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Beilage zu Nr. 50 des Wochenblattes für Reichenbrand, Siegmar, Neustadt und Rabenstein. Sonnabend, den 17. Dezember 1904. Friede auf Erden. Eine Weihnachtsgeschichte von Nelly Geithner. Weihnachten, das Fest der Liebe, war ins Land gezogen. Die Erde prangte im weiße», glitzernde» Festgewande »nd noch immer schüttelte Frau Holle im tollen Ilcbermut ihre Feder» aus. Durch den lnslige» Tanz der Flocken drang ein leises Singen und Klinge»: doch bald schwoll es mächtiger an — feierlich — verheißungsvoll drang es durch die Stille der heiligen Nacht. Die Weihnachtsglocken läuteten. Alles in der Natur atmete heilige» Friede». In einzelne» Straßen des kleinen Gcbirgsstädtchcns herrschte zu dieser Stunde »och reges Leben und Treiben. Doch oben in de» Berge», die ihre weißen Häupter majestätisch gen Himmel reckten, in den dunklen, rauschenden Wäldern, dort herrschte tiefes, heiliges Schweigen. Und dort in jener Einsamkeit lehnte an dem Stamme einer alte» Eiche ein Wan derer. Eine tiefe Schwermut lag auf dem schönen, gebräunten Gesicht. Die dunklen Augen blickten träu mend ins Weite. Ihm schien hier alles »och wie einst. Die Bäume rauschten noch dasselbe Lied als wie vor Jahren, das Wasser, das von den Bergen stürzte, sang noch dieselben geheimnisvollen Weisen und cs waren auch »och dieselben Stimmen der Glocken. Gerade wie heute so hatte» sic auch früher oft sein Haupt umschwebt. Es schien ihm alles noch wie sonst und doch rannen ihm jetzt heiße Tränen über das Gesicht. Die erste» seit seine» Knabenjahrcn. Warum, wußte er selbst nicht. Ihm war so sonder bar weh zumute. Mechanisch strich er mit der schmalcn Rechte» über das Gesicht, ließ seine Blicke noch einmal durch die friedlich atmende Runde schweifen »nd da»» schritt ei lcichtgesenkten Hauptes dem Tale zu. Kaum hatte er eine kurze Strecke Wegs hinter sich, als er vor einem kleine» einstöckige» Häuschen Halt machte. Wie Sonnenschein huschte es jetzt über sein Gesicht und der Mund flüsterte beglückt: „Daheim!" Hastig stampfte er den Schnee von den Stiefel», trat , geräuschlos in den kleine» Hausflur und schritt da»» vorsichtig wie ei» Dieb die schmale Holztrcppc empor. „Was wird die Mutter für Augen machen, wenn ich sie mit meinem Besuch überrasche": bei diesen Gedanken lächelte er verschmitzt. Langsam näherte er sich der Tür, klopfte kräftig an und trat dann, ohne das „Herein" abzuwarte», über die Schwelle. Doch wie vom Blitz getroffen wankte er wieder zurück und seine Rechte suchte nach einem Halt, den» statt das Gesicht der Mutter blickte» ihm fremde Gesichter neu gierig fragend entgegen. Als er sich ei» wenig gefaßt hatte, stammelte er klanglos: „Verzeihen Sic, daß ich störe. Hier in diesem Raum wohnte einst meine Mutter, ich glaubte, sie auch jetzt noch hier zu finden. Können Sic mir vielleicht sagen, wo sie ihre Wohnung jetzt aufgeschlage» hat? Niein Name ist Bernhard Helmrcich, vielleicht haben Sie meine Mutter gekannt." Die Umstehenden erblaßten leicht und sahen sich bettoffen an. Einen Augenblick lang herrschte pein liches Schweigen in der kleinen Runde, dann sagte das junge Mädchen, welches vorher beschäftigt war, den Baum zu putzen: „Ja, Frau Helmreich haben wir gut gekannt, doch jetzt Ist sic bereits ein viertel Jahr tot." „Tot?" Wie ei» VerzweiflungSschrci hallte das Wort von den zuckenden Lippen des Wanderers, dann verließ er, keines Wortes mehr mächtig, taumelnden Schrittes das Haus. Tiefgebeugt, wie ein müder Greis, schritt er dem Friedhof zu. Als er nach kurzer Wanderung bei dem alte» Totengräber Einlaß begehrte, machte dieser ein verdicßliches Gesicht, doch als er sah, daß der Fremde nach einem blanken Trinkgeld griff, öffnete erschmunzelnd die Friedhofstür, führte den jungen Mann an das Grab seiner Mutter und zog sich dann wieder still zurück. Kaum war der Wanderer allein, sank er mit dem Aufschrei: „Mutter, meine Mutter!" an den, verschneiten Hügel nieder, umfaßte ihn mit beiden Annen, preßte sei» schmcrzbewegtes Gesicht darauf und weinte bitterlich. Niemand störte ihn in seinem Schmerz: ringsum war tiefe Stille, heiliger Friede. Nur das leise Flüstern und Klage» der alten düster» Lebensbäumc mischte sich in sein heißes Weinen. Wie lange er so gelegen, wußte er nicht, cs mußte aber eine hübsche Zeit verstrichen sei»; denn als er sich erhob, durchrann ein eisiger Schauer seine Glieder »nd die Zähne schlugen ihm vor Frost zusammen. Er »nifagte den Hügel mit einem letzten schmerzerfüllten Blick, dann wandte er sich znm Gehen. Eine letzte Träne zitterte in den schönen dunklen Augen und der Mund flüsterte mit leise bebender Stimme: „Mutier-- los, heimatslos!" Kaum hatte er den Fuß über die Schwelle der Heimat gesetzt, sollte er ihr schon wieder den Rücken kehren. Es stieß ihn zwar niemand zurück in die fremde Welt, — doch was sollte er jetzt noch hier, da ihn, das Liebste genommen war? Draußen in dem regen, bunten Leben wollte er die schmerzlichen Er innerungen abschütteln, überwinden und vergessen. Doch ehe er der Heiniat wieder Ade sagte, wollte er erst »och die Stätte begrüßen, wo er einst etwas teures verloren hatte. Mit diese» Gedanken schritt er dem Ziel seiner Wünsche entgegen. Bor einem schönen stattlichen Gebäude, welches ein großer parkähnlichcr Garten umgab, blieb er stehen. Traurig ließ er seine Blicke durch den Garten »nd um das Gebäude schweifen; nur wenige Fenster waren erhellt, kein Laut tönte heraus. Mit der llcbcrzeugung, daß er hier ungestört sei, legte sich der junge Mann an den hohen Zaun, der de» Garten umschloß, und blickte träumend ins Weite. Alte, süß-schmerzliche Erinnerungen drangen mächtig auf ihn ein. Alte Bilder tauchten vor seiner müden Seele auf und eine weiche, langverhallte Stimme tönte an sein Ohr. Ein leiser Seufzer bebte von de» Lippen des Träumers. Vor einer Reihe von Jahre» hatte er der schöne» blonden Margarete, der einzigen Tochter des Rentier Thalfcld, sei» Herz geschenkt. An einem schöne» Sonnabend, als er aus dem Walde von einem Spazier gang heimkehrtc, war auch sic denselben Weg gegangen- Höflich hatte er sich ihr genähert und dann waren sie i» süßem Geplauder nebeneinander hergcschrittcn. Ans der ersten Begegnung hatte sich ein inniges Ver hältnis gestaltet. Margarete schlich sich wöchentlich einmal unter irgend einen, Vorwände aus dem elter lichen Hause, »m den Geliebten zu treffe». Doch ihr Glück währte nur kurze Zeit. Der gestrenge Vater Margaretens hatte die beiden Liebenden eines Abends auf ihren heimlichen Wegen ertappt. In seinem Jäh zorn hatte er dem junge» Manne alle möglichen Be leidigungen ins Gesicht geschlendert »nd dann seine Tochter — wie eine ehrlose Dirne — vor sich her gestoßen. Wie eine Gefangene wurde sic von dieser Stunde an immer bewacht. Der junge Mann war auch nie wieder mit dem Wunsche ausgcgange», die Geliebte z» treffen. Nie wieder wollte er sich ihr nähern; die Worte ihres Vaters hatte» seinen Stolz, seinen Ergeiz aufs tiefste verletzt. Sein schöner Traum war dahin: Margarete war für immer für ihn ver loren. Er schalt sich oft töricht, daß er auch nur einen Augenblick hatte daran glauben können, das schöne, reiche Mädchen zu erlange»; er, der Sohn einer armen Schullehrcrswitwe, — damals noch ein junger, unbedeutender Kaufmann. Das Zerwürfnis hatte sei» sonst so heiteres Wesen getrübt; eine große Unruhe beherrschte sei» Inneres. Er war sehr bald entschlossen, hinaus zu wandern in die weite Welt. An einem düster» Hcrbstmoraen schritt er hinaus aus der Heimat — der Fata Morgan« entgegen, die ihm in weiter Ferne leuchtete. Das Glück war ihm zur Seite. In einer großen Handelsstadt, wo er sich ei» billiges Quartier ausgesucht hatte, erhielt er sehr bald Stellung in einem angesehenen Bankhausc. Durch seinen Fleiß und seine Ausdauer hatte er sich dort eine hohe Stellung errungen. Nur die alte Fröhlich keit kehrte nicht in ihn zurück. Er hatte gehofft, in der Ferne vergessen zu können, doch er hatte es nicht vermocht; das Bild der Unerreichbaren schwebte immer vor seiner Seele. Mit seiner Mutter stand er in regem Briefwechsel; er schickte ihr auch öfters eine kleine Summe von seinen Ersparnissen. Nur einige Monate stockte der Briefwechsel zwischen den beide». Bernhard war gesonnen, die Mutter zu Weihnachten nnt seinem Besuch zu überraschen. Was sollte er ihr dann so kurz vorher »och schreiben. Konnte er sich doch bald mündlich mit ihr austausche», zum erste» Male wieder seit zehn Jahren. Mit dieser frohe» Zvrersicht hatte er die Heimat begrüßt, doch das Schicksal brachte ihm herbe Enttäuschungen entgegen. Der Dod hatte ihm das Teuerste geraubt, nun stand er allein auf der weiten Welt, — ein einsamer, un glücklicher Mann Er merkte in seiner Versunkenheit nicht, daß eine chlanke, dunkle Äädchengestalt nur wenige Schritte vor ihm stand und ihn fragend und verwundert an blickte. Es war Margarete Thalfeld; sie hatte, da es ihr zu Hause zu einsam war, eine in der Nähe wohnende Dante besucht, um in dem lustigen Kreise der Kinder der Bescherung beizuwohncn. Sie hatte den Wanderer noch nicht erkannt, denn er hatte das Haupt tief gesenkt und den weichen Filzhut tief in die Stirn gedrückt. Als er endlich mit verträumten Blicken das Haupt erhob, iibcrgoß eine Purpurglut das schöne, bläffe Gesicht des Mädchens und der kleine Mund jubelte beglückt: „Mein Bernhard!" Er stand wie erstarrt bei ihrem Anblick da. So erstaunt und verwundert wie ein Kind in ein Weihnachtsmärchen blickt, gerade so blickte der junge Mann in das Ge sicht der Geliebten. Margarete empfand sein Schweigen peinlich. Zaghaft trat sie ganz nahe an ihn heran, erfaßte seine hcrabhängcndc Rechte und frug mit leise bebender Stimme: „Bernhard, kennst Du mich nicht mehr?" Er zuckte leicht zusammen bei dem traurigen Klange ihrer Stimme. Mit sanftem Druck hielt er die kleine schmale Hand und sagte tiefbewegt: „Ich soll nicht mehr wissen, wie mein einstiges Glück aus sieht? Freilich, damals blühtest Du wie eine herrliche Rose, jetzt gleichst Du einer zarten Lilie. Doch es sind noch dieselben Züge wie früher, nur um de» einst so glücklich lächelnden Mund prägt sich ei» tiefer Lcidcnszug". Er schwieg eine» Augenblick lang, sann frug er leise und stockend: „Margarete, bist Du glück- jich in Deiner Ehe?" Sein Blick suchte de» breiten Reif an ihrer Hand. „In der Ehe?" frug sie lächelnd zurück, ich bin noch frei! Damals, als mein Vater mit grausamer Hand unser Glück zerstörte, habe ich ihm gesagt, daß ich Dich über alles liebe und daß ich me einem anderen angehörcn wollte als Dir. Da onwortete er mir, das würde nie so wett komme»-; lieber sollte seine Tochter eine alte Jungfer werden, als die Frau eines armen Schluckers. Doch später, nach Jahren, als meine Eltern sahen, wie schwer ich unter der Trennung litt, sagte mir mestic Mutter eines Tages, daß mein Vater seinen Willen geändert habe; ich solle nehmen wen ich wollte. Doch ich ließ ihm sagen, daß mein Geliebter in weiter Ferne weile und daß ich ans seine Rückkehr warte» wollte, währte cs auch noch so lange. Ich ahnte, daß Du eines Tages wicderkommcn würdest; eine innere Stimme sagte cs mir. Ich habe auf Dich gewartet — zehn Jahre lang." Ei» langer, brennender Kuß verschloß ihr den Mund. Dann schmiegte sie ihr Gesicht glück strahlend an seine Wange» und flüsterte leise und Innig: „Bernhard, liebst Tu mich noch?" Zärtlich umfaßte er sie mit beiden Arme» und antwortete mit tiefer Wärme: „Du bist ja mein einzig Glück, mein Sonnenschein, mein alles! Auch ich habe Dich nie vergesse» können. Wenn ich gewußi hätte, daß Du mich noch immer so sehr liebtest und auf mich wartetest, wäre ich eher zurückgekommcn, — dann hätte ich auch meine liebe Mutter wieder gesehen." Zwei schwere Träne» rannen bei diesen Worte» über seine Wangen. Margarete sah cs, sie schlang beide Arme um seine» Nacken, küßte die heißen Tropfen von seinem Gesicht und bat in süßem Done: „Weine nicht, Geliebter, ich will Dir Deine Mutter ersetzen." Lächelnd küßte er ihr goldig schimmerndes Haar, de» Mund und die Wange» und sagte leise: „Ja, nun wirst Du bald mein holdes Weib, nichts kann uns dann mehr trennen." „Dann bist Du auf ewig mein", flüsterte sie leise, sich innig an ihn schmiegend. „Aus ewig Dein!" klang es freudig zurück. Noch lange hielten sich die beiden Liebenden um schlungen und durch die Stille der heiligen Nacht schwebte noch immer ei» leises Singen »nd Klinge»; es kam von de» Bergen, wo das Wasser eigenartige Melodien rauschte, deren Töne im Tale sanft verhallten und um die Häupter der Verlobten schwebten — weiße» Schmetterlinge» gleich — große, glitzernde Schneeflocken, als wollte» sie ihnen zuflüstcr»: „Friede auf Erden!" Fette Gknsr -» Psd. «S Pf., im einzelnen a Pfd. 7SPs., desgl.Günsesetta Pfd. IMk. empfiehlt LinII Grün«, Fabrikstt. 72. LtillMumk verkauft Osv. ILiiiiNv!», Rabenstein.