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73, 1, April 1910. Nichtamtlicher Teil. Mrs-nblM s. d. Dtschn. BLchhan«-!. 3893 Maurice Schlesinger und Fontane der ganze Nachlatz Friedrich Chopins für Deutschland erworben. 1857 auch von der Mutter seine berühmten polnischen Lieder. Übrigens waren schon im Jahre 1837 die beiden Nocturnes Opi 32 durch Pariser Vermiltlung bei Schlesinger herausgekommen. 1856 erschien eins der ersten Werke von Peter Cornelius, das -Vater unser». Einer der populärsten deutschen Liedersänger, Ferdinand Gumbert, gab seit 1843 seine volkstümlichen Lieder fast ausschließlich dem Hause Schlesinger. In den letzten Jahren veröffentlichte Heinrich Schlesinger in großer Anzahl olle möglichen Bearbeitungen seiner vorhandenen Verlagswerke, neue Klassikerausgaben u. dergl. Seinen schon länger gehegten Plan, das Geschäft zu verkaufen, verwirklichte er 1864. Am 15. Juni 1884 kaufte Robert Emil Lienau die Firma. Mit ihm kam neues Leben und neuer Geist in das alte Geschäft Der neue Besitzer, geboren 28. Dezember 1887 in Neustadt in Holstein, der Sohn eines Großkauf manns, hatte nach Absolvierung des Gymnasiums in Eutin in Leipzig unter Moicheles und Hauplmann Musik studiert Aus Gesundheitsrücksichten konnte er aber die von ihm er sehnte Kapellmeisterlaufbahn nicht einschlagen, und sein Vater gab ihm daher die Mittel, durch Ankauf der Schlesingeischen Buch- und Mufikhandlung nun auf kaufmännische Weise der Musik sich weiter widmen zu können. Er war kaufmännisch nicht ausgebildet, wenn auch in einer Kaufmannsfamilie auf- gewachsen, und so kam es, daß er sich zunächst mit großer Vorsicht in die neuen Verhältnisse einzuarbeiten suchte. Ein Gebiet der Musik fehlte in dem großen Verlage fast gänzlich, das war Unterrichtsstoff für den Anfang im Klavier spiel, und hier setzte Lienau mit einer höchst erfolgreichen Verlagslätigkeit ein, indem er den ausgezeichneten Musiker und Musikpädagogen E. D. Wagner für sich gewann und zu seinen Ideen erzog. Die E. D. Wagnersche Kinderklavierschule und seine zahllosen Unterrichtswerke sind über die ganze Welt gegangen und noch heute unerreicht. Als eine Ehrenpflicht betrachtete es Lienau. die Werke des Tonmeisters, der den Ruf der Schlesingerschen Mufikhandlung begründet hatte, Carl Maria von Webers, in neuen vorzüg lichen Ausgaben zu drucken. Die Klavierwerke, Lieder und fast sämtliche Jnstrumentalwerke wurden (durch Reinecke, Rudorfs und Jähns revidiert) neu veröffentlicht, dis voll ständigen Partituren aller Opern in Prachtausgaben ge stochen. Für die Widmung der Partitur »Euryanthe» an den Kaiser Franz Joseph von Österreich wurde Lienau mit der großen goldenen Medaille für Kunst und Wissenschaft aus gezeichnet. Das berühmte Buch von F. W. Jähns -Carl Maria von Weber in seinen Werken» wurde 1871 ver öffentlicht. Die von Franz Wüllner und F. Grandaur mit Rezitaiiven versehene Oberon-Ausgabe ist heute bei allen großen deutschen Bühnen dauernd im Spielplan. Heinrich Schlesinger verkaufte 1871 sein Haus Unter den Linden 84, und so ergab sich die Notwendigkeit zu einem Umzug. Nach einem kurzen provisorischen Unterkommen in der Friedrichstraße zog das Geschäft in das von Lienau gekaufte Haus Französischestraße 23, wo die Handlung sich noch jetzt befindet. Eine wertvolle Bereicherung erhielt der Musikverlag im Jahre 1875 durch den Ankauf der alten Firma Carl Haslinger quondam Tobias in Wien. Durch die Auf nahme dieses Verlages wurde der Schlesingersche Bestand fast um das Doppelte vergrößert. Es sei auf die große Reihe der berühmten Haslingerschen Verlags-Kompositionen von Franz Liszt, Carl Czerny, Johann Strauß Sohn usw. hin gewiesen. Ein besonderes Augenmerk wurde jetzt auf gute Klassiker ausgaben gerichtet: die sämtlichen Klavierwerke von Chopins (Theodor Kullak), Schumann (Alexis Hollaender), Mendels sohn (Isidor Seih) und vieles Derartige wurden publiziert. Auch eine nach dem Muster anderer Volksausgaben zusammen gestellte »Edition Schlesinger» wurde ins Leben gerufen. Neue Beziehungen wurden angekniipft zu dem Geigerkönig August Wilhelinj, zu Anton Dookak, die alten Beziehungen zu Franz Liszt wurden iortgesetzt. Hans von Bülow bezog für seine Meininger Hoskapelle seinen Bedarf ausschließlich von Schlesinger-Lienau. Die Musikzeitung »Echo» wurde bis zum Fahre 1879 fortgesetzt und bildete sich zu einem Organ der Anti-Wagnerianer heraus. Ein besonderes Verdienst Lienaus ist die Wiederbelebung der zwischen 1860 und 1875 fast gänzlich vergessenen Balladen Carl Loewes. In Ver bindung mit dem Berliner Loewe-Verein gelang es, hervor ragende Sänger wieder darauf aufmerksam zu machen und dem deutschen Volk die unsterblichen Werke des größten Balladenmeisters zu retten. Im Jahre 1892/93 wurde an Stelle des alten Hauses (nach Ankauf des Nebenhauses Nr. 22) ein stattlicher Neubau errichtet, der nun für den immer mehr wachsenden Verlag große und praktische Räume bot. Der Buchverlag und das Büchersortiment waren übrigens schon seit Jahren verkauft und aufgegeben worden. Lienau hat zwei Söhne in sein Geschäft ausgenommen: Robert Heinrich, geboren 1866, und Friedrich Wilhelm, geboren 1875. Robert hat nach Absolvierung des könig lichen Wllhelms-Gymnasiums in Berlin und nach Studium ans der Berliner Universität seit 1887 in großen Musik geschäften in Zürich, New Dort, Wien Fachkenntnisss ge sammelt und ist seit 1897 dauernd in dem Schlesingerschen Geschäft in Berlin tätig. 1898 zog sich der Vater wegen Kränklichkeit von der Geschäftstätigkeit zurück, seitdem leitete Robert junior allein das Berliner Geschäft und wurde 1903 Teilhaber. Wilhelm halte in Freienwalde sein Abiturienlen- Examen gemacht und nach Lehrjahren (bei Gebr. Hug L Co. in Zürich) in der Wiener Firma Haslinger gearbeitet. 1907 wurde er Teilhaber der Geschäfte und leitet jetzt die Wiener Firma Haslinger. Seit dem 1. Januar 1910 sind Robert Heinrich und Friedrich Wilhelm Lienau die Besitzer; der Vater ist aus dem Geschäft ausgeschieden. In den letzten zehn Jahren ist die Firma Schlesinger mit einer ganzen Reihe moderner Künstler in Beziehung getreten. Anton Bruckner übergab ihr (bzw. der Firma Haslinger in Wien) seine achte Sinfonie, die Klavierwerke von Leopold Godowsky, die Viotinbearbeitungen von Willy Burmester, zahlreiche Kompositionen des Finnländers Jean Sibelius, sämtliche Werke des talentvollen Deutsch-Russen Pani Jüan sind ein wertvoller Bestand des Verlags ge worden. Auf dem Gebiete der Bühnenmusik wurden mehrere Operetten und unter dem Titel »Opernrenaissance» neue Bearbeitungen alter Opern, z. B. »Don Pasquale« heraus gebracht. Im Jahre 1907 erfolgte der Ankauf der bekannten Seemannschen Musikbibliothek. Der Bestand des Schlesingerschen Musikverlags umfaßt zurzeit über 25 000 Werke mit einem Plattenlager von mehreren Hunderttausend Notenplatten. Die Verlagswerke werden fast ausschließlich in der berühmten und bewährten Notendruckerei von C. G. Röder in Leipzig hergestellt. Das ein Jahrhundert überdauernde Blühen des alten, mit den größten Meistern der Tonkunst so eng verbundenen Geschäftshauses bildet ein ehrenvolles Blatt in der Geschichte des deutschen Mustkalien- und Buchhandels. Mögen jene Worte, die der alte Adolph Martin Schlesinger im Jahre 1826 in Wien an Beethoven schrieb, seinen Nachfolgern allezeit vorschweben und sie anspornen zu kräftiger und ziel bewußter Arbeit für die edle Tonkunst: »Der Name Schlesinger soll lange in der Musikalischen Handelswelt und im Buchhandel bleiben.» sor