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264 13. November 1899. Nichtamtlicher Teil. 8557 Nichtamtlicher Teil. Gehilfen und Lehrlinge. Betrachtungen eines Gehilfen über die Verhandlungen des »Ausschusses zur Beratung der Lehrlingsfrage«. Der im Börsenblatt Nr. 241/242 veröffentlichte aus führliche Bericht des »Außerordentlichen Ausschusses zur Be ratung der Lehrlingsfrage« hat aufs neue die schon öfter in den Spalten dieses Blattes besprochene Frage der genaueren Beurteilung näher gerückt. Die wiederholt und bei den ver schiedensten Gelegenheiten festgestellte Interesselosigkeit beson ders des Jungbuchhandels gegenüber allgemeinen buchhänd lerischen Fragen läßt jedoch befürchten, daß die (wenn auch zunächst nur vorläufigen) Ergebnisse dieser Verhandlungen nicht die gebührende Würdigung und Beachtung finden wer den, und daß die überaus lehrreichen Schlußfolgerungen, die Gehilfen und Lehrlinge daraus ziehen sollten, ohne wahr nehmbare Wirkung bleiben könnten. Nicht alle Kollegen werden vor dem Zusammentritt des Ausschusses mit der Möglichkeit gerechnet haben, daß es ge lingen wird, irgendwelche bindende Beschlüsse über Vorbildung und berufliche Ausbildung des Buchhändlers zu fassen und diese mit einiger Aussicht auf Erfolg der Hauptversammlung des Börsenvereins zur Annahme zu empfehlen. Von vielen Seiten wird dem Börsenverein und seinen Organen das Recht überhaupt nicht zuerkannt, derartige für seine Mitglieder bin dende Vorschriften zu erlassen; und selbst wenn dieses Recht bestehen würde, wäre doch nur anzunehmen, daß deren prak tische Durchführung ans denselben Gründen scheitern würde, die dem Börsenverein schon manches Hindernis seiner Be strebungen bereuet haben. Man wird sich deshalb wohl mit dem endgültigen Resultat einer Resolution zufrieden geben müssen, die es in das Belieben der Mitglieder stellen wird, die Vorschläge des Ausschusses in die Praxis umzusetzen. Als Haupterfolg der Verhandlungen wird aber auch dann immer noch der Umstand gelten können, daß die im Laufe derselben festgestellten und durch Thatsachen bewiesenen Auf fassungen der zahlreichen Herren Vertreter aus allen Teilen des Reiches über dieses Thema zur öffentlichen Beurteilung und Nutzanwendung für den Buchhandel gelangt sind. Das ist das unbestreitbare Verdienst der Mitglieder des Aus schusses, die sich der schwierigen Aufgabe unterzogen haben. Der Umstand, daß 17 Kreisvereine Delegierte zu den Verhandlungen abgesandt hatten, läßt darauf schließen, daß man im allgemeinen von der Wichtigkeit der Sache über zeugt ist. Der »Allgemeinen Vereinigung deutscher Buchhandlungs gehilfen« und ihrem zähen Festhalten an der beabsichtigten Regelung der Lehrlingsfrage ist es entschieden zu danken, daß der Ausschuß vom Börsenverein eingesetzt wurde. Mit dem Vertreter des Württembergischen Buchhändlervereins, Herrn Friedrich Stahl, aber werden weitere Kreise der Mei nung sein, daß die Vertretung der Gehilfenschaft eine un genügende, zum mindesten eine einseitige gewesen ist. Wir haben allerdings keine Organisation, die sich die volle Re präsentation der Gehilfenschaft anmaßen könnte; aber es ist schwer zu erklären, warum den bewährten Gehilfenvereinen rc., deren langjähriges Bestehen lind Wirken ihre Existenz berechtigung erwiesen haben, nicht Gelegenheit gegeben worden ist, in irgend einer Form an den Beratungen teilzu nehmen resp. sich vertreten zu lassen. Es ist dies um so be dauerlicher, als ein sehr großer Teil der Gehilfenschaft in vielen entscheidenden Punkten anderer Meinung ist als die Vertreter der »Vereinigung«, und die Mitwirkung der Opposition den Beratungen vielleicht in ähnlicher Weise dien lich gewesen wäre, wie es die Teilnahme des Herrn Stahl ivar, der bekanntlich seitens des Württembergischen Buchhändler vereins ausdrücklich als Gegner der in Frage stehenden Bestrebungen in den Ausschuß entsendet wurde. Warum sollte z. B. der Allgemeine Deutsche Buchhandlungsgehilfen- Verband mit seinen 2400 Mitgliedern und seinem 27jährigen gewiß segensreichen Wirken gerade für die soziale Lage der Gehilfenschaft nicht geeignet gewesen sein, für diese Frage einen Referenten zu stellen? Der Verband befaßt sich seit langen Jahren mit Stellenvermittlung, und durch diese Einrichtung wäre es ihm gewiß, ebenso wie dem Leipziger und Berliner Gehilfenverein, möglich gewesen, außer ordentlich brauchbares Material zur Beurteilung herbeizu schaffen; denn gerade diese Stellen sind es, die Angebot und Nachfrage bei sich vereinigen. Die von dem Gehilfen - Vertreter Herrn Hermes zum Ausdruck gebrachten Ansichten über die Befähigung und die Brauchbarkeit unserer Gehilfen werden im großen und ganzen allseitige Bestätigung finden; nur über die anzuwendenden Mittel zur Hebung dieser Uebelstände gehen die Meinungen sehr auseinander. Für den Jungbuchhandel ist es aber ungleich interessanter und wertvoller zu hören, welche Er fahrungen die anwesenden zwanzig Prinzipale aus den ver schiedensten Orten Deutschlands mit ihrem Personal gemacht, welches Urteil sie sich aus diesen Erfahrungen heraus über den jungen Nachwuchs gebildet haben und welche Eigen schaften und Fähigkeiten dieser am meisten vermissen läßt. Ohne Ausnahme brachten die verschiedenen Redner über diesen Punkt nur Klagen vor; sie waren einig darüber, daß die Erfahrungen die »allerschlechtesten« sind. Ausfallen muß es jedoch, daß nicht der mangelnden Vorbildung durch die Schule die Schuld beigemessen wird, sondern daß in erster Linie das Fehlen einer tüchtigen beruflichen Ausbildung die Unzufriedenheit hervorgerufen hat. Es wurde nach den verschiedensten Richtungen die Unbrauchbarkeit der heutigen Gehilfen konstatiert, besonders in Bezug auf die Erledigung der im Buchhandel nun einmal einen sehr breiten Raum ein nehmenden mechanischen, schriftlichen Arbeiten rc. Unregel mäßigkeit, wenig Gewissenhaftigkeit, Mangel an dem nötigsten Geschäftsinteresse und das Fehlen der sogenannten Sortiments kenntnisse geben nach den Aussprüchen der Herren Vertreter der Kreisvereine Anlaß zu täglichen Klagen. Dem entgegen wurde von mehreren Rednern, die sämtlich auf einige Jahr zehnte buchhändlerischer Selbständigkeit zurückblicken können, ein Loblied den Schreibern und den jungen Damen gesungen. Diese Thatsache allein sollte dem Jungbuchhandel eine ernste Mahnung sein und jedem Einzelnen die Notwendigkeit vor Augen führen, daß die Anforderungen des in fort schreitender Entwicklung sich befindenden Geschäftsbetriebes auch bei ihm eine zeitgemäße Ausbildung und eine Menge praktischer Kenntnisse und Fertigkeiten vvraussetzen, die bisher im Buchhandel für überflüssig gehalten wurden. Intelligenz, guter Wille und Strebsamkeit sind im Laufe der Beratungen als die Eigenschaften bezeichnet worden, die von dem jungen Buchhändler zu verlangen sind. Trotzdem die Herren sich mit nur einer Ausnahme gegen die Notwendigkeit des Einjährig-Freiwilligen-Zeugnisses als Vorbedingung für den Lehrling ausgesprochen haben, wurde doch zugegeben, daß ein allgemeine gute Schulbildung und eine gute Erziehung entschieden verlangt werden müssen. Wenn die Herren Prinzipale streng an diesen Forderungen festhalten, dann sollte mau anuehmen, daß nur gebildete junge Leute in unserem Berns Aufnahme finden oder, was dasselbe bedeuten würde, nur solche, die fähig und bestrebt 1135