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Redaktioneller Teil. 263, 11. November 1916. ich eine weitere Berufsschulung in stilistischer und geschmack licher Hinsicht für durchaus erforderlich, da der Linkshänder trotz aller Belehrungen der arbeitgebenden Kreise auf Jahr und Tag hinaus mit Vorurteilen zu kämpfen haben wird. Auch wird er entgegen dem Inva liden der Industrie und Landwirtschaft fast ausschließlich aus den sogenannten Schönheitsarm als Ersatzglied angewiesen sein, der immer nur ein kümmerlicher Notbehelf bleiben wird, so lange wir nicht eine Hand mit automatisch bewegten Fingern erfinden. Es ist dies eine dringend erwünschte Verbesserung für alle diejenigen, denen eine Auswechslung von Schönheits- und Arbeitsarm innerhalb des Berufs schwer möglich ist. An dieser Stelle möchte ich auch darauf Hinweisen, daß der Links händer im Laufe der Zeit nur noch am Gruß durch das Hand geben seinen Verlust empfinden wird. Jeder Rechtshänder ge wöhne sich deshalb daran, dem Linkshänder die linke Hand zum Gruß zu reichen, beide werden sich so eines vollgrifsigen, normalen Händedrucks erfreuen. Im Sortiment wird — wenn nicht Selbständigkeit in Frage kommt — die Verwendung des Linkshänders besonders schwierig sein, da für die hier erforderlichen schnellen, kleinen No tizen die Schreibfertigkeit fürs erste nicht ausreichen und für längere Texte es meist an Schreibmaschinen feh len wird. Im Verlag liegen die Verhältnisse besser, nur wird sich der Großbetrieb zugunsten jüngerer Invaliden in der schon vor dem Kriege bedenklich zugenommenen Verwendung billiger weiblicher Hilfskräfte beschränken müssen. Andernteils wird hier aber auch in größerem Umfange die neue retchsgesetzliche Verordnung in Frage kommen, nach der aus je fünf gesunde An gestellte ein Invalid zu beschäftigen ist. Gesichtspunkte erhaben ist. Es wird und darf deshalb kein Auf hören der Jnvalidensllrsorge geben. So gut gefügt aber auch der Bau der Jnvalidenfürsorge im allgemeinen und in unseren Berufen im speziellen sein wird, so wird sie nur dann befriedigen, wenn ein duldsamer Geist in ihr waltet. Wer draußen im Felde gestanden, wer täglich und stündlich Schulter an Schulter mit Kame raden dem Tode ins Auge gesehen und dann monate lang mit Invaliden zusammen gelebt hat, bei dem stellt sich ein Gemeinschaftsgefühl, ein tiefes Verständnis für ge meinsames Schicksal und gemeinsames Leid ein, so daß er auch von jedem Mitmenschen, Arbeitgeber oder Mitarbeiter, echten Gemeinsinn erwartet, der geschwächte Arbeitskraft nicht ansnützt und Achtung vor dem ehrlichen Willen zur Arbeit, vor der Ener gie in der Überwindung ihrer Schwierigkeiten hat. Als Bürger eines Knlturstaates hoher Norm hat der deutsche Invalid aus ethi schen Gründen nicht nur eine Pflicht zur Arbeit, sondern auch ein Recht auf Arbeit. Und Buchhandel und Buchgewerbe werden ent sprechend ihren Traditionen als patriarchalisch denkende Verufs- kiassen es als eine Pflicht anerkennen, dem Invaliden dazu zu verhelfen, seine vordem gesteckten Berufs- und geistigen Ziele zu erreichen. Gegenüber einem solch wunderbaren Geiste des gesamten wehrfähigen Volkes in der Stunde der Gefahr kann nur ein Verhältnis gegenseitigen Vertrauens nach deni Kriege in Frage kommen, das hier im engeren Kreise wie im großen Staatswesen Zins und Zinseszins tragen wird! Der Bücherkrieg. Für den linkshändigen Buchhändler und Buchgewerbler reiferer Erfahrung wird die Verwertung der Arbeitskraft eher möglich sein und ans keine besonderen Schwierigkeiten stoßen, wenn sonst nur der gute Wille seitens der arbeitgebenden Kreise vorhanden ist. Es wird Ehrenpflicht sein, bei gleichem Maß an beruflicher und intellektueller Tüchtigkeit alle Redakttons-, Herstellung?- und Verwaltungsposten, bei denen es sich mehr um Diktat als um die handschriftliche Tätigkeit handelt, dem Linkshänder vorzubehalten. Denn es wird nur eine Frage der Zeit sein, bis auch der schriftliche Verkehr von ihm ebensogut erledigt werden kann, wie von dem Rechtshänder. Auch als Reklamefachmann wird der Linkshänder bei geeigneter geschmack licher und buchgewerblicher Schulung seinen bisherigen oder neuen Posten ausfüllen können. Schließlich wird für den Invaliden reiferer Jahre und Erfahrung Wohl auch die in zwischen reichsgesetzlich geordnete Kapitalsabfindung für eine Existenzgründung in Frage kommen, d. h. einmalige Abfindung der Rentenzulagen (allgemeine Kriegszulage von monat lich 15 sowie die Verstümmelungszulage von 27 oder 5-1 ^ss bei Verlust von zwei Gliedem). Dabei behält sich der Staat Bewilligung jedes einzelnen Falles unter Prüfung der Kapitalssicherheit vor. Es werden also eher Sortimenter als junge Verleger berücksichtigt werden können, da bei elfteren größere Gewähr der Sicherheit geboten ist. Es ließe sich aber auch die Kapttalsabsindung für zu stellende Kautionen bei einwandfreien Arbeitgebern berücksichtigen. Für alle diese Verwendungsmöglichkeiten ist aber Grund bedingung eine einwandfreie, weitgehende geistige Berufsbil dung, denn wir wollen nicht übersehen, daß eine ganze Anzahl akademischer Invaliden im Buchhandel ihre Berufsrettung su chen und finden wird, und daß trotz aller Ermahnungen zur vorberechtigten Berücksichtigung des Invaliden, trotz des christ lichen Mitleids und des »nie erlöschenden Dankes« schon wenige Jahre nach dem Kriege die Grundsätze praktischen Geschäfts lebens sich wieder Bahn brechen werden, nach denen der Tüch tigste gerade gut genug ist. Wir werden den Invalide» trotz aller staatlichen Vorkehrungen, trotz alles privat-geschäftlichen Wohlwollens den Konjunkturschwankungen und der Brutalität des alltäglichen geschäftlichen Wettbewerbs ausgesetzt sehen.! Es ist dies keine Verkennung patriotischer Gesinnung, sondern! nur die Betonung eines Naturgesetzes, das über alle idealen - Plauderei von Samuel Kelle r.'s Was soll der wunderliche Ausdruck? Führen Bücher mit einander Krieg? Das schon! Auch unter den Armeen von Büchern gibt's hef tige Kämpfe: jedes Buch dient gewissermaßen einem der beide» Fürsten, die um den Besitz der Menschheit ringen: Jesus und Belial. Ein schlüpfriger Roman, der die niederen sinnlichen Triebe des Menschen reizt, der in frivoler Weise über Ehebruch und Trunksucht scherzt, kämpft in Satans Sold gerade so gut, wie ein ernsteres, das im Namen einer falschen Wissenschaftlichkeit Zweifel an Bibel, Gebet und Christentum verbreitet. Und es ist die Pflicht der Christenheit, gegen solche Artillerie des bösen Feindes ihrerseits energisch mit andern Büchern zu antworten, die Wahrheit und Licht und Reinheit verbreiten wollen. Ich meinte aber mit meiner Überschrift etwas ganz anderes. Es steht wirklich so, daß in diesem Weltkriege die eine Partei die BUcher- leser stellt und die andere nicht! Man hat einmal in der ersten Zeit des Bewegungskrieges eine gleiche Anzahl von Tornistern daraushin untersucht, die den Gefallenen abgenommen waren: ISO fran zösische und 150 deutsche! In den deutschen sand sich säst immer irgend ein Buch: das Fcldgesangbuch oder das katholische Gebetbuch, oder das Neue Testament, oder ein paar Neclambändchen, einige hatten deutsche Klassiker, andere Nietzsche oder ein Gedichtbändchen oder eine philo sophische Broschüre, ost auch irgend ein Heft der Fachliteratur des Ge fallenen! Dagegen wiesen die französischen Tornister gewöhnlich gar kein Buch auf: »ur etwa der zehnte Teil hatte Bruchstücke von leicht fertigen Romanen: viele noch abgegriffene Spielkarten. Außerdem wurde bei uns in der Folge eine Menge Bücher hinausgesandt. Was hätten die 71 Prozent Schriftunkundige in der russischen Armee mit Büchern anfangen sollen? Selbst in der englischen Armee soll das Lesebedürfnis, wie Gefangene ganz unbefangen berichteten, sehr klein sein. Und dann nennen die andern uns »Barbaren»! Aber ich meinte die Überschrift noch etwas anders! Der Krieg hat unter seinen erschwerenden Nebenerscheinungen geradezu eine Rot des deutschen Buchhandels gebracht. »Bücher kann man eben nicht essen», sagte mir semand trocken, als ich ihm davon sprach, wie der Verkauf der meisten Verleger im Kriege so stark abgenommen hätte. Nach dem Kriege müßte man dem deutschen Buchhandel, der bei er schwerten Arbeitsbedingungen (oft sind der Leiter und die Gehilfen eingezogenls viel Arbeit mit kleinen Kriegsbroschlircn gehabt hat, die sehr wenig Verdienst abwarfen, auch eine Verdienstmedaille geben! Was könnte nun in diesem Kriege gegen die Bücher geschehen, um eine 's Aus Röttgers Bücherei 1S1K/17, LS. Jahrgang. (Vaterländische Verlags- und Kunstanstalt, Berlin.) 1402