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/st 99, 2. Mai 1910 Nichtamtlicher Teil. S2I9 der Schutz an der Herausgabe ebenfalls jederzeit, d. h., welches auch immer die Periode sein mag, durch die die Herausgabe von dem Todesjahr des Autors getrennt wird. Die da- herige Schutzfrist wird nämlich Nr Deutschland einem nach gelassenen, bis zum Inkrafttreten des neuen Gesetzes von 1901 noch nicht veröffentlichten Werke zu teil, selbst wenn die bisherige Schutzfrist bereits abgelaufen ist (Artikel 60). Danach muß überhaupt eine »bisherige« Schutzfrist irgendwelcher Art für die sämtlichen Werke Goethes bestanden haben; welcher Art diese gewesen sei, wird vom Gesetz nicht gesagt; es können daher gesetz liche Bestimmungen oder Privilegien mit temporärer Schutzfrist in Frage kommen. Zweifellos waren die Werke Goethes z. B. in Preußen durch Artikel 35 des Gesetzes vom 11. Juni 1837 rückwirkend bis 30 Jahre post mortem anotviis geschützt, die »bisherige« Schutzfrist aber auch sür posthume Werke nach diesem Gesetze im Jahre 1863 aus gelaufen. Das Urheberrecht lebt nun nach Artikel 60 in Verbindung mit Artikel 62 des neuesten Reichsgesetzes von 19 1 zu grinsten der Rechtsnachfolger des Urhebers an diesem posthumen Werke wieder auf. In derSchweiz hat das Bundesgesetz von 1883 (Art. 19) überhaupt rückwirkende Kraft, auch hinsichtlich früher gänzlich ungeschützter Werke. 5. Wer genießt in Deutschland die Schutzfrist von 10 Jahren post publioativnom? Der deutsche Gesetzgeber hat unzweideutig ein Herausgebsrrecht oder besser ein Heraus geberprivileg für denjenigen, der eine Handschrift ausfindet und erscheinen laßt, also einen Schutz der oäitio prioeops, der von den Verlegern gewünscht und von Herrn Professor Birkmeyer in einer Schrift verteidigt worden war, abgelehnt. Es soll, wie die Motive sagen, der Schutz an das Recht eines Urhebers angeknüpft werden. Somit sind die Rechtsnachfolger, d. h. nach Artikel 8 des Gesetzes die Erben des Verfassers hier in diesen posthumen Schutz eingesetzt und können jede von ihnen nicht autorisierte Herausgabe als Nachdruck verbieten. Nur für den Fall, daß der Nachweis der gesetzlichen Rechtsnachfolger für Werke aus entfernten Zeiten auf große Schwierigkeiten stoßen würde, hat das Gesetz von 1901 die Rechtsvermutung aufgestellt, daß dem Eigentümer der Handschrift das Urheber recht zustehe, als hätte er es selbst ererbt oder sonstwie durch Zession, Schenkung und dergl. erworben. Diese Ver mutung kann aber durch den Nachweis der Rechtsnachfolge umgestoßen werden. Die Erben des Autors können den Handschriftenbesitzer durch den Beweis ihrer Rechte gemäß Artikel 8 aus seiner pcäsumierten Urheberrechtsnachfolge ver drängen und ihm das okkupierte Recht abnehmen. In dieser Auslegung sind wohl alle Kommentatoren einig. Das System eines solchen Schutzes ist allerdings insbesondere durch Prof. Köhler (Urheberrecht an Schriftwerken, S. 130, 230, 237 bis 241) als ein den Charakter des Urheberrechts gänzlich ver kennendes und zu unleidlichen Schwierigkeiten führendes System scharf angegriffen worden. Aber es ist eben Gesetz. In der Schweiz besteht keine Bestimmung betreffend Zuerkennung des Schutzes von 30 Jahren post publieatiousrn; allein auch hier ist, wenn es sich um ein nachgelassenes Werk handelt, ein ausschließliches Recht nur zugunsten der Rechts- Nachfolger des Urhebers anzunehmen, und das Ausführungs reglement mit Eintragungsformular spricht denn auch nur vom Eigentümer des Urheberrechts. Somit ist vor allem nach dem Zivilgesetzbuch festzu stellen, ob cs noch Erben Goethes gibt oder nicht. Der Herausgeber könnte, sofern seine Nachforschungen in dieser Hinsicht gänzlich resultatlos geblieben find, es freilich auf die Geltendmachung eventueller Ansprüche ankommen lassen. 6. Angenommen, es wären keine gesetzlichen Erben Goethes oder Personen privaten oder öffentlichen Rechtes vorhanden, denen diese Eiben ihre Rechte abgetreten haben, so ist nicht etwa, wie man behauptet hat, der Fiskus Erbe, d. h. das Werk wird nicht Gemeingut, denn die hierfür an geführte Bestimmung des Artikels 8 des deutschen Gesetzes von 1901 bezieht sich nur auf das Nichtvorhandensein von Erben zur Zeit des Erbfalles; damals gab es aber Nach kommen, Erben und wohl auch letztwillige Verfügungen Goethes. Sondern fehlen diese Erben, dann gehört der Familie Schultheß in Zürich, die sich im Besitze des Manu skripts befindet, das gesetzlich normierte Veröffentlichungsrecht und ausschließliche Urheberrecht an dem nachgelassenen neuen Werke. Ist sie im rechtmäßigen Besitz des Manu skripts? Gewiß. Wie man auch die Tatsache beurteilen mag, daß Barbara Schultheß selbst oder mit Hilfe ihrer Tochter im Jahre 1777 eine Abschrift des ihr von Goethe zugesandten Urmanuskriptes nahm, ob sie dies im Ein verständnis mit dem Verfasser ausführte und diesem brieflich von ihrem Vorhaben und dessen Aussührung Mitteilung machte oder nicht, oder ob sie gegen seinen Willen und seine Instruktionen handelte und also eins mißbräuchliche Kopie veranstaltete . . . dies hat auf die Frage des jetzigen Besitz standes keine Wirkung. Nicht etwa aus dem Grunde, weil es damals ein gesetzliches Urheberrecht nicht gab und somit eine Abschrift eines urheberrechtlich gar nicht geschützten Werkes überhaupt erlaubt war. Auch nicht deshalb, weil die Kopie einzig und allein für den Privat gebrauch angefertigt und keineswegs sür die Veröffent lichung bestimmt war, so daß dadurch das Recht auf erste Herausgabe der bis dahin geheim gehaltenen Schrift des Dichters nicht verletzt werden konnte, wie denn überhaupt es auch heute noch gestattet ist, ein Gedicht oder ein Musik stück oder eine Zeichnung, die besonderes Gefallen erregen, zum Privatvergnügen abzuschreiben oder zu kopieren, wenn nur Sorge dafür getragen wird, daß diese Abschrift oder Kopie nicht den häuslichen Rahmen verläßt. Der Grund für den rechtmäßigen Besitz ist vielmehr der, daß dieser Besitz ersessen und zu Recht erwachsen ist. Dies bestimmt sowohl das neue schweizerische Zivilgesetzbuch, Artikel 728, wie das deutsche Bürgerliche Gesetzbuch, Artikel 937.') 7. Schließlich ist darauf aufmerksam zu machen, daß, wenn neuerliche ernstliche Nachforschungen dazu führen sollten, die Goethesche Urhandschrift, nicht bloß die Abschrift von »Wilhelm Meisters theatralischer Sendung« aufzufinden, oder eine der von Goethe selbst verschickten Abschriften, dann auch an dieser Urhandschrift oder an diesen Abschriften als posthumen Werken das gleiche gesetzliche Recht von den jedesmaligen Besitzern geltend gemacht werden könnte, immer vorausgesetzt, daß keine Erben und Alleinberechtigten da sind. Mit dieser Möglichkeit müssen die ersten Herausgeber rechnen; es könnte kein Herausgeber den andern gegenüber ein ausschließliches Recht gellend machen, sosern die Manu skripte miteinander übereinstimmen; sie müßten wohl die Frucht der Herausgabe ihrer gleichartigen Manuskripte mit einander teilen und dürften nur auf die divergierenden Elemente ein Anrecht geltend machen; Dritten gegenüber wären sie jedoch im Besitz ausschließlicher Rechte und könnten jeden Nachdruck verfolgen. Daran ist ja unter allen Umständen festzuhalten, daß ein Rechtsinhabec da sein wird, der die herausgegebene,Arbeit Goethes gegen einen solchen Nachdruck zu schützen vermag, sei es nun ein Erbe oder sonstiger Rechtsnachfolger Goethes, oder der Besitzer der Handschrift bzw. sein Zessionär. 'I Aber auch abgesehen von dem hier bestehenden legitimen Ursprung des Manuskripts würde der auch aus illegitimem Ur. sprung herrührend- Besitz insolge der gesetzlichen Verjährung (B.G.-B. Art. ISS) zu Recht bestehen können. Der Vers. 673»