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8558 Nichtamtlicher Teil. 264, 13. November 18SS. sind, etwaige Lücken ihrer Schulbildung nachträglich noch auszufüllen. Bedauerlich wäre es, weun die aus thatsächlichen Er fahrungen heraus von Herrn Wunschmann (Wittenberg) aus gestellte Behauptung: »daß die allerschlechtesteu Lehrlinge die Oberprimaner waren.» »Etwas besser waren schon die aus Sekunda, aber die allerbesten waren die, die außer ihrem Schulwissen eine moralische Erziehung genossen hatten und nicht des Morgens mit dem Gedanken ins Geschäft kommen, möglichst bald wieder nach Hause zu gehen rc.« ... allgemeine Anwendung finden sollte oder wenn die Prinzipalität sie gewissermaßen als Entschuldigung benutzen würde fiir die Befolgung des entschieden nicht zu rechtfertigenden Systems, Leute mit durchaus ungenügender Bildung unserem Be rufe zuzuführen. In Ausnahmefällen werden diese »Bürger schüler«, wenn sie intelligent und strebsam sind, später vielleicht ebenso gute, ja brauchbarere Buchhändler als ein Sekun daner, der sich einbildet, sein Schulwissen überhebe ihn der Notwendigkeit, sich weiter zu bilden. Die Regel aber soll und muß im Buchhandel gelten, daß an seine Zöglinge die Anforde rungen gestellt werden, die heutigen Tages mit dem Begriff »gute Erziehung« verbunden sind — eine höhere Schulbildung. Ist der Prinzipal aus irgend welchen Gründen nicht in der Lage, einen solchen Zögling zu finden, dann möge er sich mit einem Schreiber, einer Verkäuferin rc. behelfen, aber nicht seine Hand dazu bieten, die Zahl der Schreiber und Expedienten zu vermehren, die nur dem Namen nach »Buch händler« sind. Als ein weiteres Resultat der Verhandlungen ist die Zerstörung einiger allgemein verbreiteten Jrrtümer zu be trachten. Das der Gehilfenschaft gelegentlich gern vorgehaltene Schreckgespenst der Ucberfüllung in unserm Beruf hat sich vor den thalsächlichen Verhältnissen, wie sie in Leipzig ge schildert wurden, ins gerade Gegenteil verwandelt. Der An drang zum Buchhandel ist allenthalben ein äußerst geringer; Lehrlinge sind nur sehr schwer oder überhaupt nicht zu be kommen. Das Angebot tüchtiger Gehilfen deckt schon heute nicht mehr die Nachfrage. Letztere Thatsache ist auch wohl jedem fühlbar geworden, der in der Lage war eine Stelle zu besetzen resp. dabei mitzumirken. Unsere älteren Gehilfen — namentlich diejenigen, die in: Vereinsleben stehen — haben vielfach dieselben Erfahrungen gemacht, und mau kann an nehmen, daß hierin auch ein Grund dafür zu finden ist, daß inan sich in diesen Kreisen nicht den geringsten Erfolg ver spricht von der Rückkehr zum alten Zopf des Prüfungswesens. Man drehe die Sache nach jeder Richtung — der springende Punkt wird immer die zu erstrebende bessere Be zahlung der Gehilfen bleiben. Dem entgegen steht auf der anderen Seite die allerdings einleuchtende Behauptung, daß der größte Teil der selbständigen Sortimenter gar nicht in der Lage ist, bessere Gehälter zu zahlen, weil er selbst im schweren, mühevollen Kampfe um seine Existenz sich befindet. Der auf neuen Bahnen sich entwickelnde Verlag ist in dieser Beziehung meist besser gestellt und zahlt auch mit geringen Ausnahmen bessere Gehälter. Hier treten den Gehilfen andere Hindernisse in den Weg. Herr Karl Siegismund (Berlin) erklärte: »Die Arbeiten find vielfach rein mechanischer Art, von denen wir nur wünschen, daß sie mit Pflichtgefühl und Sorgfalt erledigt werden. Brauchen wir für die Erledigung dieser Arbeiten gelernte Buchhaudlungsgehilfen? Oder Leute, die vier Jahre in einer Buchhandlung Laufburschendienste gethan haben und sich dann Buchhaudlungsgehilfen nennen? Gewisse Arbeiten, wie Führung der Pvrtokasse, Führung der Registratur, Ex pedition der Journale, werden weit sicherer, zweckmäßiger und pünktlicher erledigt von Schreibern oder jungen Damen. Wenn wir in früheren Zeiten vier oder fünf Gehilfen hatten, so habe ich die Ueberzeugung, wir werden für die Folge mit zwei tüchtigen Mitarbeitern ausreichen, zwei Leuten, die etwas Ordentliches gelernt haben, und werden uns im übri gen mit drei oder vier untergeordneten Hilfskräften begnügen.« Wer die geschäftlichen Veränderungen (Besitzwechsel, Neu- griindungen rc.) der Firmen des Buchhandels in dem letzten Jahrzehnt aufmerksam verfolgt hat, der wird eine Konzen tration des Verlagsgeschaftes, die Umwaudelung großer, alter Firmen in rein kapitalistische Unternehmungen und ein starkes Hervortreten und Anwachsen des Zeitschriftenwesens bemerkt haben. Es wird ihm auch nicht entgangen sein, daß die Verhältnisse der verwendeten Hilfskräfte entschieden in der von Herrn Siegismund geschilderten Richtung sich entwickeln. Die Bildung einer deutlich wahrnehmbaren Grenze zwischen buchhändlerisch geschulten Mitarbeitern und solchen Arbeits kräften ist erkennbar, die nur zur Erledigung der sogenannten mechanischen Arbeiten (Expedieren, Propaganda, Jnseraten- wesen) Verwendung finden. In vielen größeren Verlags geschäften ist diese Trennung bereits vollständig zur Durch führung gelangt und der gesamte Geschäftsbetrieb dem entsprechend organisiert. Die ungünstigen Gehaltsverhältnisse im Sortiment zei tigen bei den meisten Gehilfen den Wunsch, in den Verlag überzutreten, und der Einzelne sieht sich dort sehr bald vor der Kluft, die die buchhäudlerisch ausgebildeten tüchtigen und demgemäß bezahlten Gehilfen von den mechanischen Kontor arbeitern trennt. Dem intelligenten Buchhändler, der seine fachmännische Ausbildung nicht vernachlässigt hat, wird es je nach den Umständen bald oder später gelingen, sich seinen Platz zu erobern. Allgemeine Bildung, tüchtige buchhänd lerische Fachkenntnisse, praktische Erfahrungen und reges Ge schäftsinteresse werden stets Eigenschaften bleiben, die von den Gehilfen gefordert und von dem Chef entsprechend be zahlt werden. Hat der Gehilfe dann noch die Gelegenheit gehabt oder sich zu verschaffen gewußt, besondere Erfahrungen auf einem Spezialgebiet sich zu erwerben, z. B. in Buch haltung, Herstellung, Jnseratenwesen, Reisegeschäft, dann wird ihm ein Studium der »Angebotenen Stellen« im Börsenblatt sehr bald die Ueberzeugung bringen, daß er nicht für 100 monatlich seine Arbeitskraft zu vergeben braucht, sondern daß er Aussichten hat, auskömmliche Einnahmen zu erzielen. Daß im Buchhandel im allgemeinen keine hohen Ge hälter gezahlt werden, namentlich nicht im Vergleich zu Groß industrie und Großhandel, ist leider eine Thatsache, die aber auch keinesfalls nur allein von dem guten Willen der Prinzi pale abhängt, sondern ihren Grund hat in der ganzen Eigen artigkeit des buchhändlerischen Geschäfts, das als Sortiment mit kleinem, mühsam zu erreichendem Verdienst und als Verlag mit großem Risiko und verhältnismäßig nur wenige» wirk lichen Erfolgen rechnen muß. Dem jungen Nachwuchs kann nur dringend geraten werden, mit offenen Augen sich über die wirkliche Lage der Dinge in unserem Berufe eingehend zu unterrichten und sich aus eigenen Beobachtungen ein Urteil zu bilden. Es wird dann jedem möglich sein, den persönlichen Kenntnissen und Fähigkeiten entsprechend vorwärts zu kommen. Den unfähigen und zur Weiterbildung zu bequemen Elementen aber ist ihr Platz angewiesen; sie müssen sich mit geringein Gehalt be scheiden und die Konkurrenz aufnehmen mit Schreibern und jungen Damen, die, wenn nicht alle Zeichen trügen, in Zu kunft noch mehr als bisher im Buchhandel Verwendung finden werden. Auch hierbei ist jeder seines Glückes Schmied, und der Einsichtige wird nicht das Heil erwarten von einer »Organi sation der Gehilfenschaft«, die nach dieser Richtung nur den