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Hilda ahnte de» Zusammenhang, aber da sic nichts Sicheres wusste, schwieg sie darüber. » * * XV. Es war wieder Frühling geworden. Die Veilchen blühten überall. Hinter den Hecken, welche gleichsam wie ein Wall die Stadt cinsäumtc», lugten die blauen Köpfchen hervor, und die Mcnschcn atmeten in vollen Zügen die linde, weiche Luft. In das Hans Doktor Lindes war mit dem beginnenden Sommer der Storch geflogen und hatte ei» reizendes, zappelndes, winziges Menschenkind in die bcreilstehende Wiege gelegt. Sigmund freute sich herzlich, hoffte er doch so viel von den« Kinde. Hilda war eine leichtfertige, oberflächliche Natur, die ihre Pflichten als Hausfrau nie ernst nahm, und überall lieber war, als zu Hanse. Der Gatte erwartete nun, das; das endlich anders werden^ daß der Sohn das Interesse der Mutter voll und ganz ili Anspruch nehmen würde. Aber auch hierin täuschte er sich. Oft sah er allein an der Wiege und spielte mit de:» Kleinen, während seine Frau es langweilig fand und sich damit begnügte, rille nach ihrer Ansicht sehr zuverlässige Wärterin zu engagieren. Sigmund fühlte sich unglücklich und unbefriedigt il, seiner Ehe. Täglich sah er es mehr ein, das! sein Leben nur eine fortgeschtc Qual für ihn bedeute, dass die Liebe, die er für eine andere im Herzen trug, nicht sterbe» wollte, nicht sterben konnte. Manchmal packte ihn eine wilde Verzweiflung, und dann flüchtete er z» seinen Büchern, wo ihm allein noch Trost und Beruhigung zu teil wurde. Es bereitete ihm auch viel Schmerz, daß sich seine Mutter nie mehr entschließen komltc, das Hans zu betrete», wo sic, freilich ohne seine Schuld, so bittere Worte gehört hatte. So oft er auch bat: „Komm doch, Du brauchst ja Hilda nicht zu begegnen, sic ist — leider oft genug abwesend," — es half ihm nichts, — die alte Frau schüttelte immer nur den Kops. Selbst die Sehnsucht, die sie nach dem Kinde empfand, das sic so gern einmal ans Herz gedrückt hätte, ver mochte sic nicht zu bestimmen, ihrem Vorsatz untren zu werden. Sic sah es mit tiefem Kummer: der geliebte Sohl, war nicht glücklich, aber helfen konnte sic ihm nicht, er mußte die Last allein weiterschlcppen. Einsam schlichen ihr die Tage dahin. Sie hatte gehofft, Hilda würde kommen, ihr Unrecht cinsehen und um Verzeihung bitten, — aber das erfüllte sich nicht. Die junge Frau ging an dem Hanse vorüber, öhnc nur einen Blick zu dem Fenster hinaus z» werse», lvo eine alte, einsame Mutter saß und sich sehnte nach einem liebevollen Wort. — Auch für Eva schien das Leben nur Sorge, Qual und Arbeit zu haben. Als ihre Mutter nach langer Krankheit endlich soweit hcrgestellt war, daß sie die kleinen Geschäfte des Haushaltes wieder übernehmen konnte, — damit Eva nicht, wie bisher, hundert Mal an einem Tage die Stickerei wcglcgcu mußte, — als der Frühling kam und in das Herz des Mädchens etwas wie die Ruhe „ach dem Streit einzuzichen begann, da wartete ihrer neue Angst, neuer Kummer. Ingenieur Kloßmann war zuriickgckehrt und »ahm seine Bewerbungen nm Evas Gunst eifriger ans, denn zuvor. Das hätte sie wenig geniert, aber das Gebühren Kloßmanns hatte jetzt etwas Dreistes, Zuversichtliches a>l sich, sein Lachen klang so herausfordernd; er schaute sie stets an mit einem eigentümlichen Zwinkern seiner Augen, daß es Eva kalt über den Rücken lies. Er kam ja von Wolfenstein und hatte dort sicher Nach forschungen über die Vergangenheit ihrer Familie an- gestcllt und etwas erfahren, ivas er nun für seine Zwecke auszubcnten suchte. Was sollte daraus werde», wenn er der Welt ihr Geheimnis prcisgab! Und er würde es tun, daran durfte sic nicht zweifeln. Mit banger Sorge blickte sie in die Zukunft. Der Mutter verschwieg Eva diesen neuen Kummer. Wozu sollte sie die blasse Frau anfrcgcn, che sie Gewißheit hatte? Im stillen hoffte Eva, der Verhaßte würde von seiner Finna vielleicht wieder irgendwohin geschickt; cs konnte dann doch immerhin möglich sein, daß er ein anderes Mädchen fand, daß er sich verheiratete und die ganze Sache vergaß, oder sic doch verschwieg, wenn er keine selbstsüchtigen Interessen mehr verfolgte. Aber Tag um Tag verging, ohne daß sich ihre Hoff nung erfüllte. Jeden Abend schlich Kloßlnann um das Hans und streifte mit so dreistem Blick die Fenster, daß Eva kaum mehr wagte, hinausznschcn, noch viel welliger sich getraute, dieselben zu öffnen, denn sie wußte, Kloßlnann wartete mir ans eine günstige Ge legenheit, um ihr einen Antrag zu machen. Sie hütete sich ängstlich, ihm zu begegnen, und verließ nur selten und nur im dringendsten Falle das Haus. Das liebliche Gesicht war schmäler und blasser geworden, hatte aber im ganze» nichts von seiner Schönheit verloren. Der melancholische Ausdruck in den seelen- vollen, braunen Augen hatte etwas ungemein Fesselndes, Anziehendes. Der Mutter gegenüber erschien Eva heiter. Sie zwang sich oft geling zmn Lachen und die alte Frau ließ sich täuschen. Sic glaubte, daß die Tochter ruhig und zufrieden geworden sei und daß sic die ehemalige Neigung null überwunden habe. Daß Eva des Nachts oft heimlich den heißen Kopf in die Kiffen grub, um das Weinen zu ersticken, wußte die Mutter ja nicht. Die Beiden lebten ganz still und zurückgezogen, sie verkehrten mit niemand. — Eines Abends erhielt Eva von dem Geschäft, für das sic arbeitete, die Nachricht, es sei ein dringender Auftrag für sie cingelansen, sie möge selbst kommen, damit der Chef ihr die nötige Erklärung über die Ausführung geben könne. Nur zögernd entschloß sic ich zu dem Gang, weil sic fürchtete, Kloßmann könnte ihr begegnen. Doch kehrten ihr Mut und ihre Energie zurück, weil sie sich sagte, daß eine Begegnung früher oder später unvermeidlich sei. Einmal mußte der Verhaßte cs doch erfahren, daß sic fest entschlossen war, seine Bewerbungen ganz entschieden zurückzuwciscn, mochte daraus werde», was da wollte. Sei» Schweigen konnte sic nicht damit erkaufen, daß sie sich für die ganze Lebenszeit au ihn kettete, an ihn, den sie haßte und verabscheute wie die Sünde. Lieber wollte sic ihr Bündel schnüren und weiter wandern, wie die Mutter es einst getan, weit — weit fort, — dahin, wo niemand sie kannte. — Trotz aller dieser Vorsätze, trotz ihres eingebildete» Mutes, atmete Eva doch er leichtert auf, als sie, die schwach erleuchtete Straße betretend, dieselbe menschenleer fand. Leichtfüßig eilte sie weiter, nur wenige Passanten begegneten ihr, niemand beachtete das vorwärts hastende Mädchen, das de» Blick kam» erhob. ES war nicht sehr weit bis z» dem Hanse ihres Arbeitgebers, einige Straßen hatte sie bald durcheilt, nun noch die kurze Strecke bis zur nächsten Ecke und Eva schlüpfte durch die ihr wohlbekannte enge Tür und stand klopfenden Herzens einen Moment lang still. Der Flur war nur schlecht beleuchtet, aber Eva wußte hier ganz cnau Bescheid; sie lieferte ihre, von de» geschickten, cißigcn Händen gefertigten Arbeiten immer hier ab. Von da ans wandcrtcn sic in den Laden, wo die tadellos ausgeführtcu Stickereien die Bewunderung der zahlreiche» Käuferinnen erregten. Der Geschäftsinhaber, ein älterer, freundlicher Mann, empfing Eva mit einer Entschuldigung, daß er sic noch bemüht habe, zu ihm zu kommen, aber der Auftraggeber, ein anscheinend sehr nobler Herr, wolle durchaus nicht länger warten; er sei sehr un geduldig und hätte darauf bestanden, daß die Aus führung sofort in Angriff genommen werde. Es handle sich um feine, gestickte Vorhcmdchen, die man niemand anders als ihr übergeben könne. Die Sache war bald besprochen und Eva wunderte sich ein wenig, daß inan sie deswegen hierher kommen ließ. Es wäre eigentlich gar nicht notwendig gewesen. Eine heimliche Angst bemächtigte sich ihrer, sie ahnte, wer der Auftraggeber sei, und daß er zu diesem Mittel gegriffen, um sie sicher treffe» zu können. Eva fürchtete sich plötzlich, wieder auf die stille, fast menschen leere Straße z» treten. „Haben Sie nicht jemand hier, der mich begleiten könnte?" fragte sic mit ängstlicher Stimme. Der Alte schüttelte halb verwundert den Kopf und betrachtete verstohlen das bleiche Gesicht des Mädchens. „Sie sind alle schon weggegangcn, Fräulein, nicht eiiuual der Laufbursche ist mehr da. Wenn Sic sich fürchten, so will ich ein Stück mit Ihne» gehen." „Nein, nein," wehrte Eva eifrig. Sie schämte sich ihrer Schwäche. Hochaufgcrichtct verließ sie gleich darauf das Haus, von dem Alten respektvoll bis an die Tür begleitet. Draußen umfing sie eine milde, warme Luft. Der Mond stand am Hinnuel, nur hie und da verdeckten vorübcrzichcndc Wölkchen seine leuchtende Scheibe. Eilig schritt Eva heimwärts, ihr Herz klopfte so bang, sie mußte sich selbst Mut zusprechen. Schon glaubte sie, daß all' die ausgestandenc Angst umsonst gewesen, daß sie ihr friedliches Heim unangefochten erreichen würde, als ganz plötzlich bei einer Straßen ecke, wie aus dem Boden gewachsen, — Kloßina»» vor ihr stand. Sie wich eine» Schritt zurück. Im ersten Augen blicke sah es aus, als wollte sie fliehen, doch mochte sic wohl cinsehen, daß ihr das wenig nützen würde. Mit einer trotzigen Bewegung hob Eva den Kopf und sah den vor ihr Stehenden an. „Beharrlichkeit führt zum Ziel," begann dieser lachend. „Endlich ist cs pur gelungen, des scheuen Vogels habhaft zu werden. Weshalb fliehen Sie meine Nähe, als wäre mein Atem Gift? Sie stacheln mich dadurch nur immer mehr auf. Bekanntlich strebt der Mensch gerade nach dem, was ihm versagt ist. So wächst meine Leidenschaft für Sic um so höher an, je weiter Sie sich von mir zurückziehen I Eva, — machen Sic mich nicht toll, — es könnte gefährlich werden für Sie und — mich! Wenn Sie gut zu mir sind, können Sie mich m» den Finger wickeln, den» ich liebe Sie ja bis zum Wahnsinn, und Sie müssen meine Frau werden! Ich glaube jetzt das Mittel gefunden zu haben, mit dem inan etwas bei Ihnen erreichen kann. Sie sind stolz, Eva, und ich habe die Macht, Sie zu demütige», und werde nötigen falls von meinen Mitteln Gebrauch machen! Hüten Sie sich also, mich zu reizen." Er hatte sich dicht an das bebende Mädchen heran- gcdrängt und flüsterte das alles in hastiger Eile in ihr Ohr, so daß sein Atem ihre Wange streifte. Eva fühlte Zorn und Ekel in sich aufstcigen; sic fuhr mit dem Taschentuch über das vor Erregung glühende Gesicht, als mußte sie selbst den Hauch wegwischcn, der ihr schon wie eine Verletzung erschien. „Sparen Sic' jedes weitere Wort," rief das Mädchen heftig erzürnt, „lassen Sic mich meiner Wege gehen, wir haben uns nichts »lehr zu sagen. Wenn Sic es noch einmal wagen, sich mir in den Weg zu stellen, so rufe ich um Hilfe!" „Schreie doch, cs wird Dir wenig helfen!" lachte er boshaft. „Was wollen Sie denn von mir?" Hub Eva wieder an. „Daß ich nicht Ihre Frau werden kann, habe ich Ihnen schon einmal gesagt, ich denke, das genügt, — nnd nun verlassen Sic mich!" „Daß ich ein Narr wäre! So leicht sollst Du mir nicht entkommen, schöne, stolze Prinzessin!" Sein Lachen klang schrill nnd beängstigend, man sah cs ihm an, er war ihm höchsten Grade gereizt. Die Wut entstellte das Gesicht, die Augen irrten un ruhig umher. „Ich sagte Ihnen schon vorhin, treiben Sic mich nicht zmn Aeußcrstcn!" begann Kloßmann wieder, und ein hämischer Zug erschien auf seinem Gesicht. „Ich werde sonst den guten Bürgern unserer Stadt eine Geschichte erzählen, bei der sic Augen nnd Ohren anfreißen sollen. Ich werde erzählen, was ich in Wolfenstci» erfuhr, — daß dort vor Jahren ein hoch- angesehener Mann, ein Bankier, lebte, der das Geld mit vollen Händen ansgab, der glänzende Feste ver anstaltete und den Leuten weißmachtc, seine Frau hätte ihm ein Vermögen von einer halben Million eingebracht. Seine Gemahlin war ja tatsächlich sehr reich gewesen, aber das langte bei weitem nicht aus, denn der Manu hatte vornehme Passionen. Er suchte sein Kapital noch durch Börsenspekulationen zu ver größern. Leider fchlng sein Vorhaben fehl. Als der Mann nicht mehr aus noch ein wußte, griff er die ihm anverlrantcn Gelder an; das heißt z» deutsch, er wurde zmn Diebe! Deshalb bestrafte man ihn genau so, wie man Diebe zu bestrafen pflegt, das heißt, man sperrte ihn ein! Im Znchthansc sollte er darüber Nachdenken lernen, daß es verboten ist, seinem Ncbcnmcnschcn Geld und Gut zu stehlen. Noch heute gibt es in Wolfcnstein Leute, die das Andenken jenes Mannes verfluchen, — weil er sic um Alles brachte, was sie besaßen. Wäre er ihnen in die Hände gefallen, sie hätten ihn in ihrer Wut erwürgt! Ihn und die Seinen! Er hatte, als ihm der Boden unter den Füßen zu heiß wurde und alles verloren war, das Weile gesucht, — aber unsere schlaue Polizei kam gar bald auf die Spur des feinen Herrn und brachte ihn hinter Schloß und Riegel. DaS mag ihm freilich ziemlich unbcgncm vorgckonuncn sein, aber er saß fest. Allzu lange hielt der Vogel, der das Fliegen gewohnt war, cs allerdings nicht aus in der beengenden Gefangenschaft. Nach zwei Jahre» starb er, und die Welt hatte einen erbärmlichen Schuft weniger! Wohin die Fra» mit ihrem Kinde gezogen ist, weiß man in Wolfcnstein nicht. Ich hätte wohl genaue Auskunft geben können. Mich interessierte die Geschichte nngemci», deshalb erkundigte ich mich nach allen Details, und heute weiß ich, daß cs genau um jene Zeit war, als eine Frau des gleiche» Namens in unserer Stadt ankam, sich hier euunietetc und seit dem hier wohnt! Kennen Sie die Geschichte vielleicht auch, Eva? Ich denke, sie ist Ihnen nicht genau bekannt, sonst würden Sic nicht so hochmütig und stolz sein und den Antrag eines Mannes abwciscn, der cs gut und ehrlich mit Ihnen meint. Sie würden froh sein, Ihren unehrlichen Namen mit eine»! ehr liche» vertauschen zu können. Glaube» Sie vielleicht, wenn die Sache bekannt wird, — und ich werde dafür sorgen, daß sic cs wird, — gibt es noch einen angesehene» Mann, der Ihnen seine Hand reicht? — Nein, dazu kennen wir beide, Sic und ich, unsere Kleinstädter zu genau. Ria» wird seine Ture vor Ihne» verschließen und keinen Umgang mehr mit Ihnen habe» wollen, — bedenken Sic das wohl! Nur eins gibt cs noch, das Sic rette» kann vor der drohenden Schande: Werden Sie meine Frau! Sic verstopfen mir damit für alle Zeit selbst den Mund; denn es liegt doch in meinem eigenen Interesse, zu schweigen, damit diejenige vor der Welt nicht kom promittiert wird, die meinen Namen trägt. Selbst verständlich fällt für mich jede Rücksicht weg, wenn Sie auch jetzt noch meinen Antrag abweisen. Ich rate Ihnen, es nicht zu tun, Sie würden es bereuen!" Eva stand ganz starr vor einer solchen Fülle von Bosheit. Wap denn dieser Mann jeden Gefühles bar, ahnte er nicht, mit welch brutaler Gewalt er sic zwingen wollte, die Seine zu werden? Ei» Grauen erfaßte sic vor dem, der die Kenntniß ihres unver schuldeten Unglücks in solcher Weise anszunützen ge dachte. Was wartete ihrer an der Seite eines solche» Menschen?