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1428 Börsenblatt s. d Dtschn. Buchhandel. Nichtamtlicher Teil. 26. 2. Februar 1910. (Ol-. Phllippi) bei denen eine große Anzahl von Parteien sehr ungern nachgegeben hat, wie Herr Wolfhagen richtig berichtet, hat der Reichstag beschlossen, diesen Entwurf bedeutend zu beschneiden und hat besonders, was die anstößigen Schriften betrifft, einem verhältnismäßig geringen Teile des Regierungsentwurfes zugestimmt. Dann hat aber auch die Reichs regierung zugestimmt und, wenn auch nur mit Widerstreben, ihr Ein verständnis damit erklärt, daß nun in bezug auf den Verkehr mit an stößigen Schriften nur die in dem Gesetz angegebenen Tatbestände mit Strafe belegt werden sollten und nicht mehr. Dadurch ist der Kreis der Handlungen des Verkehrs mit die Sittlichkeit gefährdenden Schriften im Strafgesetzbuche behandelt und es entfällt damit die Möglichkeit, diesen Kreis von Handlungen noch weiter zum Gegenstände einer einzelstaatlichen Gesetzgebung zu machen. Ich glaube, daß diese Argu mentation überzeugend sein muß; vor allem aber glaube ich, daß die Sache spruchreif ist und ich wende mich mit der größten Entschieden heit gegen den Antrag, die Angelegenheit noch einmal an den Ausschuß zurückzuverweisen. Es kann unmöglich etwas dabei herauskommen. Es handelt sich um ein rechtliches Gebiet, das, wie ich den Herren Gegnern zugeben will, nicht auf den ersten Blick vollständig zu übersehen ist, das eines eingehenden Studiums bedarf, aber immerhin ist es nur ein beschränktes Gebiet, und das Material, das darüber vorliegt, ist voll kommen in der Diskussion erschöpft, alles ist erörtert worden, auch im Ausschuß würden wir nichts anderes tun können, als unsere Argumente zu wiederholen, was doch keinen Zweck hat. Ich habe mich dann zu wenden zu dem Anträge des Herrn Di: Möncke- berg, den Senat zu ersuchen, eine Änderung der Reichsgesetzgebung in bezug auf die sittengefährdenden Schriften in die Wege leiten zu diesen Antrag abzulehnen. Über eins aber kann kein Zweifel sein, daß dieser Antrag nichts weiter ist, als eine Geste; denn niemand wird sich vorstellen können, daß er zu einem positiven Erfolge führt; er ist aber nicht einmal eine schöne Geste, sondern er erweist sich deutlich als bloße Äußerung der Verlegenheit. Herr De Mönckeberg hat akzeptable Vor schläge darüber, was in der Reichsgesetzgebung eigentlich geändert werden sollte, nicht beibringen können, und ich muß dies im einzelnen durchgehen. Er hat sich zunächst mit der Gewerbeordnung beschäftigt. An diesen Bestimmungen ist eins auch für unsere übrige Debatte interes sant. Es ist mehrfach davon gesprochen worden, daß der Ausdruck, »Schriften, die geeignet sind, sittliches Ärgernis zu erregen,» bereits seit langen Jahren in der Gesetzgebung, nämlich in diesem Paragraphen der Gewerbeordnung, existiere, und daß seine Bedeutung deshalb fest stehe. Ich glaube, gerade dieser Paragraph der Gewerbeordnung er gibt das Gegenteil. An sich ist es ziemlich offensichtlich, daß sittlichen Anstoß einem jeden dasjenige geben wird, was mit seinen sittlichen Überzeugungen in schroffem Widerspruch steht. In der Praxis wird danach als sittlich anstößig immer das behandelt werden, was in schroffem Widerspruch zu den sittlichen Anschauungen der zur Entscheidung berufenen Personen steht. Wie diese sittliche An schauung sein wird, kann niemand vorher wissen, denn die sittlichen Anschauungen der verschiedenen Personen sind häufig sehr verschieden. Es ist deshalb auch nicht möglich, diesen Begriff zur Grundlage eines Strafgesetzes zu machen. In der Gewerbeordnung ist er dazu da, um den Verwaltungsbehörden, die sich mit der Ausführung dieser Be stimmung zu befassen haben, einen gewissen Anhalt zu geben, wonach sie sich richten können. Dazu hat Herr Wolfhagen wertvolles Material gegeben. Er hat einen Erlaß (ich glaube, es war der eines Ministers), vorgelegt, in dem den untergeordneten Behörden eröffnet wurde, die fragliche Bestimmung der Gewerbeordnung würde ihren Zweck noch viel besser erfüllt haben, wenn sie nicht mit so großer Nachsicht an gewandt wäre; man solle sie von jetzt an auch gegen Schund- und Schauer romane anwenden, also auf einem Gebiet, auf das sie bisher keine Anwendung gefunden hatte. Das kennzeichnet die Dehnbarkeit dieser Gesetzesbestimmung. Das Gesetz mutet denn auch den einzelnen, die von ihm betroffen werden, nicht zu, zu beurteilen, was nun geeignet ist, sittlich Anstoß zu erregen, sondern benutzt diesen Ausdruck nur dazu, um darauf die Einrichtung einer Präventivzensur für Hausierer und Straßenhändler zu stützen. Nach Absatz 2 muß jeder Hausierer und Straßenhändler ein Verzeichnis der Schriften, die er zu führen ge denkt, der zuständigen Polizeibehörde vorlegen und darf diese Schriften nur führen, wenn die Polizeibehörde sein Verzeichnis genehmigt hat. Schriften, die nicht im Verzeichnis stehen, und nicht von der Polizei behörde genehmigt sind, darf er überhaupt nicht führen. Diese Be stimmung will Herr vn Mönckeberg auch auf die Schaufenster anwenden. Ohne Präventivzensur ist sie überhaupt nicht zu handhaben, weil nie mand wissen kann, was die Behörde für geeignet hält, sittlichen An stoß zu geben. Diese würde aber dazu führen, daß jeder Buchhändler der Polizeibehörde ein Verzeichnis der Bilder, Darstellungen und Schriften, die er ins Schaufenster stellen will, vorlegen mnß und nichts ausstellen darf, was die Polizeibehörde nicht genehmigt hat. Selbst jeder Krämer, der eine kleine Schrift über die Vorzüge von Liebigs Fleischextrakt in sein Schaufenster stellen will, darf es nicht ausstellen, bevor die Polizei ihre Genehmigung nicht gegeben hat. Ich glaube, die Polizeibehörde würde wenig glücklich sein, wenn sie vor eine solche Bestimmung gestellt würde. Man braucht sich diese Verhältnisse doch nur einmal deutlich vorzustellen, um sich zu überzeugen, daß es unmög lich ist, eine solche Gesetzesbestimmung zu erlassen. eingeführt sehen, daß diese Strafbestimmung auch angewandt wird auf Gerichtsverhandlungen, bei denen die Öffentlichkeit nicht aus geschlossen ist. Nun schließen die deutschen Gerichte aber die Öffentlich keit aus bei allen Verhandlungen, bei denen eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sittlichkeit zu befürchten ist. Wenn das Gericht dadurch, daß es die Öffentlichkeit nicht ausschließt, zu erkennen gegeben hat, daß es keine Gefährdung der öffentlichen Sittlichkeit befürchtet, dann meine ich, kann man es keiner Zeitung verdenken, wenn sie sich dabei beruhigt. Außerdem ist auch die Öffentlichkeit für unsere Rechtspflege so notwendig, wie die Luft zum Leben, (Sehr richtig!) und diese Öffentlichkeit besteht tatsächlich nicht in der An wesenheit der wenigen Zuhörer, die gewöhnlich im Gerichtssaal sind, sondern gerade in den Berichten, die die Zeitungen bringen. Wenn man also den Zeitungen die Befugnis, solche Berichte zu bringen, ein schränken würde, so würde man nicht nur dem Publikum, sondern auch der Justiz bedenklichen Schaden zufügen. Es handelt sich dann noch um Berichte über die auswärtigen Pro zesse. Sehr häufig kommen solche Prozesse ja nicht in unseren Zeitungen vor. Einzelne eauses cölöbres sind noch im Gedächtnis, wie kürzlich der Mordprozeß Steinheil, und es ist zuzugeben, daß derartige Berichte keine passende Lektüre für Kinder sind. Wenn aber wirklich in § 184b anstößige Berichte auch aus öffentlichen Gerichtsverhandlungen mit Strafe bedroht werden, wohin würde das führen? Ähnliche Dinge, wie im Mordprozeß Steinheil zur Sprache gekommen sind, Berichte über das skandalöse Leben irgendwelcher Damen oder Frauenzimmer, die einmal das Publikum interessieren, stehen fortwährend in den Zeitungen. Berichte über die Prinzessin von Koburg, oder die frühere Kronprinzessin von Sachsen, kommen tagtäglich vor. Man würde also unterscheiden müssen, ob solche Berichte aus dem Gerichtssaal stammen: dann würden sie nämlich strafbar sein. Wenn aber Berichte ganz gleicher Qualität nicht aus dem Gerichtssaal stammen, dann sollen sie erlaubt sein! Ich glaube nicht, daß dieses irgend jemandem als ein akzeptables Resultat erscheinen kann. Will man aber sagen, das wollen wir auch nicht; wir wollen den Zeitungen bei Strafe jede Mitteilung verbieten, die geeignet wäre, sittlichen Anstoß zu erregen? Ja, meine Herren, was für eine Aufgabe der Prüfung ladet man dann den Zeitungen auf? Das Publikum wünscht doch allerlei zu hören und nicht nur das, was dem hohen Wissensdrang genügt, sondern auch das, was der Neugierde genügt; wäre aber die Forderung berechtigt, daß alle Zeitungen so ein gerichtet sein sollen, daß sie eine unschädliche Lektüre für Kinder bilden, dann würden vor allen Dingen auch aus den Zeitungen fortbleiben müssen, alle Äußerungen politischer Gehässigkeit. Denn wenn die Heranwachsenden jungen Leute zuerst aus der Lektüre der Zeitungen Interesse für das öffentliche Leben gewinnen, dann ist doch im hohen Grade zu wünschen, daß sie nicht sofort mit gehässigen Vorurteilen gegen andere Klassen der Bevölkerung, gegen bestimmte Institutionen und dergl., erfüllt werden, sondern mit der ersten Kenntnis des öffent lichen Lebens den Sinn für Objektivität und herzliche Verträglichkeit erlangen. Wenn das aber in den Zeitungen verboten werden sollte, was könnte dann von öffentlichen Reden, und ich scheue mich nicht zu sagen, dürfte dann über alle Reden, die in der Bürgerschaft gehalten werden, berichtet werden? (Heiterkeit.) Es könnte selbst Vorkommen, daß eine Rede des Herrn vr Mönckeberg diese Probe nicht bestände. (Heiterkeit.) Auch dieses scheint mir als geradeso unmöglich, wie das andere, und ich möchte daran noch eine Bemerkung knüpfen, die sich gegen die an sich sehr beherzigenswerten Ausführungen des Herrn D. Rode richtet. Herr O. Rode hat mit vollem Recht gesagt, daß die soziale Gesinnung sich nicht nur ausdrücken dürfe in Geldspenden, sondern vor allem darin, daß man sein Leben so einrichte, daß kein anderer dadurch geschädigt werde. Gewiß ist das richtig; aber wo einander