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134, 13. Juni 1913 Redaktioneller Teil. Börsenblatt f. d. Dtschn. Buchbonbel. 6275 Aus dem englischen Buchhandel. IV. <III siehe Nr. 87.» Londoner Saison. — Neuerscheinungen. — Wissenschaft, Kunst und ZsitungLwesen. — England aus dem Vormärsche in China. — Deutsche Literatur im Lichte englischer Kritik. — Zeitschriftenillustrationen. Mit dem Beginn der Reisezeit flaut das Geschäft wieder ab, und der Buchhändler ist darauf bedacht, sein Lager mit den neuesten Auflagen der bekanntesten Reisehandbücher zu versehen. Außer den Baedeker, Grieben usw. gibt es eine ganze Anzahl preiswürdiger einheimischer Sammlungen von »6uiäes«, wie z. B. Murray, Black, Ward Lock, Bacon usw., die für das britische Publikum in Betracht kommen. Der Engländer hat den teuto nischen Wandertrieb in seinem Blute, und wer es irgend möglich machen kann, fährt auf einige Wochen in die Fremde oder sucht die einheimischen See- und Badeplätze auf; auch Wales, Schott land und die Hebriden werden von den nach Naturschönheiten lechzenden Großstädtern bereist. Die Londoner Saison, die auf alle Welt eine mag netische Anziehungskraft ausübt, ist jetzt in vollem Schwünge. Alle möglichen und unmöglichen Versammlungen werden ab gehalten, zu denen die Delegierten aus aller Herren Ländern herbeigeströmt kommen. Der »Interuatioual Couxress ok Ilisto- rieal Stuclies« eröffnete den bunten Reigen im April, und viele deutsche, französische und russische Historiker waren nach »Old England« gekommen, um ihre Ansichten auszutauschen und sich über die neuesten Errungenschaften und Entdeckungen zu unter richten. Der enthusiastische Empfang und die bekannte britische Gastfreundschaft dürsten die Besucher nicht enttäuscht haben. Die religiösen Versammlungen, die sogenannten »Uuz- LlsktmZs«, brachten uns eine Menge geistlicher Gäste aller Bekenntnisse, die über das irdische und himmlische Heil ihrer Gemeindemitglieder berieten. Die Weltkinder dagegen drängten sich zu den großen Opernvorstellungen, die im Coventgarten-Theater gegeben wur den und die eine ganze internationale Künstlerschar nach Lon don führten. Caruso, Fräulein Destinn, Nikisch und andere musi kalische Größen geben sich jetzt hier ein Rendezvous, um die glänzende internationale Gesellschaft, die sich während der Früh lingstage in London zusammenfindet, zu amüsieren und goldenen Lohn dafür einzuheimsen. Dieses Jahr sind es die Aufführungen von Wagners Opern, besonders die des Nibelungenrings, die die musikalische Welt der Metropole in Aufregung hält, und vor allem ist es Herr Nikisch, der die Bewunderung der Londoner musikali schen Kreise durch seine phänomenale Meisterschaft in der Leitung des Orchesters zu entfachen weiß. Die neue Oper »Oberst Chabert« von Herrn von Waltershausen wurde unter großem Beifall des Publikums aufgeführt, trotzdem die englische Kritik der Ansicht ist, daß die Oper melodienarm und zu dramatisch sei. . . . Auch die Ilozul Leaäemz- öffnete ihre Tore dem kunstliebenden Publikum für ihre jährliche offizielle Gemäldeausstellung, die, wie die Londoner sich selber gern glauben machen möchten, dem Pariser Salon an Bedeutung zum mindesten gleichsteht, wenn sie ihn nicht überragt. Dieses Jahr brachte leider eine große Ent täuschung, da die gesamte Kritik sich darin einig ist, daß höchst mittelmäßige Leistungen sich an den Wänden breitmachen. Die neueren Malerschulen, die Kubisten, Futuristen und die Anhänger der neueren Kunstrichtungen frohlocken und protestieren gegen die Tyrannei der RoM Loaäemz-, die die freie Kunst in Fesseln schlagen wolle. Das Publikum ist schon ganz irre geworden und wendet sich vielfach der orientalischen Malerei zu. Dies dürfte auch die Beliebtheit des unbekannten Malers, der sich unter dem Pseudonym »Alastair« verbirgt und seine bizarren Schöpfungen in den voväesvell 6all«ri«s ausstellt, erklären. Die sachver ständige Kritik weiß nicht recht, was sie zu den Gemälden dieses Künstlers sagen soll, einige erklären ihn für einen Schüler des Japaners Hokusai, andere für einen Nachahmer des einst so be liebten Aubrey Beardsley. Alles Chinesische und Japanische hat für das hiesige Publikum eine starke, nicht ganz begreifliche An ziehungskraft. Ausstellungen japanischer und chinesischer Künst ler sind stets willkommen. Die Firma Probsthain veranstaltete eine solche in 36, Great Russell Street, London IV. 6., die Ende Mai geschlossen wurde. Den Lesern des Börsenblattes dürste der von dieser Firma darüber herausgegebene reichilluslrierte Katalog Wohl willkommen sein, da er eine Musterleistung in seiner Art ist und einen guten Begriff von der Reichhaltigkeit der chinesischen Malerei gibt. Drei Bücher, deren literarischer Wert zum mindesten zweifel haft ist, machen viel von sich reden. Das von Lady Theodora Davidson übersetzte Werk »Tb« Husbauck ok a Crvcvu-prmesss, dz- Llllie« Toselll«, Duckworth L C., 10/6 net, wurde von den großen Leihbibliotheken boykottiert, da sie eine »I-ibet Letiou« (Verleum- dungsklage) befürchteten. Die findigen Verleger wußten sich zu helfen und machten hieraus eine nette Reklame. In ihren An noncen befindet sich der Zusatz »Mt avaiiable at tb« Ciroulutmg Libraries, but sollt dz tke L 8 a <1 ing Loolrsellers« (In den Leih bibliotheken nicht zu haben, Wohl aber in allen bedeutenden Buch handlungen). Vermutlich war die von Lord Alfred Douglas gegen den Times Book Club angestrengte Verleumdungsllage wegen Verbreitung und Verkaufs der Biographie Oscar Wildes von Mr. Ransome der Anlaß zu dem gemeinsamen Vorgehen der Bibliotheken. Der Times Book Club gewann zwar den Prozeß, doch verlautet, daß Lord Douglas Berufung eingelegt habe. Im Interesse des ganzen Buchhandels wäre zu wünschen, daß diese Rechtsunflcherheit endlich aufhört und eine endgültige Entscheidung darüber getroffen wird, ob der Buchhändler und Leihbibliothekar gezwungen ist, jedes Buch auf seinen Inhalt zu Prüfen, bevor er es in die Leihbibliothek gibt oder verkauft. Das zweite Werk, das hier eine große Sensation verursacht hat, ist »Itv käst, bz- Countess Nari« Luriseb, nee Lsroness Wallersee« (E. Nash, 10/6). Dieses Werk bringt Enthüllungen über die Vorgänge am österreichischen Kaiserhofe, speziell über den traurigen Tod des Kronprinzen Rudolf in Meyerling. Die Verfasserin versichert uns, alle von ihr erwähnten Tatsachen feien authentisch und auf Wahrheit beruhend. In den hiesigen Leihbibliotheken ist die Nachfrage nach dem Buche, das eine Art Apologie für die Rolle, die die Verfasserin in diesem Drama gespielt hat, darstellt, eine äußerst rege, obwohl — oder weil die Sitten und das Treiben der österreichischen Aristokratie nicht gerade in den rosigsten Farben geschildert werden. Ein äußerst interessantes Werk für Touristen in das Land der Pharaonen und besonders für Sammler von ägyptischen Altertümern und Kuriositäten hat vr. T. G. Wake- ling unter dem Titel »Vordeck Lgz-ptiau Lutiguities« (Adam Charles L Black, 21/— net) herausgegeben. Die Anfertigung sogenannter ägyptischer Altertümer ist in dem Werke vorzüglich und ausführlich beschrieben, und die vielen Illustrationen der gefälschten ägyptischen Kuriositäten werden in mancher Sammler brust Zweifel an der Echtheit der teuer erworbenen Schätze er wecken. Den Einfluß der englischen Presse auf die öffentliche Mei nung betreffs literarischer Werke kann man daraus erkennen, daß die Verleger Messrs. Herbert Jenkins Limited das Gedicht »Tb« Hute »k Suräonzx, bz- Li. ckobu« aus dem Buchhandel zurück zogen, da der bekannte Kritiker James Douglas in der Daily News das Gedicht als ein schmutziges und obszönes Machwerk verurteilte. ES dürste die Leser des Börsenblattes interessieren, zu er fahren, daß die englischen Frauenrechtlerinnen eine eigene Presse haben und 7 Journale in einer Auflage von zirka 10 000 bis 15 000 Exemplaren der Vertretung der Interessen der Frauen bewegung gewidmet sind. Die bekanntesten sind »Tb« Womuns Tranckiss«, »Tb« Vots«, »Tb« SutkruAetts« und »Tb« Womans Iress«, die alle Wochen erscheinen. Hierher gehört auch die Monatsschrift »Tb« Ong-Iisbu-oman«, wohl das am besten redi gierte Blatt dieser Bewegung. Das Börsenblatt brachte schon die Notiz über die Preis änderung im Einzelverkauf der Times. Die hier beigefllgte Ta belle gibt Aufschluß über die verschiedenen Preise, zu denen die Times im Verlauf von anderthalb Jahrhunderten verkauft wurde. Juli 1, 1788 . . 4-/.0. Sept. 5, 1838 . . 5 6. Jan. 1, 1788 . . 8<l. Juli 1, 1855 . . 4 6. Mai 22, 1809 . . 8>/-ck. Okt. 1, 1881 . . 3 6. Sept. 1, 1815 . . 7<I. Mai 5, ISIS . . 2 6. 81tV