Volltext Seite (XML)
eV 295, 21. Dezember 1910. Nichtamtlicher Teil. ««rsini!»tt I. d. Dtichn. Buchhant-I. 15753 vielleicht längst erprobtes Mittel in einer in seinem Verlage erschienenen Schrift in rühmender Weise erwähnt wird. Man wird sagen, dis in dem Gesetze vorgesehene, den Bundesrat beratende Spezialkommission sei eine Garantie dafür, daß von dem Verkehrsverbot ernsthafte Mittel nicht betroffen würden. Die chemische und pharmazeutische Industrie ist anderer Ansicht; sie befürchtet — und wer wollte ihr Un recht geben?! — daß die vorgesehene Kommission voraus sichtlich in sehr einseitiger Weise ihre Tätigkeit ausüben werde und daß das Gesetz die Wirkung insoweit habe, der herrschenden medizinischen Schule zum Siege zu verhelfen. Es ist aber nicht Aufgabe des Staates, sich in den Streit der medizinischen Schulen einzumischen, und unter allen Um ständen muß der Verlagsbuchhandel davor geschützt werden, daß er Verfolgungen ausgesetzt ist, weil er Verfahren, Mittel usw. rühmend darstellt, die der herrschenden Schule nicht genehm find und deshalb von ihr für das Verkehrs oerbot vorgeschlagen werden. Wesentlich bedenklicher für den Buchhandel ist aber die Vorschrift des Z 8, insbesondere insoweit, als sie sich auf die Ankündigung oder Anpreisung von Heilmitteln bezieht, deren Bestandteile oder Gewichtsmengen geheimgehalten oder verschleiert werden; das Gleiche gilt für die Anpreisung oder Ankündigung von Verfahren, wenn wesentliche Bestand teile des Verfahrens geheim gehalten oder verschleiert werden. Allerdings soll ja diese Vorschrift keine Anwendung finden, wenn und soweit die Ankündigung oder Anpreisung in wissenschaftlichen Fachkreisen auf dem Gebiete der Medizin, der Tierheilkunde oder der Pharmazie erfolgt. Aber diese Abweichung von der Strafnorm ist in eine der art elastische Formel eingekleidet, daß selbst der Ver leger ernster, durchaus wissenschaftlicher Werke unter Um ständen Gefahr laufen wird; denn bekanntlich werden auch die durchaus den Stempel der Wissenschaftlichkeit tragen den Werke nicht nur in Fachkreisen gelesen und nicht nur in Fachkreisen verbreitet — man braucht beispielsweise nur auf die starke Verbreitung hinzuweisen, deren sich diese Bücher in Kreisen des Klerus erfreuen, die sich mit der Pastoral- medizin befassen —; es dürste aber keinem Zweifel unter liegen, daß der Entwurf zu den »Fachkreisen- diejenigen Personen nicht rechnet, die nicht im Besitze der staat lichen Approbation find. Viel schlimmer noch ist aber der Verleger populär-medizinischer Werke daran, die bekanntlich zum allergrößten Teile von Ärzten verfaßt werden. Es ist nicht immer möglich, bei der Erwähnung oder Empfehlung eines Mittels, eines Apparates, eines Verfahrens usw. den Anforderungen des Entwurfs gerecht zu werden; es ist dies vielfach schon um deswillen nicht möglich, weil das betreffende Mittel unter Patentschutz steht und die das Patent besitzende Fabrik garnicht daran denkt, die Angaben zu machen, die der Entwurf verlangt, da sie ohne weiteres jeden Konkurrenten in die Lage versetzen würden, das Mittel nachzuahmen. Der Entwurf bestraft in 8 8 auch die öffentliche An kündigung oder Anpreisung von antikonzeptionellen Mitteln oder Verfahren. Auch dies bildet für den Verlags buchhandel vielfach eine nicht zu unterschätzende Gefahr. Gewiß, es wird nur ein Vorteil sein in ethischer wie auch in wirtschaftlicher Hinsicht, wenn die zahllosen Broschüren über die Antikonzeption, mit denen die große Masse der Be völkerung, insbesondere die weibliche, vielfach geradezu be trogen wird, verschwinden. Aber bekanntlich wird die Anti konzeption auch in wissenschaftlicher Weise behandelt. Wie würde es dem Verleger eines auf dem Standpunkt des Malthusianismus oder Neo - Malthusianismus stehenden Werkes über die Bevölkerungslchre ergehen, wenn darin ge- Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel. 77. Jahrgang. wisse antikonzeptionelle Mittel oder Verfahren unter gewissen Umständen empfohlen werden?! Es mag aus diesen Beispielen entnommen werden, daß durch die Vorlage in erster Linie der Verlag populär- medizinischer Werke vielfach recht schwer geschädigt werden kann, daß aber unter Umständen auch der Verlag von Werken, die man nicht zu den populären zählen kann, ernsten Schwierigkeiten ausgesetzt sein wird. In noch viel höherem Maße als der Buchverleger ist aber der Zeitschristenverleger durch den Entwurf be droht. Soweit der Entwurf sich mit den Anzeigen befaßt, können alle die Bedenken, die unter dem Gesichtspunkt des Zeitungsinseratgeschäfts geltend gemacht wurden, nur voll und ganz wiederholt werden. Wer als Zeitschriftenverleger unter einem Gesetze, das dem Entwurf entspricht, ganz ruhig schlafen will, tut am besten daran, keine Anzeige zu veröffentlichen, die sich auf Heilmittel im weitesten Sinne, auf Heilverfahren, auf Kräftigungsmittel usw. bezieht. Der über die Vorschrift des Z 4 des Wettbewerbsgesetzes vom 7. Oktober 1909 durch Bestrafung der fahrlässigen Übertretung weit hinausgehende Z 7 des Ent wurfs bedeutet auch für den Zeitschristenverlag eine derartige Gefahr, daß auch der peinlichste und ge wissenhafteste Verleger und Redakteur der Be strafung in verhältnismäßig zahlreichen Fällen nicht ent gehen wird, wenn dieser Vorschlag Gesetz würde. Anzeigen über Kräftigungsmittel, über kosmetische Mittel und ähn liches werden in den Anzeigeteilen auch der ersten und vor nehmsten Zeitschriften veröffentlicht; wie aber soll der Verleger feststellen können, ob die in dem Inserat enthaltenen Behaup tungen bezüglich der Wirksamkeit wahr sind oder nicht? Be hauptungen, die den Stempel des Schwindels und der Un wahrheit ohne weiteres tragen, nimmt der Verleger einer auf ihr Ansehen haltenden Zeitschrift überhaupt nicht auf; wenn aber die chemische Fabrik L. ein neues Blut- bildungsmittel in den Handel bringt und von ihm be hauptet, der Verbrauch von sechs Flaschen genüge, um auch eine stärkere Blutarmut zu beseitigen, so kann doch der Zeitschriftenverleger gar nicht feststellcn, ob dem so ist oder nicht! Soll er vielleicht erst selbst das Experiment an irgendeiner bleichsüchtigen Person anstellen, oder soll ec zunächst das Gutachten irgend eines Arztes einholen? Und doch droht ihm strenge Strafe, wenn die Behauptung nicht richtig ist, wenn also z. B. erst der Verbrauch von einem Dutzend von Flaschen den von der Fabrik behaupteten Er folg hat! Weitere Beispiele lassen sich in unbegrenzter Reihenfolge anführen, aus denen hervorgeht, daß der Ent wurf das Jnseratengeschäft der Zeitschriften zu einem sehr großen Teile geradezu unmöglich macht. Während das Wettbewerbs-Gesetz in Z 13 sogar für die Schadenersatz-Ansprüche ein Sonderrecht zugunsten der für den Inhalt periodischer Druckschriften verant wortlichen Personen kennt, während in 8 4, wie bereits ge sagt, nur die vorsätzliche Dolus- und Eventualdolus- Zuwiderhandlung unter Strafe gestellt ist, nimmt der Ent wurf des Kurpfuschergesetzss auf die Eigenart der Produktions- Verhältnisse der periodischen Presse überhaupt keine Rücksicht und geht sodann in der Verwertung der Poenalisterung der von ihm mißbilligten Handlungen so weit, daß er die fahr lässige Zuwiderhandlung unter Strafe stellt. Und welche Zuspitzung hat der Fahrlässigkeitsbegriff heute erfahren, wie hat die heutige Rechtsübung ihn ausgedehnt und erweitert, welche unglaubliche, dem Laien (oft genug auch dem Juristen, dem die Begriffskultur nicht der juristischen Weisheit Endziel ist) unverständliche Begriffsspalteret macht sich bei Anwendung des Fahrlässigkeitsbegrisfs gerade der Presse gegenüber geltend! Das weiß der 2041