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23k, 8. Oktober 1912. Nichtamtlicher Teil. Börsenblatt t. d. Dtschn. Vuchhonbetl 12033 gebenen Interessen das rein nationale Ziel nicht aus dem Auge verliert. Wir werden an dieser Stelle noch genug Gelegenheit haben, auf die Ereignisse des nächsten Jahres zurückzukommen. Die Begebenheiten des vergangenen Monats nötigen uns, in die Gegenwart zurückzukehren. In den letzten Tagen des Septem ber beging die altehcwürdige Thomasschule die seltene Feier des siebenhundertjährigen Bestehens. Dieses älteste deutsche Gymnasium geinetzt bekanntlich einen weit über die Grenzen unserer Stadt hinausgehenden Ruf. Wenn man einmal, wie bei der Stadt Jena, von den sieben Wundern Leipzigs sprechen wird, so darf neben den berühmten Gewandhauskonzerten der Thomanerchor nicht fehlen, der sich getreu der durch die Wirk samkeit des Thomaskantors Sebastian Bach geschaffenen Über lieferung als ein Muslcrinstitut in der Pflege des Kirchcn- gesanges erhalten hat. Ein würdiges und schönes, durch die An wesenheit des Königs gehobenes Fest spielte sich vor unseren Augen ab, und ein nicht kleiner Teil unserer hiesigen Berufs genossen befand sich unter den Teilnehmern, die an diesem Tage mit besonderer Dankbarkeit der Zeit gedachten, in der sie sich in der Thomasschule das Rüstzeug für das Leben holten. Für den Buchhandel siel freilich ein tiefer Schatten in diese Feier hinein: Verlagsbuchhändler I)r. Alphons Dürr, auch ein ehemaliger Thomaner und als Oeserforscher bekannt, schloß am 23. September die Augen für immer. Wenige Tage vor seinem Tode war in den Räumen des Leipziger Kunstbereins, die sich im Erdgeschoß des städtischen Museums befinden, eine Aus stellung von besonderem Reiz eröffnet worden, die in diesen Tagen manchem Kunstfreunde einen wahrscheinlich niemals wiederkehrenden Genuß bereitet. Der Vater unseres verstor benen Berufsgenossen, Stadtrat Alphons Dürr, war eine der markantesten Persönlichkeiten Leipzigs in der Ludwig Richter- Periode, ein feiner Kunstkenner und Sammler, und dabei ein warmherzigerFörderer heimischen Kunstlebens. Unser an Kunst schätzen reichgewordenes städtisches Museum verdankt ihm die Wandgemälde von Heinrich Gärtner im Skulpturensaale und ein schönes Vermächtnis altdeutscher und niederländischer Bil der. Der Verlag von Alphons Dürr hat die Klassizisten, Ro mantiker und Nazarener, wie Genelli, Preller, Richter, Schnorr von Carolsfeld und Führich, vielfach beschäftigt und ihren Werken durch den Holzschnitt Verbreitung verschafft. Vermöge dieser Beziehungen gelang es Alphons Dürr, eine ausgezeich nete Sammlung von Handzeichnungen dieser Meister in seinem Besitze zu vereinigen, die sein Sohn noch kurz vor seinem Tode für die Ausstellung des Kunstvereins zur Verfügung gestellt hat. Diese interessante Sonderausstellung ist eine Vorläuferin der Jubiläumsausstellung, die unser Kunstverein anläßlich seines 75jährigen Bestehens im November dieses Jahres ver anstalten wird. Dem Vernehmen nach soll die Sammlung Dürr nunmehr zum Verkauf kommen. Hoffen wir, daß wenig stens ein Teil davon unserer Stadt erhallen bleibt. Ich denke dabei vornehmlich an die köstlichen, zum Teil farbigen Blätter von Ludwig Richter, die sich in ihrer gemütvollen, anheimelnden und echt deutschen Art vor den strenger gehaltenen und weniger volkstümlichen Arbeiten der anderen Meister auszeichnen. Wenn wir einmal bei den Jubiläen sind, so dürfen wir nicht vergessen, daß das Barsortiment von K. F. Koehler in diesen Tagen auf sein 25jähriges erfolgreiches Bestehen zurück blickt. Die Firma, die schon früher den Verlag gepflegt hat, läßt neuerdings auch eine Zeitschrift, die »Akademische Rund schau« erscheinen, die sich an alle Akademiker, auch an die inaktiven wendet. — Der juristische Teil des Verlags von Wilhelm Engelmanu ist von Herrn Felix Meiner angekauft worden und bleibt in Leipzig. — Wenn wir die Basis unseres regen Lebens ans musikali schem Gebiete betrachten, so besteht sie aus dem Gewandhaus- orchestcr, dem Thomanerchor, dem Konservatorium für Mu« Börsenblatt sllr den Deutschen Buchhandel. 79. Jahrgang. stk und der Musikbibliothek Peters. Daß die neue Musika lische Volksbibliothek einmal das fünfte Glied wer den wird, möchte ich fast bezweifeln; sie kommt mir eher vor wie das fünfte Rad am Wagen. Allzu reichlich schei nen ihr die Mittel auch nicht zuzuflietzen, denn sonst würde nicht in dieser auffallenden Weise für sie in Zeitungen Stim mung zu machen versucht. Man bittet um Vermächtnisse und appelliert — wahrscheinlich auch nicht vergeblich — an den Opfersinn der Verleger. Daß der Name »Musikalische Volks bibliothek« auch nicht besonders geschmackvoll ist, hat man end lich erkannt. Ob allerdings der Ersatz »Musikfchatzkammer«, den man vorschlägt, glücklicher gewählt ist, möchte ich fast be zweifeln. Man verrennt sich bei solchen Dingen leicht in eine Art kleinlicher Kulturfexcrei und wird sich in diesem eng begrenzten Gehege gar nicht darüber klar, daß ein solches In stitut mehr ein Vergnügen seiner Gründer als ein Segen für die Allgemeinheit ist. Es ist etwas Schönes um allerlei Be tätigungsdrang. Aus Mangel an geeigneten Ventilen zischt er aber überall aus den kleinsten Löchern heraus, so daß der Eindruck eines defekten Schlauches an der Maschinerie unseres öffentlichen Lebens erweckt wird. Die gleiche Beobachtung konnten wir auch im Verlaufe des Kampfes gegen den Schund machen. Zuerst brodelt es mächtig im Tümpel, bis sich eine Pfütze mit wohlgeglättetem Spiegel entwickelt. Unserem Leipziger Ausschuß, der sich vor zwei Jahren zur Bekämpfung der Schmutz- und Schundlitera tur gebildet hat, kann man allerdings die Anerkennung nicht versagen, daß er in einer durchaus maßvollen, darum aber nicht minder wirksamen Weise vorgeht. Er führt den Kampf mit sogenannten »Weißen Listen«, auf denen alle Geschäfte auf geführt werden, die sich verpflichtet haben, von ihren Aus lagen und Läden die schlechten Literaturerzeugnisse fernzu halten. Diese Geschäfte werden den Kindern und Eltern em pfohlen. Man hat dadurch erreicht, daß die Schundliteratur fast ganz verdrängt worden ist. Auf dem wichtigen Gebiete des Verkehrswesens sind wie der einige besondere Fortschritte in unserer Stadt zu verzeich nen. Mit der Verlegung des Verkehrs vom Berliner Bahnhof, der reichlich abseits lag, nach dem neuen Hauptbahnhof sind dort in der fertiggestellten einen Hälfte nunmehr bis aus die Eilenburger, sämtliche Preußischen, in Leipzig einmündenden Eisenbahnlinien vereinigt. Ferner ist für den Anfang des nächsten Jahres die Inbetriebnahme einer Anzahl Autobus- Verkehrslinien vorgesehen, der ersten unserer Stadt. Neben den bereits vereinzelt bestehenden öffentlichen Fernsprech stellen sollen Telephon-Automaten auch auf den Straßen und größeren Plätzen aufgestellt werden. Man tut also alles, um den großstädtischen Eindruck zu erhöhen, den die zahlreichen Fremden von unserer Stadt in den nächsten Jahren bekommen sollen. Inzwischen haben sich wie der eine Reihe von Kongressen und Tagungen angesagt, die im nächsten Jahre ihre Beratungen in Leipzig pflegen wollen. Ich verzeichne noch den Bund der Saal- und Konzertlokalinhaber Deutschlands, den Jmpsgegnerkongreß, den Verein Mitteldeut scher Milchhändler, die deutschen Pensionsverwaltungsbcamten, die deutschen Eisenbahntechniker, die deutsch-nationalen Klei- schergesellen, den Verband Deutscher Steinbruch- und Stein metzgeschäfte, den 10. Deutschen Samaritertag und den Be- zirksverband preußischer und sächsischer Bauinnungen. Ein rechtzeitig ausgegebenes Verzeichnis mit Angabe der Daten und Lokale wird hoffentlich nicht ausbleiben. Denn unsere Kaufleute, darunter auch unsere Buchhändler, werden gern zeitig ihre Vorbereitungen treffen wollen, um im redlichen Wetteifer auch etwas von dem Goldstrom abzubekommen, der, hoffen wir, zugleich mit dem Fremdenstrom nicht ausbleiben wird. kisoator. t5kt8