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3040 Börsenblatt f. d. Dtschn. Buchhandel. Nichtamtlicher Teil. ^ 56, 10. März 1910 Die Bekämpfung des Schmutzes in Wort und Bild in der Ersten Kammer des sächsischen Landtags. (Vgl. Nr. SS d. Bl.> Die vierte Deputation der Ersten Kammer berichtete am 4. d. M. über die Petition des Bolksbundes zur Bekämpfung des Schmutzes in Wort und Bild in Berlin und die Petition des frei maurerischen Vereins »Fürsorge« in Dresden, betr. die Vor führungen der Mutoskope und Kinematographen sowie die Aus stellung und den Verkauf anstößiger Schriften und Bilder, und über eine anonyme Petition, denselben Gegenstand betreffend. Die Eingabe des Volksbundes, die noch dreißigtausend Unter schriften von Männern und Frauen aller Stände und aller Gegenden Deutschlands aus Stadt und Land trägt, ist auch an den Reichstag gerichtet. Die Unterzeichner fordern im Interesse der deutschen Jugend, daß die Regierungen gegen die öffentliche Auslegung von Bildern und Schriften einschreiten, die, weit entfernt, der Kunst und der Wissenschaft zu dienen, lediglich darauf be rechnet sind, in schamloser Weise die Sinnlichkeit zu reizen, sowie gegen Kinematographen und Mutoskope, die denselben Zwecken dienen. Die Petition des Dresdner Vereins enthält die Bitte, in Er wägung zu ziehen, auf welchem gesetzlichen oder Verordnungs wege, wenn möglich überhaupt der Verkauf, oder wenn dieses nicht angängig, mindestens die Auslage und Anpreisung sitten verderbender und die Phantasie der Heranwachsenden Jugend krankhaft verbildender Schund- und Schmutzschriften untersagt und verhindert werden kann. Die dritte Petition befaßt sich ebenfalls mit dem Unwesen der Kinematographen und der sogenannten Schund- und Schmutz literatur und fordert strenges Einschreiten der Behörde hiergegen. Sie ist anonym und daher an sich nicht geeignet, zum Ausgang einer Beratung und Beschlußfassung gemacht zu werden. Da indessen aus Anlaß der vorerwähnten Petitionen die ganze große Frage, die auch sie behandelt, in der Deputation bzw. in dem Berichte erörtert werden mußte, ist ihrer in diesem Zusammen hänge Erwähnung getan. Die Deputation beantragt, die erste nnd die zweite Petition der Königlichen Staatsregierung zur Erwägung zu überweisen, die dritte wegen Anonymität für unzulässig zu erklären. Die Bedeutung des Gegenstandes, der kürzlich auch im Reichstage wieder zur Sprache gekommen ist, und das Gewicht der in dem Deputationsberichte gegebenen eingehenden Dar legungen (Berichterstatter vr. Schmid) lassen es angezeigt er scheinen, einiges daraus hier mitzuteilen: Daß anstößige, zum mindesten sittlich bedenkliche Dar stellungen, Bilder und Schriften in der Gegenwart mehr als jemals dem Volke dargeboten werden, und daß dadurch dem letzteren in seiner Gesamtheit, besonders aber dem Heranwachsen den Geschlecht schwere Nachteile und Gefahren erwachsen, wird von niemandem ernstlich bestritten, ist eine traurige, die Aufmerk samkeit aller derjenigen herausfordernde Tatsache, die um das wahre Wohl des Volkes besorgt sind. Freilich, hier zu helfen, zu bessern ist nicht leicht. Gewerbe- und Preßfreiheit, äußerst wichtige, mit dem wirtschaftlichen und politischen Gedeihen des Reiches untrennbar verbundene Güter unseres Volkslebens, zeigen neben den überwiegenden Vorzügen, von denen sie begleitet sind, auch unerfreuliche Wirkungen, und um eine solche handelt es sich gerade hier. Sie lassen in ihrer Eigenart bis zu einem gewissen Grade auf dem hier fraglichen Gebiete die rücksichtsloseste ge schäftliche Ausbeutung der Masse zu, bis hart an die Grenzen der Strafbarkeit. Diese Grenzen sind, wenigstens in der Haupt sache, gezogen durch die §§ 184 und 184 a des Strafgesetzbuchs. Diese Vorschriften genügen dem zu bekämpfenden Übel gegenüber der Regel nach nicht. Denn, wie allerseits bekannt, handelt es sich bei der großen asse sowohl der Bilder in den Kinemato graphen und Mutoskopen als auch der Schriften der sogenannten Schund- und Schmutzliteratur weder um »unzüchtige«, noch auch nur um »das Schamgefühl gröblich verletzende« Produkte im Sinne des Strafgesetzes. Allein, wenn schon bei derartigen Darbietungen in Bild und Wort die Tatbestände der angezogenen Paragraphen für gewöhnlich nicht erfüllt werden, so bleibt immer noch genug des Lüsternen und Lockenden übrig, womit die Phantasie und die Sinne des Beschauers und Lesers, besonders des weltfremden, naiven Kindes gefesselt, oft genug geradezu vergiftet werden, zu ungunsten der Verstands- und Gemütsbildung. Die Berichte der Presse, die fast ausnahmslos gute Dienste im Kampfe gegen das hier fragliche Volksübel leistet, die Erfahrungen, die Eltern und Erzieher, Arbeitgeber, Behörden fortgesetzt machen, reden eine leider nur allzu deutliche Sprache. Auch bei den Kinematographen und Mutoskopen Zeigt sich diö regelmäßige Begleiterscheinung einer gewissen Überproduktion: um gewinnbringende Geschäfte zu machen, wird von skrupellosen Unternehmern auch auf die niederen Instinkte der Masse, ja vor wiegend auf sie spekuliert, und das Publikum durch Vorführung aufregender Bilder angelockt. In erster Linie gilt dies von den kinematographischen Veranstaltungen. Hier einwandfreie, jungen, noch halbwüchsigen Leute beiderlei Geschlechts ihr gutes oft sauer verdientes Geld. Gesetzliche Bestimmungen, mittels deren gründlich geholfen werden könnte, gibt es so gut wie gar nicht. Hier kommt vor allem die Gewerbeordnung in Frage. wie solche in § 33a der Gewerbeordnung behandelt werden. Man hat deshalb auch hier und da geglaubt, diese Vorschrift des Gesetzes auf sie anwenb'en zu können. Gut und zweckmäßig wäre dies ohne allen Zweifel. Die Ziffern 1 und 3 bieten genügenden Anhalt zum Einschreiten. Zunächst Ziffer 3 — die Erlaubnis ist nur dann zu versagen: wenn der den Verhältnissen des Gemeinde bezirks entsprechenden Anzahl von Personen die Erlaubnis bereits erteilt ist — insofern, äls damit die große örtliche Konkurrenz der Kinematographenbesitzer, die sie zu gegenseitiger Überbietung in den gewagtesten Bildern nötigt, sehr zurückgedrängt würde; namentlich aber Ziffer 1 —: wenn gegen den Nachsuchenden Tat sachen vorliegen, die die Annahme rechtfertigen, daß die beabsich tigten Veranstaltungen den Gesetzen oder guten Sitten zuwider laufen werden —, weil schon die erstmalige Vorführung anstößiger oder sonst bedenklicher Bilder als das Vorliegen von Tatsachen betrachtet werden könnte, ja betrachtet werden müßte, die die An nahme rechtfertigen, daß usw. usw. Die Erlaubnis würde solchen- wärtige bedenkliche Erscheinung auf dem kinematographischen Markte würde in der Hauptsache verschwinden Allein die Recht sprechung hat die Anwendbarkeit des § 33a der Gewerbeordnung auf Mutoskope und Kinematographen konstant verneint. Von der Ministerium des Innern aus, das aber zugleich in Verordnungen an die Polizeibehörden des Landes auf die vom Standpunkte der öffentlichen Ordnung, insbesondere der öffentlichen Sittlich keit anstößigen und ungeeigneten kinematographischen Dar bietungen wiederholt aufmerksam gemacht und zur strengen Über wachung und Prüfung der vorzuführenden Bilder, gegebenenfalls Anregung ist es zurückzusühren, daß an vielen Orten des Landes, besonders in großen und mittleren Städten, polizeiliche Regulative erlassen worden sind, die, ohne den Gewerbebetrieb in über mäßiger, unzulässiger Weise zu belästigen, doch sehr geeignet sind, die mit ihm so häufig verbundenen sittlich anstößigen Erscheinungen verschwinden zu machen oder doch auf ein sehr geringes Maß herabzudrücken. Nachdem auch durch das Königliche Oberlandes gericht die Nechtsgültigkeit solcher regulativmäßigen Vorschriften ausgesprochen worden ist, erscheint ihre Einführung natürlich unter Anpassung an die besonderen örtlichen Verhältnisse, aber womög lich unter Ausdehnung des Kinderverbots auf die Fortbildungs schüler, überall dort, wo ein Bedürfnis dazu sich herausstellt, als sehr wünschenswert und der Sache förderlich. Trotz alledem bleibt der Wunsch offen und berechtigt, daß im Wege der Gesetzes änderung die Darbietung von Mutoskopen und Kinematographen