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Dormer»ras, 11. Februar 19SS London und die Genfer Wne Frankreichs. Englische Besorgnisse vor einer lateinisch-westslawischen Mehrheit. Seine Anlworl Siresemanns an Mussolini geplant. — 20L0000 Erwerbslose! — Das Aolslandsbauprogramm -er Reichsbahn. Problematische Einslimmigkeil — hoffnungs lose Minöerheilen. London. 11. Febr. Im „Daily Telegraph" heißt eS: Britische KabiiiettSmitgliedcr, diplomatische, juristische und VSlkerbundSsachvcrständtgc hielten täglich Beratungen in Zu sammenhang mit der ernsten Streitfrage und den Forderungen ab, denen sich England infolge des deutschen Ausnahmegesuches und dessen Rückwirkung auf verschiedene alliierte Hauptstädte gegenübersehe. Die unter Führung Frankreichs eingeleitete Bewegung zur Erteilung ständiger Sitze im Rate an Spanien, Polen und vielleicht auch Brasilien, und zur Vermehrung der Gesamtzahl der Sitze im Rate von zehn auf fünfzehn oder noch mehr würde zwar dieser Körperschaft von vornherein eine überwältigende antideutsche Mehrheit geben, aber die wirklichen Folgen würden, wenn diese Absicht erreicht werde, weit über eine Neutralisierung des deutschen Einflußes hinausgehen. I« England erkenne man die Gefahr, daß seine Stellung im Völkerbundsrat durch eine derartige Veränderung geschwächt und die Bedeutung der Genfer Institution eine ganz ander« Gestalt erhalten werde. DaS Ergebnis könnte eine ständige Mehrheit für die französische Politik sein, bestehend au- Länder«, die mit Frankreich besondere militärische Bereinbarnnge« habe« lBalg^ä», P«ia»-««d die Tlchecho-Slowakeij, ferner an» lateinische» Staaten, die kulturelle und gefühlsmäßige Be« ziehnngen zu Frankreich haben sBrasilien und Spaniens, und aus Ländern, die im BölkerbnndSrat durch ihre in Frankreich beglaubigten Gesandten vertreten seien, die fast unabänderlich die wichtigsten europäischen Probleme dnrch die französische Brille sähen. Ein solcher Zustand würde in Anbetracht der Bevölke rung, der Hilfsguellen und der Zivilisation des englischen Weltreiches, sowie des Umfanges, in dem dieses Weltreich in eistiger und materieller Beziehung zur Erhaltung dcS Völker- undes beiträgt, einfach unerträglich sein. Man könne fragen, ob eine solche Mehrheit im Rate Be deutung habe, da alle wichtigen Entscheidungen einstimmig er folgen müßten, doch laute die Antwort: >. ES ist sür ein oder zwei Länder vraktisch sehr schwer, auf die Dauer sich den übrigen Ländern entgegenzustellen. 2. Fragen des Verfahrens werden durch Mehrheitsbeschluß entschieden und haben oft mehr als nur augenblickliche Wirkung. 8. Die Erweiterung des VölkcrbundSrateS in dem an gestrebten Sinne würde es möglich machen, das Einstimmig keitserfordernis abzuänbern und in gewissen Fällen Mehr heitsbeschlüsse von größter Wichtigkeit saßen zu laßen. Der Berichterstatter sagt, es sei nicht schwer, zu sehen, wie eine lateinisch-westslawische Koalition, ganz abgesehen von Deutschland, auch Großbritannien, Schwede» und viel leicht «och Belgien oder Japan in eine Ar« ständige «nd hoff nungslose Minderheit versetzen könne. tW. T. B.s Der guke Einbruck -er -eukscheu Aole in Genf. Köln. 11. Febr. Die .kölnische Zeitung meldet aus Genf: Ter Antrag Deutschlands auf Eintritt in den Völker bund sei in den Kreisen de« Bölkerbunbssekretariats viel be sprochen worden. Man habe vor allem die klua berechnete Knappheit des Textes hervorgcboben. dabei aber auch zu ver stehen gegeben, daß die Note infolgedessen „nickt gerade einen verbindlichen Ton"' anschlag«. Biel bemerkt worden sei. daß das Wort Aufnahmegesuch vermieden und dafür die Wen- düngen „beantragt" und „Antrag" gebrauckt worden seien. Durckwea sei die große Geschicklichkeit hervoraeboben worden, mit der die Retchsregterung darauf verzichtet, unmittelbar peinliche Vorbedingungen und Vorbehalte zur Sprache zu brtnaen. und dabei doch gleichzeitig die Form gefunden habe, der deutschen Auffassung in den Einzelfrageu ausreichend AuS-ruck zu verleiben. lT.-U.i Amerika un- -er internationale Gerichtshof. Paris, 0. Febr. Der „New Port Herald" veröffentlich« ein Telegramm aus Washington, wonach ein Washingtoner Jurist au den Obersten Gerichtshof der Bereinigten Staaten ein« Eingabe richtet«. Sie verhängt-«»« m»g« di« vom Staats sekretär Kellogg unternommenen Schritte zwecks Beitritts der Bereinigten Staaten znm Internationalen Gerichtshof im Haag nicht wetterführen, denn das Protokoll, durch das der Internationale Gerichtshof geschaffen wurde, stelle diesen höher als den amerikanischen Obersten Gerichtshof. Die souveränen Befugnisse der Regierung der Vereinigten Staaten würden in Verletzung der amerikanischen Berfaßung dem Internationalen SchicbsgerichtShof tm Haag übertragen. « Brüssel, 11. Febr. Dt« belgisch« Kammer hat gestern das Schulde nabkommen mit den Vereinigten Staaten mit ltb gegen 0 Stimm«» bot 18 Stimmenthaltung«« ratifiziert. Driand, Danderoelde und »te Besatzungsflürke. Keine Verminderung! Paris, 11. Febr. Zu der gestrigen Unterredung Briands mit Vander velde schreibt „Matin": Die beiden Staatsmänner seien der Ansicht gewesen, daß die Ein- trittöforinalitäten in den Völkerbund sür Deutschland so rasch wie möglich erledigt werden müßten. ES sei kein Grund sür eine Polemik über die Zahl der i» der zweite» und dritten Zone untergcbrachte» alliierte« Truppen vorhanden. Das Notwendige werde geschehen, damit die rheinische Bevölkerung nicht zu leiden habe. Bandervelde erklärte einem Ver treter des „Journal", zwischen Frankreich und Belgien gäbe es keine ernsten Meinungsverschiedenheiten. Ueber die zoll- politischen Schwierigkeiten sei man in einen Meinungs austausch getreten, der durch betderseitioe Sachverständige fort gesetzt werde. (W. T. B.s Slidllrol als Problem sür den Völkerbund. «Bon unserem Genfer Vertreter.i Gens, den 6. Februar. Zum erstenmal seit Bestehen des Völkerbundes bat tn Genf eine Angelegenheit die Gemüter erregt, die zum „sicheren und festen Bestand der Friedensverträge" gehört, also zu lenem Fragenkomplex, der vor dem Inkrafttreten des Völkerbundes „erledigt" worden war. ohne daß dem letzteren Iraendwelche Neckte — ausgenommen ein mehr als pro blematisches Schutzmandat — und irgendwelche sonstige wesent liche Einflußnahme zugebilligt worden waren. Le Saut Adige iOberctsch Südtirols ist über Nach« zu eine« Scklaawort auch in Gens geworden, wo man sich bisher um Minderbeiten nur io weit kümmerte, als sie im Bölkerbundsra« bei« Namen genannt worden waren. — Das weitaus wichttaste und in seinem Außcnteil beinahe völkerbunds-ofsiziöse .Journal de Genaue", dos vor kurzem gefunden, daß die elsä Nische Angelegenheit eine ausiehenerregendc Sacke sei- ver öffentlicht einen große» Artikel seines Direktors, in welchem mit allen Farben aui den europäischen Skandal in Südtirol htngewiesen wird, und der i« den nicht weniger deutlichen Satz auSmünbet: „Es ist klar, daß. wen» die deutsch« Reaieruna. ans Druck der deutschen öffentlichen Meinnna. die Frage Dentsch-Südtirols im Völkerbund auswirst, daraus nicht «ur eiu schwerer deutsch-italienischer Konflikt resultiere» wird, sondern ebensosehr eine Krise für den Völkerbund." Ueber diese Perspektive hinaus hat das .Journal de Genaue" aus eine ganze Reihe wesentlicher Punkte hin gewiesen und gewiße Dinge andeutungsweise in vortrefflicher Art heransgeschält, so daß uns scheint, dieser Stimme komme, am Vorabend des deutschen Eintrittes in den Völkerbund, eine etwas speziellere Bedeutung bei und sie sollte um so weniger unterschlagen werden, als einem deutschen Problem noch niemals dieses Maß von Gerechtigkeit von Genf aus ge worden ist. „ES gibt schwerere Dinge in Südtirol als die jenigen. von welchen Mnßolini gesprochen hat oder welche er gemeint" beginnt das erwähnte Blatt, und füllt da«« eine ganze Spalte mit allen den uuglanblichen Tatsachen. Schilde rungen der Verhältnisse, Maßnahmen der Unterdrückung, denen Güdtirol ausgesctzt sei, wo man keine andere als die deutsche Sprache verstehe «nd spreche. „Unsere Informationen bernhen auf amtlichen Dokumenten und italienische« Zeugen- schasten" sagt das „Journal de Genäve" und fährt fort: „Es gibt keine Entschuldigung für Italien, 206 VM Deutsche ent- nationaltsieren zu wollen, welche nur durch den Zufall des Krieges in den italienischen Staat geworfen worden sind. Italien bat in Südtirol keine anderen als stratcaischc Inter- cßcn salso keine völkischen oder kultnrellens. Hätte Italien gegenüber den Deutschen eine Verständigungspolitik betrieben, so würde beute niemand mehr die Brcnnergrenze in Frage stellen. Wenn aber die italienische Politik darauf ausgeht, neue Kriegsgefahren zu schassen und sie zu entwickeln, dann hat ganz Europa das Recht, sich dem entgegenzustellen. Mussolini sagte, daß Südttrol niemand etwas angehe als Italien. Dieses Problem geht die ganze Welt an, weil cS ei» Problem dcS Friedens ist. Nenn Italien von speziellen Verpflichtungen entbunden worden ist, io aesckab dies nur darum, weil die italienische« Staatsmänner höchste und ganz bestimmte moralische Bin dungen eingegangen sind. Tittoni hat im Senat deklariert, daß Sprache und Knltur der von Italien annektierten fremden Völkerteile respektiert werden müßten, und dieses Versprechen ist verschiedentlich erneuert worden: es ist sogar international aeworden durch ein feierliches Dokument der Alliierten. Nur unter dieser Bedingung bat Italien Süd tirol erhalten, sind die Alliierten vom Prinzip der Bölkcr- selbsibestimmnng abaewichen. Sie haben geglaubt, dem italienischen Versprechen trauen zu dürfen. Italien verfolgt in Südtirol eine Politik der Jtalianisiernng: das ist genau das. was Jt"Nen feierlich verlvrachen bat. nickt tun z» wollen. Der Völkerbund kann hier nicht eingretscn, auch nicht ans Grund seiner Eigenschaft als Sclsiiher der Minoritäten: kein internationales Abkommen erlaubt ihm. von sich ans etnms zu unicrnehmen zun, Schutze Südtirols Es wäre aber ein irrtümlicher Glaube zu l>crineinen, daß die Vülkerbund- staaien über keine Mittel verfügten, diese Angelegenheit zu verfolgen Artikel N liefert diese Mittel, nnd Deutschland hak bereits zu vermerken gegeben, daß es sich dieses Artikels bedienen werde. Für den Völkerbund wird dies einmal eine bedenkliche Angelegenheit sein nnd hoffentlich bleibt ihm diele -chwcre Prüfung erspart. Wenn aber Mussolini glaubt, keine Trikolore sogar noch über den Brenner hinan« zn tragen, dann wird der Völkerbund die Probe zu Überftehen wissen." „La Revue" stellt fest, ebenfalls eine ordentliche Selten heit, daß die FriedenSoerträge fast überall di« Nationali täten- »nd Spracbengrenzen überschritten hätten »nd umretßt daS für Deutschland so düstere Bild wirkungsvoll: Südiirol, Danzig, der dcuifchc Teil d«r Tschecho-Slowaket. Polen. Die Summe der solcherweise znftandegckommcnen Unzufrieden- hotten wird einmal sehr schwer wiegen auf »rr Wage des euro- putschen Schicksal«. Das NolstanSsbauprogramm -er Reichsbahn. 200 Millionen sür -en De-ars von 1S2K/27. Baldige Elektrifizierung der Berliner Stadtbahn? Berlin, 11. Februar. Bekanntlich ist von dem neuen Reichs- wirtschastSminister die Anregung ausgegangen, der dauernd zunehmenden Erwerbslosigkeit dadurch zu steuern, daß man von RcichSwegcn die Jwdustrie mit größeren Aufträgen versieht. In diesem Zusammenhang lag es nahe, den in den nächsten Jahren sich unbedingt als notwendig erweisenden Bedarf der Reichsbahn schon jetzt in Auftrag zu geben. Für das Geschäftsjahr 1680 kämen Aufträge in Höhe von 80 vis 60 Millionen in Frage. Man sah aber im Lause der Ver- Handlungen bald ein. daß mit dieser geringen Summe der Industrie nicht geholfen sei. und man zoa auch den Bedarf für das Jahr lv27 bereits in die Erörterungen hinein, wo- »urch sich die Summe aus etwa 2 06 Millionen erhöhte. Für die Reichsbahn ergeben sich aus dieser vorzeitigen In angriffnahme des Bauprogramms Vorteile nach mehreren Richtungen hin. Einmal können die Aufträge jetzt z» außer ordentlich günstigen Bedingungen gegeben werden, während man später damit rechnen müßte, daß diese Aufträge ein Anziehen der Preise bewirken würden. Dann aber auch steht die Reichsbahn mit Schrecken einen Mückaagg tn ihren Einnahmen iyfolge des allgemeinen wirtschaftlichen Daniedrr- ltegenS, und sie kann bei Belebung der Industrie auch wieder Mit erhöhten Transporteinnahmen rechnen. Die Aufträge tn der Höbe von 20» Millionen solle» sich wie folgt verteilen: für Oberban 88 Millionen, sür Brückenbau 88 Millionen. Si-nalba« 8 Millionen. Fahrzeuge nnd Loko motive« 10 Millionen. Federn. Zug-. Stoß-Vorrichtungen 88 Million"«. Bauten 10 Millionen. Darüber hinaus zieht man neuerdings auch in Erwägung, die Elektrifizierung der Berliner Stadtbahn beschleunigt in Angriff zu nehmen. Der Geldbedarf hierfür wird etwa IKOMillionen betragen, der sich auf zwei Jahre verteilt. Die Investierung dieser Snmmen würde neben einem Wehradsatz von 8 Millionen Tonnen Sohl- «nd 8V0 NNO Tonnen Wse«. der »eiterverardeiteude» Eis««,. Meta»,. Holjp. Sle«. trizitätSinduftrie eine« kräftige» Unstried gebe». Do man über die Notwendigkeit, energische Schritte zu tun, allerseits einig ist, ist es um so bedauerlicher, daß sich die Verhandlungen wochenlang hinziehen. Unter der Berücksichtigung, daß täglich große Summen für die Erwerbslosenfürsorge und diese wieder größtenteils unproduktiv verwandt werben müssen, sollte man die Verhandlungen nicht durch kleine Divergenzen sich verzögern lasse«. Sie liegen anschetnend in erster Linie in den Bedingungen, zu denen das Reich eine entsprechende Summe Vorzugsaktien der Reichsbahn übernehmen will: während die Reichsbahn sie nur zu pari abgeben will, scheint das Reich nickt mehr als 68 Prozent dafür anlcgen zu wollen. Wenn man nicht bald zu einem Ergebnis kommt, dürften die geringen Ansätze einer Besserung, die vor allem in einer Belcbuna der Börse in den letzten Wochen zum Ausdruck ge kommen sind, wieder verlorengehr n. Ueber zwei Millionen Erwerbslose. «Durch Funkspruch.i Berlin, 1t. Febr. Z» Ende Jannar erreicht die Er- werüsloscnzifscr regelmäßig den höchsten Stand. Bel der Zu nahme der untcrstützlen Erwerbslosen in der zweiten Januar- hälste d. I. von 1 767 006 auf 8 0»0000 istz« berttcksichtiaen. daß in diesem Zeitraum die Bestimmungen über die Ein- bcziehnng der höher bezahlte» Angestellte« in die Unter stützung sowie die Verlängerung der Nntersttitznngsdauer für zahlreiche sachliche nnd örtliche Gebiete wirksam geworden ist. Im einzelnen hat die Zahl der männlichen Hauptunter- stützungSempsänger sich von 1 888 000 ans 1 77» 000, die der weib lichen von 818 000 anl 887 000 erhöbt, die Zahl der «vterhaltS- berechtigte« Angehörigen der HanotnnterftützungS- empsänger von 8 0»0 000 aus 8 8 8 8 008 tW T. B.s Berlin, 11. Febr. Heute mittag sind Im Auswärtigen Amt die NatistkationSurknnden über die am 12. Oktober 1628 in MoSka» beschlossenen dcutsck-rnMschen RechtS« nnd Wirtschaftsverträge ausgetauscht worben. Die Verträge treten a« LS. Mär, IMS in Kraft, t». T. «.)