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184 Nichtamtlicher Teil. ^ 5, 8. Januar 1902. recht, das sächsische Gesetzbuch und in den Rheinlanden den von Frankreich überkommenen 6oäs civü. Am 1. Januar 1900 endlich trat ein Gesetzbuch für ganz Deutschland, das Bürgerliche Gesetzbuch, in Kraft. Die ersten Paragraphen der »Einführung« erläutern den Begriff der Rechtshandlungen, Rechtsgeschäfte, namentlich auch Verträge, der unerlaubten Handlungen, der Geschäfts fähigkeit, Notlage, Irrtum, Stellvertretung, aufschiebende und auflösende Bedingungen, womit der allgemeine Teil des Privatrechts schließt. Der besondere Teil des Privatrechts gliedert sich in Personenrecht, Güterrecht, Forderungsrecht, Handelsrecht, Familienvermögens- und Erbrecht. Der zweite Hauptteil des Buches beschäftigt sich mit dem öffentlichen Recht mit den Unterabteilungen: ^All gemeines. Verwaltungs- und Kirchenwesen, v) Rechtspflege (Civilprozeß sRechtsgangs, Strafrecht, Strafprozeß). 0) Völker recht. !. Allgemeines. 2. Internationales Recht. In der Einleitung erhalten wir eine Geschichte der frühen Verbände, die in ihrer weiteren Entwickelung zu dem, was wir heute Staat nennen, geworden sind. Nur eine regelmäßig organisierte Gemeinschaft sichert die Erreichung der Kulturaufgaben, und zwar eine Zwangsgemeinschaft, die kulturwidrige Elemente in Schranken zu halten imstande ist. Die ursprünglichen Vereinigungen hingen mit den Familienverhältnissen zusammen, daher der Geschlechterstaat. Das Abwerfen des Geschlechterstaates zwingt den Staat, sich an ein Staatsgebiet anzuschließen, das nunmehr dem Staate ist, was »dem Einzelnen Körper und Kürperkrast«. Es folgt eine Besprechung und kurze, aber das Wesentliche treffende Kritik der verschiedenen Staatstheorien, des Ver hältnisses zwischen Kirche und Staat, des Begriffes der Souveränetät. Die verschiedenen Verfassungen, die der Staat haben kann, die monarchische und republikanische und ihr Wesen, werden erörtert, auch die Deutschland ganz besonders angehende Frage des Bundesstaates. Die Teilung der staat lichen Thätigkeit in Gesetzgebung, Rechtsprechung und Ver waltung erfährt geschichtliche und rechtliche Würdigung, der Begriff des Gesetzes, sowie der Gegensatz zwischen formellen und materiellen Gesetzen wird erklärt. Neben der Gesetz gebung steht die Rechtsprechung, die früher eine der Haupt funktionen des Königs war, nunmehr aber vollkommen selbständig dem Könige gegenübersteht. Im Gegensatz dazu die Verwaltung, die weder Gesetze giebt, noch Recht spricht, unter dem König und seinen Organen. Hervorgehoben sei, daß heute die Verwaltung eine Reihe von Funktionen übernommen hat, die früher der Kirche oblagen, wie die Schule und die Armenpflege, ebenso solche, die früher der Familie zustanden, wie die Obervormundschaft. Gewisser maßen Organ der Staatsverwaltung ist die Selbstverwaltung, deren Prinzip dem englischen Recht entlehnt ist, die sich aber selbständig in Deutschland ausgebildet hat. Die Rechtspflege ist an Stelle der früheren Selbst hilfe getreten. Ursprünglich galt jeder als befugt, sein Recht auch gegen das Widerstreben Dritter durchzuführen; neben dieser Selbsthilfe entwickelte sich der Prozeß, bis er die Selbst hilfe ganz verdrängte und sich als alleiniges Mittel der Rechtsverwirklichung durchsetzte. Knapp wird die Geschichte dieser Rechtsentwicklung gezeigt, das Gottesurteil, der gericht liche Zweikampf, der Eid, welch letzterer sich einzig und allein im modernen Prozeß als Beweismittel erhalten hat, während im übrigen der Beweis rationell geworden und lediglich der Einfluß auf die Ueberzeugung des Richters entscheidend ist. Gegenüber der häufigen Berufung von Laien auf den sogenannten gesunden Menschenverstand will ich ein Wort Köhlers hierher setzen: »Die Prozeßentscheidung macht Recht, sie überwindet das Recht, wenn sie mit dem Recht nicht übereinstimmt.« Das will sagen, die Sache muß zu Ende gebracht werden; zu diesem Zwecke mutz die Prozeßentschei dung als endgiltig feststehen, auch wenn sie unrichtig ist. Als Korrektur sind die Rechtsmittel eingeführt; sind diese aber erschöpft, hat die letzte Instanz gesprochen, so ist diese Entscheidung Recht. Die Rechtsmittel, die Instanzen, Verfahren in Ehe sachen, Urkundenprozeß, Konkurs, Zwangsvergleich, bilden den Inhalt der folgenden Paragraphen. Die nächste Abteilung behandelt das Strafrecht. Das Strafrecht wird erklärt als »ein auf Strafe gebautes Ueber- recht des Staates, das gegeben ist, wenn die Strafe als ge recht erscheint und die übrigen Hilfsmittel nicht als genügend erkannt werden, um die Interessen der Gesellschaft zu decken«. Die philosophischen Grundlagen des Strafrechts, die Freiheit des Willens, die Zurechnungsfähigkeit werden durchsichtig dargelegt, die durch Strafe zu schützenden Lebensgüter auf gezählt. Der Versuch, die Lehre von der Untauglichkeit der Mittel werden gestreift. Das System der Strafen, seine Entwickelung von dem Grundsatz der Rache und der Wieder vergeltung (Talion) bis zur Auffassung unserer Tage, die einzelnen Strafen (auch die Verbrecherkolonien) werden einer Erörterung unterzogen. Es folgt eine Besprechung der ein zelnen Delikte: gegen die Person, das Vermögen, die Religion rc. Der Strafprozeß sichert die Verwirklichung des Straf rechts des Staates und stellt hierfür Regeln auf, wie der Civilprozeß dies für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten thut. Der Strafprozeß folgt auch ursprünglich den Regeln des Cioil- prozesses. Die Entwickelung des Strafprozesses vom Popular- anklagesystem bis zu unserem heutigen Prozeß mit seiner Trennung der Untersuchung von der Rechtsprechung, mit seinen Schöffen- und Geschworenengerichten wird anziehend ge schildert, die Mittel der Wahrheitserforschung, die Folter, die Strafen von ihren Ursprüngen an verfolgt. Den Schluß dieser Abteilung macht eine Erörterung der Rechtsmittel im Strafverfahren: Berufung, Revision, Wiederaufnahme des Verfahrens. In der letzten Abteilung behandelt der Verfasser das Völkerrecht. Da die einzelnen souveränen Staaten sich unabhängig gegenüberstehen, so herrscht in ihrem Verhältnis zu einander eine gewisse Anarchie. Dieser Anarchie zu be gegnen, sind Normen festgesetzt; diese nennt man Völkerrecht. Um diesen Normen Rechtscharakter zu verleihen, sind Ver anstaltungen (diplomatische Missionen, Botschafter, Ge sandte rc.) geschaffen, die geeignet sind, in Streitfällen zu vermitteln und diese zu begleichen. Diese Gesandtschaften, früher zeitweilig, seit dem siebzehnten Jahrhundert ständig, sind heilig und unverletzlich und unterstehen lediglich der Gerichtsbarkeit des Staates, dem sie angehören. Zu diesen Veranstaltungen gehören auch die internationalen Schieds gerichte. Erweisen sich aber diese Veranstaltungen als un fähig, eine Streitigkeit zwischen Staaten auszugleichen, so müssen Gewaltmittel eintreten: Repressalien (Erwiderung von Gewaltthätigkeiten), Retorsion (Wiedervergeltung), Blockade, Krieg. Während dieses äußerste Mittel früher in regelloser Weise angewendet wurde, erstreckt sich das Völkerrecht heute auch auf den Kriegszustand und ist dieser auch erheblich milder geworden. Der Krieg soll sich auf die am Kriege Teilnehmenden beschränken, die Habe der Bewohner des feindlichen Landes soll geschont werden. Das Kriegsrecht zur See ist leider diesen Fortschritten nur sehr zögernd ge folgt; immer noch gilt ein weitgehendes sogenanntes Prisen recht; das Privateigentum auf dem Wasser ist erheblich weniger geschützt als das auf dem festen Lande. Die Gründe hierfür sind in der historischen Entwickelung des Kriegsrechts zur See zu suchen, die ausführlich dargelegt wird.