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/K 54, 8. März 1910. Künftig erscheinende Bücher. Börsenblatt f. d. Dtschn. Buchhandel. 2971 kennt und nicht mehr nur wie einem unverstandenen Rätsel gegenübersieht. So gehen wir durch die über wältigenden, verwirrenden Eindrücke des Großstadtlebens hindurch, in dem alles sich gleichzeitig die Land reicht: Leben und Tod, Kraft und Siechtum, Schönheit und Lasier und alles, ich möchte sagen, auseinander - gezcrrt wird und darum unmittelbar an unsere teilnehmende Seele herangreift mit vielen Fragen, von denen eine die andere überhastet. Es ist eine vortreffliche Sammlung, mit wirklichem Geschmack ausgewählt, ein Zeichen wachsender Erkenntnis der Massenpsychologie und zugleich ein Gruß an diese Großftadtmenschen, diese Opfer der Kultur, die doch dem rinnenden Leben näher stehen können, als viele da draußen. And schließlich grüßt noch rührendfein wie Abendsonnenschein ein Strauß von Liedern, in denen die Natur zu ihrem Rechte kommt, soweit sie sich in der Großstadt behauptet. Alles in allem eine reiche Gabe des bewährten Verlags. Berliner Tageblatt in einer vier Spalten langen Besprechung: Verborgene Schönheit im Lebensrhythmus der Millionenstadt aufzuspüren, ist das Ziel eines neuen Buches. Es heißt „Fm steinernen Meer" und enthält Großstadlgedichte von Oskar Hübner und Johannes Moegelin im Verein mit Theodor Heuß gesammelt. Die Herausgeber betonen in ihrer Einleitung, daß ihre Publikation keine literar-historischen, sondern ästhetische und kulturelle Zwecke verfolge. Sie wollen das Heimatsgefühl einer neuen Generation stärken, die nun schon im Bannkreise der Telephondrähte ausgewachsen ist. Aber sie verzichten doch nicht völlig auf die Verlockung, die geschichtliche Entwicklung ihrer Asphaltlyrik zu skizzieren. Sie ist schnell zu übersehen. Denn erst mit dem Naturalismus konnte das Problem der Groß stadt literaturfähig werden. 23 Berliner Vorortzeitungen: „Im steinernen Meer" ist ein ernstes und reifes Buch, das den Blick in ein bisher wenig oder gar nicht bekanntes Land lenkt. Bierbaum, Buffe, Dehmel, Ernst, Falke, Hart, Holz, Liliencron, Trojan und viele andere berühmte Namen finden sich in dem Inhaltsverzeichnis und legen Zeugnis davon ab, daß es sich um das künstlerische Schaffen der Besten aus dem Reiche der Lyrik handelt. And wie die Namen schon Vertreter aller Richtungen der modernen Lyrik aufweisen, so enthält „Im steinernen Meer" Großftadtbilder von seltenem Farbenreichtum. Die Gedichte zeigen das Elend und den Glanz, die Schlichtheit und die Verworfenheit, die Freuden und die Leiden, kurz, das Leben der Großstadt in seiner verwirrenden Vielgestaltigkeit. Darin besteht das Verdienst der Herausgeber, daß sie mit feinem Verständnis für die Schattierungen lyrischer Arbeit aus dem riesenhaften Material sicheren Griffs bleibende Werte herausgegriffen und in ihrer Sammlung vereinigt haben. So wird der Gedichtband nicht nur eine Lektüre in flüchtiger Stunde, sondern zu einem kulturgeschicht lichen Dokument, dessen Bedeutung weit über unsere Tage hinausreicht. Wer von der Seele der Großstadt sprechen, sich über sie ein erschöpfendes Arteil bilden will, wird „Im steinernen Meer" unbedingt lesen müssen. Pädagogische Zeitung, Berlin: Oskar Hübner und Johannes Moegelin haben durch die Sammlung von Großstadtgedichten der neuen Kunst und der neuen Pädagogik einen gleich großen Dienst erwiesen. Sie kamen von der Pädagogik her, wollten die von Scharrelmann und Gansberg entdeckte wirkliche Amwelt der großstädtischen Schulkinder im Spiegel der Dichtung zeigen und entdeckten dabei selbst, daß die zeitgenössische Großstadtpoesie noch gar nicht als wirkliche Kunst gewertet, ins Volksempfinden eingedrungen ist. Die ganze Frage der Kunsterziehung ist augenblicklich noch auf allen Gebieten eine Frage der Bildung Erwachsener, und erst das Schlußziel — wie es Konrad Lange in Dresden formuliert — ist eine Erziehung des Kindes zum Kunstverständnis. Wohl aus diesen Erwägungen heraus gingen Osk. Hübner und Iohs. Moegelin an die schulpädagogische Vorarbeit, erst die neue Poesie in ihrem ganzen Amfange durch eine Sammlung den Erwachsenen zugänglich zu machen. Diese Anthologie ist die erste ihrer Art. Wir haben im letzten Jahrzehnt eine wohltuende Spezialisierung der Gedichtssammlungen erlebt. Die Herausgeber fingen immer mehr an, Stoffe und Formen auf bestimmte Gebiete zu beschränken; aber die Großstadt war noch niemals alleiniger Vorwurf einer Arbeit. And so wäre die Auswahl von Hübner und Moegelin als erster Versuch an und für sich schon ein literarisches Verdienst. Sie ist es aber noch mehr durch die Art der Darbietung. Aus überreichlichem Material ist mit zähem Fleiß und künstlerischem Geschmack nach langem Lin- und Hersieben alles auserlesen, was für irgendeine bedeutende oder doch charakteristische Seite großstädtischen Lebens wortplaftischer Stimmungsausdruck durch einen begnadeten Dichter geworden ist. Alle philologischen oder literarhistorischen Rücksichten sind glücklich beiseite geschoben, und nur das eine Problem ist scharf und deutlich herausgearbeitet: Wie spiegelt sich das moderne Großstadt- leben und -denken in der Dichtung wider? And so entsteht ein scharf umriffenes, straff zusammengehaltenes Bild des vielgestaltigen Lebens im „steinernen Meer" und der Dichter, die es „durch ihr Temperament sahen" und poetisch nachzuschaffen versuchten Es ist wirklich ein Glück, daß endlich einmal eine Anthologie es jedem ermöglicht, die neue Lyrik in trefflichster Auswahl kennen zu lernen Denn die vielen, oft unsäglich einfältigen Schmähungen gegen die neue Lyrik treffen einige Entgleisungen obskurer Wasserdichter, nicht aber die wuchtige und charakteristische Lyrik, die Hübner und Moegelin uns hier darbieten. Ganz Berlin lebt da plötzlich vor dem Geistesauge auf: mit seinen Leiden, seinen Freuden, seinen Friedhöfen, seinen Lokalen, seinem Verkehr und seinen typischen Menschen. Wir bitten die Herren Sortimenter, und namentlich die in den deutschen Großstädten, frdl. den beiliegenden weißen Bestellzettel zu benutzen und die Lehrerkundschaft ganz besonders auf die Neuerscheinung aufmerksam zu machen.