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für einen Hungcrlohn zu arbeiten; ein Bruder meiner Mutter hat mir scchzigtausend Mark hintcrlassen." „Was, so eine Riesensumme?" schrie der Kapitän, über rascht aufspringend. „Ja, er hat das Geld in Amerika verdient, womit, das weiß ich nicht, ist mir auch egal. Kurz und gut, die scchzig- tauscnd Mark liegen für mich auf der Bank in Bremen — kann sic alle Tage haben." „Und da fahrt Ihr noch als Steuermann, Binneweis?" „Das ist nur wegen Eurer Grete." „Wegen meiner Grete?" „Ja, das Mädchen gefiel mir schon lange, und ich dachte mir, daß ich sic nicht allein auf diese weite Fahrt gehen lassen dürfte. Ihr wißt, Ewarsen, dass ich letztes Jahr auf einem ander» Schiff fuhr, — hätte sogar Kapitän werden könne». Als ich aber erfuhr, daß Ihr wieder mit der „Nymphe" hiuausgingt und die Grete mit Euch nehmen würdet, da besann ich mich keinen Augenblick, als die Stelle des ersten Steuermanns frei war, dieselbe anzunehmcn, um bei dem Mädchen zu sein." „Und weiß das Mädel davon?" „Ich Hab' ihr so eine kleine Andeutung gemacht, aber sie ist noch ein wenig kopfscheu. Doch wenn Ihr ein ver nünftiges Wort mit dem Mädchen sprechen wolltet — —" „Das will ich! Donncrkil, scchzigtausend Mark, — das ist keine Kleinigkeit. Und de» Seedicnst willst Du aufgebcn, .Karl?" „Ja, wenn wir von dieser Reise zurück sind, und Ihr mir Eure Tochter gebt. Ich habe mir schon ein hübsches Haus in Bremerhaven angesehen, — klein und niedlich zwar, aber ein hübscher Garten dabei mit dem Ausblick auf das Wasser, so daß man alle ein- und ausfahrendcn Schiffe beobachten kann. Ihr könntet dann den ersten Stock be wohnen, Kapitän, — drei Zimmer und ein kleiner Balkon, — unten wohnen wir. Das könnte hübsch gemütlich werden, nicht wahr?" „Ein feiner Gedanke ist das von Dir, Karl! Wcnu's auf mich ankommt, sollst Du die Grete haben!" „Ist das Euer Ernst, Kapitän?" „Mein voller Ernst, — aber Du mußt mir nur ver sprechen, nicht mehr zur See zu gehen." „Das verspreche ich Euch gern." „Deine Hand darauf." Hier!" Die beiden breiten Pratzen der Seeleute schlugen kräftig zusammen. „Ein Mann, ein Wort, Kapitän!" „Kannst auf mich bauen, Karl!" „Ihr sprecht mit Grete?" „Gleich morgen." „Nein, Ewarsen, keine Uebercilung! Wir haben noch eine lange Fahrt vor uns, und kopsscheu wollen wir die Grete nicht machen. Sorgt nur dafür, daß der Bahnsen ihr sern bleibt, — ich will mich dann ein bißchen um sic bemühen, und wenn's so weit ist, dann gebe ich Euch einen Wink. Seid Ihr einverstanden?" „Ja, und den Bahnsen soll der Teufel holen, wenn er das Mädel nicht zufrieden läßt." „Darauf laßt uns noch ein Glas trinken, Kapitän." Ewarsen war nur allzusehr damit einverstanden. Der Grog war ihm schon zu Kopfe gestiegen, seine Augen blickten starr, seine Wangen nahmen eine blaurote Färbung an. „Die Grete muß Deine Frau werden, Karl," stammelte er. „Scchzigtausend Mark, — alle Wetter, Du bist ja ein gemachter Mann, — das Mädel wird schon zugreifen!" „Nicht so laut, Kapitän!" „Ach was, ich kann hier machen, was ich will. Wir wollen eins singen, Karl!" Und mit lauter Stimme begann er ein altes Seemanns lied zu singen, als die Tür sich öffnete und Grete hastig mit erschrockenem Gesicht hereintrat. „Vater!" rief sie, auf ihn zueilend und die Anne um seinen Hals schlingend, „ich bitte Dich, sei ruhig." — „Weshalb soll ich denn ruhig sein, Mädel? Darf Dein alter Vater nicht mal mehr ein Lied singen?" „Ja doch, Vater, — aber es ist schon spät —" „So? — Spät sagst Du? — Und wo warst Du denn so lange?"! „Es ist eine herrliche Nacht, und jso frisch und schön auf dem Deck," entgegnete Grete, leicht errötend. „Und da hat man wohl die Zeit verplaudert? He — was? — Mit dem Henning Bahnsen?" „Ich bitte Dich, Vater!" „Ich will Dir was sagen, Mädchen," lallte Ewarsen, indem er versuchte, sich eine würdevolle Haltung zu geben, „laß Dich mit dem jungen Seehund nicht ein, sonst komme ich dazwischen." Grete stand wie mit Blut llbergossen da. Sie vermochte kein Wort zu sagen. Da legte sich Binneweis ins Mittel. „Laßt's gut sein, Kapitän," sagte er beruhigend. „Fräu lein Grete weiß selbst, was sich schickt, Ihr dürft sie nicht schelten." „Recht hast Du, Karl, — aber Grete, steh Dir mal den Mann da an, he — das ist ein Mann, hat seine sechzig tausend Mark auf der Bank liegen." „Aber Kapitän, was fällt Euch denn ein? Ich denke, es ist Zeit, daß Ihr zur Koje geht. Es ist Mitternacht, und ich muß zur Wache aufs Deck." „Ja, Vater, geh zu Bett," bat Grete. „Aha, wollt wohl gern allein sein?" lachte der Alte. „Nun, den Gefallen will ich Euch gerne tun! Gute Nacht. — Grete, denke: scchzigtausend Mark und ein Haus mit einem Balkon — Donncrkil!" — Damit wankte er in seinen Schlafrauin, die Tür hart hinter sich zuschlagend. Grete stand einen Augenblick schweigend da. Als sie hörte, daß sich ihr Vater auf sein Bett geworfen hatte, wandte sic sich zu Binneweis. „Es war nicht recht von Ihnen, daß Sie meinen Väter zum Trinken verleiteten," sagte sie streng. „Bitte um Verzeihuug, Fräulein," entgegnete er lächelnd. „Das Verleiten war nicht nötig, Hab' ich auch nicht getan, Ihr Vater besorgt das ganz allein." „Sie hätten ihn zurückhalten sollen." „Ich Hab' es versucht, Fräulein. Aber er ist zu hals starrig. Wenn er einmal im Zuge ist, dann geht er durch wie ein Schiff, dem ein frischer Nordwest die Segel bläst. Sie müssen nicht schlecht von mir denken, Fräulein." „Was ich von Ihnen zu denken habe, weiß ich allein," erwiderte sic stolz. „Gute Nacht, ich glaube, Ihre Wache beginnt." Sie wandte sich ab. „Fräulein Ewarsen," rief er, und in seiner Stimme lag eine versteckte Drohung. Sie blieb stehen. „Was wollen Sie denn noch?" „Fräulein Ewarsen, ich will Ihnen einen guten Rat geben, — hüten Sie sich vor dem da oben." Er deutete nach der Decke. „Ich verstehe Sie nicht," entgegnete Grete errötend. „Ich sehe, daß Sie mich Wohl verstehen," sagte er. Mit einem stolzen Achselzucken wandte sic sich ab und ging in ihre Kammer. 5. Kapitel. Keines Windes leises Wellen Regte das kristallne Reich. Lustige Delphinenscharen Unaufhaltsam jagte die „Nymphe" durch die leicht- bewegten rollenden Wogen dem Acquator zu. Wie ein scheuer Renner eilte das Fahrzeug dahin, ein märchenhaftes Gebilde von schwellendem, schneeigen Leinen, gleich einer leichten Fedcrwolkc auf tiefblauem Himmclsplan. Es herrschte beständiges, schönes Wetter, die Mannschaft hatte leichten Dienst. Mit immer gleichgestellten Segeln und gleichem Ruder schwebte das Schiff dahin. Wie ei» dunkles Wölkchen im lichtersnlltcn Aethcr tauchte hie und da ein einsames Jnselchen aus der leuchtenden Flut empor. Seevögel umkreisten die einsamen Felsen, umflatterten neu gierig die schlanken Masten des Schiffes, um auf raschen Schwingen in die ncbclblaue Ferne zu entschwinden. Eine farbenprächtige Glut lag leuchtend auf der unend lichen Tiefe, deren Bläue, unterbrochen von dem schneeigen Weiß der hcranrollenden Wellenkämme, bis in die Tiefe sonneudurchsirahlt und von einer fast kristallenen Durch sichtigkeit war. Im blitzenden Silberlicht huschten zitlernd und flimmernd in dichten Scharen die fliegenden Fische über die Wellen, berührten hie und da die Wogenkämme, tauchten dort unter, um sich im nächsten Augenblick, aufgcschrcckt durch die un heimliche Erscheinung des Klipp-Fifches, aufs neue in das Helle Sonnenlicht emporzuschnellen. Mit ausgebreiteten Flossen eilten sie dohin, die Wassertropfen Perlten von ihren glänzenden Leibern, die Sonnenstrahlen blitzten auf der »affen Silberhaut, in vielfarbigen Reflexen erstrahlend. Und ebenso herrlich wie aui Tage zeigte sich das Meer im nächtlichen Sternenglanze. Höher und höher stieg der prächtige südliche Sternenhimmel empor; schon erglänzte über dem Horizont das Kreuz des Südens mit seinen flammenden Diamanten, und der ferne Nordstern sowie das Sternbild des nordischen Morgens sanken tiefer und tiefer znm Horizont hinab. Man näherte sich der Linie. Der Wind ward schwächer und schwächer; man war in die Region der Kalmen gelangt. Auf der Bark herrschte in diesen Tagen ein reges Treiben. Besonders der alte Theistng, der Zimmermann und die andern älteren Matrosen nahmen an diesen Beratungen teil, und eines Tages erschien Theistng vor Kapitän Ewarsen und sagte: Kapitän, mit Verlaub, — morgen Passieren wir die Linie." „Ja, Theistng, die haben wir schon öfter passiert." „Freilich, — aber cs sind da einige Neulinge, und ich glaube, der alte Neptun hat es auf sie abgesehen." Ewarsen lachte. „Ach so, Ihr wollt Euch einen Spaß machen! Na, man immer zu, Theistng. Wenn der alte Neptun erscheint, will ich ihn mit einem steifen Grog bewirten." „Danke schön, Kapitän, ich werd's ausrichten." Er ging zu seinen Kameraden zurück, die eifrig zusammen flüsterten. „Hättet den dummen Spuk nicht erlauben sollen, Kapitän," sagte Binneweis mürrisch, der neben deni Kapitän stand. „Warum nicht, Karl? Die Leute wollen auch mal eine kleine Abwechslung haben, und zu tun gibt es ja in diesen verdammten Kalmen auch wenig." „Ich denke, wir werden morgen oder übermorgen eine ganz hübsche Brise haben. Das Wasser kräuselt sich schon. „Soll mich freuen, Karl." — Am andern Tage wehte allerdings eine leise Brise, welche das Schiff in ruhiger, angenehmer Fahrt weiter trug. Binnc- weis, der die Berechnungen angeftellt hatte, meldete, daß man um drei Uhr die Linie passieren würde. „Na, dann wollen wir um diese Zeit uns alle auf dem Achterdeck versammeln," sagte Ewarsen lächelnd. „Und alle Mann sollen an Bord kommen, der alte Neptun wird wohl nicht lange auf sich warten lassen." Heiter strahlte die Sonne vom wolkenlosen Himmel auf das leicht gekräuselte Meer. Die Hitze war freilich drückend, doch erträglich durch den erfrischenden Hauch der Brise, zumal über dem Achterdeck ein großes Sonnensegel gespannt war. Hier nahm Kapitän Ewarsen mit Grete und den beiden Steuerleuten Platz. Die Mannschaft gruppierte sich um sie, wie sie gerade Platz fand, der Koch stand mit einem großen Glas Rum mit Zucker bereit. Das Meerfest konnte beginnen. Plötzlich ertönte vom Bug des Schiffes, scheinbar vom Meer kommend, der Ruf: „Schipp ahoi!" — „Halloh, — halloh!" antwortete Ewarsen lachend. „Wie heit dal Schipp?" läßt sich die kräftige Stimme wieder vernehmen, an der man jedoch unschwer den alten Theistng erkannte. Die „Nymphe"." Wo kömmt se her?" Von Bremerhaven!" „Wo wullt se hen!" „Nach Rio —" „Wie lang sind Se op de Reis'?" „Zwanzig Tage!" „Kann ick an Bord kommen?" „Komm nur, oller Neptun!" Und nun stieg Neptun an der Spitze seines Hofstaates an Bord. Aber der Mcergott erschien nicht in antikem Kostüm, sondern bekundete eine augenscheinliche Vorliebe für groß- karriertes Zeug mit breitem Streifenmuster. Ein weiter Mantel, mit allerhand bunten Lappen verziert, umhüllte die behäbige breite Gestalt. Eine riesige Lockenperücke und ein bis zum Boden reichender Vollbart aus ausgedrehtem Tau werk umrahmte das buntbemalte Gesicht, in dem besonders die grellrot leuchtende Nase auffiel. In der Hand hielt er einen mächtigen Dreizack. Der Sekretär des Meergottes, der ein großes Buch trug, und der Doktor mit einer ge waltigen Spritze, einer schrecklichen Zange zum Zahnziehen und einem Rasiermesser, das einem Schlachtschwcrt glich, waren ähnlich ausstaffiert. Der Meergott leerte zur Be grüßung das Glas Rum, das ihm der Koch präfentierte. Daun hielt er eine Ansprache, in der er auf die Wichtigkeit dieser Stunde hinwics und dann folgte die Zeremonie der Taufe an diejenige Mannschaft, welche zum erstenmal die Linie passierte. Es waren dies einige Leichtmatrose» und Fritz Grundig, der Schiffsjunge. Als sich die Opfer dieser Taufe, pudelnaß, prustend und sich schüttelnd, entfernten, trat der Mcergott wieder vor den Kapitän, nachdem er sich das Glas von neuem hatte füllen lassen. „Ich wünsche dem Herr» Kapitän und den Herren Steuer leuten eine glatte Fahrt, und was ich dazu tun kann, soll geschehen. Aber da sah ich auch noch ein hübsches, junges Fräulein. Das muß dem Schiff Glück bringen, und ich leere mein Glas auf das Wohl des Fräuleins und wünsche, daß die junge Dame auf der Fahrt eine» hübschen Seemann als Bräutigam findet. Das ist mein Wunsch, ich leere daraus mein Glas!" Ewarsen nickte ihm fröhlich zu; er war ein Freund der derben und doch gutmütigen Scemannsspäße. Der erste Steuermann aber blickte finster drein und zerrte verdrießlich an seinem roten Bart. Grete errötete und wagte nicht, die Augen aufzuschlagen, weil sie fürchtete, dem Blicke Hennings zu begegnen. Dieser aber fah ernst aus das Meer hinaus. Der Mcergott schulterte seinen Dreizack, trat in mili tärischer Haltung vor den Kapitän und sprach: „Kapitän, ich habe mein Schuldigkeit getan, jetzt kommt die Reihe an Euch." Dieser lachte: „Hast Deine Sache brav gemacht, Herr Neptunius, deshalb lade ich Euch alle auf heute abend zu einem feinen Glas Grog ein." „Wir werden kommen, Kapitän," sagte Neptun würde voll. Dann wandte er sich an die Mannschaft und rief: „Jungens, der Kapitän hat uns zu einem Glas Grog ein- geladen, das ist ein feiner Kerl, den wir hoch leben lassen müssen. Er und sein Fräulein Tochter, sie leben — hoch!" Jubelnd stimmte die Mannschaft in den Ruf ein. Bald darauf ertönte fröhlicher Gesang. Kapitän Ewarsen und Henning mischten sich unter die lustigen Gesellen. Biuneweis ging mißlaunig auf dem Achter deck auf und nieder, zuweilen verstohlene Blicke »ach Grete werfend, die sich an das äußerste Ende des Deckes zurück gezogen hatte und, die Arme auf die Reeling gelegt, gedanken voll das Spiel der Wellen beobachtete. Es war ihr in der letzten Zeit manchmal recht schwer ums Herz. Die Szene in der Kajüte ihres Vaters hatte ihr die Augen geöffnet über die Absichten des ersten Steuermanns, und verschiedene Andeutungen ihres Vaters zeigten ihr, daß dieser mit den Plänen des Steuermanns einverstanden war. Er hatte ihr streng verboten, mit Henning zu plaudern. „Das schickt sich nicht für die Tochter des Kapitäns," sagte er barsch. „Der Bahnsen ist ja ein fixer Seemann, aber er ist noch ein Grünschnabel, und wenn die Leute sehen, daß ihr bei einander sieht, wie es schon oft der Fall war, dann reden sie gleich dummes Zeug." Grete wich infolgedessen Henning so viel als möglich aus. Sie sahen sich nicht mehr allein, aber ihre Augen hielten doch geheime Zwiesprache, und das tröstete Henning, der wohl einsah, daß er mit seiner Werbung um Gretes Hand warten müsse, bis er es in seinem Beruf weiter gebracht hatte. Aber die Sehnsucht des Herzens läßt sich doch nicht zurückdrängen, und oftmals saß Henning traurig da und grübelte darüber nach, wie er in seinem Beruf rascher vor wärts kommen könnte. Das Neptun-Fest dauerte bis zum späten Abend. Kapitän Ewarsen feierte wacker mit, und schließlich hatte auch Binne weis, überdrüssig seiner Einsamkeit, an dem Trinkgelage teilgenomme». Endlich aber schickte Ewarsen die Mannschaft zur Ruhe, und auch er und Binneweis suchten mit schweren Schritten ihre Koje» ans. Die Führung des Schiffes lag allein in den Händen Hennings, der sich dem Trinkgelage fern gehalten hatte. Er schritt aus dem Achterdeck aus und ab, zuweilen den Mann am Ruder beobachtend, einen Blick zu den Segeln empor- wcrfend, oder die Wache auf der Bark mit einigen Worten ermunternd. Tiefe Ruhe herrschte auf dem Deck. Die Brise flüsterte in den Segeln und in dem Takclwerk. Das Meer murmelte leise. Ein prachtvoller Sternenhimmel wölbte sich über dem Wasser. Henning wurde es ganz träumerisch zu Sinn. Er träumte