Suche löschen...
Dresdner Nachrichten : 09.03.1929
- Erscheinungsdatum
- 1929-03-09
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id501434038-192903091
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id501434038-19290309
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-501434038-19290309
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Dresdner Nachrichten
-
Jahr
1929
-
Monat
1929-03
- Tag 1929-03-09
-
Monat
1929-03
-
Jahr
1929
- Titel
- Dresdner Nachrichten : 09.03.1929
- Autor
- Links
- Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Nr. IIS Seile« Sertliches und Sächsisches Sin Mn» teim MiaiftttvriWratea Einmal im Jahre, zumeist gegen Ende des Winter-, pflegt die sächsische Staatöregierung ihrer repräsentativen Pflichten in ganz großem Nahmen zu genügen. So hatte Minister präsident Heldt siir den gestrigen Freitag Einladungen zu dem traditionellen Gesellschaftsabend ergehen lasse». Gegen 8 Uhr waren die schönen Räume der Dresdner Üaufmannschast dicht gefüllt von den Kreisen, die berufliche oder gesellschastlichc Bande mit dem Gastgeber verknüpften. Ministerpräsident Heidt empfing, unterstützt vom Chef der StaatSkanzlet. Ministerialdirektor Dr. Schulze, und Ministerialrat W i l i s ch, die Gäste im Borzimmer zum groben Saal. Man sah u. a. das gesamte Staat-Ministerium, die Nessvrtchess der Ministerien, Mitglieder des ReichSrateS, die sächsischen Gesandten in Berlin und München, die Spitze» der Reich-., Staat-- und städtischen Behörden, darunter die sächsischen Oberbürgermeister, das in Dresden ansässige Kon» fularkorps fast vollzählig, daS Reichswehrkommando, den LandeSkoinmaiidanten, den Landesbischos. das Landtag-Präsi dium mit zahlreichen Abgeordneten sowie die Führer des wirtschaftlichen und kulturellen Lebens Sachsens. Jngesamt waren etwa 250 Gäste geladen. Nachdem man an mit Frühlingsblumen geschmückten Tischen Platz genommen hatte, begrüßte MinisterprLsideut Heidt die Gäste nnd bezeicknetc als Zweck des Zusammenseins eine allgemeine Aussprache über die Probleme der Gegenwart und ein näheres Sichkeniienlernen. Die Zeit sei ja dazu an getan, das, wir bei allen Gelegenheiten auf die Fragen zurück- konnnen, die den Nerv unseres Volkslebens berühren. Be sonders sei es wünschenswert, daß sich im persönlichen Ge- dankenauStausch die Gegensätze abschleifen und auSgleichen^ Landtagövizepräsident Dr. Eckarbt brachte den Dank der Gäste zum Ausdruck. Er betonte die besonderen sächsische» Nöte, die auf eine mangelnd« Berück sichtigung der sächsischen Interessen beim Reich zurttckzusühren find und dankte dem Ministerpräsidenten dafür, datz er. soweit dies in Sachsen möglich ist. in den letzten Jahren eine ge schlossene Front geschaffen hat, mit deren Hilfe eine ruhige Entwicklung des Staatslebens möglich war. Besondere An erkennung gebühre dem Ministerpräsidenten dafür, datz er allzeit die sächsischen Interessen in Berlin mit Energie ver- treten habe. Auch das gesellige Beisammensein letzt solle dazu beitragen, diese Geschlossenheit der sächsischen Front zu stärken und vorhandene kleine Unstimmigkeiten zu über winden. Nach dem Abendessen vereinigte man sich in zwanglosen Gruppen, sowie es der Zufall oder der Wunsch fügte, noch einige Zeit zu regem und fruchtbringendem Gedankenaus tausch. Wenn das Glbeis aufbricht... Der Mensch hat sich in diesem strengen Winter die «aff, de» Himmel» im irdischen Pulverhlitz geliehen, und al» am Donner»tag über da» »lbei» dt, ersten «prengschüsfe donnerten, erstand da» Wort „EtSaufbruch" deutlich in allen Köpfen. Da» Wort birg» einen ttefen dramattfchen Ginn unabänderlichen Naturgeschehen» in st« und deute« auf den Kampf der Fesseln sprengenden Stchtkräfte de» Frühlings mit den Si»ketten. dir der Winter um Ströme und Bäche legte. Welch mächtigen Stimmungsgehalt gibt der EtSaufbruch dem Halbeschen Drama ..Der Strom". Und wie fesselnd und glänzend weist gerade einen EtSaufbruch in der Elbe kein geringerer al» Ott« ». vi»marck In einem Brief an seine Braut (Gattin) vom 23. Februar 1847 zu schildern. Er schreibt da: „ES war ein schöne» Schauspiel, wenn dt« «rosten Et», selber sich erst mit kanonenschustarttgem Krachen schwerfällig in Bewegung sehen, sich aneinander zersplittern, bäumen und übereinander schieben, sich haushoch austürmen, und mitunter Wälle quer durch die Elbe bilden, vor denen der Strom sich ausstaut, bis er sie «nt« Toben durchbricht. Jetzt sind sie alle im Kampfe zerbrochen, die Niesen, und da« Wasser ist gan, dicht bedeckt mit Schollen, deren grvstt« einige Luadratruten halten, und die e» so eilig und mit mürrischem Klingen. Klirren, wie gebrochene Ketten, der freien See zu. trägt. Dies wirb nun etwa noch drei Tage so anhalten, bis das EiS auö Böhmen durch ist, das schon seit einigen Tagen die Dresdner Brücke pafsiert . . ." Wirb nun dieses erhaben schöne und doch schaurige Natur- schauspirl, das der Altreichskanzler so meisterhaft schilderte, auch in diesem Jahre vor un» erstehen? Der Winter ist für- »vahr kalt, lang und streng genug geivesen. Ob der TiS- aufbruch aber st, dieser fast explosiven Gewalt vor sich gehen wird, darf man nach den Aussagen der Gtromleute bezweifeln. Bor allem darf nicht vergessen werden, dast eine Brücken, gefährd ung, die in fenen Zeiten unabänderlich dem EiS- aufbruch folgte, nicht wahrscheinlich ist. Der alte Bau der Augustusbrücke mit seinen vielen und engen Bögen, der hätte gefährdet iverben müssen, ist dem -weckmästigen Neubau längst gewichen, außerdem hat im ganzen sächsischen Elb- gebtet eine besondere Fürsorge für die Brücke« eingesetzt. Der Staat, die Städte nnd die Reichsbahn haben durch Sprengungen oder durch Freilegen vor und hinter den Brückenpfeilern eisfreie Flächen geschaffen und halte» auch Gerät zum Brückcnschutz. wie Stange,, und Lettern, bereit. Man glaubt aber nicht, datz der Schollengang die Pfeiler Irgendwie gefährden kann. Wie einer der ältesten Dresdner Gtrombau. leute versicherte, ist schon deshalb in diesem Jahre kein plötzlicher EtSaufbruch zu erwarten, al» die Elbe bet einem außerordentlich niedrigen Wasserstand von i,70 Meter unter Normalpegel zum Stehen kam und bereit» setzt schon zahlreiche osfene Stellen zu beobachten sind, die ihr Dasein keinem Sprengschust verdanken. Da» «i» ist sch,» setzt zerfressen, die warmen Abwässer der groben Fabriken, die der Schleusen haben für ein «»stauen gesorgt, da» be. sonder» bet Kötzschenbroda, an der Gohllser Windmühle, bet Kabttz und auch in vlasewttz ganz deutlich zu beobachten ist. Gewiß berichtet auch dieser Dasserbauveteran von einem Et», aufbruch, der sich, ganz ähnlich wie ihn Bi»marck schilderte, abspielte und den er im Jahre 1803 bet Strehla mit- erlebte. Auch damals kam e» zu kanonenschubarttgem Krachen, mit dem die Winterfessel dröhnend zerrist, aber auch seit dieser Zeit haben sich die Verhältnisse sa erheblich verändert. Da» Raturschausptel ist um so weniger zu erwarten, al» da» Tauwetter gleichmäßig und langsam ver- läuft, der Jnnrndruck aber, besonder», wenn sich da» ge. bildete Grundei» vom Boden hebt die noch vorhandene Eis decke um so besser anheben und Stück um Stück von ihr ab. bröckeln kann, al» in diese« Jahre überhaupt kein Kernel» die Elbe überzieht, sondern ein Gemisch von gefrorenem Schnee und kleinen und großen Blöcken zur festen Decke wurde. Schon setzt ist da» so entstandene Et», wie die Strom, leute eS nennen, »faul". Die einzigen Gesahrenpunkte könnten Eisstauungen sein. Aber die werden die Strom- baubehvrden durch Sprengwirkung kaum ent- stehen lassen. ES bliebe also bet der Erwartung eine» „nor. malen" Hochwasser», da» kaum die früheren Wasserstände er- heblich zu übersteigen droht. In den Akten sind al» höchste FrühsahrSwasserstände der letzte« Jahre folgende verzeichnet: am 28. März 1805 4.35 Meter über Nor. malpegclstand, am 17. Januar 1920 4,77 Meter und am 5. Fe- bruar 4,17 Meter. Diese Wasserstände brachten zwar für An- lieger manche ernsthafte Unannehmlichkeit durch Ueberslutung von Kellern, dürfen aber nicht als gesahrdroheud bezeichnet werben. Der Schollengang selbst, der eintreten wird, ist ein Schau- spiel, bas wir oft in Dresden beobachten konnten. Da aber durch die schon setzt entstandenen freien Wasserstellen und durch die Hilfe der Sprengmittel ein Abschwimmen der Schollen fast gewährleistet erscheint, wird auch diese Folgeerscheinung des Winters zwar großartiger als in manchem Jahr, aber sicher kaum mehr gefährlich, vorüber, gehen. Auch hier kommt der niedrige Wasserstand, bet dem die Elbe einsror. wieder zu Hilfe. Schon bet einem Pegclstand von 0 würde sa die jetzige Eisdecke fast 3 Meter hoch über- flutet sein und der Wasser, und GrundetSdruck die Eisdecke zu Tausenden von Schollen zersprengt haben. LanttagSanfrage wegen »er Sesüngnisarbett Eine vom Abg. Dr. Kästner (Dem.) eingebrachte An frage beschäftigt sich mit einem Erlab des Justizministeriums über die Gefängnisarbeit. Die darin dargelcgten Wege der Bedarfsdeckung werden als weit Uber daS Maß hinaus gehende Ausdehnung der Gcfängnisarbeit bezeichnet, die zu schweren Nachteilen für Handel, Industrie und Handwerk führen müsse. SnSrnn Mittler aus »ein Mernalionalen SMsttag Vom 18. bis 22. März wird In Sevilla der Internationale Städtetag seine Jahresversammlung abhalten. An der Tagung nehmen außer der Spitzensührung des Deutschen Städtetages Vertreter mehrerer deutscher Städte teil, unter anderem aus Dresden Oberbürgermeister Dr. Blüher und Stadtvervrdnetenvvrsteher Dölitzsch. — Ernennung. Nach dem „Soz. Sachscndienst" ist Land gerichtsdirektor Geyer, bisher Hilfsarbeiter im Justizmini sterium, zum Ministerialrat im gleichen Ministerium ernannt worden. Geyer ist Sozialdemokrat, gleich seinem Vater, der lange Jahre hindurch den Wahlkreis Leipzig-Land im Deut schen Reichstag vertrat. — Todesfall. Wie erst nach der Einäscherung bekannt gegeben wird, ist am 5. d. M. in Dresden-Blasewitz der Ge. Heime Justizrat Landgerichtsdtrektor Emil Theodor Mück. lich gestorben. Der Entschlafene war vom 1. Januar 1900 bis zum 1. Mai 1922 am Landgericht Dresden tätig. Seit diesem Zeitpunkte lebte er im Ruhestände. —Straßenbahnhaltestelle Habsburgerstrabe. Heute Sonn- abend wird versuchsweise die Haltestelle der Linie 1. die setzt auf der Weißeritzbrücke liegt, für beide Fahrtrichtungen in die Tharanbter Straße vor den GlciSabzweig nach der Brücke verlegt. Tie nach Cossmannsdorf fahrenden Wagen der Linie 22 halten hier ebenfalls. — Mittelstanbshilse. Der Albert-Zweig-Veretn, Frauen- verein vom Roten Kreuz, empfiehlt seine Wäschestube. Alle WäschcauSbesscrung, Anfertigung neuer Wäsche, sowie Stopfen und Stricken wird sorgfältig auSgeführt. Geschäftsstelle Schcsfelstraße 9. 1.. Dienstag« von 4 bi» 8 Uhr nachmittag». — Der kommunistische NcichSpartcitag findet vom 5. bis 10. Mai in Dresden im AuSstcllungopalast statt. — Der Bund der Ausländsdeutschen veranstaltet im Reichstag am Sonntag, dem 17. März, 8 Uhr. einen Parlamentarischen Abend. Die Begrüßungsansprache im Plenarsaal hält der Präsident be» Bunde», Gouverneur Dr H. Schnee. AlSdann sprechen NetchstagSpräsident Paul Lübe über Auslandsdeutschtum und JnlandSwtrtschaft, und NeichStagsabgeordneter Mollath über die Bedeutung des deutichen Kaufmanns im Ausland. Anschließend findet in der Wandelhalle ein Festkonzert statt, bet dem die Solisten der Berliner Staatsopcr und die 3. Preußische Nachrichten abteilung Potsdam Mitwirken. Auskunft und Karten durch die Geschäftsstelle der Ortsgruppe Dresden, Portikusstr. 12. p —* Aktionär, und Abonnentenvcrgniigeu im Zoo. Die neue Bewirtschaftung des Zoo-Konzerthause» hat die früher üblichen fröhlichen Tanzveranstaltungen für die Aktionäre und Abonnenten unseres beliebten Tierparkes wieder aus genommen. Es bewies sich bei einer am Donnerstag ab- gehaltcnen Tanzfestlichkeit wiederum, welchen freudeweckenden Einfluß der elfenbetnhelle, luftige Saal mit seinen schönen und zweckentsprechenden Nebenräumen aus die Stimmung der Teilnehmer auöübte. Das Plietzsch-Marko. Orchester gestaltete wie immer den fleißig geübten Gesell, schaftstanz zu einem künstlerischen Genuß, der noch durch sehr beifällig ansgenommene mustergültige und anregende Solo. tänze (Englischer Walzer. Tango und rasender Paso Doble) deö TurntermeisterpaarcS John gesteigert wurde. — 338-Jahr-Feier der Annenschule. Die Annenschule feiert ihr Jubiläum nicht — wie man nach einigen Zeitung», berichten in den letzten Tagen annehmen könnte — am 28. März 1929. Nur aus praktischen Gründen hat man im Jahre 1879 das 300jährige Bestehen der Schule am 28. Mär, zusammen mit der Abiturientenentlassung festlich begangen. Der 28. März ist nicht der Gründungstag, übrigen» auch eigentlich da» Jahr 1579 nicht das GründungSjahr der Annen- schule, die vielmehr schon im Jahre 1583 vom Rat rnter dem Namen BartholomäuSschule gegründet wurde und den Namen Annenschule seit der Erbauung der Lnnenkirche (geweiht 28. Juli 1578> führt. Als man 1779 da» 200jährige Bestehen der Schule feierte, war man sich noch bewußt, daß man um ein Jahr zu spät kam. Diese Verspätung hat sich auf die folgenden Jubiläen weiter vererbt. In diesem Jahre wird die Feier in den Tagen vom 21. bi» 23. September be gangen, weil der Herbst sich zur Durchsiisirnnq einer solchen Veranstaltung besser eignet al» die Zett der Prüfungen und Versetzungen. Hotel Vellevue Sonntags ^anr-^s« von 4— ^7 Ukr — Tätlich 5I»ciimit<,e«te« mit Konrert— dzittax- unck ^bencitakel im Terrarren»»»! ß Düeater-Louper» — Vornehme 1»keimu»ilr iAltlzvock, unck Sonnadenck Qernvllnekmtt»»!»«»»«! 8äle iür fertllchleeiten u. Konkerenren — Tel. 25281 Agnes Mievel Zum 38. Geburtstag der Dichterin am 9. März Don Börries, Frhr. von Münchhausen (GDS.) Agnes Miegels erste drei Gedichtsammlungen, 1901 bet Cotta, 1907 und 1920 bei Eugen DiedertchS, enthielten 158 Gedichte. Der Sammelbanü, den sie 1927 in Jena herauSgab, umschließt 79 Gedichte. Das bedeutet, daß die größte deutsche Versdichterin unserer Zeit genau die Hälfte alles dessen, was sie früher veröffentlichte, in diesem abschließenden Bande aus- gemerzt hat. Ich kenne kein gleich gewaltiges Zeichen künstlerischer Selbstkritik im Schrifttum als dies. Und ich will gleich sagen, daß mir eine Selbst-Amputation von solch wahrhast indianischem Stoizismus doch allzu nahe ans Herz geht, wobei der Chirurg an sein schönes Fachwort „allzu proximal", der Freund deutscher Dichtkunst an sein Herz, daS auch die heute verworfenen Dichtungen liebte, denken mag. — Darf ich mich, da ich mich mit diesem Satze nun seit 80 Jahren so oft wiederholt habe, heute noch einmal wieder holen: Agnes Mtegcl ist der größte lebende Ballade »dichter unseres Volkes, und wir andern alle müssen tief den Pallasch vor ihr neigen! Keiner von un» kann, was sie kann, — keiner! Sie beherrscht alle Register der mächtigen Orgel, alle Pfeifen der Königlichen Kunst klingen bet ihr gleich voll und stark, zart und weich. In der „Grtsildt S" da» geschicht liche Stimmungsbild, dessen Handlung weiter nichts ist. als daß die verstoßene GrisildiS auö dem Hause ihres Herzogs hinausgeht. Aber wie ist bas gemacht, daß in Beginn des kurzen Gedicktes der Herzog so lieblos ist und am Ende der große Hund so zärtlich: Und duckte sich, al» er die Herrin erkannt, Und leckte schmeichelnd die kalte Hand. Der Dogge Augen glommen grün Im Lichte, das durch die Fenster schien . . . In der Mitte de» Gedichte» aber, al» Antwort auf die Absage ihre» Geliebten, steht nicht ein einzige» arme» Wort, steht nicht» al» eine einzige stumme Gebärde: Um de» Bettes eichene Psoste schlang Ihre Rechte sich zitternd und todeSbang. Ihre Linke liebkoste die Lagerstatt Und strich die schimmernden Laken glatt. . . In der „Sancta Caectlia" eine heroische Legende: Die Heilige spielt in ihrer weißen Burg hoch aus den Schieferfelsen der Wolken eine Fuge. Wieder ist die Handlung von beinahe aszettscher Kargheit, aber um ihren gottschschmalen Leib wallt das königliche Gewand einer wahr haft unerhört herrlichen Schilderung, blitzen die Funken der Sprache wie Geschmeide auf, einer Sprache, vor der sich da» gequälte, geballte, verwickelte Deutsch gewisser Aestheten in den tiefsten Tartarus verkriechen muß. Und wo die Verse sich am Ende der Abschnitte rhythmisch auflösen, da müssen wohl auch dem Unmusikalischen die Ohren klingen, al» ob da nicht mehr Worte, als ob da die Noten der Heiligen Fuge stünden: Und ihre ewig junge Stimme singt. — In der „Agnes Bernauertn" eine geschichtliche Lyrik. Die Handlung ist hier ganz aus dem Gedicht hinan» verlegt, steht ganz jenseits in der Zukunft hinter der Ballade. Aber man braucht nicht» vom Herzog Bernhard von Bayern zu wissen, wie das Mädchen als Zauberin in der Donau er tränkt wurde. Die Ballade ist wundervoll in ihrer Schlaf trunkenheit und ihrer hellseherischen Andeutung, — sie steht unmittelbar neben einer geschichtlichen Lyrik Fontane-, dem „James Monmuth", mit dem zusammen sie den Parnaß dieser Gattung bildet. ParnassuS btcep», wahrhaft zwei klassische, von keinem je wieder erreichte Höhen! Im „Rembrandt" haben wir eine Idylle Ostabescher Art, aber durchglllht von Rembrandttschem Helldunkel. Der verwitwete und kinderlose Meister malt au» der Erinnerung ein Ktnberbtld und ist so versunken in sein Werk, daß er halb nach hinten gewendet den Namen der geliebten Frau. ach. de» geliebten Kinde» ruft. Und vom Flur, wo die Magd die Fliesen scheuert, gellt e» roh: „Du Narr, wa» schreist du wieder nach den Toten!" Und e» will dem greisen Genius ein Weinen ankommen. kindisch schiebt sich die Unterlippe vor... da kommt die göttliche, die unerhörte Malertröstung: Im Borberhause er- glimmen die Sabbatkerzen de» Trödler» Lewy Aschkene». und ihr Licht spiegelt aus Gracht und Kogge. Un- ber zitternde Greis, während ihm noch die Tränen au» den verschwollenen Trtnkeraugen tropfen, beginnt zu lächeln und atmet auf . . . und pfeift. Kaum je ist greifenden Künstler» Leid und Trost so gewaltig ausgesprochen wie hier — Verdammung in den fürchterlichsten Alltag, Erlösung in alle Seligkeiten künst lerischer Schau. Aber wo soll ich aufhören bet ber Wiedergabe bteser Balladen, von benen jede einzelne ein Meisterwerk ist! Ueber die „Mar vom Ritter Manuel" habe ich in meinen Meisterballaden ein lange» Kapitel geschrieben, ich könnte über jede andere ebensoviel sagen, um den Zeitgenossen klar, zumachen, was für Schätze hier ruhen! — SS ist «ine sehr merkwürdige und nachdenkliche Er scheinung, baß nenerdtng» alle Sonderbegabungen ber Ballade auf einmal als lyrische Dichter geradezu entdeckt werden. Die Ballade mit ihrem Sprachprunk und ihrer fabelhaften Vorlese- wtrksamkett übertönte jahrelang, solange sie die große Mode war, die leiseren lyrischen Flöten. Heute hat sich da» ge- wandelt, und wer ein wenig in die Schrtfttumsgeschtchtcn und die Zettungsurtelle htneinlauscht, der hört überall dasselbe: Aber überhört doch nicht die Lyrik! Agnes MiegelS Lyrik ist die eigengeartete aller Ballaben- dichter. Auch hier begegnen unS Seite für Seite die Bestand, teile der Ballade: Starke Bildhaftigkeit, prachtvolle Sprach«, mächtige Tiefe aller Register. Es fehlt fast ganz das Singende, ich möchte sagen ber Singsang, der etwa die Süßigkeit Heine» anSmacht oder da» Kennzeichen der Lieder von LönS ist. Da. bet haben die Lieder alle eine ganz starke eigene Melodik, nicht nur da. wo sie — ein häufiger Fall bei der Mtegel —. ei» Lied anführen: Die Kinder geh n im Reigen, Sie singen ihren alten Sang; „Wir traten avs die Kette. Und die Kette klang . . Tine» der in seiner Großartigkeit wohl ganz unerrclch- baren Gedichte ist die politische Phantasie „England". Man denke: Ein sozusagen unmöglicher Vorwurf, ein drei Seiten langes Krieg»- und Abrechnung», und Drohgebicht, eine Ver. körperung Englands, — („Weis-brüstigc Tochter Alfred», di« ihm die Keltin gebar") — ein Zwiegespräch zwischen ihr und der Dichterin, die hier völlig zur Seherin wirb. Man frage ein Dutzend echte Dichter, jeder wirb sagen: „DaS ist nicht zu machen, da» gibt kein Gedicht." Nun. ob es ein Gedicht ae- worben ist. weiß auch ich nicht, aber daß e» eine gewaltige dichterische Leistung ist, die allerdings wohl nur von den wenigsten völlig erkannt werden kann, — da» weiß ich aller dings. — Ich erwähnte die Miegei al» Seherin. ES ist da» eine der fabelhaftesten Gaben ber einzigen Frau, sie ist ganz bas, wa» da» lateinische Wort vatos ausdrückt: Dichterin, Priestertn, Seherin. Die Gabe de» Zweiten Gesichts spukt über alle Setten de» Buche» hin, und wir erleben mit Staunen, daß hier ein Mensch unter un» geht, der an Dinge glaubt wirklich: glaubt, die wir nur al» Bestandteile des Mytho» und der Sage im Gedicht gelten lassen. So liegt etwa» Unheimliche», ja Tragische» Uber ihrem Werk, und wir fühlen sie von un» getrennt durch eine gläserne wand, vor der Humor und Lctchtmut scheu zur Sette treten, hinter der die Dämonen ihr Sviel treibe». Wirkliche» zum Sinnbild. Unwirkliches zum gespenstischen Leben wirb. Agnes Miegel tritt dadurch ganz nah neben die ander« große Dichterin unseres Volkes, die Droste-Hlll-Hoff. Beide
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)