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Nichtamtlicher Teil. Ein Verlagsvertrag vor 50 Jahren. Während unseren Verlegern von seiten der Schriftsteller häufig der Vorwurf gemacht wird, daß sie die Unkenntnis der letzteren auf geschäftlichem Gebiete mißbrauchten und ihre Stellung als der wirtschaftlich stärkere Teil dazu be nutzten, um geringe Honorare zu zahlen, läßt sich diese Un kenntnis literarischer Werte Victor Hugo nicht vorwerfen. Der Dichter besaß im Gegenteil einen scharf ausgeprägten Geschäftssinn und eine so tiefgehende Kenntnis vom Verlags- geschäft, wie man sie in Schriftstellerkreisen selten findet; er hätte, wenn er sich nicht gerade für den Dichterberuf ent schieden hätte, einen ganz guten Verleger abgeben können. Ja, er pflegte den Wert seiner Arbeiten so hoch einzuschätzen, daß unfern heutigen Verlegern vor solchen Honoraransprüchen geradezu schwindlig werden würde, und, was das Wunder barste ist, es gelang ihm in den meisten Fällen, mit seinen Forderungen auch durchzudringen, wie ich das in meiner Arbeit über die Entstehungsgeschichte der »Nissi-ables- er läutert habe (vgl, Nr. 127 d. Bl, »Victor Hugo und sein Verleger Lacroix«). Victor Hugo war ein Virtuose im Erfinden von allen möglichen Klauseln und Vorbehalten in seinen Verlags verträgen, und daß diese Vorbehalte sehr einseitig waren, d, h. nur Vorteile für den Dichter boten, ist so selbst verständlich, daß ich das kaum zu erwähnen brauche. Eine weitere Eigentümlichkeit von ihm war, daß er Verträge nicht für immer, nicht bis zum Freiwerden des betreffenden Werkes abschloß, sondern immer nur für eine bestimmte und meist ziemlich kurze Zeitdauer, die zwischen anderthalb und zwölf Jahren schwankte. War er nach Ablauf dieses Zeitraumes mit dem betreffenden Verleger, bzw. dem erzielten Absatz zufrieden, so verlängerte er den Vertrag, wenn nicht, so übertrug er das Werk einem andern Verleger. Diese Vorliebe für den Wechsel brachte es mit sich, daß kaum ein anderer Schriftsteller so viele Verleger gehabt hat wie Victor Hugo, und obwohl ein starker Wechsel unter den Verlegern weder für den Absatz der Bücher, noch für den Ruf des Autors von Vorteil ist, dürfte doch Victor Hugo von allen Schrift stellern des neunzehnten Jahrhunderts derjenige sein, der die größten Einnahmen aus seiner Feder gezogen hat. Beim Blättern in dem kürzlich erschienenen Briefwechsel zwischen Victor Hugo und Paul Meurice finde ich einen Verlagsvertrag vom Jahre 1853, der interessant genug sein dürfte, um im Börsenblatt Erwähnung zu finden. Zum besseren Verständnis ist ein Eingehen auf die damaligen Zeitereignisse und Verhältnisse erforderlich. Im Oktober 1831, als der Ruhm des erst neunund- zwanzigjährigen Dichters durch sein Trauerspiel »Hernani« und seinen ersten großen Roman »klotre-vaioo <i« karis. schon gefestigt war, hatte er auf ein Anerbieten von Len Verlegern Gosselin L Renduel mit dieser Firma einen Vertrag über einen noch zu schreibenden zweibändigen Roman abgeschlossen. Im Jahre 1853, also 22 Jahre nach her, war der Vertrag von seiten Victor Hugos immer noch nicht erfüllt, und die eingegangene Verpflichtung schien den Dichter zu drücken, obgleich er — etwas was wir heute gar nicht mehr verstehen würden — während der ganzen Zeit keine Mahnung von seiten der Verleger erhalten zu haben scheint. Bekanntlich mußte Victor Hugo, der sich außer mit der Dichtkunst auch sehr eifrig mit der Politik beschäftigte, nach dem Staatsstreich von 1851 als persönlicher und heftiger Gegner Napoleons III. Frankreich in schleunigster Flucht verlassen. In der Kleidung und mit dem Paß eines Schriftsetzers bei Firmin-Didot, Lanvin, dem Victor Hugo BSrscMatt für dm Deutschen Buchhandel. 76. Jahrgang. einst einen Dienst hatte leisten können, gelang es ihm am 11. Dezember, zu entfliehen. Seinen beiden Söhnen, Charles und Francois, sowie seinem Freunde Paul Meurice, die damals auf der Redaktion der Zeitung »1,'Lvouoiuollt« be schäftigt waren, ging es nicht so gut; sie wurden ergriffen und mußten ins Gefängnis. Doch scheint die Haft nicht eben streng gewesen zu sein, denn die ersten Briefe von Meurice an Victor Hugo sind noch aus der Gefangenschaft datiert; außerdem wurde bald eine allgemeine Amnestie er teilt, und Victor Hugo hätte ruhig nach Paris zurückkehren dürfen; aber eigensinnig, wie er war, wollte er von der Gnade des ihm persönlich verhaßten Monarchen keinen Ge brauch machen und zog es vor, bis zum Sturz des Kaiser reiches als freiwillig Verbannter im Ausland zu leben. Während dieser ganzen Zeit, also 1851—1871, war Meurice der Geschäftsträger, der Freund und Vertraute in allen ge schäftlichen und privaten Angelegenheiten von Victor Hugo in Paris, und der Briefwechsel dieser beiden Männer gibt einen interessanten Aufschluß über die Entstehungsgeschichte und den Vertrieb manchen Buches. Obgleich Victor Hugo in den Jahren 1831—53 Ver schiedenes veröffentlicht hatte, hat er Loch nie an die Er füllung des Vertrages mit Gosselin L Renduel über einen zu liefernden zweibändigen Roman gedacht. Im Jahre 1848 lag sein berühmter Roman -I-e» LlissrLblos« in seiner ur sprünglichen Gestalt zwar drucksertig vor, aber sei es, daß Victor Hugo in Gosselin L Renduel nicht die richtigen Per sönlichkeiten für dieses Werk vermutete, sei es, daß er fürchtete, seine Honoraransprüche, die sich auf nicht weniger als 300 000 Frcs. beliefen, würden ihm nicht bewilligt werden, kurz, er hat dieser Firma nie ein bezügliches Anerbieten gemacht; tatsächlich ist der Roman auch erst 1882 erschienen. Im Jahre 1853 also schien Victor Hugo sich plötzlich wieder an seine vor 22 Jahren gegen die Firma Gosselin L Renduel eingegangene Verpflichtung zu erinnern; da er aber damals gerade keinen zweibändigen Roman zur Hand hatte, so wollte er den Vertrag annullieren oder wenigstens ändern und beauftragte Paul Meurice, den Verlegern statt des versprochenen zweibändigen Romans zwei Gedichtbände vorzuschlagen, befürchtete aber nicht ohne Grund einigen Widerstand. Gosselin war damals alleiniger Inhaber der Firma — ob sein Teilhaber Renduel inzwischen gestorben war oder sich vom Geschäft zurückgezogen hatte, ist nicht er sichtlich — und erklärte sich wider alles Erwarten bereit, vom Vertrage zurückzutreten, vielmehr diesen zu den gleichen Bedingungen an einen Dritten übergehen zu lassen. Zu dieser Zeit erhielt Victor Hugo ein Verlagsanerbieten von Michel Loop, dem Gründer des heutigen großen Ver lagshauses Calmann-Lsvy, und der Vermittlung von Meurice gelang es, Gosselin zu bewegen, seine Rechte am Vertrage an Michel Lsvy abzutreten. Es ist interessant, etwas Ge naueres über diesen Verlagsoertrag vom Jahre 1832 zu er fahren. Er nennt Bedingungen, die heute kaum jemand unterschreiben würde. Das Honorar für den zweibändigen Roman (denn ein solcher war damals ja vorgesehen) sollte 12 000 Frcs. betragen; davon sollten 6000 bei Erscheinen und der Rest von 6000 Frcs. nach sechs Monaten zahlbar sein. Dafür durfte der Verleger 3200 Exemplare drucken und hatte das Verbreitungsrecht für 15 Monate; der Preis des Werkes sollte 12 Frcs. betragen. Diese gleichen Be dingungen sollten nun statt für den Roman für zwei Bände Gedichte gelten. Victor Hugo hatte gegen den Übergang des Vertrages von Gosfelin auf Michel Loop nichts einzuwenden, und zwar um so weniger, als dieser sich statt des versprochenen zwei- 164t