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Redaktioneller TÄ Der Buchhandel von seiner kaufmännischen Seite. Nachdem sehr viel über die ideelle und kulturelle Seite des Buchhandels geschrieben worden ist, hat man das Empfinden, als ob es mehr oder weniger vermieden würde, die materielle Seite dieses leider nur zu ideellen Standes zu berühren. Den verschiede nen schwachen Andeutungen seitens der Sortimenter stehen solche von Verlegerkreisen gegenüber, die uns Sortimentern darin laut und deutlich erklären, daß wir eigentlich einen Durchschnittsrabatt von 45 °/o genießen und daß wir mit einer solchen Rabattforderung die Existenz des armen Verlegers untergraben. Nach Kenntnis nahme dieser Mitteilung haben wir uns zunächst einmal gewundert, daß die rücksichtslosen Sortimenter nicht alle steinreich geworden sind und werden. Und wenn wir nicht rechnen gelernt hätten, soll ten wir tatsächlich annehmen, daß nur unsere Dummheit daran schuld ist, daß wir keine Kapitalien ansammeln. Tatsächlich müssen wir uns heute aber fragen, ob uns unsere Geschäfte überhaupt die bescheidenste Existenz auf die Dauer gestatten. Es steht fest, daß die Krise in keinem Stand so gewütet hat wie im Buchhandel. Unsere Läger sind entwertet und bringen nur noch geringe Bruchteile des Einkaufspreises, und wenn selbst noch in den letzten Jahren bilanzmäßig ein schwacher Gewinn verzeich net wurde, so dürfte der Wohl aus der zu optimistischen Lageccin- schätzung entstanden sein. Wir alle können fcststellen, daß der llm- satzschwund im Buchhandel nicht mehr im Verhältnis zu der ge sunkenen Kaufkraft steht, daß er vielmehr diese in Riesenschritten überholt hat. Jeder Kaufmann würde in einem ähnlichen Fall alles daransetzen, die Ursachen zu ergründen und abzubremscn, wo es eben noch möglich ist. Wir Buchhändler als wahre Idealisten inter essieren uns zunächst für die Frage, welche Art von Literatur dem demnächst vielleicht bei uns noch erscheinenden Kunden gegebenen- falles verkauft werden könnte und ob das zu verkaufende Buch auch genügend Wert besitzt. Es sicht fast so aus, als ob wir seit Jahren ganz allein den Geschmack des Publikums gebildet, ihn verdorben oder gehoben hätten, alles das aus einer ganz raffinierten Ge- schäftstüchtigkeit heraus, um unsere Kassen und Bankkonten zu füllen und als ob der Buchkäufer, einem Sextaner gleich, über haupt keine eigene Meinung hätte und von uns erzogen werden könnte und müßte. Jeder Sortimenter wird aber wißen, daß der Geschmack der Käuferschaft, die sich doch zum großen Teil aus der gebildeten Ober schicht zusammensetzt, sehr schwer zu beeinflussen ist und daß alle dahingehenden Theorien sich für die Praxis als absolut ungeeignet herausstcllten. Nehmen wir an, daß tatsächlich ein Durchschnittsrabatt von 4b"/o beim belletristischen Verlag gewährt wurde, so müßten die Firmen, die die schlecht rabattierten wissenschaftlichen Bücher nicht in erster Linie führen, sich also hauptsächlich mit dieser Literatur befassen, zu den stärksten gehören. Leider ist es aber umgekehrt; denn hier setzt das große Risiko des Einkaufs ein. Der Buchhandel ist nämlich vom kaufmännischen Standpunkt aus das gefährlichste Geschäft, wenn er in Form eines Sortimentes betrieben wird. Wir haben keine Möglichkeit, das große Risiko der heutigen Lagerhaltung dem der Vorkriegszeit mit ihrer ausgedehnten Be dingtlieferung anzupassen. Die Folgen sind ungeheure Lagerver luste, die mit der Größe des Lagers steigen und die um so kleiner werden, je mehr ein Lager dem Tagesbedarf angeglichen wird. Es würde keinem Kaufmann einfallen, sich Waren auf sein Lager zu nehmen, deren Absatz nicht innerhalb kürzester Frist gesichert ist. Der Buchhändler kennt ein solches Verfahren nicht. Er glaubt an seine Standardwerke und schafft sich damit eine Verlustquelle, die ihm die Existenz untergräbt. Volksausgaben und Ramschangebote haben den großen Lägern den schwersten Schlag versetzt; sie haben alle Preise ins Wanken gebracht. Die weitere schwerwiegende Tat sache ist die, daß der Verkauf jedes Buches eine Zeit erfordert, die nicht im Verhältnis zu dem dabei erzielbaren Gewinn steht, wenn die Generalunkosten eines Betriebes zunächst berechnet werden. Das Verhältnis wird um so schlimmer, je mehr sich die Preise nach unten verschieben und erreicht seine Grenze bei den billigen Aus gaben, deren Verkauf sofort Verluste einbringt, wenn die für den Verkauf aufzuwendende Zeit nach Stundenlohn berechnet werden müßte. Wenn die billigen Bücher einen Mehrumsatz gebracht hät ten, dann hätte sich dies anders gestaltet. Sie haben statt dessen den Umsatz verkürzt und inzwischen hat sich das Publikum an diese Preisgestaltung so gewöhnt, daß es die billigen Bücher nicht mehr als billig empfindet, jedes normal kalkulierte Buch aber als unver hältnismäßig teuer. Wir können, wenn wir in der gleichen Rich tung Weiterarbeiten, allmählich ein Einheitspreisgeschäft aus dem Buchhandel machen, allerdings ohne den entsprechenden Verkehr erreichen zu können; denn immer wird sich wieder die Einrichtung finden, die das Kaufen eines Buches vermeidbar macht: das ist die Leihbibliothek. Die Leihbibliothek war so lange ein gewinnbringendes Ge schäft, als die Leihgebühren im Verhältnis zu der Leistung stan den. Mit der Hochflut der Leihbibliotheken und der Ausleihe zu den überall heute gültigen Gebühren hat auch da das Geschäft aufgehört. Es mag sein, daß die vielen Zigarrenhändler und Fri seure, die sich damit versehen haben, neue Kunden in ihr Geschäft ziehen. Als Einzelgeschäft betrachtet, kann niemand davon existieren und so kommt es, daß auch bei diesem uns so warm empfohlenen Geschäft die Zusammenbrüche mit dem Aufbau gleichen Schritt halten und es nur eine Frage der Zeit ist, wann auch hier der letzte den Geist aufgibt. Der Buchhandel ist an sich nicht mehr rentabel. Es mag sein, daß der eine oder andere Sortimenter noch auf seine Kosten kommt, im Ganzen gesehen ist er ein untergehender Stand. Die Vernichtung ist fast systematisch betrieben worden. Der Sortimen ter ist an seinem Idealismus, den niemand ihm lohnte, zugrunde gegangen. Die kümmerlich vegetierenden Existenzen sind schon in der Überzahl. Die, die früher die aufnahmefähigen Abnehmer des Verlages gebildet haben und mit ihren tausendfachen Angeboten den Ausbau des gesamten Buchhandels möglich machten, die den Stand zu seiner Blüte und Vielfältigkeit brachten, die den Kunden heranzogen und durch ihre Kenntnisse und persönlichen Beziehungen den Kreis der Büchersammler schufen, diese Sortimenter sind ver nichtet, weil sie die materiellen Grundlagen ihres Standes nicht ge nügend berücksichtigt haben und weil man ihnen den Boden unter den Füßen weggezogen hat. Die Abteilung des Standes, die die materielle Seite in den Vordergrund geschoben hat, ist der R e i se b u ch h a n d e l. Da der Reisebuchhandel rein kaufmän nisch ohne irgendwelche kulturelle und ideelle Gesichtspunkte mei stens von Nichtbuchhändlern ausgezogen ist, hat er die Rentabilität für sich. Die Grundfragen sind für ihn rein materieller Art: die Höhe des Rabattes, das Zahlungsziel und die Absatzfähigkcit. Dar aus entsteht ein gesundes kaufmännisches Unternehmen. Würde der Rcisebuchhandel mit den Lieferungen, die das Sortiment ausführen muß: Schulbücher, Zeitschriften, einzelne Bestellungen von Bro schüren belastet, so müßte notwendigerweise das Gesamtergebnis stark darunter leiden. Die kulturelle Aufgabe des Buchhandels spielt im Reisebuchhandel keine Rolle. Die Erfassung neuer Käufsr- schichten kann zum Teil zugegeben werden. Nach unseren Erfah rungen setzt sich aber der größte Teil aus Leuten in durchaus ge-