Volltext Seite (XML)
X- 101, 3. Mai 1930. Redaktioneller Teil. Börsenblatt f.b.Dtschn. Buchhandel. Beim kartographischen Verlag ist eine erfreu liche Besserung iin Absatz von Touristenkarten hervorzuheben; dagegen weist der Verkauf von Land-, Auto- und Radsahr karten einen Rückgang auf. Das Sortiment klagt über die Er schwerung des Geschäfts durch die Konkurrenz der Automobil klubs und Reisebüros. Das Leipziger und Stuttgarter Kommissionsge schäft ist trotz zunehmender Spesenlast weiterhin ausaebaut worden. Die Zahl der über Leipzig verkehrenden Firmen hat nunmehr bald wieder den Vorkriegsstand erreicht. Die volle Ausnutzung wird allerdings erst dann erreicht werden, wenn auch die wenigen jetzt noch fernstehenden Verleger sich dem Verkehr über Leipzig angeschlossen haben werden. Der Wirkungskreis des Stuttgarter Kommissionsplatzes umfaßt jetzt sämtliche süd deutschen Staaten, die Nordschwciz, das Rheinland, die Pfalz und das Saargebiet, teilweise auch Elsaß-Lothringen und Öster reich. Das Barsortiment kann wie im Vorjahr wiederum eine Ilmsatzsteigerung melden. Diese dürste kaum auf eine all gemeine Erhöhung der Buchumsätze zurückzuführen sein, sondern mehr darauf, daß das Sortiment den Umfang seiner eigenen Lagerhaltung einschränkt und sich bei der Ausführung von Be stellungen auf die schnelle und pünktliche Lieferung des Barsorti ments verläßt, dessen Lager also als eine Art Reservclager be trachtet. Diese Entwicklung hat beim Verlag den Wunsch nach vermehrten Ausnahmen des Barsortiments laut werden lassen, und zwar nicht nur für Neuerscheinungen, sondern auch für altere Verlagswerke. Solchen Vorschlägen vermag aber das Bar- svrtiment nur mit gewisser Zurückhaltung zu entsprechen. Der von ihm bisher vertretene Grundsatz, die Anzahl der jährlichen Streichungen mit derjenigen der Neuaufnahmen möglichst in Übereinstimmung zu bringen, ist ohnehin schon verlassen und eine Lagervermchrung um mehrere Tausend Titel vorgenommen worden. Zweifellos sind der Ausdehnung des Barsortiments ge wisse Grenzen gesetzt, wenn es nicht seine Organisation und die Zuverlässigkeit der Lieferung gefährden will. Aus den bisherigen Feststellungen ergeben sich die Aufgaben der nächsten Zeit von selbst. Vereint mit den anderen Gewerbe ständen müssen wir immer wieder die großen Reformen auf finanziellem und wirtschaftlichem Gebiet, ohne die eine dauernde Gesundung der deutschen Wirtschast und deren Aufstieg unmög lich ist, sordern, bis sie verwirklicht worden sind. Für den Buch handel spielt dabei noch die Berücksichtigung der großen kultu rellen Fragen eine außerordentlich wichtige Rolle. Bei allen maßgeblichen Stellen muß die Anerkennung dnrchgcsetzt werden, daß kulturelle Geltung eine der wichtigsten Voraussetzungen sür die Wirtschaft ist. Wenn Deutschland sein früheres Ansehen in der Welt wieder erringen will, muß es vor allen Dingen seine kulturellen Güter fördern und pflegen. Neben den die Gcsamtwirtschast betreffenden Problemen harrt eine Anzahl solcher rein buchhändlerischer Art der Lösung. Dazu gehören nicht die Behauptungen von der Ü b e r p r o d u k - tion und der Übersetzung unseres Berussstandes, soweit man zu ihrer Begründung lediglich mit Zahlen operiert und darauf fußende Abhilfemaßnahmen vorschlägt, wie etwa sür die Überproduktion die Einführung eines Sperrjahres für Neu erscheinungen, für die Übersetzung aber Einführung eines Numerus clausus oder wenigstens ein von Seiten der Organisa tion zu handhabendes Konzessionssystem. Die Zahlennachwcise für beide Schlagworte sind durchaus unrichtig. Es gibt keine 30 000 Neuerscheinungen im Jahre, soweit man darunter wirkliche Gegenstände des Buchhandels versteht. Vergleicht man aber die eigentliche Buchproduktion entweder mit früheren Jahren oder mit anderen Ländern, so bedarf es einer genauen Unterscheidung der verschiedenen Bücher- artcn und insbesondere einer Beachtung der Auflagen höhe. Auch die Behauptung von der zahlenmäßigen Ver mehrung des Gesamtbuchhandels trifft nicht zu. Im Vergleich zu 19W, dem Jahre mit der höchsten Ziffer, Iveist das Buchhänd ler-Adreßbuch 1930 eine Verminderung von über 2000 Firmen auf. Die Untersuchung beider Fragen muß richtigerweise darauf abgcstellt werden, in welchem Verhältnis Produktion und Fir- mcnzahl zum Bedarf stehen, und ob sich hierin etwa ein Miß verhältnis herausgebildet hat. Keineswegs könnte aber einem solchen, falls es tatsächlich bestehen sollte, mit Vorschlägen, wie sie auch im Berichtsjahre wieder gemacht worden sind, durch Maß nahmen seitens der Organisation begegnet werden. Hier kann sich, wie auch sonst in der Wirtschaft, das richtige Verhältnis nur im freien Spiel der Kräfte entwickeln. Wenn aber festzustellen ist, daß sich die Zunahme der Einzel bestellungen des Sortiments beim Verlag als immer stärker wer dender Unkostenfaktor erweist, so liegt hier ein Problem vor, dessen Lösung in Angriff genommen werden sollte. Lediglich mit guten Ratschlägen an das Sortiment, den Mut zu Partiebestel- lnngen aufzubringen, ist es nicht getan. Der Zwang zur Lager einschränkung und zur Vermeidung von Kapitalinvestierung be steht nun einmal und wird durch die Kreditansprüche der Kund schaft in zunehmendem Maße verstärkt. Warum aber sollte es rächt möglich sein, durch Einkaufsgemeinschasten Ab hilfe zu schaffen, deren Organisation in einfachsten Formen mög lich ist. Was im Hamburger Buchhandel, der in seinem Bericht größte Zufriedenheit mit seinen zentralen Einrichtungen äußert, und sür bestimmte Zweige, insbesondere sür den Zeitschriften bezug, auch in anderen Städten organisiert werden konnte, sollte doch allerorts durchführbar sein. Dabei ist daraus hinzuweisen, daß zurzeit die Schaffung von Einkaufsgemeinschasten im gesam ten Einzelhandel lebhaft erörtert wird; man erblickt darin die einzige Möglichkeit, der Konkurrenz der Warenhauskonzcrnc und der Angestellten- und Beamten-Genossenschaften wirksam zu begegnen. Auch die Durchführung des Tausch Verkehrs, wie er von Hamburg aus angeregt und dort unter einer größe ren Zahl von Firmen organisiert worden ist, erscheint uns im Interesse des Ortssortiments beachtlich. Die Ausschaltung des Sortiments durch unmit telbare Lieferungen des Verlags und durch die verschiedenartig sten Büchervermittlungsstellen, angefangen von den Einkaufs zentralen der Volksbüchereien bis zu den Automobilklubs und anderen Vereinen, ist eine der schwierigsten und ernstesten Fra gen. Ihre Lösung ist nicht so einfach, wie viele meinen, wenn sie ein Einschreiten der Organisation fordern. Abgesehen davon, daß der Verlag die gleiche Rücksicht aus seine wirtschaftlichen Interessen wie das Sortiment beanspruchen darf und daß er mit gleichem Recht wie dieses auf die Schwierigkeit seiner Lage Hinweisen kann, bestehen sür Zwangsmaßnahmen der Organi sation gewisse Schranken, heute mehr als je vorher. Ihre Miß achtung birgt die Gefahr des Mißerfolgs und damit einer größe ren Verwirrung. Wenn überhaupt, so läßt sich diese Frage nur in beiderseitigem Einvernehmen zwischen Verlag und vertreiben dem Buchhandel lösen. Wir bleiben ununterbrochen bemüht, einen für beide Teile gangbaren Weg zu finden. Auch sür die meisten anderen den Buchhandel beschäftigen den Probleme gilt, daß sie nur gemeinschaftlich von Verlag und Sortiment gelöst werden können. Nur diejenigen Ergebnisse werden aus die Dauer Bestand haben, hinter denen der Majori- tatswille dieser beiden Hauptgruppen steht. Zu ihrer Erörterung und Lösung ist der Börsenverein als Arbeitsgemeinschaft des ge samten deutschen Buchhandels die richtige Stelle; nach Maßgabe seiner Satzung ist er dazu auch besonders berufen. Nicht Macht akte des einen gegen den anderen Teil können die Parole sein — in wirtschaftlich so schwierigen Zeiten dürften diese vermutlich auf dem Papier stehen, auch wenn sie rechtlich vielleicht halt bar wären —, sondern verständnisvolle Zusammen arbeit in Würdigung der beiderseitigen Schwierigkeiten und der feste Wille, allen solchen Schwierigkeiten zum Trotz doch den Weg zur einigenden Lösung zu finden. Beim Erlaß der Gesetze zum Aoungplan hat das Reichs- oberhaupt seinem schmerzlichen Empfinden über die innere Zer rissenheit des deutschen Volkes Ausdruck gegeben und daran die ernste Mahnung an alle deutschen Männer und Frauen geknüvft, sich nun endlich unter Überwindung des Trennenden und Gegen- 403