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117, 25, Mai 1910. Nichtamtlicher Teil. »rs-nblatt s. d. Dtschn. vuPH-nd-I. 6211 und Monatsblärter auf eine bis dahin ungewohnte Höhe ge hoben haben. Es handelt sich um Theodor Mundt, einen Autor, der für den Buchhandel heute nur noch in antiqua rischen Katalogen Leben hat, wird doch sein »Literarischer Zodiakus«, eine Monatsschrift, deren einzigen Jahrgang er in dem bewegten jungdeutschen Literaturjahre 1835 heraus gab, bis zu 75 bewertet, ein Preis, bei dem es jedem normalen Sammler kalt den Rücken hinunterlaufen muß. Diesen »Literarischen Zodiakus« habe ich im vierten Bande des von mir begründeten »Bibliographischen Repertoriums« ausführlich analysiert mit Hilfe eines umfangreichen literar historischen und kritischen Materials, das mir in Gestalt von Briefen, Akten usw. im Laufe meiner zwölfjährigen jung deutschen Forschung zur Hand gekommen ist. Ich habe dort auch auf die mannigfachen Wandlungen hingewiesen, die jene Zeitschrift schon im Keim ihres ersten Entstehens und nach ihrem Verbot durch die Zensur in ihren späteren Fortsetzungen durchgemacht hat. Neuerdings ist mir aber über diese sehr komplizierten Zusammenhänge noch weiteres wichtiges Material zugegangen, das mir Veranlassung gibt, auf diese für die Geschichte des Buch handels und eines seiner Schmarotzer, der Zensur, so wichtigen Ereignisse zurückzukommen. Ich erhielt die Briefe, die Theodor Mundt gerade in den Tagen der schlimmsten Zensuroerfolgung an den Verlag jener Zeitschrift, Gebrüder Reichenbach in Leipzig richtete'). Nur diese Schlußepisode der Korrespondenz ist erhalten aus dem alten Reichenbachschen Verlagsarchiv; sie verdankt diese Rettung nicht einmal jenen Ereignissen, die dem jungdeutschen Literarhistoriker diese Briefe heute so wichtig machen, sondern einem andern Unter nehmen, das ebenfalls damals die genannte Firma und den selben Autor beschäftigte. In Verbindung mit Varnhagen von Ense gab Theodor Mundt im Reichenbachschen Verlag den Nachlaß Karl Ludwig von Knebels heraus, eines Zeitgenossen und Freundes unserer großen Klassiker, und diese Publikation hatte mit ihrem dritten Bande ebenfalls sehr merkwürdige Zensurabenteuer zu bestehen. Auf dieses Unternehmen hatte Mundt den Verleger um einen Vorschuß von SO Talern gekränkt, die tatsächlich erst nach Mündts Tode von seiner Gattin Luise Mühlbach zurückgezahlt wurden, und dies war ganz nüchtern der Grund, daß der Verleger die darüber handelnden und alle späteren Briefe offenbar gesondert ausbewahrte. So ist denn diese literarische Arche glücklich der allgemeinen Sintflut entgangen und zeigte bei ihrer Landung, daß sie außer dem alten Knebel noch andere Lebewesen barg, vor allem Theodor Mundt mit seinem »Literarischen Zodiakus« und etlichen Embryonen ungeborener Zeitschriften, mit denen jener fruchtbare Literat trotz Krieg und Pestilenz damals schwanger ging. In die journalistische Kette, die sich durch eine Reihe scheinbar selbständiger Unter nehmungen Mündts hinzieht, fügen die Briefe an die Gebrüder Reichenbach mehrere neue Mittelglieder und zugleich er fahren wir einiges Nähere über den Todeskampf des »Lite rarischen Zodiakus«, der als vortrefflich redigierte Zeitschrift zu den hervorragendsten Erscheinungen des »Jungen Deutsch lands« gerechnet werden muß. Bei den nachfolgenden Mit teilungen lasse ich die Knebelsche Angelegenheit ganz bei Seite, um vielleicht bei einer anderen Gelegenheit darauf zurückzukommen, und beschränke mich bei der Vor- und Nach geschichte der Mundtschen Zeitschrift auf das, was zum Ver ständnis der Briefstellen Voraussetzung ist. Die Briefe Mündts sind noch aus einem besonderen Grunde bemerkenswert; sie geben uns wenigstens einige ge nauere Nachricht über das Verhalten der sächsischen Zensur *> Dem jetzigen Inhaber der Reichenbachschen Verlags- Handlung, Herrn Hans Wehn er, spreche ich für die freundliche Überlassung der Briese auch hier meinen herzlichsten Dan! aus. H, zu dem Einschreiten der preußischen und dann der ganzen bundesstaatlichen Behörden gegen die Schriften des »Jungen Deutschlands«. Aktenmäßiges Material liegt darüber leider bis jetzt noch nicht vor, was um so bedauernswerter ist, als doch im Mittelpunkt des Buchhandels auch diese Fäden von allen Seiten zufammengelaufen sein müssen. Während das preußische Staatsarchiv mit musterhafter Liberalität solche literarischen Akten bis zum Jahre 1848 dem Forscher zur Verfügung stellt, während neben zahlreichen anderen größeren Staaten sogar die in solchen Dingen oft als rückständig ge scholtene österreichische Behörde sich hierin entgegenkommend zeigt, scheint sich nur die Verwaltung des sächsischen Staats archivs auf die Rolle des verschleierten Bildes zu Sais ein geschworen zu haben. Was müssen da für entsetzliche Dinge verborgen liegen, daß noch heute, nach zweineinhalb Menschen altern, die Rücksicht aus das europäische Gleichgewicht es verbietet, literarische Akten nach dem Jahre 1830 der Forschung zu erschließen! Für so staatsgefährlich hat man selbst vor fünfundsiebzig Jahren das ganze »Junge Deutschland« nicht gehalten. Ich zweifle nicht, daß irgend ein listiger Gesetzes paragraph der Verwaltung des sächsischen Staatsarchivs be fiehlt, auf solche Fragen die stereotype verneinende Antwort zu geben, um mit Lcssing zu sprechen, »mit einem Tone«, der sich bei gewissen deutschen Behörden offenbar immer nur wie vom Sinai herunter verlautbaren darf oder kann. Besteht wirklich eine derartig einschränkende Gesctzesvorschrift, so ist es die allerhöchste Zeit, daß dieser modernde Zopf radikal abgeschnitten wird. Dies nur nebenbei. Wenn zur Zeit des »Jungen Deutschlands», dessen sämtliche Autoren an literarischen Pro jekten unerschöpflich und darin überaus betriebsam waren, ein Schriftsteller mit einem Verleger näher zusammenkam, ergab das allemal eine Zeitschrift. Mundt hatte 1834 ein novcllenartiges Büchlein »Moderne Lebenswillen, bei Reichenbach erscheinen lassen. Da er öfters in Leipzig weilte, beweglich, wie die jungdeutschen Reifebildner und Reisenooellisten alle waren, hatte er auch die beiden Inhaber jener Firma, Herrmann und Albert Emil Reichenbach, persönlich kennen gelernt, und die ziemlich gleichaltrigen Männer hatten sich schnell miteinander angesreundet. Bald war man über den Plan einer neuen Zeitschrift einig, die unter dem Titel »Perspektiven für Literatur und Zeit- vom Juli 1834 ab erscheinen sollte. Jenes zum Teil an mutige Buch »Moderne Lebenswillen« (»Lebenszwirn«, wie Gutzkow spottete) hatte seineni Verfasser das Interesse des preußischen Kultusministers von Altenstein eingetragen; in dessen hohem Aufträge ersolgte auch die Herausgabe des Knebelschen Nachlasses. Preußischerscits waren also die Auspizien für die geplante Journalredaktion recht günstig, wenn nicht das Ober-Zensur-Kollegium und der die Beschlüsse des letzteren aussührende Minister der Polizei und des Innern, damals der gefürchtete von Rochow, sein Veto einlegte. Es schien auch alles gut zu geraten, und der Redakteur sammelte schon, unter Varnhagens tatkräftigem Beistand, Manuskripte von allen Seiten, da machte unerwarteterweise die sächsische Zensur, die sonst milder als die preußische zu versahren pflegte, einen Strich durch die Rechnung. Die »Modernen Lebenswillen«, die sogar dem preußischen Minister gefielen, hatten in dem sächsischen Zensor den Verdacht erregt, daß man es bei diesem jungen Autor wieder mit einem Demagogen und Demokraten zu tun habe. Konnte sich ohne die preußischen Leser, besonders die Berlins, ein Journal schon damals nicht halten, so war doch ohne den geschäftlichen Stützpunkt in der sächsischen Buchhändler zentrale ein erfolgreicher Vertrieb so gut wie unmöglich, und das neue Unternehmen schien also im Keime erstickt. Das war das erste Stadium. 802«