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Börsenblatt f. d. deutschen Buchhandel. Nichtamtlicher Teil. 1145 man neuerdings immer mehr bestrebt ist, neben dem be währten Alten auch wertvolles aus der neueren Litte- ratur in die Schule einzuführen, so namentlich auch Lese stücke, die die gegenwärtigen Zustände des staatlichen, wirt schaftlichen und gewerblichen Lebens behandeln, die einer fortwährenden Veränderung unterliegen, der wieder in den Lesestücken Rechnung getragen werden muß. In dieser Be ziehung führt Stadtschulrat Lyon aus: ->. . . Denn der mächtigste Fortschritt in unserer Lesebuchlitteratur und damit in unserm Schulwesen überhaupt: die Hereinziehung der Schöpfungen unserer lebenden Dichter und Schriftsteller in den Unterricht, die dadurch ermöglichte Erziehung unserer Jugend zur Teilnahme an dem littermischen Leben unserer Zeit, die Einprägung der Sprache der Gegenwart an den besten lebenden Meistern und Mustern, die unbedingt der immer mehr veraltenden Sprache der Klassiker gegenüber gefordert werden muß, das alles würde uns durch ein solches Gesetz in außerordentlicher Weise erschwert, ja zum Teil unmöglich gemacht. Unsere ganze Lese buchlitteratur und damit unsere gesamte nationale, ästhetische und sprachliche Erziehung und Schulung würde dadurch .... unermeßlichen Schaden er leiden.« Würde aber die in dem letzten Entwurf vorgesehene Freiheit der Aenderung nicht zugelassen, so würden ja auch die geringsten Aenderungen bezüglich der Ver meidung eines Fremdwortes, kleine Auslassungen, die Einführung einer gleichmäßigen Interpunktion ohne ausdrückliche Zustimmung des betreffenden Urhebers unmöglich gemacht. Es liegt auf der Hand, daß es damit thatsächlich in die Hand eines jeden Schriftstellers gegeben wäre, die Aufnahme in die Bücher für den Unterricht von seiner Zustimmung zu den Aenderungen und damit that sächlich zu der Aufnahme selbst abhängig zu machen, so daß damit die im Interesse der Schule ausdrücklich nach dem Gesetz bestimmte Freiheit vollständig illusorisch würde. Wir dürfen aber auch hier vor allem auf die Worte Stadtschulrats Lyon verweisen, der schreibt: ». . . . Dieses Recht, zu ändern, muß aber, unter der angegebenen Einschränkung, der Schule durchaus ge wahrt bleiben. Denn in der Schule ist der höchste Richter stuhl, vor dem alle Fragen entschieden werden müssen, die Seele des Kindes . . . .« ». . . . Die Erziehung des jungen Geschlechts ist eine Aufgabe der gesamten Nation, keineswegs etwa bloß der Schule und der Lehrer. Jeder Schriftsteller und Dichter sollte daher freudig das Seine dazu spenden, wenn es gilt, die jungen Seelen in gesunder Weise zu nähren und zu fördern. Und wie kann er denn dieser großen und wichtigen Pflicht bequemer und leichter genügen, als dadurch, daß er ein kleines Teilchen eines oder einiger seiner Werke einem Lesebuche überläßt, auch wenn nun daran einige Sätze ge ändert oder gestrichen werden müssen? Er sollte sich sagen: das ist ein Tribut, den du der Seele des Kindes, der Zu kunft deiner Nation und der Menschheit zahlst. Hat doch der Schriftsteller von diesem Tribut sogar noch Vorteil; denn durch die Aufnahme ins Lesebuch wird er mit einem Schlage im ganzen Volke bekannt, und seine Wirkung wird um so größer und eindringlicher, in je mehr Lesebücher oder Anthologien Stücke seiner Werke ausgenommen werden. Viel wichtiger als das Stück selbst ist doch dabei der Um stand, daß nun der betreffende Schriftsteller oder Dichter nach seinem Lebensgang und seiner Bedeutung in allen Schulen geschildert wird und daß seine Werke nach ihrer Stellung in der Litteratur und im Volksleben eingehend gewürdigt werden. . . .« ». . . . Jeder, der die knorrige, eigenwillige Art unserer Litteraturgrößen, der das geringe Verständnis für Erziehung und Unterricht bei diesen, der die Neigung der Dichter, sich auf sich selbst zurückzusetzen und für die Gesamtheit kaum etwas von ihren vermeintlichen selbstherrlichen Rechten des Individuums und der Persönlichkeit zu opfern, genauer kennt, jeder, der zugleich aber auch weiß, wie dringend nötig Aenderungen um der höchsten erziehlichen Zwecke und der heiligen Unantastbarkeit der Kindesscele und -der jungen, sprossenden Geistestriebe willen oft sogar in Meisterwerken sind, vermag die Gefahr zu erkennen, die in einem solchen, unserer Meinung nach verfehlten Gesetze schlummern würde.« Eines besonderen Hinweises bedarf der Umstand, daß bei dem Fehlen einer Bestimmung, wie sie der letzte Ent wurf vorsieht, auch für die neueren Auflagen der vor handenen Lesebücher eine völlige Umgestaltung un vermeidlich sein würde, da voraussichtlich eine ganze Anzahl Urheber die in ihre Hand gegebene Zustimmung nicht geben würden. Das würde aber eine außerordentliche Störung des ganzen Unterrichtsbetriebes bieten, der kaum etwas Aehnliches an die Seite gestellt werden könnte. Wir dürfen daher wohl bezüglich Z 24 die Bitte aussprechen, diesem Paragraphen nur in der Fassung des letzten Ent wurfes seine Zustimmung zu erteilen, mit dem begründeten Hinweise darauf, daß einen Schutz gegen Aenderungen, wie er neuerdings von manchen Seiten für notwendig erachtet worden ist, die Stellung der Päda gogik selbst zu den in Bettacht kommenden Fragen als unnötig erscheinen läßt, daß aber die Schule die Freiheit der notwendigen Aenderung haben muß, wenn das ihr im Gesetz zugestandene Recht, Schriftwerke für ihre Zwecke nutzbar zu machen, nicht völlig illusorisch werden soll. Indem wir aus diesem Grunde wiederholt um eine geneigte Berücksichtigung unserer Bitte ersuchen, zeichnen wir eines Hohen Reichstags in ausgezeichneter Hochachtung ganz ergebene Julius Klinkhardt, Leipzig. Dürr'sche Buchhandlung, Leipzig. B. G. Teubner, Leipzig. Ferd. Hirt, Kgl. Universitäts- und Verlagsbuch handlung, Breslau. Hellmuth Wollermann, Braunschwcig. George Westermann, Braunschweig. Otto Aug. Schulz Verlag (G. Schiller), Leipzig. E. F. Thienemann, Gotha. Theod. Hofmann, Gera. Helwing'sche Verlagsbuchhandlung, Hannover. Franz Goerlich, Breslau. Paul Even, Metz Hess. Schulbuchhandlung Baier L Co., Cassel. L. Oehmigke's Verlag (R. Appelius), Berlin. Friedrich Pustet, Regensburg. I. F. Steinkopf, Stuttgart. Alwin Huhle, Dresden. Velhagen L Klasing, Bielefeld. Wiegandt L Grieben, Berlin. I. Lindauer'sche Buchhandlung, München. Herm. Schroedel Verlag, Halle a. S. Joseph Jolowicz, Posen. Moritz Diesterweg, Frankfurt a. M. Gerhard Stalling Verlag, Oldenburg i. Gr. Moritz Schauenburg, Lahr i. B. G. Frcytag, Leipzig. Carl Krabbe, Stuttgart. Adolf Bonz L Co., Stuttgart. Chr. Fr. Vieweg's Buchhandlung, Quedlinburg.