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8748 Börsenblatt f. d. Dtschn. Buchhandel. Nichtamtlicher Teil. ^ 172, 28. Juli 190S. die Manuskripte der Werke, die er verlegen wollte, und sie schrieb ihm nicht selten sogar die Taxe vor, zu der er sie zu verkaufen habe. Das alles gilt und hat gegolten auch von der Leipziger Universität, und die Lokalgeographie des Leipziger Buch handels hält in Holz und Stein die Entwicklungsgeschichte dieser Beziehungen noch heute fest. Wie die Küchlein sich unter den Flügeln der Henne bergen, so bauten sich die Leipziger Buchhändler an unter den Mauern der Leipziger Universitätsgebäude und in den Gassen des lateinischen Viertels, und noch heute sind es die Straßenzüge entlang der einstigen und der gegenwärtigen Universitätsbauten, die diese mit dem Kranze der hauptsächlichsten der Leipziger Sorti mentshandlungen umsäumcn: die vordere Grimmaische Straße, Universttätsstraße und Neumarkt, Goethe- und Ritterstraße, und dazu kamen dann die Straßen, die in der Richtung der verlängerten Universitätsstraße und dann weiter in südöstlicher Richtung aus dem alten lateinischen ins neue medizinisch-naturwissenschaftliche Viertel führen. Universität und Buchhandel Leipzigs, sie haben beide den Weg von der Provinzial- zur Weltstellung zurückgelegt. Die Hör- und Arbeitssäle der Universitätsgebäude senden Gedanken und Schüler ebenso über den ganzen Erdball aus, wie die großen Leipziger Kommissionshäuser Bücher. Drei große Hauptphasen sind in diesem geschichtlichen Doppelgang zu unterscheiden: zuerst bis in die zweite Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts, dann von da bis in die dreißiger Jahre des neunzehnten Jahrhunderts, endlich von hier bis zur Gegenwart. Ein erstaunlich genauer geschwisterlicher Parallelismus der Entwicklung von Universität und Buchhandel Leipzigs in der ersten Hauptphase. Im fünfzehnten Jahrhundert zuerst die Zeit der Anfänge; dann war es die gute Zeit Herzog Georgs, in der gleichmäßig die Universität, die sich den Einflüssen des Humanismus erschließen zu wollen schien, und der Buchhandel den glücklichsten Aufschwung nahmen; daraus warf die Zeit der Reaktion von ISIS bis 153S beide aufs unbarmherzigste zurück: wie die Jmmatrikulations- zisser von 53g im Jahre 1508 auf 81 im Jahre 1S26 herabstel, ebenso jäh verödete genau zur gleichen Zeit die Leipziger Büchermesse, und dieser Tiefstand hat sowohl an der Universität, wie im Buchhandel bis ans Ende der 1530er Jahre angehalten; dann folgt zu Be ginn der 1540er Jahre in der Geschichte der Universität die große und denkwürdige Reform Caspar Börners unter den Auspizien des Kurfürsten Moritz und im Buch handel ein lebhafter, sogar überstürzter neuer Aufschwung. Die Ausläufer dieses genauen Parallelismus lassen sich noch bis in die Zeit der kryptocalvinistischen Wirren verfolgen, deren Strudel einen Verleger wie Ernst Vögelin hinwegrissen; im allgemeinen aber trennten sich nun im letzten Drittel des sechzehnten Jahrhunderts die beiden Entwickelungslinien. Die Kraft eines gewissen Beharrungstriebes, höchst positiv auftretend und bestehend im Widerstand gegen fortschrittliche Richtungen und das System der Berufung, zog die Univer sität zurück auf die Stufe der Provinzialstellung, die sie im ganzen bis ins neunzehnte Jahrhundert hinein behielt, wäh rend das buchhändlerische Leipzig von da ab endgiltig seine Stellung als deutscher und von der zweiten Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts ab als europäischer Handelsplatz gewann. In anderer Weise hing aber, von den allgemeinen Be ziehungen abgesehen, gerade in diesem langen Zeiträume die Geschichte des Buchhandels mit der der Universität im be sonderen zusammen: von der Mitte des sechzehnten bis zur Mitte des neunzehnten Jahrhunderts oder genau vom Jahre 1558 bis zum Jahre 1836 unterstand der Leipziger Buchhandel un mittelbar der Bücherkommission zu Leipzig, die sich aus Mit gliedern des Rates und der Universität zusammensetzte. Bei der Universität stand die Zensur, beim Rate die Preßpolizei. Die Zensur war anfänglich dem Rektor und den vier Dekanen übertragen. Das Rektorat hat an der Universität Leipzig bis zur großen Reorganisation in den dreißiger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts halbjährlich gewechselt, und wie das die Stetigkeit der Unioersitätsoerwaltung empfindlich beeinträchtigte, so mußte es auch für die Ausübung der Zensur höchst peinliche Folgen nach sich ziehen; aber auch der jährliche Wechsel des Dekanats war dafür nicht viel günstiger. Beschwerde-Eingaben der Leipziger und aus wärtigen Buchhändler folgend, hat die Regierung deshalb vom Jahre 1630 ab einzelne Professoren zu ständigen Bücherkommissaren konstituiert — wenigstens datiert vom Jahre 1630 das erste Reskript, das nicht an Universität, Rektor und Magistri oder dergleichen, sondern an zwei nament lich genannte Professoren, Heinrich Volkmann und Johann Böhme, gerichtet ist. Vom Jahre 1652 an lassen sich die per sönlich zur Bücherkommission verordnet«» Leipziger Professoren fortgesetzt verfolgen, wenngleich dahinsteht, ob für die fünf ziger und sechziger Jahre lückenlos, denn bis zum Jahre 1688 geben nur die Adressen der Reskripte über die Persönlichkeit der Amtierenden Auskunft (während sie von da ab durch Spezialdekret ernannt wurden); es war von 1652 bis 1668 Franz Romanus und neben ihm nacheinander Johann Hülsemann, Superintendent Elias Lange und Johann Adam Scherzen Als Franz Romanus starb (1668), wurde für ihn kein Ersatzmann bestimmt, und es hat von da an immer nur einen Bücherkommissar gegeben. In der Fakultäts zugehörigkeit der Bücherkommissare spiegelt sich der Charakter der Zeiten; es waren zunächst Theologen: der bereits ge nannte Johann Adam Scherzer(1668>, Valentin Alberti (1687), Johann Benedikt Carpzov (1697), Johann Olearius (1699) und Johann Schmied! (1713). Dann folgen Gottlob Friedrich Jenichen, Professor der Moral (1731), Johann Erhard Kapp, Professor der Eloquenz (1734), Carl Andreas Bel, Professor der Dichtkunst (1755), August Wilhelm Eruesti, Professor der Eloquenz (l784), Johann Georg Eck, Pro- fessor der Poesie (1802), Christian Daniel Beck, Professor gr»ec»rum et lLtiv»rum littvrurulv (1810), und endlich Karl Heinrich Ludwig Pölitz, Professor der Staatswissenschaften (1834). Vom Jahre 1837 ab bestand dann das »Zensur- kollegium,, eingeteilt in zwölf mit Leipziger Professoren besetzte Zensurressorts, und zwar als Teilbehörde der Leipziger Kreis direktion unter Vorsitz des Krcisdirektors, bis im Jahre >845 die »bei der Kgl. Kreisdirektion bestehende Deputation für alle Angelegenheiten der Presse, sowie des Schutzes der Rechte an literarischen Erzeugnissen und Werken der Kunst, entstand, in der nun keine Professoren mehr saßen (auf gehoben 1850). Daß in der Geschichte gerade dieser Beziehung manches für den Leipziger, sächsischen, deutschen Buchhandel weniger angenehm zu lesende Blatt umzuwenden ist, namentlich in der Zeit der Vorherrschaft des theologisch-dogmatischen Geistes, in der übrigens daneben (von 1564 bis Ende des siebzehnten Jahrhunderts) unliebsame Differenzen bezüglich der Zensur-Pflichtexemplare spielten, ist selbstverständlich; und wir wollen diese Blätter, Zeugnisse des Geistes ihrer Zeit, heute und hier auch wirklich umwenden und über schlagen. Zu Ende des achtzehnten Jahrhunderts trat zu den inneren Beziehungen eine neue und äußere Beziehung zwischen Buchhandel und Leipziger Universität, die bis zum Jahre 1836 bestanden hat. Wenn in diesen Tagen die Universität Leipzig die alten Räumlichkeiten sich ins Gedächtnis zurück- ruft, in denen einst vor Jahrzehnten und Jahrhunderten Leipziger Professoren und Studenten lehrten und hörten, und