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Redaktioneller Teil. ^ 97, 28. April 1S1K. sich dann eben leichter ein Verleger bet uns, als wenn ein anderes bescheiden auf dem gewöhnlichen Wege eingercicht wird. So konnte es, um nur ein Beispiel aus der Bühnenpraxis an zuführen, geschehen, daß in diesem Kriegswinter, wo es allein vom volkswirtschaftlichen Standpunkt aus nötig gewesen wäre, bei gleichem Werte der deutschen Arbeit den Vorzug zu geben, in München, Berlin und Wien Stücke von Ausländern gegeben wurden, die ein deutscher Autor nie und nimmer durchgesetzt hätte. Besonders das Werk einer Dame, das, wie es hieß, an fast allen deutschen Bühnen angenommen worden war, offenbarte bei seiner Uraufführung in Wien neben kleinen Vorzügen ein Motiv von solcher Kindlichkeit, daß jeder Sekundaner, der dieses Stück dem heimlichen Literaturzirkel seiner Klasse vorgelesen haben würde, einen bitteren Abfall erlebt hätte. Ebenso ist auch manches fremdländische Buch in Deutschland erschienen, das nach keiner Richtung hin befruchtend oder auch nur unterhaltend wir ken konnte. Würde man lesen, was manchmal von ausländischen Literatur-Agenten zur Verbreitung in Deutschland geeignet be funden wird, so würde sich unser deutsches Kulturbewutztsein vielleicht endlich auflehnen, wir würden uns bedanken, als das Volk zu gelten, dent man alles vorsetzcn kann. Wie hoch man die deutschen Ansprüche in dieser Beziehung bewertet und welche Folgerungen man aus der deutschen Über- setzungsfucht zieht, zeigen einige im vorigen Jahre in einer aus ländischen Zeitung erschienene Zeilen: »Nein, das (Luft unter den Flügeln) haben die Nordländer nicht gewonnen, auch wenn man eine ganze Menge schlechter Bücher ins Deutsche übersetzt .... Aber jetzt werden die Deutschen selbst in kurzer oder nicht allzulanger Zeit Luft unter den Flügeln bekommen, eine große freie Nation werden, die ihre eigenen Dichter hat und sich nicht die unseren zu leihen braucht.« Der Ruf des deutschen literarischen Geschmacks kann sich auf diese Weise im Auslande nicht heben, und dem deutschen Schrift steller erwächst durch die bisherigen Verhältnisse eine manchmal ungerechtfertigte bedrückende Konkurrenz. Denn die starke Auf- tischung fremdländischer Literatur hat gewiß bei einem Teile des Publikums und der Kritik — das Publikum ist im Durch schnitt naiv, die Kritiker sind es manchmal I — die Vorstellung gezeitigt, daß die ausländischen Dichter Wertvolleres leisten als die eigenen, und man weiß heute nicht mehr recht, verlangt das Publikum ausländische Literatur, weil der Verleger ihm soviel davon bietet, oder gibt der Verleger soviel ausländische Literatur heraus, weil das Publikum es verlangt! Diese Frage ist heute nicht mehr zeitgemäß. Heute sind die meisten deutschen Verleger Wohl entschlossen, die »Auslän derei«, um Ludwig Fuldas Ausdruck zu gebrauchen, in ihrem Betriebe einzuschränken. Aber die Gefahr liegt nahe, daß es ihnen recht schwer fallen wird, ihren Vorsatz durchzuführeu. Die mit uns Krieg führenden großen Reiche freilich, die uns ja ihre Literaturproduktc nie aufgedrängt haben,.weil das eigene Land ein weites Absatzgebiet bot, werden sich in der nächsten Zu kunst zuruckhalten. Anders vielleicht dieser oder jener der kleinen neutralen Staaten, die bisher von der, wie es in einem neutral-ausländischen Blatte noch kürzlich hieß, »methodischen deutschen Gefräßigkeit« mit Bezug auf fremde Kulturwertc schon reichlichen Gebrauch gemacht haben. In diesen Ländern glaubt man sicherlich: da der deutsche Leser und Theaterbesucher nicht ohne fremdländische Kost fertig werden und vorderhand keine französische, englische, russische, italienische Literatur vorgesetzt erhalten, so müssen sie an die Literatur der neutralen Länder mit doppeltem Appetit Herangehen. Man rüstet sich also vermutlich schon jetzt, dem deutschen Verbraucher, dem man jetzt an reellen Waren nur das zukommen läßt, was England gestattet, seine Literatur recht leicht zugänglich zu machen <das ist nämlich eine Ware, auf die England verzichtet, die es uns gönnt!). Nach dem Kriege wird die Literatur des neutralen Auslandes Wohl mit Voll dampf bei uns vertrieben werden. Willfährige Gehilfen hierbei sind ein großer Teil unserer Übersetzer, deren Versklavung kaum geringer ist als die der Heim arbeiter. Folgende Zeilen mögen dies bezeugen, die den Aus führungen eines bekannten Übersetzers im Organ des Schutzver bandes Deutscher Schriftsteller entnommen sind: » ... So bot in einem Falle eine Dame die Übersetzung dänischer Erzählungen völlig unentgeltlich an, nur um »einge führt« zu werden. Ein anderer Übersetzer .... liefert die Übersetzung zu dem Honorarsatze von 1 Mark pro Maschinen seite .... Derartige Bräuche schädigen natürlich in erster Linie die Qualität.der Übersetzung, da sich der gewissenhaft und sorgsam arbeitende Übersetzer durch solche Unterbietung geschädigt sieht. Außerdem stellt diese Preisdrllckerei aber auch eine schwere Be drohung der deutschen Schriftsteller dar.« Die oben genannten Löhne — von Honorar kann nicht mehr gesprochen werden — sind nun keineswegs so unüblich, wie es dem Einsender der angeführten Notiz erscheinen mag: 20 Schreib maschinenseiten, für die nach obigen Angaben 20 »kl gezahlt wer den, ergeben im Durchschnitt Wohl einen Druckbogen. 20 für den Druckbogen sind in Deutschland eine ganz allgemeine Be zahlung für Übersetzungen. Es gibt in Berlin aber auch einen Verleger, der für ein Buch von ca. 200 Seiten l00 »kt über setzungshonorar gezahlt und der Übersetzerin dann auch noch die Korrekturkosten angerechnet hat. Auch l für die Druckseite bezahlte dieser Herr für die — gute! — Übersetzung des Buches eines bekannten Dichters, der nicht leicht zu übertragen war. Ein anderer als vornehm geltender Verlag, der dem Übersetzer stande viel verdankt, hatte — ob es jetzt noch der Fall ist, weiß ich nicht — in seinem Bureau eine Dame sitzen, die für ein Mo natsgehalt von 120 »L neben den Bureauarbeiten auch die Über setzung von Stücken besorgte. Für diese Übersetzung, die den Ver lag also fast gar nichts kostete, ließ er sich die üblichen Über setzerprozente zahlen, sodaß ihm ein ausländisches Stück z. B. nicht die üblichen 107» Vertriebsgebllhr brachte, die bei einem deutschen Stück herausschauteu, sondern mindestens 25 7»! Daß der betreffende Verlag sich infolge dieses Verhältnisses nun für die fremdländischen Stücke mehr eingesetzt hat, als für die deutschen, will ich nicht behaupten. Eine Verlockung dazu bietet dieses Verfahren zweifellos. — Es versteht sich von selbst, daß bei diesen Löhnen, die hinter denen eines Geschäfts-Korrespon denten für fremde Sprachen, der täglich nur eine Anzahl nüchter ner Briefe zu lesen oder zu schreiben hat, ganz erheblich zurück- stehen — abgesehen davon, daß der Korrespondent ein festes, der Übersetzer ein unbestimmtes Einkommen hat! —, nur geplagte Abschreiber existieren können, die nicht in der Lage sind, erst groß nach Kunstwert und Berechtigung des Originals auf dem hei matlichen Büchermarkt zu fragen. Wenn sie daher von ihrer Arbeit auch nur einigermaßen leben wollen, so müssen sie eine riesige Menge von Lesestoff auf Deutsch »hinschmeißen«. Der kritische Übersetzer, der den Ehrgeiz hat, ein Vermittler von Kulturwerten zu sein, die Stoffe wählen, die Arbeit sorgsam ausführcn, dem Verleger ein ehrlicher Berater sein möchte, muß von der Bild fläche verschwinden, existiert Wohl auch nur noch in wenigen Exemplaren. Ein Übersetzer von der Art Strodtmanns z. B. könnte heute nur schwer durchkommen. Die Folgen dieser Zustände treffen, wie schon oben erwähnt, nicht allein die Übersetzer, sie treffen auch nicht allein den ohnehin schwer bedrängten Stand der deutschen Schriftsteller, die mit berechtigtem Neid und einer gewissen Verzagtheit zusehen müssen, wie das ausländische Durchschnittstalcnt in Verlags-Bureaus, Zeitungsrcdaltionen und von Dramaturgen mit feierlichem Ernst begrüßt wird und sperrangelweit geöffnete Türen findet. In letzter Linie kann auch der deutsche Buchhandel allmählich die Rückwirkungen der geschilderten Zustände zu spüren bekommen, vielleicht nicht besonders hart, aber fühlbar. Denn schon haben ausländische Buchhandelsfirmen, die Billigkeit und Willfährig keit der deutschen Übersetzer, die Aufnahmefähigkeit des deutschen Publikums benutzend, die Werke ihres Verlags selbst in deutscher Sprache bei uns zu verbreiten gesucht. Eine Entschädigung für die dem deutschen Verlagsbuchhandel auf diese Weise ent gangenen Summen, für die Konkurrenz, die dem deutschen Schrift steiler erwächst, kann das neutrale Ausland nicht bieten. Denn würden deutsche Verleger das umgekehrte Verfahren anwenden, so würden sie aus den kleinen Ländern nur selten die entsprechen den Beträge herausholen können. — —