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9418 Börsenblatt f. d. Dtjchn. Buchhandel. Nichtamtlicher Teil. ^ 190. 18. August 1909. welchen schrecklichen Eindruck die verzweifelte Lage des Königs aus den strengen und überzeugten Royalisten machte. Wenn durch solche Mittel ein Umschwung zugunsten des Königs herbeigesührt werden sollte, wer kann den Gedanken und den Versuch tadeln? Daß es wegen der Herstellung und des Vertriebes anonymer Schriften früher dem Buchhändler gelegentlich an Kopf und Kragen ging, beweist das Schicksal des wandernden Buchdruckers und Buchführers Johann Herrgott und des Buchhändlers Johann Philipp Palm. Johann Herrgott, der manche Schriften Luthers und Thomas Münzers nachdruckte und vertrieb und in sozialistischer Propaganda machte, hatte 1S2K in Sachsen eine Flugschrift: »Don der newen Wand lung cynes Christlichen lebcns« verbreitet und wurde des halb oder vielmehr wegen seiner sozial-agrarischen Propa ganda hingerichtet. Im Leipziger Stadtarchiv fand der be kannte Buchhändler A. Kirchhofs die erwähnte Schrift, die in einen Umschlag gewickelt war, aus dem die Worte standen: --Hans Hergols von Nurmberg vffrurisch buchlein, vmb welchs willen er mit dem Schwerte alhir geeicht. Montag nach Cantate (20. Mai) Anno Dom. 1527.- Der andere Nürnberger Buchhändler Palm verbreitete 1806 eine Flugschrift: -Deutschland in seiner tiefen Er niedrigung», die sich scharf gegen Napoleon I. und das Treiben seiner Truppen richtete. Der Vcrsasser dieser ano nymen Schrift wurde von Palm nicht genannt, Palm daher auf Befehl Napoleons am 26. August 1806 zu Braunau erschossen. Ein Beispiel großen Erfolges eines anonymen Werkes bietet das 1890 zum ersten Male erschienene Buch: »Rcm- brandt als Erzieher«, das inzwischen der fünfzigsten Auflage nahegekommen ist. Wenn es bei zahlreichen anonymen Werken nicht ge lingt, den Namen des Verfassers festzustellen, so sorgen manchmal die Verfasser selbst dafür, daß ihr Name bekannt wird. Die »Memoiren einer Jdealistin» erschienen zuerst 1876 anonym. Doch schon 1885 bekannte sich Malvida von Meysenbug auf dem Titelblatt ihres Romans »Phädra» als die »Verfasserin der Memoiren einer Jdealistin'.- Auch auf andere Weise lüften Autoren manchmal den Schleier ihrer Anonymität. So besitzt z. B. Herr A. Singer-Würzburg, der Verfasser des kürzlich erschienenen Werkes- »Bismarck in der Literatur», ein Exemplar der anonymen Schrift: »Ein wenig mehr Licht über Bismarck, Caprivi und die jüngst stattgehabte Mobilmachung des Liberalismus usw.», Berlin 1892. Dieses Exemplar trägt eine Widmung, sowie eine angeklebte Karte des Verfassers vr. M. Schneidewin (nicht Schneiderin, wie Singer in seinem Werke schreibt) aus Hameln, vom 27. März 1895, an die Frankfurter Zeitung mit der Bekennung der Autorschaft Schneidewins. Es sollte eigentlich selbstverständlich sein, daß die Ver leger in den zu ihrem eigenen geschäftlichen Gebrauch be stimmten Verzeichnissen, Geschäftsbüchern und sonstigen Schrift stücken Namen, Adresse usw. von Verfassern anonymer Werke ihres Verlags aufzeichnen, um vorkommendenfalls davon Gebrauch machen zu können. Man findet aber gelegentlich in älteren Verlagskatalogen die Bemerkung, daß es der be treffenden Vcrlagshandlung unmöglich war, den Namen des Verfassers dieser oder jener anonymen in ihrem Verlage er schienenen Schrift sestzustellen. Derartige Mängel sind ja nicht von großer Bedeutung, lassen aber immerhin einen Mangel in der Einrichtung des Archivs oder in den sonstigen geschäftlichen Einrichtungen erblicken. Bei anonymen Werken ist der Verleger berechtigt, die Rechte des Urhebers wahrzunehmen <UG. 7, 2). Ist der wahre Name des Urhebers einer Druckschrift bei der ersten Veröffentlichung gemäß des UG. 7, i, 3 nicht angegeben, so endigt der Schutz des Urheberrechts bei dem betreffenden (also auch bei dem anonymen) Werke mit dem Abläufe von dreißig Jahren seit der Veröffentlichung (UG. 31). Bei Schriften mit dem wahren Namen des Verfassers endet dagegen der Schutz des Urheber rechts, wenn seit dem Tode des Urhebers dreißig Jahre und außerdem seit der ersten Veröffentlichung des Werkes zehn Jahre abgelaufen sind (UG. 29). Wird der wahre Name des Urhebers binnen der dreißigjährigen Frist gemäß UG. 7, 1, 3 angegeben oder von dem Berechtigten zur Eintragung in die Eintragsrolle lUG. 56) angemeldet, so wird die Dauer des Urheberrechts- schutzss nach UG. 29 bemessen (UG. 31, 2), also eine längere. Die Eintragsrolle für die im UG. HI, 2 vorgesehenen Eintragungen wird bei dem Stadtrate zu Leipzig geführt. Der Stadtrat bewirkt die Eintragungen, ohne die Berech tigung des Antragstellers oder die Richtigkeit der zur Ein tragung angemeldeten Tatsachen zu prüfen. Wird die Ein tragung abgelehnt, so steht Len Beteiligten die Beschwerde an den Reichskanzler zu (UG. 56). Der Reichskanzler erläßt die Bestimmungen über die Führung der Eintragsrolle. Die Einsicht der Eintragsrolle ist jedem gestattet. Aus der Rolle können Auszüge gefordert werden; die Auszüge sind auf Verlangen zu beglaubigen (UG. 57). Die Eintragungen werden im Deutschen Reichsanzeiger öffentlich bekannt ge macht (vgl. Bekanntmachung des Reichskanzlers vom 28. April 1903; Börsenblatt 1903, Nr. 101). Bescheinigungen und sonstige Schriftstücke, die die Eintragsrolle betreffen, sind stempelfrei. Für jede Eintragung, für jeden Eintrags schein, sowie für jeden sonstigen Auszug aus der Eintrags rolle wird eine Gebühr von 1 50 H erhoben; außerdem hat der Antragsteller die Kosten für die öffentliche Bekannt machung der Eintragung zu entrichten (UG. 58.). Sollen Beiträge von Verfassern ohne deren Namen in Zeitungen, Zeitschriften oder sonstigen periodischen Sammel werken erscheinen, so ist der Verleger befugt, an der Fassung der Beiträge solche Änderungen vorzunchmcn, wie sie bet Sammelwerken derselben Art üblich sind (VG. 44.). Zum Schluß seien noch einige Bibliographien anonymer Schriften aufgeführt: Lar di er, Lietiounaire äes ouvraxe63 anonymes. 3« ecl. p. LI. 0. Lardier, k, et L. Lillard. Supplement dazu: 6. Lruuet, Iitteraire3 devoi1e68. 7 vol8. kari8 1872—89. 6o1liu8, ^nou^ruer öS Lseudou^mer. Lopeiilia^en 1869. 1864—66. ^ ^ i . d Leicleu 1883—85. 1882—88. ^ Holzmann, M., und H. Bohatta, Deutsches Anonymen- Lexikon 1501—1850. 4 Bdc. Weimar 1902—07. Llsl^i, 6., I)i2iouario cli opere auouiwe e pseudouiwe di 8orittori italiani. 3 voll. Llailaud 1848—59. Supplement dazu von Passano, Ancona 1887. 1678 — 1890. Xrlbtiana 1891. ^ u. d. T.: 'ckdeatruin auonzkworurll et p^udou^luoruw Hrsg. v. Fabricius, Hamburg 1674, Dresden 1708; Supplement dazu von Mylius: Lidliotdeoa anouvworuru st pseuäou^worum, a<1