doch vorerst langweilte er sich ja noch hier, von Mücken zerstochen, in der glühenden Sonne und wartete aus seine erste Fracht. Den Toten. Wie — brachten sie ihn nicht jetzt dort hinten an, nach einer ante» halben Stunde. auS einer anderen HanStür auf der andere» Seile? „Geh. rutsch mir doch — murmelte er zwischen den Zähnen und trieb die Pferde an. während die Totengräber, keuchend unter der Last einer armseligen Bahre, die mit einem weißcingesaßtcn Leichentuch zugedcckt war. heftig schimpften: „Daß dich -er Teufel hol! Haben sie dir die Hausnummer denn nicht angegeben?" Ohne ein Wort zu sagen, kehrte Scalabrino um und wartete, daß sie den Wagcnfchlag öffneten und den Sarg in de» Wagen schöbeir. „Fahr zu!" Und langsam, im Trott, wie er gekommen war. fuhr er wieder weiter, den Fuß noch immer aus dem Schutzleder und den Zylinder aus der Nase. Kahl — der Wagen. Kein Kranz, kein schmückend Band. Und hinterdrein nur eine einzige Leidtragende. Sie halte einen schwarzen Kreppschlcicr vor dem Gesicht, trug ein dunkles. gclbgcblümteS Kattunkleld und hatte einen kleinen. Hellen Schirm zum Schutz gegen die Sonne ans- gcspannt. Sie gab dem Tvtcn das Geleit, gewiß: aber sie schützte sich mit einem Schirm gegen die Sonne. Und sie sah zu Bode»: doch weniger weil sie betrübt war, als weil sic sich schämte. „Viel Vergnügen, Donna Rosa!" ries ihr der Drogist kopfschüttelnd »ach. der wieder tn die Ladcntür getreten war. Und dabei lachte er pietätlos. Die Fra» drehte sich um und sah ihn durch den Schleier an. Sic hob die Hand, die in einem Setdenhandschnh steckte, winkte ihm zu und rosste dann wieder ihr Kleid hoch, so daß die abgetretene» Absätze zu sehen waren. Aber sie mußte Scidciihandschuhc haben und einen Sonnenschirm. „Armer Herr Bcrnardo! Wie ein Hund!" ries jemand laut auS einem Fenster. Deb Drogist sah empor und schüttelte wieder den Kops, „Ein so berühmter Professor, und nur die Dienerin geht hinterdrein!" ries jemand anderes ans einem anderen Fenster. Fremd und seltsam klangen die Stimmen -vrt oben über die sonnige, verlassene Straße. Bevor Scalabrino »m die Eclc bog. schlug er seiner Bc- glciierin »och vor, eine Droschtc zu nehme», damit cs schneller gehe, Es komme ja doch kcm Teniel mit zu der Beerdigung. Kein Wunder übrigens: Bei dieier Hitze — - um diese Zeit Doch Rosina schüttelte den Kops. Nein. Lic haltc^gc- schwvrc», daß sie ihre» Herrn zu Fuß bis zur Via San Lvrenzo begleite» würde. „Ach! Sicht dein Herr dich denn?" Das nicht. Aber sic Halle geschworen. Sie würde höch stens >» der Bia San Lorenzv eine Droschke nehmen, bis zum Friedhof von Eampoverano. „lind wenn ich sie dir zahle!" beharrtc Scalabrino. Auch nicht. Sie hatte geschworen. Scalabrino murmelte wieder heimlich einen Fluch unter seinem Zylinder und fuhr langsam weiter, zuerst über die Ponte Eavour. dann durch die Via Tvmacclli und die Via Eondvlti. über de» Piazza di Tpagnci, durch die Bia Tue Maeelli und die Via Tislina. Von »nn an paßte er etwas besser ans, um den andere» Wagen. Straßenbahnen und Autos ausznweichcn. Ten» einem solchen Leichenbegängnis würde ja doch niemand anö Ehrsurcht Platz machen Aber als er dann erst über die Piazza Barben,!! hinaus war und in die stille Via di San Niccolo da Tvlenlino ein- bvg, stellte er seinen Fuß wieder aus das Schutzloser, schob den Zylinder aus die Nase und richtete sich wieder zum Schlafen ei». Die Pscrdc kannten ja den Weg. Die Leute aus der Straße blieben stehen und sahen ihm halb verwundert und halb empört nach. Und man konnte auch wirklich die Ruhe verlieren, wenn man jenes Trio still und verloren durch die Straße» ziehen iah: Ten Kutscher, der in der warmen Sonne aus dem Kntschbvck schlummerte, den Toten, der im kühlen Dunkel des Wagens schlief, die einzige Leid tragende. die mit eiiiem Hellen Schirm und einem schwarzen Schleier über dem Gesicht hinlcrdrcin ging. So schied man doch nicht auS dem Leben. Tag. Stunde, Jahreszeit war schlecht gewählt. Es war, als hätte der Tote dort absichtlich dem Tod den nötigen Respekt verweigert. Ein ärgerlicher Fall. Der Kutscher hatte eigentlich ganz recht, wenn er aus seinem Bocke schlief. Und so hätte Scalabrino wohl auch ruhig bis zur Via San Lorcnzo wcitcrgeschlasen, wenn die Pferde nicht plötzlich in der Via Volturno ihren Schritt beschleunigt hätten, so daß er auswachtc. Aufmachen — link? auf dem Fußsteig einen hageren Herrn stehen sehen in einem graue» Anzug, mit einem Voll bart und einer großen, schwarzen Brille — suhlen, wie ei» großes Paket über seinen Kops wcgflog — das mar das Werk eines Augenblicks. Bevor Scalabrino richtig zn sich kam. stürzte der Herr auf die Pscrdc z». hielt sic an und schrie, drohend mit den Armen um sich fuchtelnd: „Mir? Ausgerechnet mir? Schuft! Halunke! Lump! Einem Familienvater? Mit acht Kindern? Schuft — elender!" Alle Leute, die auf der Strobe waren, und alle Ladcn- besitzcr und Knuden liefen eilig zusammen und drängten sich um den Wagen: die Einwohner der Häuser in der Nachbar schast beugten sich aus den Fenstern: weitere Neugierige kamen aus das Geschrei hin aus den Seitenstraßen herbei- gcraniit: und weil sie nicht erfahren konnten, was eigentlich geschehen war. rannten sic von einem zum andern, richteten sich auf den Zehenspitzen auf und schrien aufgeregt durch einander. „Was ist denn eigentlich passiert?" „Hm eS scheint, daß er sagt ich weiß nicht" „Ist dort nicht ein Toter?" „Wo denn?" „In dem Wagen dort!" „Hm! — Mer ist denn gestorben?" „Das wird ibn eine Strafe kosten." „Den Toten?" „Nein den Kutscher!" „Und wcSbalb denn?" „Weiß ich's! — Es scheint — er sagt, daß " Der graue, hagere Herr schimpfte inzwischen immer noch heftig vor dem Eingang eines Cafes weiter: er wollte sein Paket wieder haben, das er »ach dem Kutscher geworfen hatte. Warum — daö wußte man immer noch nicht. Der Kutscher auf dem Leichenwagen aber blinzelte verstört mit seinen kurz sichtigen Augen, setzte den Znttnderhut wieder aus und gab dem Schutzmann irgendeine Antwort, der inmitten des Ge dränges und des Geschreis einige Notizen in sein Dienstbuch machte. Schließlich setzte sich der Wagen wieder in Bewegung, während die Menge schreiend auscinandcrwich: doch als die einzige Leidtragende unter ihrem Hellen Sonnenschirm, den schwarzen Schleier vor dem Gesicht, dann wieder sichtbar wurde, — trat plötzlich ticic Stille ein. Nur ein Gassenjunge pfiff- WaS war den» eigentlich passiert? Nichts. Eine kleine Zerstreutheit. Scalabrino, der noch vor drei Tagen Droschkenkutscher war. hotte, geblendet von der Sonne, bei seinem sähen Erwachen ganz vergessen, daß er ans einem Leichenwagen saß. Er hatte geglaubt, er sstzc immer noch aus dem Kutscbbock einer Droschke: und weil er Jahre lang die Leute aus der Straße mit einem Wink einznladen pflegte, seinen Wagen zu benutzen, hatte er dem Herrn im grauen Anzua aus dem Fußsteig mit dem Finger einen Wink gegeben, doch einziisteigen. Und wegen eine? kleinen, harmlosen Winkes hatte jener Herr dann diesen ganzen Skandal gemacht Das lehle Gas!mahl Drummels. Bon Hans Joachim Toll, Die Kellner des „Englischen Hofes" in Eacn steckten flüsternd die Köpfe zusammen: „Heute hat's ihn wieder, den vcrrückicn Engländer!" Und sic zeigten grinsend aus die Stirn. Georges Bryan Brnmmel stand in seinem Zimmer. Wie einst, als er noch unerreichtes Vorbild höchster Eleganz war, stand er im schwarzen Beinkleid, das sich eng anschmicgtc, in weißer Pikccwestc und dem blauen Frack, an dem die goldenen Knöpfe blitzten. Das Zimmer war hell erleuchtet. In großer Zahl brannten Kerzen in Kronleuchtern und Kandelabern. Ucbcrall strömte» Blumen ihren süßen Duft ans. Und Brumme! stand inmitten dieses GlanzcS»nd wartete aus die Aristokratie Englands. Er hatte vergessen, daß er nicht mehr in der Ehcstersicldstraßc in Lvndv» war. hatte ver gessen, daß er als armer Flüchtling in einem kleine» Städtchen Frankreichs wcilic. Er mar wieder der große Brnmmel von einst, dessen Urteil maßgebend war für Englands hochmütigen Adel, dessen Spott nnmögiich machte, dessen Lob unsagbaren tolz erweckte. Georges Bryg» Brnmmel. der Freund des ernste Falten gelegt: „Ihre Herrlichkeiten Lord Sommeriet und Lord Petcribam!" Er schloß die Tür. »nd als wären die Genannten wirklich eingetrcte». begrüßie er sie als der grobe Brnmmel. Lic in das leere Zimmer führend, plauderte er mit ihnen ironisch-nochlässia über die Gcsellschast. Er legle spöttisch die Lächerlichkeiten gemeinsamer Bekannte» bloß, war wieder der Brnmmel vom Pavillon in Brighton, in Blick, Ton und Gcbärdd. Aber dann unterbrach er sich, eilte zur Tür und empfing neue Gäste. Tie Träger aller berühmten Namen Englands
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