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Redaktioneller Teil. X° 85, 30. April 1919. auch nach Ansicht des Buchhandels für den Verleger das Einzelstück seines Verlages keine» Wert habe. Da uun die Aufnahme der Bestimmung über die pflichtmäßige Lieferung laut Begründung davon abhängig gemacht werden soll, daß das Reich und der sächsische Staat sich an der Deutschen Bücherei ent sprechend beteiligen, so drängt sich natürlich die Frage auf: was wird eigentlich aus der Deutschen Bücherei, wenn diese Voraussetzung nicht erfüllt wird? Berlin, 24. April 1910. Wir stellen zunächst fest, daß nach unserem Briefeingaugsbuch die Einsendung des Herrn Felder am 2 0. März bei der Redaktion eiu- gcgangen und von ihr am gleichen Tage au den Vorstand des Borsen- vercins weitergeleitct worden ist. Wir hielten uns für verpflichtet, diesem von der Einsendung Kenntnis zn geben, da nach § 17 der Be stimmungen über die Verwaltung des Börsenblattes nicht nur Einzel personen, sondern auch anerkannten Vereinen das Recht zusteht, sich zu Angriffen vor Abdruck zu äußern. Was diesen recht ist, muß dem Börscnverein billig sein, zumal da zur Zeit des Eingangs der Einsen dung des Herrn Felber die Begründung der Satzungsänderung noch nicht vorlag. Wenn dem Herrn Einsender die Deutsche Bücherei als das über flüssigste Unternehmen der Welt erscheint, so können wir uns die^e An schauung nur damit erklären, daß er sich noch nicht eingehend mit ihrem Wesen und ihren Aufgaben beschäftigt hat. Wir stehen im Gegensatz zu ihm auf dem Standpunkt, daß die Deutsche Bücherei geschaffen wer den müßte, wenn sie noch nicht da wäre, und zwar aus dem einfachen Grunde, weil wir auf die Dauer mit den bisherigen Mitteln zur Orientierung über den Büchermarkt, soweit Bibliographie und Sta tistik sie zu geben vermögen, nicht auskommcn, am wenigsten jetzt, wo die Zukunft den deutschen Buchhandel vor ganz neue Aufgaben stellen wird. Wir scheiden also bewußt alles aus, was von etwaigen Geg nern der Deutschen Bücherei als bloße propagandistische Redensarten angesehen werden könnte, wie ihre Bezeichnungen als »Schatzkammer des deutschen Geistes«, »Arsenal der Wissenschaft«, »neue deutsche vniverLitas litersium« usw., die ihren Niederschlag in begeisterten Zeitungsartikeln und in den Werbedrucksachen für die Deutsche Bü cherei gefunden haben. Nur auf das »Archiv für das deut sche Schrifttum« möchten wir nicht verzichten, da es doch einen handgreiflichen Vorteil bedeutet, daß die Deutsche Bücherei jedes neu zeitliche Buch, jede nach 1912 erschienene Zeitschrift, die sonst nirgends aufzutreiben ist, zur Verfügung stellen kann. Wäre es nicht ein schlimmes Zeichen für unsere Verleger, wenn das, was von ihnen für wert befunden worden ist, in Hunderten oder Tausenden von Erempla- ren hergestellt und verbreitet zu werden, nicht auch wert wäre, in min destens einem Exemplar für die Nachwelt aufbcwahrt zu werden? So manches Buch, so manche Broschüre und Zeitschrift, deren Bedeu tung erst eine spätere Zeit erkannte, ist vom Meer der Vergessenheit, mit dem sich der Walchensee nicht messen kann, verschlungen worden und heute selbst nicht beim Scheine einer achtkerzigcn Glühlampe auf- zufinöen. Die neue Zeit stellt uns auch vor neue Aufgaben und wird die Notwendigkeit, ja Unentbehrlichkeit der Deutschen Bücherei noch stär ker hervortreten lassen. Nicht nur unser Verhältnis zum Auslände wird sich nach dem Kriege ändern, auch innerhalb der eigenen Grenzen wird vielfach der Geschäftsbetrieb andere Formen aunehmcn. Die Sortimentsgeschäfte, wenigstens in den Großstädten, werden sich mehr, und mehr zu Spezial- bzw. Versandgeschäften für bestimmte Literatur zweige auswachscn, während die gewerblichen Organisationen, den parteipolitischen und gewerkschaftlichen Verbänden folgend, ihre Tätig keit noch eifriger als bisher auf die Versorgung ihrer Mitglieder mit ihnen geeignet erscheinenden literarischen Erzeugnissen erstrecken und bald auch den Weg zum Eigcnverlag finden werden, den sie infolge der Geschlossenheit ihrer Abnehmerkreise und der Auffassung ihrer Tätigkeit als einer Werbearbeit im Vereinsinteresse leicht beschreiten können. Daher muß der Buchhandel einerseits Einfluß auf diese Ent wicklung zu gewinnen suchen, die, weil aus natürlichen Vorgängen ent standen, sich schwerlich hintanhalten lassen dürfte, zum anderen aber bestrebt sein, die auch außerhalb des Buchhandels ins Leben tretende Literatur, soweit sie als Hanöelsobjckt in Frage kommt, biblio graphisch und statistisch zu erfassen. Die buchhändlcrischcn Spezialbetriebe werden dieser Literatur auf die Dauer nicht entraten können, ganz abgesehen davon, daß auch der Vcrlagsbuch- handel ein sehr erhebliches Interesse daran hat, die Entwicklung des Vereinsbuchhandels zu kontrollieren oder doch wenigstens Kenntnis von ihr zu nehmen. Bei Gründung der Deutschen Bücherei stand der Gedanke im Vor dergründe, in ihr einen Mittelpunkt für Wissenschaft und Buchhandel zu schaffen, von dem aus sich ein Überblick über die Gesamtlitcratur und damit die Möglichkeit gewinnen läßt, Einfluß auf die Gestaltung des 314 Büchermarktes zu nehmen. Deswegen ist von vornherein darauf ver zichtet worden, die Deutsche Bücherei in Konkurrenz mit anderen Bi bliotheken zu setzen und ihr dieselben Aufgaben wie diesen zu über weisen. Sie kann sich auch nicht damit begnügen, ein Archiv des deut schen Verlagsbuchhaudels zu sein, vielmehr werden Wert und Bedeu tung der Deutschen Bücherei von ihrer unmittelbaren praktischen Ar beit für unser Literaturleben auf bibliographischem und statistischem Gebiete bestimmt werden. Infolge ihrer Beschränkung auf die Lite ratur seit 1913 kann sie ja auch auf lauge hinaus nur bedingt als »Bibliothek« im eigentlichen Sinne in Frage kommen und gar nicht daran denken, z. B. mit der Natioualbibliothek (der früheren König lichen Bibliothek in Berlin) oder sonst einer großen Bibliothek in Wettbewerb zu treten. Gewiß werden sich die ihr auhafteudeu Mängel mit dem Alter und Wachstum der Deutschen Bücherei verringern, ganz werden sie nie schwinden, sodaß andere große Bibliotheken, von ihren besonderen Aufgaben und ihrer Eigenart ganz abgesehen, neben ihr immer ihre Bedeutung behalten werden. Um so mehr ist es Aufgabe der Deutschen Bücherei, sich auf einem Arbeitsfelde zu betätigen, das diese Unzulänglichkeiten vergessen läßt und ihre Notwendigkeit und Nützlichkeit auch während ihrer Entwicklung zn einer in sich geschlos senen und in größerem Umfange gebrauchsfähigen Bibliothek erweist. Durch ihre Aufgabe und ihren Zweck, die gesamte vom 1. Januar 1913 an erschienene deutsche und fremdsprachliche Literatur des Inlandes und die deutsche Literatur des Auslandes — wie spärlich war diese bisher in den buchhäudlerischeu Bibliographien vertreten! — zu sammeln und aus zubewahren, zur Verfügung zu halten und nach wissenschaft lichen Grundsätzen zu verzeichnen, mitten hineingestcllt in das Literaturleben der Gegenwart, ist die Deutsche Bücherei wie keine zweite Stelle in Deutschland zur Übernahme der deutschen Bibliographie und der damit in Verbindung stehenden Literatur statistik berufen. Die durch die politische und wirtschaftliche Umwälzung geschaffenen Verhältnisse kommen dieser Aufgabe, die bisher durch den Krieg und seine Begleiterscheinungen zurückgedrängt wor den ist, in mehr als einer Beziehung entgegen. Was die Buchführung dem einzelnen Geschäftsmanne ist, das sind Bibliographie und Sta tistik für die Gesamtwirtschaft unseres Berufs. Gewissermaßen am Anfänge und Ende unserer Arbeit stehend, verhalten sich Bibliographie und Statistik zueinander wie das Einzelne zum Ganzen, das Glied zur Kette, aus der kein Teil herausgclöst werden kann, wenn sie nicht un vollständig sein soll. Wohl kann auch in der Buchführung der einzelne Posten ein größeres zeitliches Interesse haben als das sich aus der Bilanz ergebende Gesamtbild, doch wird immer wieder der Blick auf dieses gerichtet werden müssen, wenn man sich Rechenschaft über den gesamten Betrieb geben will. Das ist beim Literaturbetrieb nicht an ders, da es doch nicht so sehr darauf ankommt, was der einzelne, als was die Gesamtheit der »Produzenten der Statistik« leistet. Man rühmt dem Buchhandel mehr als anderen Bernsen Sinn für geschlossene Wirtschaft nach: in seiner Stellungnahme zur Deutschen Bücherei hätte er Gelegenheit, diese Eigenschaft im besten Lichte zn zeigen, zumal Pa es doch nicht gebilligt werden kann, daß schon ein einzelner durch sein Verhalten die Arbeit der Gesamtheit wenn nicht zunichtemachcn, so doch sehr erschweren kann. Wie anderen Berufsorganisa tionen, so wird auch dem Buchhandel die Pflicht weitestgehen der Arbeitsbereitschafl im Dienste der Allgemeinheit auferlegt wer den, und von dem Willen zu dieser Arbeit wird voraussichtlich geradezu das Maß behördlicher Einwirkung auf unseren Beruf (im guten wie im schlechten Sinne des Wortes) abhängen, sodaß wir auch ans diesen« Grunde, wenn das unmittelbare Interesse an der Ordnung innerhalb unseres Berufes nicht stark genug empfunden werden sollte, mit Hand aulegen müssen, um einer besseren und zweckmäßigeren Organisation des Büchermarktes den Weg zn bereiten. Die Arbeit der I. C. Hiu- richs'scheu Buchhandlung auf dem Gebiete der Bibliographie in Ehren: sie hat ihrer Zeit genug getan, würde aber schwerlich als Privatfirma in der Lage sein, weitergehende Ansprüche, besonders hinsichtlich der Verzeichnung der außerhalb des regulären Buchhandels erscheinenden Literatur, zu befriedigen. Wie unsere Handelsstatistik infolge der inneren und äußeren Um gestaltung der verschiedenen Staaten und ihrer Beziehungen zn einan der ein wesentlich anderes Gesicht erhalten wird als vor dem Kriege, sodaß Zolltarifschema und statistisches Warenverzeichnis einer voll ständigen Umarbeitung unterzogen werden mußten, so werden auch Bibliographie und Literaturstatistik auf andere Grundlagen gestellt werden müssen als bisher. Daraus ergeben sich für die Deutsche Bücherei Aufgaben, die von keiner anderen Stelle gelöst werden können, «veil keine die Möglichkeit einer so vollkommenen Übersicht iiber die Erscheinungen des Büchermarktes hat wie sie, keine in der Lage ist, gleich ihr, als notwendig empfundene Änderungen auf dem Gebiete der Bibliographie und Statistik durchzuführen. So wird die wachsende Bedeutung der Zeitschriften für die Literatur der Gegenwart und nuferen Beruf über kurz oder laug die Trennung von