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1878 Nichtamtlicher Theil. ^ 143, 26. Juni. Weber in Berlin. 570S.Dctcr» CH. G. I.» Gcschichtsabriß f. die oberen Klassen höherer Lehran stalten. 1. Thl. Alte Geschichte, gr. 8. » 6 N-k 5703. — dasselbe. 2. Thl. Mittlere Geschichte, gr. 8. * 4 N-k Weber in Leipzig. 5704. Lindner, A., die Blnthochzcit od. die Bartholomäusnacht. Ein Trauer spiel. 8. « 1 ^ 5705. -f Körner, M., ' 2t/2 N/ 5706. Herrmann, F., 21 N-e Werner'S Buchh. in Zwickau. Predigt zur Friedensfeier am 18. Juni 1871. gr. 8. WVUer in Leipzig. Kubik-Tafeln nach dem metrischen System. 8. Geb Nichtamtlicher Theil. Ans den Papieren der Weidmannschcn Buchhandlung. V.*) Guth. Der Brief, der nachstehend mitgetheilt werden soll, wurde von dem Empfänger — Wohl dem Jenaer Mauke — zur Kenntnißnahme an Reich gesandt. Dieser werde, so durfte angenommen werden, die Mittheilungcn aus Paris mit Interesse lesen, und das um so mehr, als sie von einem Manne kamen, der zu Ende der Sechziger Jahre, als Goethe in Leipzig studirte, Bedienter bei Weidmann's Erben und Reich gewesen war und jetzt sich ernstlich mit dem Gedan ken an seine Rückkehr nach Deutschland beschäftigte. Schon deshalb hielt es der Herr Vetter für gerathen, den Brief nach Leipzig zu sen den. So kam dieser in eines der zahlreichen Briefpackete der Firma. Die Guth'schen Mittheilungen schienen dem Herausgeber werth voll genug, um unverkürzt gegeben zu werden. Sic bieten außer einer Notiz zu Goethe's Leben Manches zur Geschichte des Leipziger Buchhandels, ebenso wird man das über Paris und die Pariser Ge sagte in gegenwärtiger Zeit sich doppelt gern gefallen lassen. Der Briefschrcibcr selbst erscheint als ein strebsamer Mann, eine für die thätige Verwendung Reich's wohl würdige Persönlichkeit. Er ist etwas Hypochonder, auf dem das Leben schwerer lastet, als recht, der auch in dem leichtsinnigen Paris das Unbehagliche seiner Stellung fühlt. Seine Kameraden haben mittlerweile Geschäfte gegründet, sich eine Häuslichkeit geschaffen, er selbst ist noch Bedienter! Wenn es doch auch ihm vergönnt wäre, diese lästigen Fesseln abschütteln zu dürfen! Als Guth seine Wünsche dem Herrn Vetter nach Jena meldete, war die Frau Großmama vor kurzem den Weg alles Fleisches ge gangen. Und der Frau Großmama sind derweilen mit allen ihren Sorgen, Hoffnungen und Wünschen drei weitere Generationen ge folgt, und unter ihnen schon längst der Pariser Buchhandlungsgehilfc, dessen Wunsch, ein eigenes Geschäft zu besitzen, wohl kaum sich er füllt hat. Der Guth'schc Brief lautet: Jbr Schreiben, mein Liebster Herr Vetter, daß ich nur seit wenig Tagen erhalten, und darinnen Sie mich von Ihren Wohlseyn und der Fortdauer Ihrer mir immer schätzbaren Freundschaft versichern, hat mich aufs lebhaf teste gerührt; Ihr gerechter und freundschaftlicher Vorwurs über mein lan ges Stillschweigen hat uni so mehr meine Reue vergrößert, da ich nicht erwarten konnte mit einer gleichen Gelindigkeit traktirt zu werden. Seyn und bleiben Sic versichert, werthester Herr Vetter, daß noch immer deutsches Blut in meinen Adern quillt, daß ich ost, sehr oft mit einen heimlichen Kummer an Sie, an meinen Bruder, an alle meine übrigen Freunde zu rückgedacht habe, aber die weite Entfernung, die wenige Möglichkeit mich wieder meinen Vatcrlande zu nähern, der Aussichten beraubt meine Wan derschaft und Dienstbarkeit ein Ende zn machen, alle diese Ursachen haben mich abgchalten, Sic mit leeren Briefen zu belästigen und ich hatte den Fürsatz genommen mein Vaterland solange aus meinen Sinne zu schlagen, bis andere Umstände oder glücklichere Zeiten mir erlaubten, meine Gesin nung zu ändern. Unterdessen ist die Zeit welche in Frankreich ihren Lauf zu verdoppeln scheint, verstrichen und es scheint mir ein Traum zu seyn Deutschland schon seit beynahe 8 Jahren verlassen und mich unvermerkt den Alter genähert zu haben, wo mein künftiges Schicksaal schon bestirnt seyn sollte. Glücklich oder unglücklicher weiße lebe ich unter einer Nation, -j IV. S. Nr. 139. die sich sehr wenig um die Zukunft bekümmert, die vielleicht im Grunde recht hat, die gegenwärtige Zeit ohne Sorgen zuzubringen und Ihr Ge- müth von den schwermülhigcn Bedenken einer ungcwißen Zukunft zu ent ledigen; so wenig auch diese Denkungsart mit der mcinigen Aehnlichkeit hat, so verliert doch die Gewohnheit und das beständig für Augen habende Erempel ihr Recht nicht, verändert nach und nach Unbern Charakter und wenn Sie solchen zu unterdrücken nicht zu stände kömmt, erlaubt Sie uns wenigstens nicht uns die vergangenen Zeiten mit aller der Lebhaftigkeit ins Gedächtnis zurückzurufen, und einer Schwermuth zu überlaßen die unßer Daseyn noch unglücklicher machen würde, ohne unßern Zustand zu verbeßern. Ihr Brief, mein liebster Herr Vetter, hat alle meine alten Wunden wieder aufgerißcn und dient mir zum Beweist, daß es nicht genug ist frantzösisch zu denken und zu reden, um sein Hertz und Besinnurl'gsart in glcichermaaße zu ändern. Nein, werthester Herr Vetter, glauben Sie nicht, daß ich Sie jcmahls vergehen habe und Sehen Sie diese Wahrheit nicht als ein oompliment L la kranyaise an. Meine Gedanken gehen so geschwind in meiner Einbildung herum und ich habe Ihnen so viel zu sagen und zu fragen, daß ich nicht weiß, wo ich anfangen soll; die Gewohnheit in der ich überdießes bin, eine andere Sprache zu reden, verursacht mir ein wenig ckwierigkeit, mich in der meinigen, wie ich wünschte auszudrücken, und ich bitte Ihnen ini Voraus um Ver gebung, wenn Ihnen meine Schreibet vielleicht ein wenig ungeschickt sür- kommen sollte. Daß meine Grosmama und Muhme den weg alles fleischeS gegangen ist eine traurige Neuigkeit die ich nothwendigerwcise erwarten mußte, um desto angenehmer ist cö mir, das Wohlbefinden aller meiner übrigen Ver wandten zu wissen; versichern Sie einen jeden, besonders meinen Herrn Vetter und Fr. Muhme in Bürgel, zu deßen neuer Ehrenwürde ich von Hertzcn glückwünschc, meines Andenkens und Ergebenheit; empfehlen Sie mich gleichfalls meiner Fr. Muhme, permuthlich ist Sie noch mit Ihnen in den nemljchen Hauße nach den Absterben der Großmama geblieben. Es ist mir lieb daß Carl auSgelcrnct hat, ich hätte von Hertzcn gewünscht ihn von Zeit zu Zeit einen kleinen Zuschus übermachen zu können, aber ich bin in Frankreich nicht reicher als in Deutschland, au Lonlraire die Aus gaben und die Theurung sind hier in keinen Vergleich mit Deutschland xu ziehen, und man muß sich glücklich schätzen, wenn man am Ende des Jah res sich au Niveau äe aes appointements befindet. Wenn sich meine Umstände mit der Zeit ändern sollten, dazu ich jedoch bis jetzo keinen an- schein sehe, so werde ich ihn nicht vergeßen. Grüßen Sie ihn tausendmal)!, melden Sie mir, ob er seine Kunst gründlich versteht, ob Sie mit ihm zu frieden sind, und ob seine Ausühruug sich von den gemeinen Schlendrian des großen Haufens der Buckidruckcrgesellcn unterscheidet, denn hier in Frankreich wie in Deutschland sind diese Herren mehr beschäftiget daö Glas zu leeren, als ihrer so rühmlichen Kunst Ehre zu machen. Schlagen Sie einen kleinen Brief in Ihrer Antwort von meinen Bruder bey, damit ich ein wenig sehe wie seine Schreibart beschaffen ist. Ich bin ein wenig verlegen, werthester Herr Vetter, über die wähl einer Neuigkeit, so wie sich sür Ihnen schickt; die srantzößischc Litteratur ist seit 5 oder 6 Jahren erschrecklich unfruchtbar, es kommen hier zwar oft Neuigkeiten zum Vorschein, aber es ist so elendes Zeug, daß Sic übel von meinen ßKschmacke urthcilcn würden, wenn ich Ihnen dergleichen über- schicktc. Sie müssen ein werck haben, daß gut ist, aber deßen Verfaßer nicht von der ersten Claße ist, damit Sie nicht ausgesetzt sind, auf der Meße zwey oder drcy Übersetzungen oder Nachdrücke zu finden, weil die ftoneurrence Ihren Handel nicht vortheilhaft seyn kan. UebcrdiescS schränkt sich Ihre wähl auf Romanen oder Poeßie von bekannten Schriftstellern ein, und sehr selten sieht man etwas Taugliches in dieser Art, man hat soviel in Frankreich geschrieben, daß der Geist erschöpft ist, und nichts neues mehr Hervorbringen kan. Wenn Sic ein Werck über andere Materien ver langten, so könnte eher elwaS finden, aber vorher möchte ich Ihre Gesin nung ein wenig bestirnter wißen. Unterdeßcn werde ich ein wachsames Auge auf alle Neuigkeiten haben, und sobald etwas intereßantcs erscheint, durch den Postwagen übersenden. Sagen Sie mir nun, Liebster Herr Vetter, ob ich Hofnung haben kan wieder nach Deutschland zurückzukehren, seit meiner Abwesenheit sind so