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bändigen Romans mit Gedichten begnügen und außerdem die obengenannten Bedingungen annehmen wollte. Der Dichter wollte seinerseits an Großmut nicht zurückstehen und versprach Lsvy, vorläufig die Auflage zu erhöhen und die Vcrtriebszeil zu verlängern, aber — und hier kommt wieder der Geschäftsmann im Dichter zum Vorschein, der es liebte, nicht nur zwei, sondern womöglich noch mehr Fliegen mit einem Schlage zu treffen — er wollte dafür Lsvy eine Be dingung auserlegen, die heute kein Verleger mehr akzeptieren würde: Lsvy sollte sich in den Verlag der damals (Anfang 18L6, die Verhandlungen scheinen sich also über zwei Jahre hingezogen zu haben) gerade druckfertig vorliegenden Gedicht sammlung »l,ss Oootomplations« mit noch zwei anderen Ver legern teilen: mit Pagnerre, dem Victor Hugo den Verlag des Werkes für Paris schon versprochen hatte, und mit Hetze!, der, in der gleichen Lage wie Victor Hugo, nach dem Staats streich von 1851 Paris verlassen mußte und sein Verlags geschäft vorläufig nach Brüssel verlegt hatte. Dieser sollte den Vertrieb des Werkes für Belgien erhalten. Es ist nur zu begreiflich, daß Loop sich gegen dieses Drei-Verleger-System sträubte, »die Sache geht nicht recht», schreibt Meurice an Victor Hugo, »gerade weil es drei sind, die an ein und demselben Seile ziehen wollen, und jeder von ihnen andere Meinungen und Wünsche in bezug auf die zu unternehmenden Schritte hat«. Wir erleben hier also das seltene Schauspiel, daß ein und dasselbe Buch drei verschiedene Verleger hatte, davon zwei in derselben Stadt. Das beste Geschäft hatte natürlich wieder der Dichter gemacht: Die »Oovtsmplations« waren Pagnerre schon ver sprochen, und die Firma Goffelin L Renduel bzw. Levy hatte laut Vertrag ein Anrecht aus den Verlag eines Werkes für sich allein. Wenn also Lsoy sich geweigert hätte, so hätte von seiten des Dichters der Vertrag noch erfüllt werden müssen, der sich jetzt durch die Gutmütigkeit der be teiligten Verleger in nichts aufgelöst hatte. Heute könnten wir gar nicht mehr verstehen, daß dies Verlegertriumvirat seinem berühmten Autor gegenüber kein stärkeres Rückgrat zeigte und sich widerstandslos in seine despotischen Wünsche fügte. Leicht halten es die zahlreichen Verleger von Victor Hugo also nicht; auch abgesehen von seinen hohen Honorar forderungen und scharfen Bedingungen mischte er sich häufig in ihre rein geschäftlichen Angelegenheiten und wußte auch dort seinen Wünschen oft genug Geltung zu verschaffen. Endlich war die Einmütigkeit unter den Verlegern her gestellt, und das Werk konnte erscheinen. Über den Erfolg gibt uns der interessante Brief von Meurice an Victor Hugo Ausschluß: Pagnerre hatte seine 1600 Exemplare, die ihm laut Vertrag zukamen, schon am Tage des Erscheinens ab gesetzt, Lsvy verblieb am Abend des gleichen Tages von seinen 1706 Exemplaren noch ein Rest von etwa 4—506. Auch über den Eindruck des Werkes auf das Publikum erzählt Meurice verschiedene Anekdoten. Ein Student hätte vier Tage lang trockenes Brot gegessen, nur um sich das Buch für 12 Frcs. kaufen zu können; ferner hätte er (Meurice) bei Levy zwei Lehrer gesehen, die -demütig- gebeten hätten, ihnen das Werk für 10 Frcs. zn überlassen, da sie sogar zusammen den Preis von 12 Frcs. nicht aufbringen konnten, u. a. m. Heute würde ein solcher Opfermut von seiten des Publikums wohl nicht mehr Vorkommen. Angesichts dieses Erfolges hatten sich die beiden Pariser Verleger, die, wie oben erwähnt, nur das Vertriebsrecht für 3200 Exemplare hatten (in welcher Anzahl Hetzels Anteil jedenfalls noch mit inbegriffen war, da über den Verbleib des Restes von 500 Exemplaren nichts gesagt wird) schnell geeinigt: Sie gingen zu Meurice und wollten das Vertriebs recht für eine zweite Auflage von 3000 Exemplaren erwerben, und zwar, ohne sie zu kennen, zu den gleichen Bedingungen, wie Victor Hugo sie Hetzet aufsrlegt hatte. Was das für Bedingungen waren, ist leider nicht gesagt. Das Vertrauen in den Erfolg des Werkes war bei den Verlegern trotz aller Klauseln und Vorbehalte des Autors sogar so groß, daß sie schon über eine dritte und vierte Auflage, jede zu 3000 Exemplaren, abschließen wollten, diesmal aber in dem heute so beliebten 3 Frcs. 5l> Cts.-Format, die zur Ausgabe gelangen sollten, wenn die zweite, teure Auflage zu 12 Frcs. vergriffen sei. Endlich ließen sie durchblicken, daß sie nicht abgeneigt seien, eine Volksausgabe zu l Franc in einer Auflage von nicht weniger als 60 000 Exemplaren zu ver anstalten und für den Absatz im Laufe eines Jahres zu garantieren. Dieses Angebot schien sogar dem anspruchsvollen Victor Hugo zu genügen, denn er ging darauf ein. Jedenfalls hat er sich nicht träumen lassen, daß der im Jahre 1831 mit Goffelin L Renduel eingegangene Vertrag, von dem er sich gern besreien wollte, sich in dieser Weise lösen würde. Gosselin muß ein sonderbarer Geschäftsmann gewesen sein und in bezug auf Gefälligkeit das Ideal aller Autoren. Heute dürfte selbst ein Dichter im Range Victor Hugos wohl kaum noch einen Verleger finden, der sich statt eines versprochenen Romans mit Gedichten begnügen würde und sich außerdem mit zwei andern Verlegern in den Erfolg teilen müßte, dazu zn so drückenden Bedingungen wie den eben genannten. Immerhin ersehen wir daraus, welchen Erfolg dis Victor Hugoschen Werke damals hatten; ja es soll vorgekommen sein, daß in den ersten Tagen nach dem Erscheinen eines neuen Werkes von Victor Hugo das Geschästslokal des Verlegers geradezu gestürmt wurde, daß die Leute bis auf die Straße hinaus standen und geduldig warteten, bis die Reihe an sie kam und sie sich für einen unverhältnismäßig hohen Preis das Buch kaufen durften. Auch das kommt heute wohl nur ganz selten vor — leider! In dem eben erwähnten Briefwechsel zwischen Victor Hugo und Meurice, der sich über die Zeit von I85l bis 1878 erstreckt, in dem aber leider viele Briefe fehlen, so daß man den Zusammenhang häufig nur erraten kann, finden wir noch verschiedene andere Mitteilungen über die Beziehungen Victor Hugos zu seinen zahlreichen Verlegern, u. a. auch zu Lacroix, der als Verleger der -5lissr»blss- bekannt geworden ist. So hatte z. B. Victor Hugo, noch bevor der Vertrag mit Lacroix perfekt wurde, ein Anerbieten von der Firma Hachetle sür die »blissradles« erhalten, und diese Offerte lautete auf das immerhin ganz annehmbare Honorar von 150 000 Frcs. bei einem Verbreilungsrecht von zehn Jahren. Victor Hugo schreibt daraus an Meurice, daß sich über dieses Angebot bei einem Verlagsrecht von 4—5 Jahren vielleicht reden ließe, daß cs aber bei dem von Hachette be anspruchten doppelten Zeitraum »nicht ernst zu nehmen« sei. Tatsächlich hat der Dichter für diesen Roman ein Honorar von 300000 Frcs. von Lacroix erhalten, allerdings für ein Verlagsrecht von 12 Jahren. Ermutigt durch den großen Ersolg, erwarb Lacroix einige Jahre später einen neuen Roman von Victor Hugo von 4 Bänden: »I/Homms gai ritr. Zu welchen Bedingungen, ist leider nicht ersicht lich, aber sie müssen scharf gewesen sein, denn Lacroix, der von der Vorliebe seines Autors, mehrere Geschäfte gleich zeitig zu machen, angesteckt worden zu sein schien, ver fiel auf folgende eigenartige Vertriebsart: Um seinem übrigen, offenbar ziemlich schwer gangbaren Verlag neue Absatzgebiete zu eröffnen, wollte Lacroix den neuen Roman von Victor Hugo zunächst weder direkt, noch durch den Buchhandel vertreiben, sondern als Gratisprämie für alle diejenigen benutzen, die sür den Betrag von 100 Frcs. Werke seines Verlages in beliebiger Zusammenstellung bezogen. Der Roman wurde mit Ungeduld erwartet,