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Nichtamtlicher Teil. 54, 8 März 1910 an die Öffentlichkeit gekommen. Mit dem Prozeß, der Gutzkow wegen seiner »Wally« gemacht worden war, hatte diese beneidens werte Machtstellung aber ein jähes Ende genommen; die Zensur verfügungen Preußens und des Deutschen Bundes waren zu energisch, um einem Buchhändler ein Anknüpfen mit diesem so polizeiwidrigen Autor reizvoll zu machen; er hatte jetzt selbst seine liebe Not, seine eigenen Manuskripte an den Mann zu bringen, und hatte in einem Falle sich sogar einer literarischen Mystifikation bedienen müssen, indem er ein Buch »Zeitgenossen« unter dem Namen Bulwers veröffentlichte, ähnlich wie einst Wilibald Alexis den Namen Scotts gebrauchte. Daß er nicht mehr wie einst die Verleger an allen zehn Fingern hatte, zeigte sich auch bei dem Versuch, die Schrift Jungs unterzubringen, und wenn sich Hoff- mann L Campe dazu verstanden, so mußte hier ein besonderes Interesse für die erste Gabe des ostpreußischen Schriftstellers vor- iegen; denn auch Gutzkows Kredit in der Öffentlichkeit war in jener Zeit nicht mehr oder noch nicht so, daß ein Büchlein vor wiegend über ihn auf sonderlichen Absatz rechnen konnte. Tat sächlich hatte denn auch Jungs Manuskript bei Campe »einge schlagen« und der Verleger hatte alsbald einen ungewöhnlich begeisterten Brief nach Königsberg gesandt, der aber leider kürz lich auf dem postalischen Wege zu mir verloren gegangen ist. Welch enge Verbindung oder welch persönlich intimes Verhältnis diese Verlagsübernahme zwischen Buchhändler und Autor an knüpfte, zeigt aber ein späterer Brief, den mitzuteilen der Zweck dieser Zeilen ist. Daß er ungewöhnlich inhaltreich ist, zeigt schon die etwas umständliche Vorgeschichte, die ich ihm geben mußte; er ist in der Tat ein überaus vielseitiges Literaturbildchen, aus dem Vollen heraus geschöpft, von einem der mittendrin steht, entworfen, ein Literaturknäuel geradezu, den man beliebig lange abspinnen könnte, so zahlreich sind die darin verwickelten Fäden. Noch eins ist zum Verständnis des nachfolgenden Campeschen Briefes vorauszuschicken: Jungs »Briefe über die neueste Literatur« waren im Sommer 1837 erschienen. Die Absicht des Verfassers, die Debatte über Gutzkow und »Das junge Deutschland« in fruchtbarere Bahnen zu leiten und der Öffentlichkeit einiges Ver ständnis für die Psychologie des Verfassers der »Wally« beizu bringen, war keineswegs erreicht worden. Ein Werk, das von einem kritisch sehr hochstehenden, übrigens positiv-religiösen Stand punkt aus auf Gutzkow als den Mittelpunkt der jungen Literatur so energisch hinwies, konnte natürlich denen wenig behagen, die mit ihm um die Palme rangen. Der Zusammenhang gerade des »Jungen Deutschlands«, in dem einige Behörden so etwas wie eine anarchistische Verschwörung zu sehen meinten, allerdings durch das Medium eines Geheimrats Tzschoppe, der bald nachher im Verfolgungswahn starb, war so locker, daß Jungs Buch gerade von den engeren Genossen entweder tot geschwiegen oder bespöttelt wurde und einen Wandel in der literarisch-kritischen Wertung nicht herbeiführen konnte, da andrerseits die Zensur dafür sorgte, daß feine Haupt tendenz verheimlicht wurde in den wenigen Besprechungen, die sich etwa hervorwagten. Gutzkow schließlich wurde im Herbst 1837 in Frankfurt aufgehoben; ohne jeden Grund verweigerte man ihm die Verlängerung seines preußischen Passes, mit dem er am Main, im »Ausland«, wohnte; das Rechtsgefühl der Be amten am Bundestag konnte es nicht ruhig mit ansehen, daß ein so bedenkliches Subjekt wie der gemaßregelte Verfasser der »Wally« in Frankfurt als, wenn auch ungenannter Herausgeber des »Telegraph« sich allmählich durch ausdauernde Arbeit ein neues Wirkungsfeld eroberte. Man schob ihn deshalb nach Berlin ab, wo man schon anders mit ihm fertig werden würde. Gutzkow gelang es jedoch bei einem Besuch in seiner Vaterstadt im Herbst 1837 durch sein diplomatisches Auftreten die Erlaubnis zur Übersiedelung nach Hamburg zu erhalten; hier über nahmen nun Hoffmann L Campe seine Zeitschrift »Telegraph«, die sogar, bis zum Generalverbot des Campeschen Verlags 1841, in Preußen Eingang fand. Wenige Monate nach Gutzkows Nieder lassung in Hamburg für fünf Jahre setzt nun der Brief Campes an Jung ein, der von dem literarischen Status quo ein überaus bezeichnendes und amüsantes Bild entwirft und der Mitteilung wohl wert erscheint; ich gebe ihn mit den Eigenheiten der Ortho graphie und Interpunktion wieder, die das Original aufweist: Hamburg d 2 April 1838 Lieber Jung! Wenn ich heute erst Ihre geehrte Zuschrift v 11 Novbr beantwortete — es wäre, in der That, befremdlich, und doch ist es so, und wiederum ist es nicht der Fall. Anfangs Decbr schrieb ich an Sie u fügte eine Ein lage von Gutzkow bei; diese sollten mit einem noch Dorpat bestimmten Schreiben über Königsberg gehen. Diese Briefe übergab ich einem meiner Gehülfen zur Besorgung. Eben revidierte ich die nach Dorpat gegangenen Gegen- stände, die, da es Zahlungen an geht, in nächster Meße in Leipzig durchgefochten werden sollen u siehe da, — es fällt mir mein Brief in die Hand, der von dem Menschen, zu meinem Schrecken, nicht mit weg gesandt wurde! — Ihnen u Gutzkow gegenüber, weiß ich mich nicht zu entschuldigen oder zu rechtfertigen! wie wäre ich des im Stande! Jenen Brief kann ich nicht mehr absenden; ebenso mag ich nicht noch einmal copieren, was ich damals schrieb; denn in der Hauptsache, Gutzkow betreffend, urtheile ich jetzt anders, wie damals. Nach 4 verhängnißvollen Jahren sehe ich ihn zuerst wieder, fand ihn in vieler Hinsicht, gegen früher, sehr verändert. Dinge die mir berichtet, falsch berichtet waren, bestätigten sich bei genauer Prüfung nicht. Ich fand ihn ganz natürlich, ohne Anmaßung, schlicht u gutherzig, ohne Ueberschätzung seiner selbst oder seiner Leistungen. So, haben wir unsere alte Freundschaft erneut u. wie ich glaube, auf die Dauer befestigt, die für beide Theile gleich an- genehm und nützlich zu werden verspricht. Den 5>en x>. geht er nach Frankfurt, seine Familie her zu bringen, welche den 2ten Mai Frankfurt zu verlaßen gedenkt u den 8ten Mai hier eintreffen wird. Der Telegraph wird der Weile von mir redigiert u 8 Tage muß er selbst sich helfen, weil ich den 30 April nach Leipzig zur Meße gehen muß. Mit unserm Journal geht es recht gut, wir haben 500 Abnenten, sind a so in einem Fahrwaßer, das kein Risiko mehr, sondern nur eine gute Fahrt uns bieten kann. G. arbeitet daher mit voller Liebe und Wärme dafür, die dem Institute eine ehrenvolle Zukunft verbürgt. Auf Ihren damaligen Brief kann ich ietzt nicht recht mehr eingehen; die Standpunkte, für mich, sind verändert; wie ich damals über G. dachte, denke ich heute nicht mehr. Meine Liebe für ihn ist gewachsen; Zweifel, Bedenklichkeiten, die ich theilweise hegte, sind geschwunden und volles Vertrauen an deren Stelle getreten; — wobei wir uns bester befinden werden, als befühlten wir uns mit spitzen Fingern, den Fühlhörnern des menschlichen Körpers. — Andern Theils legten Sie mir Fragen vor, die mir, dem Geschäftsmanne, schwer zu beantworten sind! — Ich bin ein rein praktischer Mensch, was ich weiß, ist mir nicht gelehrt; — ich habe es mir erworben. Mein bischen Urtheil, mein Gefühl für das Richtige, Beßere, Schönere, das etwa aus meinem konsequenten Betriebe sich Herausstellen mag; die Gabe, daß Beßere zu wählen, geht aus einem inneren Triebe hervor, der sich ohne irgend eine Anleitung von selbst bei mir angefunden und gebildet hat. Von 15 Geschwistern, bin ich der Schluß, ein Zwillingspaar; den Vater habe ich nie gekannt; eine harte, verwahrloßte Jugend verlebte ich, Schreiben Rechnen etc. lehrte ich mir selbst; vom 9t bis l3t Jahre mußte ich in einer Tabacksfabrik arbeiten, wo ich im Jntereße eines geizigen Verwandten, der mich zu sich ge- nommen hatte, wirken mußte. Von Vermögen war nicht die Spur vorhanden; einen Thaler bewahre ich noch, ein Ueber- bleibsel aus meiner Spaarbüchse, das ist Alles. Erheirathet habe ich garnichts; meine Frau war sogar dürftig. Was ich habe, in 17 Jahren mir erwarb, ist ehrlich und redlich verdient u von dem Umfange, daß ich nie einen Thaler fremden Geldes bedurfte u keinen Groschen Schulden auf meinem Ge schäfte haften; mein eigenes Haus besitze, das ich für 30,00 » Thaler mir 1833 gekauft habe. Wie ich zu Verlegen begann, fragte ich regelmäßig einige sogenannte Gelehrte um Rath; ich traute mir kein Urtheil zu: wie theuer mußte ich das bezahlen! — Diese Patrone führten mich nicht schlecht in die Irrel Gegen deren Ansicht, folgte ich endlich meiner Ansicht, kehrte mich den Henker an das Urtheil der