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Aber war daran etwas zu ändern? Es mußte ertragen werden. Wenn sie nur wenigstens mit dem Vater hatte sprechen können, wenn sie ihm nur selbst mit ein paar Worten hatte Mut zusprechen dürfen! Umsonst: Wie sie selbst, so litt auch er vielleicht am meisten dar unter, daß er sie nicht einmal sehen konnte. In diesen vielen einsamen Stunden, besonders in den schlaflosen Nächten hatten ihre Gedanken oftmals auch Peter Brandenftein gesucht. Was war ihm wohl geschehen? Viel leicht war er schon tot? Davon aber, welche Ereignisse den Krieg selbst einge- leitet hatten, drang nicht die kleinste Nachricht in diese Ge sund als Martha Gyönghövy einmal mitgeteilt wurde, daß ein Herr sie sprechen wolle, der dazu eine Erlaubnis erhalten habe, da war es ihr, als könnte das nicht denkbar sein. Wer sollte zu ihr kommen? Ein afrikanischer Jäger führte sie in ein leeres Zelt. Dort trat ihr dann Lord Frank Beresford gegenüber. Ihre Brauen zuckten; sie nickte grüßend, ohne zuerst eine Frage zu stellen. Sie hatte das Gefühl, als könnte von diesem Manne nichts Gutes kommen; sie konnte an nichts anderes glauben, als daß dieser Engländer allein auch der Verräter von Peter Brandenftein gewesen sein müsse. „Ihr Vater hat mich rufen lasten, gnädigste Gräfin. Ich komme soeben von ihm." Da war in Martha Gyönghövy die zärliche, angstvolle Besorgnis größer als der Widerwille gegen den Lord. „Wie geht es ihm?" „Nicht gut! Ich nehme an, daß Sie von mir die Wahr heit hören wollen. „Ja! Und wie haben Sie ihn gefunden?" „Ich war erschrocken und hätte ihn beinahe nicht wieder- crkannt." „Aber darf denn das geschehen? Der alte Mann kann doch gegen Frankreich nie in den Krieg ziehen." „Es sind das Bestimmungen der französischen Regierung, an denen ich auch nichts ändern kann. Ich war beim Gou verneur! Es wurde mir versichert, es könnte in keinem Falle eine Ausnahme gemacht werden." „Aber was soll denn mit meinem Vater.geschehen?" „Ich habe getan, was ich konnte." „Gibt es denn keine Möglichkeit, ihn aus diesen Grau samkeiten der Gefangenschaft zu retten?" „Eine würde es geben! Aber ich weiß, daß diese auch undurchführbar ist." „Welche?" „Wenn Sie selbst keine Ocsterreicherin mehr sein würden, wenn Sie selbst den Schutz des Rechtes hätten, dann könnten Sit auch die Freiheit Ihres Vaters fordern." „Ich verstehe nicht, wie das geschehen könnte." „Es könnte geschehen, wenn Sie beispielsweise durch eine rechtsgültige Ehe Engländerin oder eine Französin würden." Dan» schwieg Lord Beresford. Aber auch Martha Gyönghövy starrte vor sich hin, ohne etwas antworten z» können. Das also wäre der Weg, den Vater zu retten. „Sic werden nicht vergessen haben, wie ich schon einmal zu Ihnen gesprochen habe. Und ich würde das gleiche heute wiederholen, wenn Sie es wünschten. Darf ich Sie zur Lady Beresford machen? Damit stehen Sie und Ihr Vater unter englischem Schutze " „Das ist es! Deshalb sind Sie gekommen, um durch die Not zu erzwingen, was Sic sonst nie erreicht hätten!" „Sie dürfen mich nicht mißverstehen! Sie fragten mich. Und ich selbst hatte vorher schon gesagt, die Möglichkeit er scheine mir undurchführbar." „Ja! Sie ist undurchführbar!" Also das war sein Ziel gewesen; sie hatte ihn durch schaut und wandte ihm nun den Rücken zu. Lieber wollte sie selbst noch härtere Demütigungen ertragen! Aber als Lord Beresford dann das Lager der Gefangenen verlieb, da kniff er zuerst die Lippen zusammen; dann aber zischten zwischen den Zahnreihen die Worte durch: „So bleibt mir immer noch der letzte Weg! Und auf diesem wird mich dannlnichts mehr stören." X. Peter Freiherr von Ruisdaelcn hatte in seinem Leben, besonders dann, wenn er aus einer Fahrt in seiner stählernen Zigarre, in seinem Unterseeboote, begriffen war, oftmals an den Tod gedacht. Aber so hatte er sich ihn nie vor- geftcllt, daß er an eine Mauer gestellt werden sollte, dabei wohl noch mit gebundenen Händen, um dann wehrlos von Senegalnegern erschaffen zu werden, das hätte er sich nie träumen lassen. Ehrenvoll konnte er ein solche» Ende nicht finden. Und fein Vater! Der würde wohl immer noch warten, daß er ihm seinen Heinz zurückbringen werde. Aber trotzdem sollten ihn seine Feinde am nächsten Tage aufrecht zum Sterben gehen sehen, sie sollten sehen, wie ein Deutscher zu sterben weiß. Schlafen konnte er allerdings doch nicht in dieser Nacht. Es war doch ein eigenes Gefühl, die Zahl der Stunden zu wiffen, mit deren Ablauf das Leben zu Ende sein würde. Und er selbst würde von niemandem mehr Abschied nehmen können, keine Hand mehr würde die seine drücken, niemand in der letzten Stunde an ihn denken. Und Martha Gyönghövy? Diese glaubte ihn wohl schon in Deutschland! Tiefe Dunkelheit erfüllte seinen Zellenrauw, so daß sich nur von oben das Fenster etwas Heller abzeichncte. Da horchte Peter von Ruisdaelen erstaunt auf. Es war doch das Morgengrauen noch nicht zu sehen! Seine Stunde konnte nicht letzt schon gekommen sein! Aber er hörte doch das Klirren der Schlüffel, die feine Zellentür öffneten, aber nicht das laute Klirren wie sonst, sondern leiser, als sollte die Nacht von keinem Lärm gestört werden. Die Tür schob sich auf; aber durch den Spalt drängte sich kein Lichtschein herein. Warum? Es war, als sollten Märchen beginnen, in denen unsichtbare Geister die Gesängnistüren unschuldig Verurteilter öffnen. Peter von Ruisdaelcn starrte zur Tür hin. Sollte er im Dunkel der Nacht zu seinem Richtplatze geschleppt werden? „Peter!" Peter von Ruisdaelen hob den Kops; er war doch nicht cingeschlafen und träumte auch nicht. „Peter!" Ihn selbst rief jemand! Flüsternd war der Ruf, damit er nirgends gehört werden könnte. Und Peter von Ruis daelen glaubte nun auch noch die schattengleichen Umriffe eines Mannes zu erkennen, der seinen Namen rief. Die Stimme! „Ich bin es, Heinz, Dein Bruder Heinz " Peter von Ruisdaelen antwortete nicht; er starrte nur in die Finsternis, in der sich der Schatten abzeichnete. Ein Traum — ein Märchen — er mußte doch wohl träumen. — Seine Gedanken konnten die Möglichkeit nicht fassen. Aber die Stimme: „Wir retten Dich — und gehen mit Dir, Peter." Das war kein Traum mehr. „Heinz!" Und so schwer traf dieses Glück Peter von Ruisdaelen, daß seine Knie zitterten, daß er beim Aufstehen wie ein Betrunkener taumelte. „Heinz!" Und die beiden Brüder lagen sich in den Armen. Peter von Ruisdaelen aber fühlte, wie ihm heiße Tränen über die Wangen rannten. Und er schämte sich dieser Tränen nicht. „Wir muffen fort, Peter! Fühlst Dn Dich stark genug?" „Ja! Mit Dir werde ich über alle Hindernisse kommen." „Geh' dicht hinter mir! Halte nur meine Hand fest!" Und Peter von Ruisdaelen hielt die Hand des Bruders umklammert, eine harte, rauhe Hand, aber doch Wirklichkeit! Er war nach Algier gezogen, um dort den Bruder retten zu wollen; und nun rettete der Bruder ihn. Leise waren sie durch einen langen Korridor gekommen. Unterdessen hatten sich Peter von Ruisdaelens Augen besser an die Dunkelheit gewöhnt, und da glaubte er an der nächsten Biegung die Gestalt eines Postens zu erkennen. Aber schon rief Heinz diefem Posten fragend zu: „Bernard?" „Kommst Du schon, Lambroise?" „Ja!" „Kam. er mit?" „Ja!" „Dann ist cs gut. Den Wärter zwingt ein Knebel zum Schweigen. Die Wache ist soeben abgclöst worden. Die Losung heißt Mac Mahon. Wenn wir gestört werden, über laßt mir alles." Gut!" Und nun schlichen die drei weiter; dabei war kaum das Knacken der Kniegelenke zu hören. Dann sperrte der Voranschreitende eine Tür; dabei er klärte er leise; „Es ist gut, daß ich alle Schlüffel abgenommen habe; natürlich müssen wir von außen wieder versperren, damit die offene Tür nicht zu früh die Flucht verrät." Und als sie dann über einen Hofranm kamen, vielleicht gerade über den Hofranm, der beim Morgengrauen seinen Tod hätte sehen sollen, da spürte Peter von Ruisdaelen doch ein verstärktes Herzklopfen. Aber seine beiden Führer kannten hier jeden Fußbreit; einmal mußten sie sich in einen Mauerwinkel drücken. Bernard hatte dabei den Griff eines Messers umklammert. Und kaum drei Schritte von ihnen entfernt hörten sic die gleichmäßigen Schritte des vorbeipatrouillierenden Wacht postens. Dann waren sie an das letzte Tor gekommen, für das aber der Dritte, den Peters Bruder immer Bernard genannt hatte, ebenfalls den richtigen Schlüffel besaß. Dann waren sie frei! Aber doch noch nicht ganz! Jetzt galt es erst, noch eine andere schwierige Aufgabe zu erfüllen, sich von Algier nach neutralem Boden zu retten. Mit raschen Schritten strebten die drei vorwärts, um außerhalb des Bereichs der Stadt zu kommen. Dabei wurden nur flüsternd Gespräche geführt. „Ich werde mich so rasch nicht jdaran gewöhnen können, Dir einen anderen Namen zu geben, Lambroise! Elf Jahre nenne ich Dich schon so." „Das ist auch nicht nötig. Du rechnest doch bestimmt damit, daß wir ein Boot vorfinden?" „Natürlich! Ich mache keine halbe Arbeit. Es ist nur schade, daß wir beide nicht viel davon verstehen werden; aber in der Nähe wäre auch ein Motorboot. Wir müßten nur in einen Schuppen einbrechen." Peter von Ruisdaelen hatte jedes Wort verstanden. Nun konnte er auch eine gute Antwort geben: „Ich kann jedes Motorboot führen, wenn nur im Boot der erforderliche Benzin- und Oelvorrat liegt." „Davon bin ich überzeugt. Mit dem Motorboote könnten wir bis zum Tagesgrauen längst außerhalb des Bereiches von Algier fein." Und Bernard führte sic zu dem Schuppen, der einem Sportverein gehörte; es fand sich dabei auch wirklich ein Motorboot vor. Die drei aber,'die um ihr Leben spielten, hatten keine Bedenken, das Boot zu nehmen, das rasch nach dem Waffer hinausgezogen wurde. Nun konnte erst Peter von Ruisdaelen beweisen, daß auch er scine Kraft stellte; mit raschen Blicken und schnellen Handgriffen hatte er sich von der Art de» Motors und von dessen Leistungsfähigkeit überzeugt. „Das ist ja ein Rennboot der Bajardwerke. Benzin ist aufgcfüllt und der Oelvorrat wird auch reichen. Ich habe in Kiel nicht vergebens einige Motorfahrten gewonnen." Der Motor arbeitete. Und bald flog das kleine Fahrzeug mit den dreien in das dunkle, schwärzliche Meer hinaus. Die Augen spähten in die Finsternis, um jede uner wünschte Begegnung zu vermeiden. Im Osten, wo noch die flachen Dünen des Nordrandcs Afrikas mit dem Meeresrande verschmolzen, war das Morgen grauen zu sehen, ein hellerer, fahler Lichtschein. Weit zurück aber, von dorther, von wo sie gekommen waren, dröhnte der Widerhall von sieben Kanonenschüssen, das Signal von der Flucht eines Gefangenen. Dabei lief der Motor bei der höchsten Tourenzahl mit der Richtung auf Sizilien zu. Das Waffer bäumte sich in weißer, brandender Gischt auf. Und wenn der Führer ferne Rauchschlotc oder einen Schiffsrumpf auftauchcn sah, dann führte er das Boot in weitem Bogen herum, sodaß es bei seiner Zierlichkeit nicht zu erspähen war. Italiens Küste mußte de» dreien zur Freiheit werden. In dem Lehnstuhle saß ein alter Mann mit schneeig- weißem Haar; das hagere Gesicht war wie von tausend Furchen zerrissen. „Hart mag es erscheinen. Und doch ist cs mein frohester Tag. Ich habe Euch gefunden und gebe Euch auch wieder her, denn das ist das Beste, was heute einer dem Vater- landc geben kann, Kinder, die auch ihr Blut opfern." Der alte Freiherr von Ruisdaelen war cs. Seine beiden Söhne waren gekommen, nachdem er auch den letzten fast schon verloren geglaubt hatte. Acht Tage hatte er sie nur besessen, die glücklich an der italienischen Küste mit ihrem Motorboote gelandet waren, wo sie dann von der nächsten Stadt aus mit Unterstützung durch den deutschen Konsul nach Deutschland halten zurück kehren können. Acht Tage nur! Und nun stand Peter von Ruisdaelen i» der schmucken Uniform des Kapitänleutnants vor seinem Vater, während Heinz von Ruisdaelcn die feldgraue Uniform des Kriegs freiwilligen trug; er, der einmal Offizier gewesen war, zog nun als gemeiner Soldat ins Feld. Das Gesicht des Alten zeigte keine Träne. Nur die Schwester der beiden Brüder mußte sich abwenden, um die Tränen nicht zu verraten. Jetzt wandte sich der alte Freiherr von Ruisdaelen an Peter: „Du wirst den grimmigsten Feind treffen müssen, Eng land. Dieser Gegner ist nicht wie ein anderer, denn er hat keine Ehrlichkeit und kämpft mit Mitteln, die einen andern erschrecke» würden. England kauft sich Menschen —" „Vater, ich kenne sie!" Und Peter von Ruisdaelcn dachte au Lord Beresford. „Dann triff sie gut! Weißt Du auch, wo das Herz des Engländers am verwundbarsten ist?" „Ja! Am Geldsack! Und wir wiffen, wie man sie da treffen muß." „Du wirst sie treffen. Und Heinz! Am schwersten ist es mir. Dich schon wieder fortzulaffen. Aber Du mußt!" „Vater, ich habe doppelt viel zu geben, jene elf Jahre, in denen ich dem Vateriande hätte nützlich sein können." „Du gibst es, weil Du zuriickgckommen bist. Meinen Segen, Kinder, den gebe ich Euch mit!" Und »nn knieten Peter und Heinz vor den, Stuhle des Vaters. Der alte Freiherr aber schaute zur Tür hin, wo noch ein anderer stand, der gleichfalls die feldgraue Soldaten uniform trug. Das aber war Bernhard, der einstige Bernard, der mit Heinz von Ruisdaelcn der gleichen Kompagnie ein gereiht worden war, wo sie wieder zusammen kämpfen konnten, wie in vielen Jahren schon. „Komm auch Du, da Du ja keine Eltern mehr hast, keine Geschwister mehr. Da ich den einen Sohn Wiedersand, nehme ich auch noch einen neuen dazu. Du sollst auch meinen Segen haben!" - Da sank Bernhard auf die Knie; und dieser einstige Legionär, der schon die härtesten Tage miterlebt hatte, weinte bei diesen Worten, die ihm mit der Zärtlichkeit galten, als redete ihm die Stimme des Vaters zu, wie ein Kind. „Für Kaiser und Reich! Wer von Euch wiederkommt, weiß, daß hier die Heimat ist, und wen ich nicht mehr sehen soll, der lebt als Held für länger weiter als ein Menschen- dasein. Vergeht nicht, daß Deutschland in Not ist." Niemals!" Und von drei Stimmen erklang eS wie ein Schwur. XI. Hatte sie nicht doch unrecht getan, daß sie den Lord abermals abgewiesen hatte? Wie oft hatte sich Martha Gyönghöyy in diesen Tagen diese Frage gestellt, seit Lord Frank Beresford bei ihr ge wesen war. Sie war eine Gefangene geblieben und die Verhältnisse in dem Gefangenenlager waren nicht besser geworden. Durch die Aufregungen und Entbehrungen waren einige Frauen und Kinder erkrankt. Aber es wurde kein Arzt geschickt. Wenn aber die Frauen bereits eine derartige Rücksichtslosig keit fühlen mußten, dann waren die Zustände bei den Männern wohl noch schlimmer. Martha hatte von ihrem Vater keine Mitteilungen er langen können; cs war ihr gesagt worden, daß die Gefangenen nur in jedem Monat einmal eine Nachricht ausgeben dürsten. So konnte ihr Vater unterdessen erkrank sein, ohne daß sie etwas ahnte; er würde sterben können, ohne daß sie ihn nochmals sehen durste. Hätte sie also die Forderung des Lords Beresford nicht doch prüfen sollen? Bisher hatte ihr Vater noch jeden ihrer Wünsche erfüllt. Immer war er es gewesen, der ihr gegeben hatte. Da sie aier dem Vater die gewiß ersehnte Freiheit hätte geben