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55. 6. März 1908. Nichtamtlicher Teil. Börsenblatt s. d. Dtschn. Buchhandel. 2685 alle zu nennen und nach ihrer Bedeutung zu würdigen. Nur an einigen wichtigen Schöpfungen soll die künstlerische Entwicklung verfolgt werden. In erster Reihe sind es die beiden Kolossal radierungen vom Jahre 1882 »Schloßhof zu Heidelberg- und -Rathaus zu Köln», die zuerst die allgemeine Aufmerksamkeit auf ihren Schöpfer lenkten und sich als dekorative Prachtstücke die Gunst des Publikums eroberten. Unserm heutigen Geschmack sagen die im schweren Barockstil komponierten, wuchtigen orna mentalen Umrahmungen nicht mehr zu. Blatt auf Blatt folgt jetzt. Eins der köstlichsten ist das 1881 erschienene -Rathaus zu Breslau-, ein Meisterstück in der Bewältigung architektonischer Massen, fein und kraftvoll im Ton, leuchtend im Kolorit und geschlossen im Gesamteindruck. Durch die Bekanntschaft mit den Malerradierunzen französi scher und englischer Meister war der Künstler inzwischen zu einer größeren Freiheit und Kraft der Technik gekommen. Das brachte ihn seinem Ziele, die Radierung zum vollständigen und selb ständigen Bild auszugestalten und sie als Wandschmuck zur gleich berechtigten Rivalin der Malerei zu erheben, um ein bedeutendes Stück näher. Zur größeren Selbstbeherrschung und zur vor- sichtigeren Wahl der Ausdrucksmittel zwangen ihn sodann die Radierungen nach Originalen fremder Hand, mit denen er nun von verschiedenen Seiten beauftragt wurde. Von entscheidendem Einfluß auf sein künstlerisches Ausreisen waren besonders seine um diese Zeit entstandenen Reproduktionen nach Menzels Ge mälden: »Bl:ck in den Garten des Prinzen Albrecht von Preußen» und -Eisenwalzwerk-. Die Lösung dieser schwierigen Aufgaben erforderte das ernste Studium der gewissenhaften, scharf be obachtenden Art des Malers und stellte die höchsten Anforde rungen an die künstlerische Leistungsfähigkeit des Radierers. Als Frucht dieser mächtig fördernden Einflüsse folgen nun die nächsten selbständigen Schöpfungen, so z. B. das prächtige Blatt -Die Albrechtsburg zu Meißen-, die entzückende Sammlung »Vom Rhein-, die großen Radierungen -Schloß zu Merseburg-, -Dom zu Erfurt-, Diese Arbeiten zeigen es deutlich, wie der Künstler sich zur unbe schränkten Beherrschung der Ausdrucksmittcl durchgerungen hat und zur vollen Meisterschaft gelangt ist. Seine Kraft und sein Können wachsen von Werk zu Werk, in staunenswerter Frucht barkeit reist seine Kunst zur Höhe empor. Durch Beleuchtungs effekte aller Art sucht er die malerische Wirkung zu erhöhen, stellt er sich immer neue Aufgaben. Eine Perle feinster Stimmungs malerei der Radiernadel ist das intim aufgefaßte -Gartenhaus Goethes- im herbstlichen Park zu Weimar. Kräftigere Töne schlägt er an in dem grandios vorgctragenen -Blick auf Dresden von der Anhöhe im Garten des Japanischen Palais-, wo er mit kaum zu übertrcffender Meisterschaft die enge Skala zwischen Schwarz und Weiß durch sonnenbeleuchteten Schnee voll aus zunutzen versteht und in abgerundeter Komposition, leuchtendem Kolorit und brillanter Technik ein glänzend-dekoratives Archi tekturstück bietet. Ruhiger wirkt das landschaftlich reizvolle Blatt -Das Wetter- Horn- mit dem bescheidenen Dorskirchlein am Fuße des mächtigen Bergriesen; eine interessante Arbeit, ein überzeugendes Dokument von dem gewissenhaften und gründlichen Studium, mit dem der Künstler der Hochgebirgsnatur zu Leibe gegangen ist und es fertiggebracht hat, sie in ihren individuellen Zügen auf die Kupferplatte zu bannen. Die Staffage, Hirte mit grasenden Kühen, paßt sich hier harmonischer und natürlicher der Um gebung an, als es auf manchen andern seiner Blätter der Fall ist. Um diese Zeit fanden die umfangreichen Kollektiv - Aus stellungen Mannfeldscher Radierungen statt. Sie halfen, das Interesse weiterer Kreise für die Maierradierung im allgemeinen, für die Kunst des Meisters im besonderen zu wecken, und machten seinen Namen und seine Arbeiten bekannt. Den Anfang machte 1891 die Nationalgalerie in Berlin; das hier zusammengetragene vollständige -Werk- des Künstlers trat dann eine Rundreise durch die größeren Siädte an und kam 1891 nach Köln, wo es im Wallras-Richartz-Museum ausgestellt war. Vielleicht war diese Ausstellung die Veranlassung, daß der vielseitige und kunst sinnige Verleger Emil Strauß in Bonn die Idee faßte, die be kanntesten Städtebilder durch den Meister in großem Format radieren zu lassen. Ihm schwebte eine monumentale Ikonographie deutscher Städte vor. Leider gelangten nur fünf Blatt zur Aus- Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel. 7b. Jahrgang. führung: »Köln-, -Frankfurt am Main-, -Mainz-, -Trier (Porta Nigra)« und -Coblenz (Am deutschen Eck)-. Sie weisen einen weiteren bemerkenswerten Fortschritt in Mannfelds Entwicklung auf. Seine Technik kennt jetzt keine Schwierigkeiten mehr und be wältigt auch die größten Platten und die kompliziertesten Vor würfe; er weiß sämtliche Mittel seiner Kunst mit Virtuosität aus zunutzen, um das Gewollte restlos zur Erscheinung zu bringen. Sein Empfinden für malerische Stimmungen hat sich derart ge schärft, daß er mit sicherm Blick den rechten Standpunkt, die richtige Jahres- und Tageszeit und das richtige Wetter wählt, um aus trockenen Ansichten harmonisch abgerundete Kunst werke zu schaffen. Die beiden Pendants -Köln- und -Frank furt am Main- sind wunderbare Beispiele hierfür. Welch ein Unterschied ist zwischen diesen farbig wirkenden Kunstblättern und den vor seiner Zeit entstandenen glatten, kalten Stahl stichen derselben Ansichten I Mit welchem Geschick läßt er die grandiosen Massen des Kölner Doms vom leichten Nebel schleier verhüllt erscheinen und dagegen im effektvollen Kontrast die von der Sonne beschienene Kirche Groß St. Martin, während im Vordergründe das moderne Leben auf dem Rheinstrom flutet. In ähnlicher Weise bringt er auf dem Gegenstück -Frankfurt am Main- ebenfalls Vergangenheit und Gegenwart, Kirchentum und Bürgertum in Beziehungen zueinander und schafft dadurch ein charakteristisches Städtebild, wie wenige existieren. An diesen Blättern erkennt man recht deutlich die Vor züge, die in seiner Art zu arbeiten liegen. Als echter, geistreicher Künstler nimmt er seinen Gegenstand langsam in sich auf, wohnt an Ort und Stelle, lebt sich in die Eigenart der Bewohner ein, dringt gleichmäßig in die Vergangenheit und modernes Leben und Streben, verarbeitet das alles innerlich und findet in dem daraus entstehenden Kunstwerke den abgeklärten, greifbaren Aus druck der Stadt mit ihrem ganzen historischen geistigen Inhalt. Und weil er mit unerschütterlicher Willenskraft alles Gegenständ liche seiner subjektiven künstlerischen Auffassung unterzuordnen weiß, ohne dabei jemals gegen die Wahrheit des Dargestellten zu verstoßen, darum wirken seine Bilder so packend und gewähren, indem sie das warm pulsierende Leben der Gegenwart schildern, einen tief dringenden Blick in die Wandlungen der Vergangenheit. Die Arbeiten für Strauß wurden die Veranlassung, daß Mannseld sich dauernd in Frankfurt niederließ. Nach dem 1896 erfolgten Ableben des Kupferstechers Johann Eiffenhardt wurde er dessen Nachfolger als Lehrer für die Radierung am Städelschen Institut. Er gründete nun für seine eigenen Schöpfungen und für die Arbeiten seiner Schüler eine besondre Verlags-Vereinigung unter dem Namen »Mit Stift und Feder-, von wo aus die im letzten Jahrzehnt entstandenen Arbeiten ihren Weg in die Welt genommen haben. Erwähnt seien davon nur die größeren Blätter .Winteridyll (Schloß in Höchst am Main)- und -das National denkmal auf dem Niederwald» mit der Ansicht des Mäuseturms und des Schlosses Ehrenfels auf einer Platte, 1896 im Auftrag der Weingroßhandlung von Joh. Bap. Sturm in Rüdesheim ausgeführt, sowie das -Kaufhaus am Paradeplatz zu Mannheim- und die »Mondnacht (Auf dem Wege nach der Gerbermühle bei Frankfurt)- mit dem ganzen geheimnisvollen Zauber einer Örtlichkeit, der Goethe die Anregung zum »Erlkönig- verdankt. Die umfangreichste Schöpfung der letzten Zeit ist das drei teilige Werk »Andernach-, das Mannfeld im Auftrag dortiger Bürger ausführte. Das Hauptbild zeigt den malerischen Dom, die Seitenbilder der Schloßruine und den alten Krahnen des freundlichen Ortes in der reizvollen Stimmung eines Frühlings tages. Die Technik steht jener der besten Arbeiten seiner Hand nicht nach. Auf der Höhe seines Schaffens hat der Künstler an Verinnerlichung, an Tiefe und Wärme noch gewonnen. Der nie rastende Meister stellt sich immer neue Aufgaben, sucht stets neue Probleme zu lösen. So entsagte Mannfeld der altgewohnten Manier, die Natur erst mit dem Stift oder in Aquarell zu skizzieren und danach dann behaglich im Atelier zu radieren; er begann jetzt damit, die Radierung direkt — ohne Zwischenstufen — vor der wechseloollen Natur auszuführen. Solche Art der Behandlung sichert dem Werk eine große Summe intimster Naturbeobachtung; das Fertigstellen vor der Natur bedingt aber eine absolute Meisterschaft und Sicherheit in der Anwendung der Mittel; dafür tritt dann in der fertigen Arbeit das Temperament des Künstlers in höherem Grade als sonst in 318