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9640 Börsenblatt f. b. Dtschn. Buchhandel. Nichtamtlicher Teil. 197, 26. August 1910. Literatur ein Schriftsteller aus irgend einem Grunde sich eines Pseudonyms mit dem Doktor-Titel bedient, zumal das Pseudonym dann meistens so gewählt ist, daß es ohne weiteres als ein Phantastename zu erkennen ist. Solcher Doktor-Pseudo nyme haben sich z. B. Voltaire und Balzac bedient, obschon keiner von beiden eine Doktor-Prüfung bestanden hatte. Wollte man gegen solche Pseudonyme einschreilen, so würde man sich nur lächerlich machen. Das Pseudonym Dokteur Akakia, das z. B. Voltaire gebraucht, hat jedermann als ein Phantasieprodukt ausgefaßt. Anders läge es allerdings mit einem Pseudonym wie vr. Franz Müller oder Prof. Johann Meyer, da hier offenbar eine Täuschung beabsichtigt wäre. Ähnlich liegt der Fall mit den adligen Pseudonymen. Man hat es immer als das Recht der Schriftsteller betrachtet, sich gelegentlich auch eines adligen Pseudonyms zu bedienen, ohne daß früher irgend ein Mensch dagegen Einspruch erhoben hätte. Der Besitz des Geburtsadels beruht auf keinem per sönlichen Verdienst, und wenn auch die Vorrechte des Adels in keiner Weise angetastet werden sollen, so muß man doch sagen, daß ein adliger Name allein noch keineswegs eine Gewähr für besondere Eigenschaften bietet, weder für geistige, noch für materielle. Es gibt genug Adlige, die geistig nicht höher stehen als Bürgerliche, und es gibt Adlige, die sich als Briefträger oder Kellner durchs Leben schlagen müssen. Es ist also nicht angängig zu behaupten, es liege eine Herab würdigung des Adels darin, wenn dieser oder jener Schrift steller sich eines adligen Pseudonyms bedient. Allerdings könnte, wie das ja in den letzten Jahren einmal geschehen ist, ein Adliger dagegen Einspruch erheben, daß sein Familien name als Pseudonym aus einem Werke benutzt wird, das Anschauungen vertritt, die bei einer Verwechselung ihn kom promittieren könnten. Ein solcher Fall wird sich aber höchst selten ereignen, und da genügen die bestehenden Gesetze, so daß es gar nicht nötig ist, nach einem neuen Gesetz zu rufen. Selbstverständlich ist ein Schriftsteller nicht berechtigt, eine Zeitung oder Zeitschrift mit seinem Pseudonym verant wortlich zu zeichnen, auch wenn er nur unter diesem bekannt ist. Das Gesetz verlangt, daß der verantwortliche Redakteur mit seinem bürgerlichen Namen unterzeichnet, und dieser Be stimmung muß jeder sich fügen. Ist ein Schriftsteller ein Menschcnalter hindurch nur unter einem Pseudonym bekannt geworden und legt er Wert darauf, diesen Namen auch !m bürgerlichen Leben führen zu dürfen, so möge er sich mit einem Antrag in diesem Sinne an die zuständige Behörde wenden. Soviel mir bekannt ist, hat diese schon in einzelnen Fällen die Genehmigung erteilt, wobei es sich aber selbst verständlich nicht um adlige Pseudonyme handelte, wohl aber um Ablegung eines jüdischen Namens zugunsten eines deutschen. Das sind aber auch immerhin seltene Ausnahmefälle. Wenn ein Schriftsteller es versuchen sollte, im bürgerlichen Leben ein adliges Pseudonym als seinen Namen zu führen oder sich irgend einen ihm nicht zustehenden Titel beizulegen, so ist es klar, daß die Behörde berechtigt ist, gegen ihn ein zuschreiten. Aber im Gebiete der Literatur wolle man nicht alles polizeilich zu regeln suchen, und man lasse den Schrift stellern wenigstens einen kleinen Teil der Freiheit, die sic früher in der »Republik der schönen Literatur« genossen haben. Auch die Verleger haben ein Interesse daran, daß das Recht auf Pseudonyme gewahrt bleibe, denn es gibt pseudo nyme Werke, die sich im Buchhandel längst eingebürgert haben und deren Vertrieb sicher dadurch beeinträchtigt würde, wenn jeder, der einen ähnlichen Namen führt, berechtigt wäre, die Änderung des Titels eines längst eingebürgerten Werkes zu verlangen. Eine andere Frage ist folgende: Hat ein Autor das Recht, das Pseudonym eines anderen zu benutzen? 8 12 des Bürgerlichen Gesetzbuches lautet: »Wird das Recht zum Gebrauch eines Namens dem Berechtigten von einem Anderen bestritten, oder wird das Interesse des Berechtigten dadurch verletzt, daß ein Anderer unbesugt den gleichen Namen gebraucht, so kann der Be rechtigte von dem Anderen Beseitigung der Beeinträchtigung verlangen. Sind weitere Beeinträchtigungen zu besorgen, so kann er auf Unterlassung klagen.« Es wird zwar in einzelnen Kommentaren behauptet, Pseudonyme seien durch ß 12 nicht geschützt; aber cs ist doch klar, daß ein Schriftsteller unter Umständen ein Recht auf ein Pseudonym haben kann. Allerdings muß es ein Pseudonym sein, dessen er sich längere Zeit bedient hat und nicht etwa so Gemeingut geworden ist wie z. B. Spectator. Vom amerikanischen Zeitungswesen. vr. Ernst Schultze-Großborstel, der den Lesern dieser Blattes durch seine literarischen Arbeiten über das Volks bildungswesen und durch mancherlei Aufsätze wohlbekannt ist, veröffentlicht einen Band seiner gesammelten Studien: Streifzüge durch das nordamerikanische Wirt schaftsleben. Halle a. d. S. 1910, Buchhandlung des Waisenhauses. 228 S. gr. 8". 5 geb. 6 Dieser Band enthält 22 gehaltvolle Abhandlungen, zu denen der Verfasser das Material teils auf seiner Reise durch die Vereinigten Staaten aus eigener Anschauung gewonnen, teils aus zuverlässigen, meist amtlichen Quellen geschöpft hat. Von den einzelnen Kapiteln können allerdings nur zwei an dieser Stelle näher besprochen werden: Zeitungs papier und Waldverwüstung, sowie Die Entwicklung des Annoncenwesens. Diese Kapitel bilden einen bemerkens werten Beitrag zur Geschichte des Zeitungswesens in Nord amerika. Man wußte ja längst, daß Amerika enorme Mengen Zeitungspapier verbraucht, aber es wird uns hier an der Hand genauer Angaben gezeigt, wie der Papier verbrauch gestiegen ist und wie infolge der Waldoer wüstung die Zeitungsindustrie gezwungen ist, sich nach anderen Stoffen zur Papiererzeugung umzusehen, da viel leicht schon in 33 Jahren die einheimischen Wälder so gut wie verschwunden sein werden. Das Forstamt der Ver einigten Staaten schätzt dis Menge des jährlich dort ge schlagenen Holzes auf ungefähr 100 Milliarden Kubikfuß, während der natürliche Zuwachs nur etwa 30 bis 40 Milliarden Kubikfuß betrage. Der jährliche Verbrauch ist also ungesähc dreimal so groß als der Nachwuchs. Der Verbrauch an Holzpapier ist von 3^ Milliarden Pfund im Jahre 1900 auf 5,8 Milliarden Pfund im Jahre 1905, also um 68,9 Prozent gestiegen. Nicht zum wenigsten sind es die umfangreichen Sonntagsnummern der Zeitungen, die diesen ungeheuren Papierverbrauch verursachen. Nach der amt lichen Statistik wurden im Jahre 1905 von 456 Zeitungen Sonntagsnummern herausgegeben, deren Gesamtauflage sich aus 11 539 021 belief. Der Durchschnittsumfang betrug etwa 32 Seiten. Es wurde also von diesen Zeitungen sür einen einzigen Sonntag eine Papiermenge verbraucht, die genügen würde, um eine Bibliothek von fast sechs Millionen Bänden zu je 500 Seiten zu füllen. Zum Vergleich sei er wähnt, daß Deutschland nur zwei Bibliotheken mit mehr als einer Million Bände besitzt: die Königliche Bibliothek in Berlin und die Königliche Hof- und Staatsbibliothek in München. Schon seit Jahren werden in Amerika Versuche gemacht, Papier aus anderen Stoffen als aus Holzschliff zu erzeugen, und zwar scheinen sich diese Versuche bisher hauptsächlich auf Baumwollstauden und Maisstengel erstreckt zu haben. Sehr befriedigend scheinen diese Versuche nicht ausgefallen zu sein, und falls cs nicht gelingt, die Frage zu lösen, werden die Zeitungen vielleicht doch noch gezwungen werden,