Volltext Seite (XML)
pV 197, 26 August 1910. Nichtamtlicher Teil. Börsenblatt s. d. Dtschn. Buchhand-t 9639 der letztere folgert daraus: »Es bestätigt sich hier wieder die in den Zuständen des modernen Buchhandels begründete Erscheinung, daß das Buch als Einzelpublikation immer mehr an Boden verliert, und daß an seine Stelle Zeit schriften und zeitschriftähnliche Serienwerke treten, bei denen der Verleger eine Art Kaufzwang auf die Bibtiotheken aus üben zu können meint. . . . Daß damit die Entwicklung selbständiger schriftstellerischer Individualitäten in der Wissen schaft stark beeinträchtigt wird, daß darunter die schöpferische Initiative des einzelnen Forschers schwer leiden kann, unter liegt keinem Zweifel.« Hierzu bemerkt ein Mitarbeiter der »FrankfurterZeitung« (Nr. 233, 14. August 1910, Literaturblatt): »Diese Ausführungen sind von der Besorgnis diktiert, daß sich der Verleger solcher Serienwsrke immer mehr zum reinen Arbeitgeber entwickle, der »»den Mitarbeitern einer ,Sammlung' die Bedingungungen einfach diktiert, unter denen ihre Geisteskinder das Licht der Öffentlichkeit erblicken können-». Soweit es sich hier um populär-wissenschaftliche Serien handelt, wäre dagegen geltend zu machen, daß der Verleger mit einem weit größeren Kaufkreise rechnet, als ihn die Bibliotheken bilden, und daß es doch der in der Serien- veröffeutlichung im voraus gesicherte Absatz einer gewissen Anzahl von Exemplaren ist, der die teilweise sehr billigen Preise von Sammlungen wie die Göschensche, Teubncrsche und ähnliche und damit deren große Verbreitung ermöglicht. Der vorgeschlagene Boykott neuer Veröffentlichungen in Gebieten, die bereits mehr als die Hälfte für Zeitschriften und Sammelwerke ausgeben, könnte nur auf rein wissen schaftlichem, nicht aber auf populärem Gebiete Erfolg haben, da kaum ein Verleger sich von der Ausführung eines Planes abhalten lassen würde, wenn er im Publikum aus ge nügenden Absatz rechnen zu können glaubt.« Daß der deutsche Buchhandel an einer Überproduktion krankt, wird von keiner Seite bestritten, und es ist auch ohne weiteres zuzugeben, daß die meisten Bibliotheken darunter zu leiden haben, weil die ihnen zur Verfügung stehenden Mittel nicht im selben Maße erhöht werden wie dis Produktion. Aber es wird auch von keiner Bibliothek verlangt, daß sie alles besitzen soll, was heutzutage gedruckt wird. Die Bibliotheken beschränken sich zumeist auf einzelne Gebiets, und zudem lassen ihre Leiter sich die Neuigkeiten zur Ansicht vorlegen. Dadurch ist ihnen die Möglichkeit geboten, die Bücher zu prüfen und zu unterscheiden, welche Werke für sie erwerbenswert sind, welche nicht. Allerdings wäre es ja viel bequemer und auch den Benutzern sehr erwünscht, wenn möglichst alle Bücher, die in die Gebiete einer Bibliothek gehören, eingestellt werden könnten; aber so wie ein privater Bücherfreund, auch wenn ihm reiche Mittel zur Verfügung stehen, sich beschränken muß, so müssen es eben auch die Bibliotheken tun. Wenn nun gewissermaßen ein Boykott neuer Veröffent lichungen vorgeschlagen wird, so hat das eigentlich wenig Sinn, denn er kann sich doch nur in der Weise der Be schränkung betätigen, wie sie jetzt schon ausgeübt wird. Eine Bibliothek kann nicht unter allen Umständen auf den Bezug einer neuen Zeitschrift oder eines neuen Lieferungswerkes verzichten, denn es ist sehr wohl möglich, daß diese neue Veröffentlichung für wissenschaftliche Zwecke einfach unent behrlich ist. Reichen ihre Mittel nicht aus, so muß sie in einem solchen Falle eher auf eine ältere Zeitschrift, die vielleicht nicht mehr auf der Höhe steht, verzichten. Aber das geschieht ja auch jetzt schon, und deshalb ist der an gegebene Vorschlag gar nicht neu. Was die Sammlungen von Göschen, Teubner u. a. be trifft, so sind diese so billig, daß sie den Haushalt einer Bibliothek nicht nennenswert belasten. Zudem ist auch nicht jede Bibliothek gezwungen, alle Bände dieser Sammlungen einzustellen. Diese Sammlungen wenden sich übrigens viel mehr an die Volksbibliothcken als an die wissenschaftlichen Bibliotheken. Daß in den letzten Jahrzehnten so viele Sammlungen wissenschaftlicher und besonders populärwissenschaftlicher Art entstanden sind, beruht durchaus nicht auf einer Spekulation auf die Bibliotheken. Nur die rein fachwissenschastlichen Sammlungen sind zum großen Teil auf die Bibliotheken an gewiesen. Die anderen könnten gar nicht bestehen, wenn sie den größten Teil ihrer Auflage an wissenschaftliche Bibliotheken absetzen müßten. Der Grund ist vielmehr ein ganz anderer. Der Vertrieb eines einzelnen Buches verursacht hohe Kosten, oft so hohe, daß der Gewinn in gar keinem Verhältnis mehr steht, zu den dafür gemachten Aufwendungen. Bei einer Samm lung ist es dagegen ganz anders. Hier macht in der Regel ein Werk Reklame für die ganze Sammlung, schon weil man in jedem Bande das Verzeichnis der ganzen Sammlung findet. Die Unkosten für den Vertrieb verteilen sich also auf eine oft recht stattliche Zahl von Bänden, so daß auf das einzelne Werk meist nur ein geringer Anteil entfällt. Das Publikum, das in literarischen Dingen nicht sehr bewandert ist, greift gern nach einer solchen Sammlung, weil es weiß, daß es darin am ehesten ein Werk über ein bestimmtes Ge biet findet. Es liegt auch ein gewisser Reiz darin, gerade aus einer Sammlung, von der man schon einen Teil besitzt, weitere Bände zu erwerben oder sie gar vollständig zu be ziehen. Auch den Bibliothekaren ist es naturgemäß er wünscht, Sammlungen vollständig zu haben, weil sie dadurch um so leichter die Wünsche der Benutzer erfüllen können; aber das wird in der Regel nur in Volksbibliotheken der Fall sein, und diese können die billigen Sammlungen leicht anschaffen. Sie erleichtern ihnen geradezu ihre Aufgabe, indem sie die Einstellung teurer wissenschaftlicher Werke zum großen Teil überflüssig machen. Das Recht des Pseudonyms. In Zeitungen und literarischen Fachblättern sind in der letzten Zeit mehrfach Artikel erschienen, die sich durch weg gegen das Recht an Pseudonymen wenden. Man scheint da gewissermaßen nach der Polizei zu rufen, damit diese jeden Schriftsteller zwinge, nur unter seinem eigenen Namen zu schreiben. Nun sind die Gründe, die einen Schriftsteller veranlassen können, sich eines Pseudonyms zu bedienen, zur Genüge bekannt. In der Geschichte der Weltliteratur finden wir eine ganze Reihe von Schriftstellern, die lediglich unter Pseudonymen bekannt geworden sind und nur mit diesen in der Literatur fortleben. Erinnert sei nur an Jean Paul und Novalis. Weshalb soll man den Schriftstellern das Recht ver wehren, sich eines Pseudonyms zu bedienen? Wenn sie es unter diesem zu Ehren und Ansehen bringen, so achte man diesen Namen. Selbstverständlich bleibt es einem Kon versationslexikon oder einem anderen Nachschlagewerke frei gestellt, neben dem Pseudonym den richtigen Namen an zugeben. Nun behauptet man, es seien auch Schriftsteller, die sich adliger Namen als Pseudonyme bedienen oder sich irgend einen Titel wie vr., Professor oder dergleichen un berechtigterweise zulegen. Was vorerst diese Titel betrifft, so muß man da unterscheiden, in welcher Absicht dies geschieht. Veröffentlicht ein »Naturheilkundiger- ein medizinisches Welk und setzt ein Pseudonym darauf mit einem Doktor- oder Professor-Titel, so stellt das natürlich einen strafbaren Mißbrauch dar, und es unterliegt keinem Zweifel, daß ein Gericht hier sofort mit Erfolg einfchreiten könnte. Ganz anders liegt die Sache, wenn in der schönen I2S4«