Volltext Seite (XML)
Redaktioneller Teil. X° 215, 14. September 1921. »Religion als Schöpfung« und Albert Kalthoffs »Christuspro blem« begann, wird mehr und mehr Mittelpunkt des verlagsschöpscri- schen Arbeitend. Die Abwendung von der V c r ä u ß e r l i ch u n g des zeitgenössischen Lebens wird bewußtes Zielstreben. In seinen mir vor- ^ liegenden, ungcdruckten Erinnerungen sagt Diederichs selbst von höherer Warte aus — die leider damals meist in Deutschland nicht in genügen dem Maße eingenommen wurde — sehr zutreffend: »Man könnte über den gesamten Verlag das Wort »Selbstbesinnung« setzen, denn fast jedes einzelne Werk fordert den Leser auf, Einkehr in sich zu halten und mit sich ins Reine zu kommen. Das des Delphi schen Orakels. Noch mehr aber gilt für ihn das Wort »Schöpfer- t u m« als Forderung, nicht in der ästhetischen oder sittlich intellektuel len Kultivierung der Einzelpersönlichkeit stecken zu bleiben, sondern das Ich von seiner zufälligen Beschränktheit zu erlösen, indem es seine Umwelt umgestaltet. Da der Lebensprozeß auf der Polarität, der Spannung zwischen den Gegensätzen beruht, ist auch in all den Strö mungen, die der Verlag vertritt, keine intellektuelle Einseitigkeit zu spüren. So befindet er sich in stetem Flusse. Sein Ziel ist »Univer salität im Goethisch-Humboldtschen Sinne. Es handelt sich bei ihm um jene Grenzgebiete, wo eine Lebensäuberung in die andere übergeht. Sie flattern aber nicht auseinander, weil ein Zentrum da ist, das sie zusammenhält, und das ist die religiöse Ein stellung. Religion nicht aufgefaßt als Denken und Glauben im Sinne eines Fürwahrhaltens, sondern als Handeln aus innerstem Wesen her aus, als Handeln in gläubiger Gewißheit eines fernen Zieles. Das Leben ist nicht dazu da, um die Menschheit glücklich zu machen, sondern damit die Menschen in Schicksalsstunden die Ideen immer reicher und farbiger erleben, die hinter dem Geschehen stehen. Erst durch bewußte Resignation kommt der Mensch zur Selbstüberwindung und damit zur Wiedergeburt im Geiste. Gleichwie bei jedem Menschen der entschei dende Faktor seines Charakters der Eros und nicht der Logos ist, so ist für die Kultur eines Volkes seine Stellung zum Religiösen entscheidend, und seine Fähigkeit, diesem in der Gebärde des Alltags eine Form zu geben, die die Willkür des einzelnen Ichs hemmt, indem es dieses der Gemeinschaft unterordnet«. Man erkennt nun klar den Grundgedanken des Verlages in der L e b e n s g e st a l t u n g, die sich aus den schöpferischen Kräften unse res Volkes ausbaut. »Verwurzelung im Volkstum, schöpferisches Han deln, das aus dem Chaos durch den Geist erlöst und durch die Kunst in der Sphäre höherer Wirklichkeit sichtbar gemacht wird.« Ohne jene Enge, sondern in der Weite Gocthcscher Universalität. Die Kultur der Seele ist die spezifische Aufgabe seit der Einstellung auf das Religiöse mit Bonus, Kalthoff und mit Meister Eckehart, neben die Platons Er zieherkraft tritt. Großzügig baute Diederichs fortan seinen Verlag, der seit April 1898 in der Seburgstraße 45, im Hinterhause von H. Haessel, angc- siedclt war, nach jeder Richtung hin aus. Im März 1904 verlegte er seine Tätigkeit nach Jena: der zweite damals herausgegebene Ver lagskatalog vermeldete die bisher geleistete und nun fortzuführendc Arbeit. Kurze Zeit wurde damals auch eine Zeitschrift »Die Dios - kuren« geplant. Aber noch kam es nicht dazu. Die breitangelegte Buchproduktion beanspruchte alle geistigen und finanziellen Kräfte des Verlages. Zehn scharfe Arbeitsjahre waren Eugen Diederichs nun vergönnt, bis er in großartiger Darbietung auf der Bugra 1914 sein gesamtes Verlagswerk als Schlußstein einer Kulturentwicklung zeigen durfte. Auf den Zehnjahres-Katalog »Kultur dcrSeele« folgte 1908 der Katalog »Wege zur deutschen Kultur«, der Diederichs' Sorge um des deutschen Volkes Zukunft unvcrhitllt, positiv mitschaffend aus- t,rückte. Die neue Religiosität baute sich — mit Kierkegaard — zu ernstem Christentum weiter aus. Soziales Verantwortungsgefühl Göhres Fabrikarbeiterbiographicn! resormpädagogische Be strebungen, die Gartenstadtbewcgung, sozialistisch-religiöses Wirken halsen die Gesundungsstimmung mitschaffcn, die aus kunsthistorischem, literarhistorischem, biogenetischem Gebiete vertieft wurde. Die großen Sammlungen: die Quellen der Renaissance, die Kunst in B i l d e r n, T h u l e, die chinesischen Philosopheubücher, die religiösen Stimmen der Völker, die Edda, die Märchen der Weltliteratur, die deutschen Volksbü cher, die Klassiker der Naturwissenschaften, die poli tische Bibliothek und die staatsbürgerlichen Flug schriften wurden damals geschaffen. Auf politischem Gebiete trat Diederichs gegen jede Gewaltpolitik für Kulturpolitik ein. Da mals fand er ganz im Sinne Paul La gar des — den Anschluß an die freideutsche Jugendbewegung. Die innerlich reinen, phrasenfreicn nationalen .Kräfte der Nation fanden sich oft nach skandinavischem Bolkshochschulvorbilde — in seinem Verlage. Und er schuf ihnen mit Neudrucken alter Werke, mit neuen Werken das geistige Rüstzeug, dessen sie bedürfen. Und schließlich auch den Mittelpunkt in seiner Zeitschrift »Die Tat«, die aus Ernst Horneffers Händen Oktober ' 1912 in den Verlag überging. Vertiefung des nationalen Bewußtseins unter Verständnis und Achtung der Eigenart anderer Volker, Wachsen aus dem eigenen Wesen heraus sowohl als Persönlichkeit wie als Volkstum, Entproletarisierung des Sozialismus zum Gemeinschafts leben — dies waren die ersten Grundlinien für die »Tat«, deren segens volle Wirkung unter der deutschen Jugend unbeschrcibbar ist. Als Eugen Diederichs, der innerhalb der Heimatschutzbewegung, bei der Wcrkbundgründung und an manchen anderen Aufbautaten der Zeit stets voll tätigsten Anteils war, 1914 in der Halle der Kultur der Bugra als einziger Verleger der Repräsentant der Kultur der damaligen Gegenwart und zugleich auch deren Zukunstsentwicklung zu sein harte, durfte er sein Werk mit Fug und Recht als einen Markstein deutscher Kulturentwicklung aufbauen. Die Bücher ordneten sich wie ein Ring des Lebens. Von Laotse anfangend schritt die Aufstellung durch die Jahrhunderte bis zur Gegenwart, wies in die Zukunft des germa nischen Kulturgedankens und berührte sich am Ende wieder mit der ältesten Mcnschheitskultur. In den großen Gruppen der schönen Literatur mit Romanen, Novellen, Märchen, Sagen, Legenden, Gedichten, Epen und Dramen, der Essays, Biographien und Briefe, der Neuausgaben aus der Romantik und der klassischen Zeit, der künstlerischen Kultur, der Lebensgestaltung durch Glauben, durch Denken (Re ligion und Philosophie), des deutschen Volkstums, der Er Ziehung , Volksbildung und Jugendbewegung, der Frauen frage und Körperkultur, der Antike und Re naissance, der Naturwissenschaften und Technik, Po litik, Volkswirtschaft, Soziologie, der Weltkultur und Zeitschriften schuf Eugen Diederichs ein gewaltiges Monu ment höchsten deutschen Kulturstrebens. Der Weltkrieg setzte diesem Kulturstrebcn ein grausiges Ziel. Die derichs bemühte sich redlich, während der Kampfjahre die Ideale dem schen Geistes in seiner Verlagstätigkeit hochzuhalten, aber nur die junge Generation hielt zum Verlage, die ältere, die schon immer skeptisch und mißtrauisch gewesen war, hielt sich fern. Mit dem Ende des Welt krieges stellte Diederichs sich ganz bewußt in den Dienst des neuen Lc bensgefühls, das aus religiösen Grundtrieben und aus erlebter Men schenliebe den wahren Sozialismus gebären will. Stärkere Besinnung auf unser Volkstum, tieferes Einwurzeln der Persönlichkeitsentwicklung im Gemeinschaftsgefühl, ein schöpferisches Verhältnis zur Arbeit, das Bekenntnis zur materiellen Bedürfnislosigkeit, zum Wesentlichen des Lebens, zum Unpersönlichen, zur Religion im deutschen Sinne predigt Diederichs' Verlagsschaffen nach dem Kriege. Was er mit den in heu tigen Verhältnissen eingeschränkten wirtschaftlichen Kräften leisten kann, leistet er. Die alten, großen Unternehmungen, wie die Märchen der Weltliteratur, wie Thule, wie die Kunst in Bildern, wie die religiösen Stimmen der Völker, wie die Klaj siker der Naturwissenschaften und der Technik werden fortgesetzt, und was an Einzelwerkcn erscheint, ist stets von innerer Be deutsamkeit. Fünfundzwanzig Jahre hat Eugen Diederichs mitschaffend am Bilkn des deutschen Geistes der Gegenwart gewirkt. Mag auch gegen einzelne seiner Arbeiten Kritik mit Recht laut werden, gewiß ist, daß kein Ver leger bisher einen gleichen Tempel germanischen, universalen Geistes schuf. Erneuert sich das deutsche Volkstum in den nächsten Jahrzehnten wirklich von innen heraus, so tut es das zum großen Teile durch das Werk Eugen Diederichs'. Dies Werk lebt im geistigen Bewußtsein der Nation. Und nicht nur der Nation. Denn hier dürfen wir es sagen Kein anderes Volk in der Welt kann einen gleichartigen Verlag wie den Diederichsschen aufweisen. Wenn »Deutschland« gesagt wird, wird dieses Verlegers Arbeit mitgedacht. Darin ruht die Wirkung und der Zukunftswcrt des Jenenser Hauses, das blühen wird, solange Engen Diederichs' Geist in ihm lebendig ist! Wöchentliche Übersicht über geschäftliche Veränderungen und Einrichtungen« Zusammengestellt von der Redaktion des Adreßbuchs des Deutschen Buchhandels. Abkürzungen: »-»- ^ Fernsprecher. — TA.: — Telegrammadresse. — V n Bankkonto. — 'Sss — Postscheckkonto. — > — In das Adreßbuch neu aufgenommene Firma. — B. — Börsenblatt. — H. — HanbelS- gerichtltche Eintragung smit Angabe des ErschetnungstagS der zur Be kanntmachung benutzten Zettungs. — Dir. — Direkte Mitteilung. 5.^10. September 19S1. Vorhergehende Lifte 1S2t, Nr. 209. Akademische Buchhandlung Fr. Fans», Leipzig, er loschen. sS. S./lX. lSA.s