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93, 24. April 1899. Nichtamtlicher Teil. 3029 Am 1. Januar 1896 trat die »Jugend« auf den Plan und ein Vierteljahr später der »Simplicissimus«, die beide fast in jeder Nummer Buchornamente veröffentlichten. Damit waren in Deutschland die ersten Anfänge gegeben, die Buchausstattung konventionellen Traditionen zu entreißen und eine Neubelebung des Buchgewerbes zu schaffen. Bald darauf gaben Breitkopf L Härtel ihre ersten von Künstlern entworfenen Musterbücher modernen Buchzierats heraus, die die Dekoration der Fläche durch reines Flächenornament zu lösen suchten. Den großen Anklang, den diese Musterbücher in Fachkreisen fanden, waren die Veranlassung, daß viele andere Druckereien, wie I. I. Weber und Drugulin in Leipzig, Wilhelm Wöllmer in Berlin, dessen farbige Silhouetten-Bordüren stark von amerikanischen Vorbildern beeinflußt sind, ferner Numrich L Co., die Ruthardtsche Gießerei u. s. w., gleiche Bahnen einschlugen. Ungefähr gleichzeitig führte der Münchener Verleger Albert Langen bei uns den künstlerischen Buchumschlag ein. Wohl waren auch ehedem zuweilen Bücher mit bunten, illustrierten Umschlägen versehen; aber es war entweder irgend eine leb hafte Scene des Buches in grellen Farben und oft in krasser Uebertreibung dargestellt, oder es wurde zum Schmucke des Umschlages ein kleines nichtssagendes Genrebild verwandt. In beidem liegt eine arge, den guten Geschmack verletzende Stillosigkeit, die sich in keiner Weise rechtfertigen läßt. Der Buchumschlag soll, wenn er nicht rein ornamental dekoriert ist, als Plakat im kleinen aufgefaßt werden, das im Gegensatz zu der auf große Fernwirkung ausgehenden Affiche eine feinere Zeichnung und eine zartere Koloratur verlangt; er soll den Charakter, den Geist des Buches impressionistisch wiedergeben, auf den Inhalt vorbereiten, die Phantasie anregen, ohne sich gewaltsam aufzudrängen. Im allgemeinen darf man es wohl als Stilwidrigkeit hinstellen, wenn die Umschlagszcichnung über beide Seiten fortgeht; doch daß diese Frage geschickt gelöst werden kann, zeigt der Umschlag von Schulz zu Przybyszewskis Satans kinder, der auf der Vorderseite die brennende Stadt mit den fliehenden Einwohnern zeigt und auf der Rückseite den auf dunklem Felde von fern aus zuschauenden Brandstifter. Bei Steinlens Umschlag zu Vandsrems Asche dagegen empfindet man die Stilwidrigkeit; die an sich wundervolle Zeichnung kann man nur ganz betrachten, wenn man das Buch hinstellt und die Vorder- und Rückseite des Umschlags aufklappt. Ueber die einzelnen Buchumschläge ist an dieser Stelle schon häufig ausführlich gesprochen, so daß es unnötig er scheint, noch einmal näher darauf einzugehen; sie sind in unserer Ausstellung besonders reich vertreten — gegen 300 an der Zahl. Neben den älteren, schon bekannten Sachen dürften vor allem noch die Arbeiten Bruno Pauls, Leopold Sütterlins, der ein feines, graziöses Ornament für die Ge schäftskarte der Buchhandlung des Herrn Dressel in Dresden entworfen hat, ferner die Arbeiten von Peter Behrens, Hans Baluschek, Th- Quasch und Georg Kayser interessieren, der zu mehreren Büchern aus dem Verlage von Schuster und Loeffler in Berlin sehr schwungvolle, leichte stilisierte Pflanzen ornamente geschaffen hat. Besonders reich sind Johann Vincenz Cissarz in Dresden und Fidus in Berlin vertreten. Von dem ersten Künstler ist eine Anzahl Vignetten zu Gedichten von Avenarius (Eugen Diederichs-Leipzig) ausgestellt, die echt deutsches, ein tiefes Empfinden zeigen und in gewissem Sinne als muster gültig hingestellt werden dürfen. Sie sind rein dekorativ, drängen sich dem Leser nicht auf, regen aber die Phantasie an, da sie immer aus dem jeweiligen Text heraus empfunden sind. Auch Fidus zeigt im Buchschmuck ein starkes und großes Können und eine große Auffassung. Wundervoll sind seine Umschläge zu den im Verlage von Wilhelm SechSundsechzt-ster Jahrgang. Friedrich erschienenen spiritistisch-mystischen Schriften. Seine in reinen, weichen Linien gezeichneten keuschen Mädchen, seine seelenvollen Jünglingsgestalten sind Meisterwerke des Buchschmucks. Von modern ausgestatteten Büchern sind das herrliche Werk d'Aubecques, die Barrisons, von Th. Th. Heine mit reichem Schmuck versehen, und Maeterlincs Schatz der Armen ausgestellt. Außer diesen sind vor allem noch Boos, die deutsche Städtekultur, Thoma, Agrikola, Bierbaum, der bunte Vogel, und der »Pan« zu erwähnen, der typographisch doch als bedeutende Leistung geschätzt werden muß. Die ausgestellte Sammlung, die im ganzen 600 Nummern umfaßt, ist vom Dresdener Kunstgewerbemuseum angekauft, und somit birgt neben Leipzig auch Dresden als zweite Stadt in Sachsen eine buchgewerbliche Sammlung. Otto Grautoff. Nochmals die Lehrlingsprüfung. Im Börsenblatte Nr. 73 (vom 29. März d. I.) findet sich im Berichte über die Hauptversammlung des Elsaß- Lothringischen Buchhändler-Vereins vom 19. März in Straß burg die Angelegenheit der Lehrlingsprüfung in einer Weise behandelt, die dem Vorsitzenden des Lehrlings-Ausschusses der Allgemeinen Vereinigung Deutscher Buchhandlungs-Gehilfen geradezu die Verpflichtung auferlegt, einige Worte »zur Sache« zu bemerken. Es sollen meine Ausführungen in keiner Weise eine Kritik des Beschlusses sein — dazu steht mir hier kein Recht zu, wohl aber bin ich berechtigt und moralisch ge zwungen, einiges aufzuklären, um irrigen Auffassungen vor zubeugen. In erster Linie kann ich meine volle Freude von ganzem Herzen darüber aussprecheu, daß unser stets scharf betontes Streben nach Einstellung von »nur tüchtigen, gut vorge bildeten und gut empfohlenen jungen Leuten als Lehrlinge« Anerkennung findet; — aber zugestanden wird, daß »dagegen oft gefehlt werde«. Eine Hauptforderung in unseren Be strebungen hat hierdurch eine sehr wesentliche Zustimmungs erklärung gefunden, wodurch die Berechtigung unseres Punktes »bessere Vorbildung« mehr Beachtung und Anerkennung finden wird. Hierbei möchte ich gleich bemerken, daß unser ganzes Streben ja nur dahin zielt, den Z 76 des Handels gesetzbuches voll und ganz zur Anwendung und Durchführung gebracht zu sehen, und daß alle Wege und Mittel dazu ver sucht werden müßten, um das zu erreichen. Beifügen möchte ich aber noch, daß in der Weiterführung der Frage der Kampf gegen die Schleuderei in den Vordergrund gestellt wird, was aber etwas unbeachtet erscheinen läßt, nämlich, daß wieder besser vorgebildete und tüchtig ausgebildete junge Männer unserem Stande erzogen werden müssen, daß nur solche Leute jenen großen ernsten Kampf durchführen können, wenn sie wieder Ideale unseres Berufes festhalten können, wenn sie Berufsstolz und Zusammengehörigkeitssinn ent wickeln und bethätigen. — Leider ist in dem ablehnenden Beschlüsse in jener Ver sammlung unserem Vorschläge ein Seitenstück als abschreckendes Beispiel beigegcben worden, das aber nie und nimmer zum Vergleiche herangezogen werden dürfte, weil beide Einrich tungen vermiedene Zwecke haben. Die Staatsexamina, die unserem Vorschläge — Einrichtung einer Lehrabschlußprüfung — vergleichend gegenübergestellt wurden, haben doch, neben dem Zwecke, das Mindestmaß von Wissen eines Menschen festzustellen, die Bedeutung, durch Abstufungsnoten die spätere Lebensstellung zu regeln und zu beeinflussen — sie haben also einen ganz andern Einfluß auf die Zukunft des Prüf lings! Wie ganz anders ist doch unser Vorschlag! Wir wünschen, daß ein junger Mann, der mit eineiü nach unten begrenzten 404