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152 rr vor seinem Abgänge nach Amerika einen Verein für Bewahrung und Vermehrung der Gemeindebibliotheken. Der Thätigkeit dieses Vereines verdankt man unter anderm eine Parlamentsacte vom Jahre 1708, die bestimmt, daß Kataloge gehalten und daß dem Pfar rer die Aufsicht übertragen werde. Die Vorschrift gerieth aber bald wieder in Vergessenheit; die Zeugenaussagen vor dem Comitö erzäh len von mancher Sammlung, namentlich auf Dörfern, die zu Düten oder zum Spielwerk für die Kinder geworden, und da die Stifter nur in den seltensten Fällen Capitalien oder Renten ausgesetzt hatten, so ist von einer Ergänzung durch neuere Werke im Allgemeinen keine Rede. — Der Zutritt zu allen diesen Bibliotheken ist an eine Ein führung oder Empfehlung, an eine Caution oder ein Eintrittsgeld geknüpft, und dadurch nicht blos den arbeitenden Elasten, sondern häufig auch den Mittelständen versperrt. In vielen Fällen hat die Laune des Stifters, die ebenso gewissenhaft geachtet wird, wie das Testament des römischen Bürgers, ganz unzweckmäßige, zuweilen ge radezu widersinnige Bestimmungen getroffen. In Oxford, Cambridge und Glasgow sind die Studenten ausgeschlossen, und an dem zuerst genannten Orte besteht eine Bibliothek, das Ratclifsianum, nach der Form des Gebäudes die pvpporbox (Pfefferbüchse) genannt, von der Schlegel erzählt, daß man sie für einen Sixpence besehen, aber unter keinen Umständen benutzen dürfe. Das immer wachsende Bedürfniß zu lesen muß auf andern Wegen Befriedigung suchen. Es würde zu weit ab führen, über den Buchhandel, die Leihbibliotheken und die Tagespresse auch nur einen dürftigen Auszug des von dem Comitö gesammelten Materiales zu geben. Um den Zustand der Dinge zu bezeichnen, von dem die neuere Gesetzgebung ausgeht, ein Paar Thatsachen. Die Zahl der eirouIstinA Iibrarios, Leihbibliotheken, bei denen man aber keineswegs, wie in Deutschland, an ein Vorwalten der leichteren Literatur zu denken hat, entspricht auf eine überraschende Weise dem Zustande des Volksunterrichtes. In Schottland, wo Jeder lesen lernt, findet man in den entlegensten Dörfern Leihbibliotheken, nächst den Werken des 'Sir Walter Scott vorzugsweise mit geschichtlichen und naturwissen schaftlichen Schriften versehen; und in den ganz armen Gegenden hilft man sich durch itinoraliliA librurie«, wanderndp Leihbibliotheken, d- h. man leiht von einem Buchhändler in Edinburg 50 Bände, die alle zwei Jahre umgetauscht werden. Dagegen giebt es 73 irische Städte, die nicht einmal einen Buchladen haben. In England ist während der letzten zwanzig Jahre außerordentlich viel durch die Handwerkerbildungsvereine (Kookanies' Insti^utions) geschehen. In Lancashire, wo sie am schnellsten Wurzel geschlagen haben, sind sie fast ohne Ausnahme mit kleinen Bibliotheken versehen. An andern Orten, wo sie weniger gedeihen, namentlich in London, kommen die kleinen Kaffeehäuser dem Bedürfniß der Arbeiter entgegen. Unter den 2000 Localen der Hauptstadt, in denen eine billige Tasse Thee oder Kaffee geschenkt und dem Besucher ein Stück Fleisch, das er häufig selbst mitbringt, für eine Kleinigkeit gebraten wird, dürften sehr wenige ganz ohne eine Spur von Bibliothek zu finden sein. Es sind wenigstens einige alte Jahrgänge eines Magazines da, verräu chert und abgegriffen und auf jeder einzelnen Seite mit Kaffeeflecken und — mit dem Namen des Eigenthümers gezeichnet. Je anständi ger, reinlicher das Aeußere des Locales, desto größer die Büchersamm lung , bis hinauf zu den eleganten Kaffee's des Westendes. Man muß aber nicht glauben, daß das Lesen mit der Zahl und dem Wcrthe der Bücher steigt. Wer das Londoner Kaffeehaus in allen seinen Schatticungen kennt, von einem Penny bis zu einem Schilling die Tasse, der fühlt sehr bestimmt die Linie heraus, bis zu der das Lesen steigt. Es ist am stärksten in den Localen, die von Studenten, Kauf manns- und Advocatengehilfen, von der ganzen Classe besucht wer den, die der Engländer mit dem unübersetzbaren Ausdruck „elerlc" bezeichnet. Darüber hinaus nimmt es ab; die werthvollen und ele- ^ rr gant gebundenen Werke zwischen Bronze und Spiegelscheiben werden selten in ihrer Ruhe gestört. Es bedarf wohl kaum der Erwähnung, daß diese Kaffeehausbibliotheken dem Besucher ohne besonderes Ent gelt» zu Diensten stehen. Bemerkenswerther ist der Umstand, daß zum Verkauf gegohrener Getränke eine Concession erforderlich ist, zum Thee- und Kaffeeschank nicht. Deswegen und bei der hochent wickelten Arbeitstheilung findet man sehr selten ein Local, in dem beiderlei Getränke verabreicht werden; ja, wer ein Glas Cognac zum Kaffee haben will, muß es über die Straße holen lassen. Die Bier häuser und Branntweintempel bieten ihren Gästen keine Lectüre wei ter, als ein oder zwei Tagesblätter. Ein sprechender Beweis endlich von dem Verlangen der ärmeren Volksclassen nach Büchern sind die zahllosen, so zu sagen mikroskopischen Leihbibliotheken, die man auf Schritt und Tritt in London entdeckt. Die Gemüsehökerin, der angehende Zeitungsagent, der kleine ststioner (Schreibmaterialien händler), der Honigkuchen-, Schwefelholz- und Valentinenkrämer „sucht einen ehrlichen Pfennig zu machen," indem ec ein Dutzend Bände in dem Geschmack von Spieß und Kramer anschafft und den jungen Costermongers und ähnlichen Gentlemen der Nachbar schaft für einen Halfpenny und gegen Verpfändung eines Stiefels, Rasirmessers oder andern zur Zeit entbehrlichen Gegenstandes aus leiht. Etwas muß sich die Privatindustrie immer bezahlen lassen, und sei der Betrag auch noch so klein. Nun lebt aber in den große» Städten, namentlich in London und Glasgow, eine Bevölkerung, größer als die Seelenzahl manches souverainen Staates, die nicht einen Halfpenny für den geistigen Genuß des Lesens erübrigen kann, die des Tages auf der Straße wohnt und des Nachts in einem der grauenvollen Logierhäuser oder unter den Bogen einer Eisenbahn ei» Unterkommen findet. Mit dem Buche allein ist es nicht gethan, man muß doch eine Ecke haben, sich mit dem Buche hinein zu drücken. Viele dieser Nomaden kennen keinen Buchstaben, und das dürftige Wissen, das in neuerer Zeit die raxxeü selloolü, wörtlich LumpeN- schulen unter dem aufwachsenden Geschlecht verbreiten, geht durch den Nichtgebrauch bald wieder verloren. Um auch diese Classe mit einer gesunden geistigen Nahrung zu erreichen, hat man seit einige» Jahren angefangen, mit jenen Lumpcnschulen kleine Bibliotheken zu verbinden. Das erwärmte und erleuchtete Schulzimmer und eine gute Reisebeschreibung oder Balladensammlung, alles umsonst gewährt, ziehen in den Winterabenden oft mehr Besuch herbei, als die meistens sehr dürftige Räumlichkeit zu fassen vermag. Eine Tat sache, die der Comitöbericht feststellt, ist von zu tiefem Interesse, als daß wir sie nicht mit zwei Zeilen erwähnen sollten. Unter den natürlich mit Rücksicht auf die Bildungsstufe der Leser ausgewählten — Werken finden diese zerlumpten Kritiker mit nie irrender Sicher heit die gediegensten heraus. Stelle man — sagt einer der vernom menen Zeugen — ein classisches Werk und ein planlos und leicht fertig zusammengeworfenes neben einander, so wird man sie nach kurzer Zeit an dem Zustande des Einbandes unterscheiden können- Endlich stimmen alle Zeugnisse darin überein, daß eine öffentlich? Bibliothek ihren Zweck nur sehr unvollkommen erreicht, wenn st? nicht auch des Abends geöffnet ist, und daß die Gefahren von Licht und Feuer nicht so groß sind, als man gewöhnlich glaubt- Ein Buch sei ein sehr schwer verbrennlicher Gegenstand; eiserne Schänke kämen, wenigstens bei den hiesigen Preisen, kaum höher zu stehen als höl zerne, und die dem Papiere schädlichen Luftentwicklungcn des Gas lichtes seien, wie das Beispiel Amerikas beweise, durch gute Ventila tion leicht abzuleiten. Gehen wir zu der Frucht dieser Untersuchung über, dem labrsrikji-äei, (13 und 14 Victoria Cap. 65), gewöhnlich Ewarl's- Act genannt. Der Comitöbericht sprach sich dafür aus, daß an jedem Orte, auch auf dem Lande, eine Bibliothek zum un entgeltlichen Gebrauch für Jedermann angelegt;