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^ 172, 28, Juli 190S. Nichtamtlicher Teil, Börsenblatt f, d. Dlschn. Buchhandel. 8749 dabei im Geiste das alte Paulinum und seine Höse durch wanderst so durchwandelt sie damit Räume — das theologische Auditorium im Paulinum — und Plätze, die durch vier Jahrzehnte jährlich zur Ostermesse die Besucher der Leipziger Büchermesse, seit 182b die Mitglieder des Börsenvereins und ihre Gäste sich versammeln sahen; und man könnte noch be sonders des Gartens des Primarius der theologischen Fakultät gedenken, in dem sich im Schatten der alten Bäume und der alten Paulinerkirche die deutschen Buchhändler zwischen den Geschäften der Abrechnung ergehen konnten. Und wenn es sich nicht um Geschichte, sondern um eine Geschichte handelte, so könnte man etwa erzählen, wie sich so nun nach etwa zwei- und dreiviertel Jahrhundert Buchhandel und Universität wirklich wieder die Hand reichten, um wie einst wieder gemeinsam bergan zu steigen. Sofort nach der Fremdherrschaft, sogar noch im Jahre 1813, be ginnt die moderne Reorganisation der Leipziger Universitäts- Verfassung, um zu Beginn der vierziger Jahre in der Wiedereinführung des Systems der Berufungen zu gipfeln; sofort nach der Zeit der Fremdherrschaft, im Jahre 1814, be gann der Buchhandel den Kampf für Rechtsschutz und Preß freiheit, im Jahre 1825 wurde der Börsenverein gegründet, die dreißiger Jahre läuteten das Nachdruckszeitalter aus, zu Beginn der vierziger Jahre war die neue Durchbildung des Leipziger Kommissionswesens beendet. Das Jahr 1836 ist das Denkmal dieser beiderseitigen Sammlung, beiderseitigen Neuverfassung, dieses beiderseitigen Eintritts in die Neuzeit des 19, Jahrhunderts: in dem gleichen Jahre 1836 weihte die Universität ihr damals neuerbautes Augusteum am Augustusplatz und der Buchhandel sein erstes, von rhm selbst erbautes eigenes Börsengebäude, Es war errichtet auf uraltem Universitätsboden, auf der Stätte der alten lZursn Lavaril», die schon im Jahr 1409 hier gestanden hatte: damit mies es zurück in die Vergangenheit. Aber es stand nun neben der Universität das von ihr getrennte eigene Gebäude des Buchhandels: damit wies es in die Zukunft, In den vierziger Jahren wurden die letzten verfassungsmäßigen Fäden zwischen Buchhandel und Uni versität zerschnitten. Dem Zeitalter freien und ungefesselten Spiels der Kräfte ging es zu. Herrlich sind Buchhandel und Universität in ihm emporgeblüht. Gemeinsam traten sie aus der alten Enge der inneren Stadt den Eroberungszug nach dem Osten an: wie sie einst IM alten lateinischen Viertel sich miteinander an- und emporgebaut hatten, so stieg nun selbständig nebeneinander im Osten ein ganzes neues medizinisch-naturwissenschaftliches Viertel und ein neues Buchhändlerviertel empor — beherrscht und durchwaltet beide von demselben Riesengeiste der modernen Technik, der hier Rotationsmaschinen in Bewegung setzte und dort die Leitungsbahnen des Gehirns bloßlegte. Und dann und endlich: wie zu Ende der achtziger Jahre des vorigen Jahrhunderts das Deutsche Buchhändler haus geweiht wurde und zu Beginn der neunziger der Riesenbau der neuen Universität begann, das ist denen, die heute auf der Höhe des Mannesalters stehen, noch in frischer Er innerung: das stolze Haus des Deutschen Buchhandels auf seinem Neuland im Osten, die Prachtbauten der Universitär auf ihrem althistorischen Boden am Augustusplatz. Hier in der Aula wird am Abend des 28, Juli mit dem Empfang der Ehrengäste die Feier eröffnet werden, wie sie in gleichem Glanze noch keine deutsche Universität be gangen hat. An der Wand der Aula wird sich das von Max Klinger zur Jubelfeier der Universität vollendete gigan tische Wandgemälde zeigen, das zu den köstlichsten Werken gehört, die die Kunst geschaffen hat. Von Seffners Hand sind das Marmorslandbild des derzeitigen Usetor rvklgniüoentissi- Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel, 76, Jahrgang. wus König Friedrich Augusts II„ das dieser am SV. Juli der Universität schenken wird, und die Kolossalbüste Lessings, die als die Büste des dritten der größten Leipziger Studenten neben den Büsten von Goethe und Leibniz auf gestellt werden wird. In dem stilgetreu wiederhergestellten alten Rathause ist eine reiche und hochinteressante Jubiläums- Ausstellung eröffnet worden, die sich weit über den Rahmen der Geschichte der Leipziger Universität hinaus erstreckt. Unter den Gaben aber, die der jubilierenden Universität von Anstalten, Behörden und Privatleuten dargebracht werden, stehen nicht an letzter Stelle die reichen Bücher schenkungen von etwa dreißig Leipziger Verlegern, Der historische Festzug, der am 30, Juli die Straßen Leipzigs durchziehen wird, er wird den Buchhändler, der ihn vorüber wallen steht, an manches Blatt aus der Geschichte des Buch handels erinnern. Als 1519 Luther in Leipzig einzog, da stieg er im Hause eines Leipziger Buchhändlers ab, und als der größte Deutsche nach ihm, Goethe nach Leipzig kam, da war es ein Buchhändler, Johann Georg Fleischer aus Frankfurt, der ihn in seinem Reisewagen mitnahm. Unter den Lützowscheu Reitern der Befreiungskriege befanden sich auch streitbare junge Buchhändlersöhne, und deutsche Buch händler in Wehr und Waffen waren es, die ihren toten Kameraden, den Liebling der Nation, Theodor Körner mit zur ewigen Ruhe gebettet haben. Und auch eine Leipziger Buchhändlerfamilie tritt in dem historischen Festzug der Universität Leipzig auf: die Familie Breilkopf, die in dem um Goethe gruppierten Bilde mit dahinwandeln wird. An der Universitätsstraße, in unmittelbarer Ver bindung mit der Universität, steht noch heute das Haus zum Goldenen Bären, in dem einst die Familie Breitkopf wohnte und die Breitkopfsche Offizin sich befand: ein Haus, gleich denkwürdig in der Geschichte der Leipziger Universität und des Leipziger und des deutschen Buchhandels. Hier wohnten in treu-hausgenossenschaftlichem Verein der alte Breitkopf und Professor Gottsched: eine Verkörperung der Doppelherrschaft des damaligen akademisch - buchgeweiblichen Leipzig, wie es nicht sinnfälliger gedacht werden kann. Und in der Familie des zweiten Breitkopf ging der junge Goethe in diesem Hause aus und ein, in dem Leipziger Buchhändlerhause, dessen An regungen er in seiner Lebensbeschreibung eingehend gedenkt. Heute endlich ist der »Goldene Bär« der Sitz des »Instituts für Kultur- und Universalgeschichte«, geschaffen von Karl Lamprecht, einem der Mitglieder der »Historischen Kommission« des Börsenvereins der Deutschen Buchhändler. Die gesamte periodische Presse wird die große Jubel feier, die so unendlich viel mehr ist als eine Angelegenheit der Stadt Leipzig, mit Festartikeln, vielfach mit eigenen Festnummern begleiten; die Universität selbst hat zu der Feier mehrere wertvolle Publikationen erscheinen lassen, unter denen wir die von Rektor und Senat in fünf stattlichen Bänden herausgegebene »Festschrift zur Feier des 500jährigen Be stehens der Universität Leipzig- einer besonderen Besprechung Vorbehalten. Sie ist erschienen im Verlage von Salomon Hirzel in Leipzig, dem Verlage, dessen Begründer dem Verdienste, das er sich um die Bibliographie über den größten Leipziger Musensohn Johann Wolfgang von Goethe erwarb, das Ehrendoktorat der Universität Leipzig verdankte. Neben ihm ist ein zweiter deutscher Buchhändler, Albrecht Kirchhofs, der Begründer der buchhändlerischen Geschichtsschreibung, mit einer so seltenen Auszeichnung geehrt worden, — Die Zeit wird wiederkommen, in der die Leipziger Universität als Körperschaft nicht nur dem Buchhändler als Gelehrtem, sondern dem Buchhandel als wirtschaftlichem Organ ihre Anerkennung zollt. vr. I. Goldfriedrich, 1136