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X: 261, 8. November 1828. Redaktioneller Teil. Börsenblatt f. d. Dtschn. Buchhandel. lediglich die besonders konjunkturempfindlichen Branchen (ins besondere Damen- und Mädchenkonfektion und Herren- und Knabenkonfektion) lagen unter dem entsprechenden Monat des Vorjahrs. Die eher nach unten gerichtete Bewegung dürfte sich im Oktober noch fortgesetzt haben. Bemerkcnswertcrweife war die Umsatzgestaltung (beispielsweise in Herrenkonfektion) in den kleineren Betrieben verhältnismäßig am ungünstigsten. Mit zu nehmender Betriebsgröße besserte sich die Situation und lediglich die ganz großen Betriebe zeigten wieder einen Rückgang. Wenn sich die konjunkturelle Abwärtsbewegung der deutschen Wirtschaft im Einzelhandel bisher noch nicht stärker bemerkbar macht, so dürste dies daran liegen, daß die Landwirtschaft, die auf Grund der diesjährigen erheblich günstigeren Ernte über größere Geld mittel verfügt als im Vorjahr, als Käufer in den Vordergrund getreten ist. Die Preisentwicklung des letzten Monats hat die gehegten Befürchtungen insofern nicht ganz bestätigt, als die Abwärtsbewegung der Preise verhältnismäßig langsam und ohne verlustbringenden Preissturz vor sich gegangen ist. Die Aus sichten für die nähere Zukunft berechtigen daher zu der Hoffnung, daß krisenhafte Rückgangserschcinungen im Einzelhandel nicht auftreten werden, dies um so mehr, als er in seinen Disposi tionen überaus vorsichtig war und zweifellos mit Erfolg auf eine kleine Lagerhaltung hingearbeitet hat.- Klingt dieser Be richt auch optimistisch und beruhigend aus, so ist die ernste Ge samtbeurteilung der Lage doch unverkennbar. Zweifel kann man auch hegen, ob die Landwirtschaft tatsächlich als so sehr viel kaufkräftiger angenommen werden darf. Es liegen doch auch Berichte vor, daß die Ernteergebnisse im ganzen nicht alles ge halten haben, was erste Hoffnung sich davon versprach. Die Verschuldung ist auch so groß, daß die nun auszugleichendcn Rückstände nicht viel Überschüsse übriglassen dürften. Man darf also die Erwartungen vermutlich nicht sehr hoch spannen. Sehr ernste Kaufkraftminderungen find aber namentlich im Westen als Folge der neuen Wirtschaftskämpse dort zu befürchten, sodaß das Weihnachtsgeschäft sicher gestört werden dürfte. Um so mehr, als es sich hier augenscheinlich ja um mehr als um bloße Lohn sragen handelt. Von befreundeter Seite wurden wir auf einen Artikel der Hessischen Landeszeitung vom 31. Oktober aufmerk sam gemacht, den wir hier — ohne uns mit jedem einzelnen Wort identifizieren zu wollen — statt eigener Ausführungen zum Abdruck bringen, um zu zeigen, wie anderwärts die Lage angesehen wird. Es heißt da: Die Entwicklung der letzten Zeit läßt Erstarrung der augen blicklichen wirtschaftlichen Situation erkennen, die angesichts eines finanziellen Fehlbetrags von jährlich 4 Milliarden (2,5 Milliarden Mark Reparationen, 1 Milliarde Mark Zins- und Rückzahlungs verpflichtungen) zu den schwersten Bedenken Anlaß gibt. Wenn vor dem Kriege ein Rückgang der Konjunktur drohte, wurden allge mein die Preise herabgesetzt: die Reichsbank senkte de» Zinsfuß, die Reichsbahn hals mit Aufträgen oder mit Ausnahmetarisen, die Löhne wurden vorübergehend herabgesetzt, Steuern wurden abge baut oder gestundet usw. Heute hingegen werden die Preise sllr die wichtigsten Rohstoffe vom Ausland ohne Rücksicht auf die deutschen Konjunkturersorder- nisse bestimmt, während die Jnlandwaren durch eine falsche Wirt schaftspolitik künstlich verteuert und dadurch aus dem Auslandmarkt absatzunsähig gemacht werden. Gelbverknappung und Zinsherauf- setzung sind jetzt regelmäßige Begleiterscheinungen rückgehender Konjunktur. Die Reichsbahn erteilt keine neuen Aufträge: sie zieht bereits erteilte Aufträge sogar noch zurück und erhöht ihre Frachten um 1ü Prozent. Steuern und soziale Leistungen werden ohne große Debatten um Beträge erhöht, die Hunderte von Mil lionen im Jahre ausmachen. Die Löhne werden — nur weil die Tarifverträge abgelaufen sind — in einem Maße herausgesetzt, daß in den wichtigsten Gewerben Stillegungen und Einschränkun gen (von Preiserhöhungen ganz abgesehen) notwendig geworden sind. Alle diese Dinge haben die Selbstkostenkonten der meisten Unternehmungen so starr gemacht, daß ein Nachlaß im Preise, der der Wiederbelebung der Konjunktur dienen könnte, kaum möglich ist, zumal da die Gewinne früherer Zeiten so gering waren, daß wesentliche Rücklagen nicht geschaffen werben konuten. In dieser Starrheit und Unelastizität liegt einer der größten Gefahrenpunkte für die deutsche Wirtschaft. Alle diese Dinge sind besonders deutlich wieder in Erscheinung getreten bei dem jetzt für die rheinisch-westfälische Eisenindustrie gefällten Schiedsspruch, 1230 der so formuliert ist, daß eine allgemeine Lohnheraufsctzung un ausbleiblich ist. Die finanziellen Auswirkungen dieses Schieds spruchs können nach überschlägigen Berechnungen aus jährlich rund 25 Millionen RM veranschlagt werden, und bas bei einem auch von Regierungs- und Arbeitnehmerseite anerkannten Konjunktur rückgang. Auch der jetzige Schiedsspruch bildet einen Teilbestand des geradezu unmöglichen Versuchs, gleichzeitig die Löhne heraus zusetzen und die Preise stabil zu halten oder sogar noch zu senken. Diesen Versuch hat man mit Hilfe des Schlichtungswesens fort gesetzt bis in eine Zeit, in der die Rückwärtsentwicklung der Wirt schaft bereits unverkennbar war, ohne aus die besondere Lage der einzelnen Gebiete und Gewerbe Rücksicht zu nehmen. Die Folgen zeigen sich jetzt in den großen zentralen Arbeitskämpfen; der in diesem Maße seit der Markstabilisierung nicht mehr zu beobachtende Widerstand der Unternehmer deutet klar aus die Überspannung der Situation hin. Es hat sich der geradezu unsinnige Zustand herausgebildet, daß (wie z. B. im Waldenburger Kohlenbergbau) Lohnerhöhungen mit Staatskrediten finanziert werden müssen und daß (wie in der Eisenindustrie) Höchstlöhne neu für die Zeiten wirtschaftlicher Depression festgesetzt werden. Am bedenklichsten soll ten jedoch stimmen außer de» bereits vollzogenen Preiserhöhungen die ernsthaften Erörterungen der Wiedereinführung des Jn- flationssystems der gleitenden Preise bei den Gewerbezwetgen, die (wie z. B. der Maschinenbau) bei langen Anfertigungszeiten be sonders hohe Lohnanteile haben. Es kann gar nicht ausbleiben, daß sich über kurz oder lang Notwendigkeiten einer stärkeren Elastizität der Wirtschaft ergeben, denen auch auf Gebieten, die jetzt noch als unangreifbar gelten, Rechnung getragen «erden muß. Der Kernpunkt des Übels in Deutschland liegt darin, daß von Staats wegen auch gegen Notwendigkeiten der wirtschaftlichen Ver nunft von oben alles zu reglementieren versucht wird. Es wird nötig sein, schon in naher Zukunst ohne staatliche Hemmung Maß nahmen der Selbstkostensenkung herbeizusllhren, um Schlimmeres zu verhüten. Über die Lage im Buchgewerbe und in der Papierindustrie enthalten die vom preußischen Handels ministerium zusammcngestelltcn Handelskammerberichte folgende Mitteilungen: »In der Zellstofsindustrie war die Lage am Jn- landmarkt unverändert. Die Umsätze erreichten eine besrie- digende Höhe. Das Auslandgeschäft litt unter starker Konkur renz, die zum Nachgeben der Preise zwang. Die Lage der Pa pierindustrie war uneinheitlich. Der Auftragseingang ging teil weise merklich zurück. Die Nachfrage aus dem Inland wie aus dem Ausland ließ nach. Dagegen war die Erzeugung und der Absatz von Zeitungspapier gut. Bei einigen Werken hat sich die Nachfrage soweit gehoben, daß sie wieder voll arbeiten können. Auch die Lage der papierverarbeitenden Industrie hat sich etwas gebessert. Trotzdem ist ein Abflauen der Gesamtkonjunktur gegenüber den Umsätzen des Frühjahrs und Frühsommers sehr deutlich festzustellcn. Im Buch- und Steindruckgewecbe blieb die Beschäftigung auch weiterhin ungenügend. Der Auftragsein gang war gering und hat sich im allgemeinen, besonders im Stein- und Offsetdruck, weiter abgeschwächt. Die Preise waren nach wie vor gedrückt. Das Anzeigengeschäft im Zeitungsgewerbe, das sich Ende September leicht gebessert hatte, ließ im Oktober wieder etwas nach und blieb hinter dem Oktober-Durchschnitt der Vorjahre zurück. Die Nachfrage nach Geschästsdrucksachen, Kalendern, Etiketten usw. war nach wie vor ungenügend. Die erhoffte Belebung des Saisongeschäfts ist bisher ausgeblieben.«- Die Industrie- und Handelszeitung schreibt ebenfalls: »In der Papierindustrie war die Lage im Monat Oktober nicht einheitlich. Das Geschäft in Kabelpapier hat sich stellenweise so verschlechtert, daß unter Umständen Einschränkungen nötig sind. Dagegen ist in der Besetzung der Zeitungspapiersabriken stellenweise eine er freuliche Besserung eingetreten. Im allgemeinen weist die Nach frage sowohl aus dem Inland wie aus dem Ausland einen Rück gang aus. Auslandaufträge können oft nur unter starken Preis zugeständnissen hereingeholt werden. In Zeitungspapier hat sich der Absatz stellenweise gehoben. Die Preise zeigen zum Teil rückläufige Tendenz. Großhandelsindex des Statistischen Reichs amtes für die Gruppe »Papierstoff« und Papier«>am 24. Oktober 151,1 gegen 151,6 am 26. September. Durch die ständig steigen den Herstellungskosten werden die Aussuhrmöglichkeiten immer weiter beeinträchtigt; Auslandaufträge können nur unter z. T. starkem Preisdruck beschafft werden.- Der offizielle Lagebericht