Volltext Seite (XML)
. °iV° 33, 9. Februar 1899. Nichtamtlicher Teil. 1093 Bruchteile beschränken würde, während die große Masse der Bevölkerung: Handwerker, Kaufleute, Bauern, Arbeiter u. s. w. wieder abseits stehen müßte. Für eine wissenschaftliche Bibliothek in Posen liegt außerdem zur Zeit gar kein Bedürf nis vor, denn große gelehrte Körperschaften und wissenschaftliche Anstalten sind dort nicht vorhanden, der Gelehrten sowie derer, die wirklich wissenschaftlich arbeiten wollen, sindstrur sehr wenige und diesen stehen heute die Schätze aller unserer großen öffentlichen Bibliotheken, der Landes- und Universitäts-, der Stadt- und Fach-, der Vereins- und Instituts-Bibliotheken frei oder gegen geringe Unkosten zur Verfügung. Für sie brauchen nur wahrhaftig nicht eine neue wissenschaftliche Bibliothek zu gründen, sondern nur die vorhandenen, namentlich durch gut eingerichtetcn und womöglich unentgeltlichen Leihverkehr, noch leichter und bequemer zugänglich und besser nutzbar zu machen. Vor allem aber würde eine wissenschaftliche Biblio thek, da die Wissenschaft ihrem innersten Wesen nach inter national ist, dem zweifellos national gedachten und gewollten Unternehmen, wie es durch den Namen des Kaisers und Bismarcks hinreichend gekennzeichnet wird, schnurstracks wider streiten, das gerade Gegenteil von dem bewirken, was man erstrebt, jedenfalls ihren eigentlichen Zweck, im Dienste des Deutschtums zu stehen, vollständig verfehlen, denn »sie würde von den Polen mindestens ebenso und mit dem gleichen Vor teile benutzt werden, wie von den Deutschen, und die Sonne würde in der That über zwei Polen und einen Deutschen scheinen-, was vor Kurzem schon von anderer Seite überzeugend nachgewiesen ist. Allein schon aus diesem Grunde sollte die Gründung rein oder vorwiegend wissenschaftlicher Bibliotheken in Posen völlig ausgeschlossen sein, denn bei der wissenschaft lichen Bibliothek müßte folgerichtig auch die polnische, über haupt die slavische Wissenschaft berücksichtigt werden; damit wären dann den polnischen Wünschen auf Anschaffung von Büchern rc. Thor und Thür geöffnet, und schließlich würden wir bei polnisch sprechenden deutschen Beamten — vielleicht müßten die Polen dann sogar den nur deutsch sprechenden Bibliothe karen bei Besetzung leitender Stellen vorgezogen werden, wie es ja jetzt bei den Lehrern schon thatsächlich oer Fall sein soll?! — und einem in seinem Wesen und in seiner Wirkung mehr polnischen als deutschen Institute endigen. Es handelt sich jetzt doch wahrhaftig für uns nicht darum, in Posen und in der Ostmark überhaupt die Wissen schaft zu fördern und einige Gelehrte bei ihren Studien zu unterstützen, sondern das ist vielmehr unsere Aufgabe: Alles daran zu setzen, das Deut sch tu in geistig und wirtschaftlich zu heben, deutsche Bildung und Kultur zu hegen und zu pflegen, die ganze breite Masse der Deutschen in jenen Pro vinzen mit nationalem Geiste zu erfüllen, deutsche Gesinnung zu stärken und zu verbreiten, deutsch denkerpzu lehren. Diesen Zweck kann die wissenschaftliche Bibliothek aber nicht erfüllen, weil das ihrem Wesen widerspricht, da die Wissenschaft eben international ist, und weil von einer Wirkung auf die breite Masse der Bevölkerung bei ihr überhaupt keine Rede sein kann; das kann nur eine Bibliothek, die bewußt national wirken will, die für die ganze deutsche Bevölkerung berechnet ist und demgemäß ihr Hauptgewicht auf die volkstümliche Litteratur legt nach dem Beispiele, das uns die Polen selbst gegeben haben. Nun ist uns ja allerdings versichert worden, »die Aus wahl der Bücher werde ohne die schiefe Brille unangebrachter Gelehrsamkeit erfolgen«; wenn man aber hört und liest, daß nicht allein die Universitäts-Bibliotheken, sondern auch die Uuiversitäts-Jnstitute, die Gymnasien und sonstigen höheren Schulen, die Oberlandesgerichte, Oberkonsistorien u. s. w. aus ihren Bibliotheksbeständen Dubletten und überflüssige oder unbrauchbare Werke für die Posener Bibliothek ab geben, so liegt doch für den Einsichtigen auf der Hand, daß S?»Mun!>seck,lasier Habraana. man sich wieder die trübe Gelehrtenbrille aufgesetzt hat und mit vollen Segeln auf die wissenschaftliche Bibliothek los steuert. Denn dies Material ist doch, von seinem Werte oder Unwerte ganz abgesehen, für eine andere als wissen schaftliche Bibliothek mit winzigen Ausnahmen völlig unge eignet und unbrauchbar. Eine Dublette und Dubletten unserer wissenschaftlichen Fachbibliotheken können wir gerade in Posen am allerwenigsten gebrauchen; die Polen machen sich schon jetzt und leider mit Recht darüber lustig; denn nicht darauf kommt es an, daß man möglichst viele Bücher, gleichviel welchen Inhaltsj und von welchen: Werte für die Bibliothek, zusammenbringt, sondern vielmehr darauf, daß es nur wirklich gute, brauchbare und dem Zweck der Bibliothek entsprechende sind. Von der Auswahl und nicht von der Zahl der Bücher hängt vor allem Wesen und Wirkung der Bibliothek ab. Nicht alte wissenschaftliche Schmöker, sondern die Auslese unserer Litteratur gehört in die Bibliothek; das Beste vom Besten namentlich auf dem Gebiete der vaterländischen Geschichte und der schönen Litteratur ist für unsere Volksgenossen im Osten gerade gut genug, damit sie daran ermessen und freudig be kennen, was sie an deutscher Gesittung und Litteratur haben. Zehn- und hundertmal besser deshalb 30 000 Bücher, die wirklich gelesen und immer von neuem gelesen werden, als 300 000 Werke, von denen der größte Teil, weil ungeeignet oder veraltet, als unnützer Ballast in den Fächern steht und seinen Zweck verfehlt, denn jedes Bibliotheksbuch, das nicht benutzt wird, hat seinen Zweck verfehlt, und das bedeutet bei dieser Bibliothek, die eine nationale und kulturelle Mission erfüllen soll, einen Verlust, dessen Größe und Wirkung sich gar nicht abschätzen läßt. Man sehe sich doch nur unsere »wissenschaftlichen« Stadt bibliotheken mit ihren geradezu jämmerlichen Benutzungs ziffern an! Sie legen ein lebendiges und beredtes Zeugnis dafür ab, wie völlig verfehlt ihr Dasein ist, denn durch ihre gelehrten Anwandlungen haben sie sich der Masse des Volkes verschlossen, werden aber auch von den Gebildeten so gut wie gar nicht benutzt, und der Gewinn, den die Wissenschaft aus ihnen zieht, ist fast gleich Null. Gerade aus nationalen und praktischen Gründen lehnen wir also die Gründung wissen schaftlicher Bibliotheken in den Landesteilen mit stark polnischer Bevölkerung ab, denn sie würden die Stärkung des Deutsch tums mehr hemmen als fördern und für die kulturelle, die geistige und sittliche Hebung des deutschen Elements von geringem oder gar keinen: Nutzen sein, und zudem brauchen wir solche Bibliotheken auch dort, wenigstens zur Zeit, nicht; was wir aber brauchen, das sind Bibliotheken für die ganze übrige Masse der Nichtgelehrten, Volk und Gebildete, ja auch für die Gelehrten selber, soweit ihre litterarischen Interessen in Frage kommen, Bibliotheken für Bildung und das praktische Leben, für Wissen und Können, Belehrung und Unterhaltung. Eine solche Bibliothek volkstümlichen und nationalen Charakters, eine großartige nationale Volksbildungsanstalt nach Art der »Public Library« der Engländer und Ameri kaner, zu der das Volk, d. h. alle Schichten und Klassen der deutschen Bevölkerung ohne Unterschied, freien Zutritt hat und die zugleich als Mittelpunkt für alle übrigen volkstümlichen Bibliotheken in der Provinz dient, soll die Kaiser Wilhelm- Bibliothek werden. Sie soll nicht bloß Bücher enthalten, die nach des Tages Last und Arbeit erfrischen und erbauen und über die Alllagsstimmung erheben, sondern ebensogut solche, die der staatsbürgerlichen, wissenschaftlichen und technischen Bildung und dem praktischen Leben dienen. Sie hat zwar Bücher aus den verschiedensten Geistes- und Wissensgebieten und von verschiedenen: Grade der Wissenschaftlichkeit, aber sie sind ohne Ausnahme allen zugänglich, und es steht jeden: Hei, 148