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6402 Nichtamtlicher Teil. 174, 29. Juli 1904. interessieren, ihnen vielfach gratis zugehen, was wir keines wegs beanstanden wollen. Aber auf die Tatsache kann doch hingewiesen werden. Wenn also für Bücher, die Universitäts dozenten käuflich erwerben, ein kleiner Aufschlag stattfindet, so ist das weiter nicht schlimm. Die Herabsetzung des Kundenrabatts hätte wohl wenig Staub aufgewirbelt, wenn nicht in einigen Städten, voran in Leipzig, ein Teil der Universitätsdozenten sich zu einem akademischen Schutzverein gegenüber den Buchhändlern zusammengeschlossen hätte, wenn nicht Professor Bücher, der verdiente Leipziger Nationalökonom, eine Streitschrift, die er »Denkschrift! nennt, unter dem Titel »Der Deutsche Buch handel und die Wissenschaft«*) veröffentlicht hätte. Es ist gar keine Frage, daß Professor Bücher in dieser Streitschrift eine ganze Reihe schwacher Punkte in der Organisation der Buchhändler aufdeckt. Aber nicht nur mußte der tempera mentvolle Ton der Denkschrift, der vielfach geradezu den Verfasser zu offensichtlich ungerechten Wendungen verleitete, bei den Buchhändlern ziemlichen Widerspruch Hervorrufen, Professor Bücher hat auch Behauptungen aufgestellt, die nicht im geringsten zutreffen. Wir können hier auf die Einzelheiten der Denkschrift nicht eingehen, heben daher nur hervor, daß der Haupt angriff Büchers sich gegen den Sortimentsbuchhandel richtet, dem Rückständigkeit und außerdem vorgeworfen wird, daß er zu umständlich und zu teuer arbeite. Professor Bücher ist der Ansicht, daß es der Sortimentsbuchhändler nicht bedürfe, da im allgemeinen jeder Bücherinteressent auf Grund der bibliographischen Verzeichnisse, der Inserate und Reklamen auf die neuen Erscheinungen genügend aufmerk sam gemacht würde. Es bedürfe also eines Zwischengliedes zwischen Verleger und Bücherkäufer eigentlich nicht mehr. Es genügte, nach Art der Konsumvereine eine in Filialen verzweigte Einkaufsgenossenschaft zu bilden, wodurch dann der Bücherabsatz besser und billiger und namentlich für das kaufende Publikum günstiger vor sich gehen würde. Wenn die Voraussetzung richtig wäre, daß das Publikum auch nur zu seinem größeren Teil aus eigener Initiative, ohne jede Anregung und Einwirkung von außen sich über das neue Büchermaterial aus dem Laufenden hielte und ohne Ansichtssendung sich zu seinen Käufen entschließen würde, dann müßte man sich ohne weiteres gegen den Sortimentsbuchhandel erklären. Aber leider liegen die Verhältnisse heutzutage noch ganz anders. Man könnte vielleicht, um das Irrige der Ausführungen zu illustrieren, auf ein andres Gebiet exemplifizieren, um dort grade den Gegnern des Sortimentsbuchhandels in akademi schen Kreisen zu zeigen, wie ungerecht sie die Verhältnisse beurteilen. Die Buchhändler könnten z. B. die Ansicht aus sprechen, daß der heutige Betrieb der wissenschaftlichen Aus bildung äußerst rückständig, umständlich und zu teuer sei. Alles, was man in den Hörsälen der Universitätsprofessoren höre, das könne man aus den Büchern, die die Universitäts dozenten schreiben, ganz genau ebenso lernen wie aus den Vorlesungen selbst. Dadurch würden nicht nur mehr Lehr bücher abgesetzt, die Studenten würden zweifellos auch billiger dabei fahren, indem sich die Vorlesungen viel teurer stellen als der wissenschaftliche Stoff, den man in Buch form zu einem gewissen Preise bei ihnen kaufen könne. Wozu also einen ganzen Stand von Universitätsprofessoren, die nicht nur sich ihre Vorlesungen honorieren lassen, *) Leipzig 1903. — Zur Orientierung seien noch folgende Schriften genannt: Trübncr, vr. Karl: Wissenschaft und Buchhandel. Denk schrift der deutschen Verlegerkammer. Jena 1903, und vor allem die instruktive Arbeit von vr. Gustav Fischer: Grundzüge der Organisation des deutschen Buchhandels. Jena 1903. sondern außerdem noch der Mehrzahl nach staatliches Gehalt beziehen, und außerdem für den Stoff ihrer Vorlesungen sich wieder ein Honorar vom Verleger bezahlen lassen. All das führe ja zu einer geradezu unerträglichen Belastung aller der Kreise, die studieren wollen. Es wäre traurig, wenn jemals gegen den hohen Wert der Vorlesungen an den Universitäten in dieser oder ähnlicher Weise Einspruch erhoben werden würde. Aber zuzugeben ist doch, daß bei einem gewissen Bildungs niveau die Vorlesungen in der heutigen Form entbehrlich werden könnten. Und hier liegt das tsrtiuw oomparatioms: Professor Bücher übersieht die noch vorhandene Träg heit des Publikums für Bücheranschaffungen, die bei andern Waren, wie Käse, Kakao, Butter, gar nicht vorhanden ist. Bei den genannten Bedürfnissen des täglichen Lebens läuft der Kunde nicht nur täglich einmal, sondern mehreremal zu seinem Kaufmann, um sich mit der nötigen Ware zu versorgen, während bei Büchern der Kunde sich alle Neu erscheinungen ins Haus zur Auswahl schicken läßt, um dann vielleicht die für ihn wichtigen und interessanten Neuigkeiten nicht einmal zu kaufen, sondern sie sich aus der Bibliothek, wenn möglich gar aus einer Leihbibliothek, für einige Zeit kommen zu lassen. Die Angriffe des Herrn Professor Bücher in seiner Denkschrift sind um so unverständlicher, als er im Anfang einige Sätze niedergeschrieben hat, die darauf schließen lassen, als ob er das volle Verständnis für die eigenartigen Auf gaben des Sortimentsbuchhandels besäße. Nachdem er — unsers Erachtens nach unrichtig — behauptet hat, jedes einzelne Buch entstehe als typisches Massenprodukt, fährt er fort: »Cs erscheint darum wie prädestiniert für den Großhandel. Aber da bet den einzelnen Konsumenten immer bloß einzelne Exemplare eines Werkes begehrt werden und jedes Werk als individuelle Schöpfung seines Autors auftritt, für welche unter zahllosen Konsumenten mit tausendfach verschiedener indivi dueller Bedarfsgestaltung erst die wirklichen Käufer heraus- gcfunden werden müssen, so erwächst dem Buchhandel die Auf gabe einer die ganze Bevölkerung durchdringenden, überall individualisierend vorgehenden Kleinarbeit. Der zerstreute Be darf muß erst gesammelt, in den Händen einzelner kommerzieller Mitglieder konzentriert werden. — Nun ist ein großer Teil des Bedarfs latenter Bedarf, der zum Leben erweckt, zur Kauflust gesteigert werden kann . . .- Nun, diese individualisierend vorgehende Kleinarbeit hat der Sortimentsbuchhändler zu besorgen, und weil er diese Arbeit zu besorgen hat, darum ist der Sortimentsbuchhandel sehr wohl existenzberechtigt und bildet durchaus noch keine Schmarotzereinrichtung im wirtschaftlichen Organismus. Darüber, ob der Sortimentsbuchhandel dieser Aufgabe heute in vollem Umfange nachkommt, ob im Verhältnis zu seiner Tätigkeit die Verdienstchance in richtigen Grenzen sich be wegt, darüber mag man die Diskussion eröffnen, aber prinzipiell die Existenzberechtigung des Sortimentsbuchhandels leugnen, das heißt nichts anders als die Art der Bedürfnis befriedigung durch das Publikum auf literarischem Gebiete in ihrer heutigen Entwicklung nicht nur verkennen, sondern auch das eigenartige Gepräge des ganzen literarischen Be triebs in Deutschland im Vergleich zum Ausland übersehen. Die Entwicklung des geistigen Lebens in Deutschland ist glücklicherweise nicht so zentralisiert und uniformiert, wie z. B- in Frankreich und England. Der Umstand, daß wir eine ganze Reihe von Mittelpunkten selbständiger geistiger und künstlerischer Tätigkeit erhalten konnten, hatte zur Folge, daß eine ganze Anzahl von Orten sich auch zu Verlagszentren entwickelten. Dies bedingte aber ganz von selbst wieder eine gewisse Umständlichkeit in der buchhändlerischen Geschäftsführung. Hätten wir nur in der Reichshauptstadt Berlin die Verleger sitzen, dann wäre der buchhändlerische Verkehr weit einfacher, als er